Mrs. Hammersmith hatte zwar die Stirn, ging aber diesmal leer aus, nachdem ihr Billie Joe eindrücklich zu verstehen gegeben hatte, diesen Sonntagmorgen im Bett verbringen zu wollen, zumal T. T. jr. endlich einmal still in seinem Korb lag und ganz lieb an dem besagten Stück Rohhaut kaute.
Mrs. Hammersmith führte den neuen Hut und die neuen, knöchelhohen Schuhe mit den sanduhrförmigen Absätzen, allein aus, bewaffnet mit einem Sonnenschirm, den sie in Kansas City erstanden hatte, obwohl die Kasse der Familie Chesterfield-Hammersmith damals nahezu leer gewesen war.
Zurzeit waren die finanziellen Sorgen gering. Valdez war der Verwaltung von Texas und der Alamo National hundertfünfzig Dollar wert gewesen, nachdem er mit zwei anderen zusammen in San Saba eine kleine Filiale der Bank überfallen hatte und mit dreihundertfünfzig Dollar in kleinen Noten entkommen war.
Kein großer Fisch, aber gerade deshalb schwierig zu angeln, unauffällig und schlüpfrig wie er es war. Außerdem hatten sich gestandene Vertreter des Gesetzes kaum ernsthaft bemüht, Valdez hinter Schloss und Riegel zu bringen. Man war mit Sam Bass beschäftigt gewesen, hatte andere, lohnendere Aufgaben und überließ Männer wie Valdez dem Zufall oder T. T. Chesterfield, der es sich nicht leisten konnte, auf Kapitalverbrecher zu warten, seit er Familie hatte. Vorher war das eine andere Sache gewesen.
Der Westen kannte T. T. Chesterfield als Zähmer wilder Städte, als zweimal bei den Sheriffswahlen knapp geschlagenen Kandidaten, als kurzfristigen US Vizemarshal, als Büffeljäger, Eisenbahn-, Weide-und Pinkertondetektiv, verschiedentlich recht erfolgreich, mit einem mehr oder minder guten Ruf. Es gab Leute, die ihn liebten, andere wünschten ihn zur Hölle. Es gab Städte, wo man sich ernsthaft überlegte, ob man ihm auf dem Hauptplatz ein Denkmal errichten sollte. Andere wollten nicht daran erinnert werden, jemals einen Mann wie ihn beherbergt zu haben.
T. T. Chesterfield kümmerte sich kaum darum, was die Leute von ihm hielten und über ihn redeten. Denkmäler gefielen ihm nicht, und die amerikanische Geschichte würde ganz gut ohne ihn auskommen. Er schuldete niemandem etwas, schon gar nicht Himmel oder der Hölle. Nur zu gut wusste er was er war, und verzichtete gern darauf, sich etwas anderes beweisen zu wollen.
Was er war?
Ein Mann von fünfunddreißig Jahren, mit nicht wenigen grauen Haaren unter dem dunkelbraunen Rest, mit einem nichtssagenden Gesicht, graublauen Augen und einem Mund, der halb von einem Knebelbart bedeckt wurde. Eine kleine Narbe am rechten Augenwinkel zeugte davon, wie nahe er daran vorbeigeschlittert war, halbseitig zu erblinden, als er sich in der Schule mit Mitch „Bully“ Halbinger, dem Klassenrüpel angelegt hatte, wobei dieser versuchte, ihm mit einem Messer mindestens eines seiner zwei Augen auszustechen. T.T. Chesterfield war weder besonders kraftvoll noch besonders geschmeidig, hatte chronische Schmerzen im rechten Bein, wo ihn die Kugel eines mexikanischen Banditen namens „El Diablo“ ein Stück von der Ferse zertrümmert hatte, und ging deshalb bei schlechtem Wetter leicht schief. Seit T. T. jr. das Licht der Welt erblickt hatte, war sein Aktionsradius noch weiter eingeschränkt worden, was ihm hier in San Antonio wieder einmal klar und deutlich zu verstehen gegeben wurde.
»San Antonio hat Käfer, und wo Käfer sind, kann sich ein Baby wie T. T. jr. nicht wohl fühlen.«
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Trotz der ihm noch ungewohnten Familiensituation und der damit verbundenen Schwierigkeiten, hatte T. T. Chesterfield keinen Grund zum Klagen. Die meisten jungen Frauen hatten Mütter, die mitgeheiratet werden mussten. Und was auch immer gegen die, manchmal überwältigende Präsenz von Mrs. Ginger Hammersmith einzuwenden gewesen wäre, es war immer noch besser als ein Holzbein oder ein Glasauge.
»Schläfst du, Liebling?«
Er sagte nichts. Er konnte nicht behaupten, dass er wach war, aber Schlafen tat er auch nicht mehr. Das Stadium in dem er sich befand, lag irgendwo dazwischen. Dämmerschlaf oder so etwas.
Sie rückte etwas näher heran, und es wurde wärmer.
»Mumsi ist zur Kirche gegangen, Liebling«, hauchte ihm Billie Joe ins Ohr. »Wir sind allein und T. T. hat das Leder.«
»Rohhaut«, murmelte er.
»Ja«, sagte sie. »Du schläfst doch nicht wirklich, nicht?«
»Jetzt nicht mehr.«
Es blieb eine Weile still. Dann kamen ihre Füße herüber, überraschend kühl, glitten an seinen Unterschenkeln hoch bis zu den Kniekehlen und wieder hinunter.
»Woran denkst du, Liebling?«
»Deine Füße sind kalt«, sagte er. »Schlechte Blutzirkulation.« Er drehte sich auf die Seite und hatte ihr Gesicht so dicht vor sich, dass er ihre Sommersprossen auf dem Nasenrücken zählen konnte. Es waren dreizehn.
»Du machst dir Sorgen, nicht wahr? Du denkst an Mutter und wie es mit uns weitergehen soll?«
Er begann mit seinen Fingern an einer ihrer Haarlocken herumzuspielen. Er mochte ihr Haar, dieses glänzende Gold. E mochte alles an ihr, ihre helle, makellose Haut, Ihr schmales Gesicht und ihre dunklen herausfordernden Augen, die in ihm ein Gefühl zu wecken vermochten, von dem er nicht einmal angenommen hatte, dass es noch in ihm schlummerte: Leidenschaft.
»Sie ist nicht so übel, Liebling«, sagte sie. »Ein bisschen aufsässig, ich weiß, aber sie meint es gut, nicht wahr?«
»Schwiegermütter meinen es immer gut. Was hat sie gestern eingekauft?«
»Einen wunderschönen Hut, der auch mir gefällt.«
»Und?«
»Schuhe.«
»Das ist nicht alles.«
»Einen, jener neuen Sonnenschirme aus San Francisco.«
»Wieviel im ganzen?«
»Keine zwanzig Dollar.«
»Wieviel?«
»Neunzehnfünfundsiebzig.« Sie schob die Bettdecke etwas zurück und hob den Kopf. »Wir haben etwas mehr als hundertfünfzig Dollar, Liebling. Das reicht für mindestens drei Monate, nicht wahr? Und Mumsi hat gemeint, dass wir vielleicht nach Denver zurückkehren und ich dort wieder arbeiten könnte. Die Fahrt von hier nach Denver kostet uns genau zweiundvierzig Dollar, und wir haben immer noch ...«
»Wir gehen nicht nach Denver zurück«, unterbrach er sie sanft. »