Zurück im Hotelzimmer legte er den Revolver auf den Tisch. Ein 44-40er Colt Peacemaker. Nichts Außergewöhnliches dran. Einfacher Griffschalen aus Walnussholz. Ohne Verzierungen. Ohne Kerben. Das Korn hatte er abgefeilt, da er nicht die Absicht hatte, an einem Wettschießen teilzunehmen.
Lohman & Thomas hatten ihm den Revolver zum Geschenk gemacht. Als Anerkennung für geleistete Dienste. Damals hatte er einen einfachen Armeerevolver sein eigen genannt. Der Peacemaker lag besser in der Hand, das war der einzige Unterschied, der zählte.
T. T. jr. krähte noch immer, und das Stück Rohhaut lag neben dem Korb am Boden. Was dem Kleinen nicht genehm war, warf er hinaus, manchmal sogar die Milchflasche, wenn seine Mutter nicht aufpasste und er keinen Appetit hatte. Allmählich hätte jemand damit anfangen sollen, ihm Manieren beizubringen, das war T. T. Chesterfield klar, doch da war ja noch Mrs. Ginger Hammersmith, die Schwiegermutter. Die wusste immer alles besser, was nicht ungewöhnlich war, wie ihm einige wenige verheiratete Freunde im Vertrauen versichert hatten.
Chesterfield hängte seine Jacke, modisch geschnitten und für die Sommermonate angefertigt, an den Türhaken, streifte die Hosenträger über die Schultern, so dass die Spannung nachließ, und vernahm aus dem Nebenraum die Stimme der alten Dame:
»Natürlich hat er Valdez abgeschossen, Billie. Er war doch in den vergangenen Tagen nur noch mit solchen Gedanken beschäftigt, und deshalb hat er heute Morgen Klein-Theodor so angeschrien.«
»Er hat nicht geschrien, Mumsi«, hörte er Billie Joes Stimme. »Er hat vielleicht mal für einen Moment seine Stimme erhoben, aber das ist auch alles.«
»Oh, jetzt nimmst du ihn wieder für seine Unarten in Schutz. Geschrien hat er, mein liebes Kind. Ich hab's gehört, obwohl ich noch die Wachspfropfen in den Ohren hatte. Das ist ein solide gebautes Hotel, mit Wänden aus Backsteinen und mit Holz verkleidet.«
Zur Bekräftigung ihrer Worte klopfte Mrs. Hammersmith mit den Knöcheln gegen die Trennwand. »Trotzdem habe ich jedes Wort gehört. Halt endlich den Mund, verdammt! Hat er das gesagt oder etwa nicht? Drei Mal hat er das gesagt und T.T. jr. hat es jedes Mal den Atem verschlagen!«
»Willst du damit etwa sagen, dass ihn der Kleine verstanden hat, Mumsi?“
„Niemand weiß, was in seinem kleinen Köpfchen abgegangen ist. Klein-Theodor ist ein delikater kleiner Junge, Billie Joe.“
»Das ist ihm sicher nur rausgerutscht, weil er die halbe Nacht ...«
»Kein Wunder, dass ihn sein Gewissen nicht schlafen lässt. Und wahrscheinlich auch die Furcht, dass er eines Tages einem Mann gegenübersteht, der ihn umbringt. Ich weiß dass du ihn liebst, mein Kind, aber musste es denn unbedingt ein kaltherziger Kopfgeldjäger sein?“
»Mumsi, hast du vielleicht auch gehört, wie er Ticke-ticke gesagt und allerlei Späße gemacht hat, um T. T. auf andere Gedanken zu bringen? Und er hat Grimassen geschnitten und sich an den Ohren gezogen. Und dann hat er ...«
T. T. Chesterfield hörte nicht mehr zu. Beschämend, dachte er. Unglaublich. Verrückt. Wie ein Idiot habe ich mich benommen, und alles nur, um ein bisschen Ruhe ins Haus zu bringen. Er warf einen Blick in den Korb. T. T. jr. war beinahe blau im Gesicht, und selbst die Vollglatze hatte eine unnatürliche Farbe. Keine Tränen, aber dafür eine Rotznase, und wahrscheinlich die Windeln voll.
»Ich möchte wissen, wie du das alles durchstehen wirst, Sohn«, sagte er leise. „Vielleicht solltest du ganz schnell erwachsen werden.“
Anstatt seinem Vater eine Antwort zu geben, begann T. T. jr. aus vollem Hals zu schreien, und obwohl er dabei den Mund sperrangelweit aufriss, war noch immer kein einziger Zahn zu sehen. Ob sie alle miteinander kommen? Das wäre wenigstens etwas, worauf man sich hätte einstellen können. Aber so? Himmel, wenn einer nach dem anderen kommt, kräht er die nächsten zwei Jahre ohne Unterbrechung.
Als sich T. T. Chesterfield an den Tisch setzte und dabei war, den Revolver zu entladen, wurde die Verbindungstür geöffnet. Er blickte nicht hin, wusste, dass es Schwiegermutter war mit ihrem achten und neunten Sinn. Und siehe da, die ihm vertraute Stimme, leise und trotzdem triumphierend, sagte: »Ich hab's doch gesagt. Er ist zurück.«
Sie hatte wieder einmal alles im Vorhinein gewusst.
»Er und sein Revolver. Natürlich hat er Valdez abgeknallt.« Sie kamen beide herein. Mutter voraus, Töchterchen im Schlepptau. T. T. Chesterfield reihte die Patronen aneinander. Fünf Kupferhalbmantelgeschosse aus der Trommel und die abgefeuerte Patronenhülse. Er tat nie sechs Patronen in die Trommel, damit der Hammer des Revolvers bei Nichtgebrauch immer auf einer leeren Kammer lag. Kleine Vorsichtsmaßnahme, seit er einen Jungen mit einem Revolver herumhantieren gesehen hatte, der zur Überraschung aller plötzlich losging und einen Mann in den Bauch traf, der dem Jungen bei seinen Kunststücken zuschaute. Ohne seine Frau oder seine Schwiegermutter eines Blickes zu würdigen, entfernte er die Trommel vom Colt und legte sie auf einen öligen Lappen.
»Hallo, Mr. Chesterfield«, sagte sie und verstellte ihm das Licht, das durch ein schmales Fenster auf den Tisch fiel.
»Morgen«, sagte er nicht unfreundlich, »wurde uns das Frühstück bereits aufs Zimmer gebracht?«
»Na, der Kaffee ist inzwischen kalt geworden«, antwortete sie ihm. »Ich nehme an, dass dieser Valdez inzwischen das Zeitliche gesegnet hat?«
Jetzt hob er den Kopf und sein linker Mundwinkel hob sich leicht.
»Ich wusste es«, schnappte sie sofort und warf ihrer Tochter einen Blick zu.
Chesterfields Lächeln wurde zu einem diabolischen Grinsen.
»Möchtest du vielleicht für ihn beten?«
„Das ist beileibe nicht meine Absicht. Immerhin handelte es sich bei ihm um einen Killer, nicht wahr!«
„Einen, der seine Schwiegermutter umgebracht hat, Mrs. Hammersmith, und eine Reihe anderer unbescholtener Bürger dieses Landes.“
„Ich verstehe, Sie wollen sich damit rechtfertigen, dass Sie der Menschheit mit der Tötung dieses Verbrechers einen Dienst erwiesen haben?“
„Nein, Sie sollen verstehen, verehrte Schwiegermutter, dass es ihrem Schwiegersohn, dem Ehemann ihrer wundervollen Tochter und dem Vater von T. T. jr. so ziemlich wurscht ist, was Leute über ihn und seine Arbeit denken. Und den Kaffee trinke ich gern auch kalt, ja.“
Im Gegensatz zu ihrer fast zierlichen Tochter war Mrs. Hammersmith eine geradezu stämmige, mit starken Knochen und einem harten, kantigen Gesicht, in dem ein paar dunkle Augen blitzen.
Mrs. Ginger Hammersmith war eine Frau, die unter Männern nicht als solche auffiel. Dass sie eine Tochter wie Billie Joe zur Welt gebracht hatte, überraschte T. T. Chesterfield immer wieder aufs Neue, wenn er sie in Aktion erlebte.
»Wie war's denn, Mr. Chesterfield?« fragte sie. »Hat er sich denn zur Wehr gesetzt?“
„Nein. Dazu hatte er keine Gelegenheit.“
„Ist das nicht ungewöhnlich? Ich meine, diese Killer müssten doch jeder Zeit bereit sein, zurück zu schießen.“
„Dieser war es nicht.“ Das Lächeln im Gesicht Chesterfields war verschwunden. Er warf seiner Frau, die es inzwischen tatsächlich fertig gebracht hatte, T.T. Jr. zu besänftigen, einen Blick zu.
Sie erwiderte diesen mit ihren wunderschönen blauen Augen. Voller Zuneigung und Liebe waren sie, doch er wusste auch, dass sie auch die Furcht im Herzen trug, ihn eines Tages zu verlieren.
»Es ist vorbei«, sagte er sanft, und sie hielt ihren Sohn im Arm, so dass er ihn sehen konnte, seinen Sohn, den sie ihm geschenkt hatte.
Mrs. Hammersmith brachte den Krug mit dem Kaffee zum Tisch und goss einer der Tassen voll, während T. T. Chesterfield sich wieder seinem Colt widmete, diesem teuflischen Handwerkszeug, wie sie es einmal genannt hatte.
Billie Joe näherte sich dem Tisch, blieb neben dem Stuhl stehen, auf dem er saß.
Mittelgroß, schmal, mit aschblondem Haar und einem blassen Gesicht, wirkte sie manchmal etwas puppenhaft. T. T. Chesterfield hatte immer eine Schwäche für Mädchen dieser Art gehabt. Für ihn war sie Meisterwerk. Dort, wo etwas zu sehen oder zu spüren sein musste, war genug da. Wohlgeformte Brüste, zwei Hände voll, schlanke Fesseln und Handgelenke und stramme Oberschenkel. Mit Augen die ihm verrieten, wie stark diese junge Frau hätte sein können, wäre sie mit einer außergewöhnlichen Situation konfrontiert worden. Sein Sohn, dachte T. T. Chesterfield in diesem Moment, war bei ihr in sicheren Händen, selbst wenn er eines Tages nicht mehr zurückkehrte.
»Ich lasse frischen Kaffee heraufbringen, Liebling.«
»Fein«, sagte er. »Und dann wäre ich dir dankbar, wenn du Mrs. Hammersmith die Stadt zeigen würdest. Ich erwarte Besuch. Geschäftlich.«
Die Schwiegermutter schnappte nach Luft.
»Oh«, presste sie hervor. »Oh, geschäftlich. Wie das klingt! So seriös und gebildet!«
»Geschäftlich«, wiederholte er, obwohl ihm nicht daran lag, mit ihr zu streiten.
»Selbstverständlich werde ich Mr. Chesterfield nicht im Weg sein«, sagte sie mit gepresstem Atem. »Komm, mein Kind, ich hatte ohnehin vor, ein paar kleinere Einkäufe zu machen.«
Sie drehte sich auf dem Absatz eines ihrer knöchelhohen Schnürschuhe und verschwand durch die Verbindungstür im Nebenzimmer.
Schuhe und Zimmermiete gingen auf T. T. Chesterfields Rechnung. Ebenso die »kleineren Einkäufe«, die zu machen sie vorhatte.
»Sei nicht böse auf sie«, sagte Billie Joe. »Du weißt, dass sie es nicht so meint.«
„Kommt es dir darauf an, wie sie es meint?“ lächelte er und zwinkerte mit einem Auge. »Ausgeschlafen?«
»Unmöglich, mit einem Sohn wie T. T. jr.«, sagte sie, beugte sich herunter und küsste ihn.
Er küsste sie wieder, hielt sie am Haar fest und sagte: »Ich liebe dich, Billie Joe Chesterfield.«
»Sehr?«
»Mehr als nur sehr«, schmeichelte er ihr.
»Und Mumsi?«
»Well, ihr Glück ist es, dass sie dich auf die Welt gebracht hat.«
»Sei nicht rüde, Liebling.«
»Das bin ich nicht. T. T. jr. ist ein kleines Monster. Er hat uns die halbe Nacht ...“
„Es war elf Uhr, als er uns schlafen ließ, und sechs Uhr, als er uns weckte. Das ist nicht die halbe Nacht, Liebster.“
„Und das trotz der Rohhaut.«
»Er ist wirklich ein kleiner Bengel, Liebling. Glaubst du, dass er einmal deine Nase kriegt?«
»Das wäre ein Skandal.«
»Meine?«
»Wunderbar.«
»Wie war es mit Valdez?«
»Seine Mutter war dort.«
Sie beugte ihren Kopf und küsste T. T. Junior auf die Stirn. »Ich glaube, ich gehe jetzt“, sagte sie leise, so als wollte sie ihn nicht aufwecken. „Und ich lasse dir frischen Kaffee heraufbringen.«
»Danke.“
„Wofür?“
„Dass es dich gibt“, sagte er und legte ihr den Arm um die Taille. »Ohne dich wäre es nicht einfach.«
Sie lächelte schwach, löste sich von seinem Arm und ging zum Korb, der unter dem Fenster stand. Sachte bette sie ihren Sohn in der flauschigen Decke, die Mrs. Hammersmith für ihn aus feinster Wolle gestrickt hatte. So behutsam sie auch mit ihm umging, er erwachte, aber er war jetzt ein friedlicher kleiner Bengel und machte jetzt »blablabla«, und seine kleinen Füße kamen über den Korb, rote, kleine Füße, die in keine Stiefel passten. Erst als Mrs. Ginger Hammersmith zurückkam, einen mächtigen Hut auf dem Kopf, eine dreifache Perlenkette um den Hals und eine Tasche am Arm, fing der Kleine wieder zu schreien an.
Sie lachte, und einer ihrer Goldzähne reflektierten Sonnenlicht. »Klein-Theodor möchte mitkommen, nicht wahr?«
»Nenne ihn nicht Klein-Theodor, Mumsi«, bat Billie Joe ihre Mutter.“ Er ist ein ganz normales Kind und heißt wie sein Vater.“
»T. T.? Wir haben das doch bereits besprochen, Billie Joe. Nein, mein Kind, das kann kein Mensch von mir verlangen. T. T. klingt reichlich banal und unterklassig!«
„Was meinst du denn damit, Mutter? Unterklassig finde ich ein hässliches Wort, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass wir weit davon entfernt sind, einem Adelsgeschlecht zu entstammen.“
„Die Hammersmiths waren in der alten Welt ein hochangesehene Handelsgeschlecht, mein Kind, das weißt du doch.»
»Aber er heißt doch gar nicht Theodore, Mumsi.«
»Ich hätte ihm an deiner Stelle den Namen Theodor gegeben«, beharrte sie aufmüpfig. Theodore Tinstall Hammersmith Chesterfield. Das wäre zweifellos ein edler Name gewesen, den dein Sohn einmal mit Stolz getragen hätte. Nur, seinem Vater hat das ja nicht gepasst.«
Billie Joe hatte eine Erwiderung auf der Zunge, aber sie schwieg. Es war das Beste, was sie tun konnte. Auseinandersetzungen mit Mrs. Hammersmith waren sinnlos. Und trotzdem gab es mehr als genug in der Familie Chesterfield-Hammersmith.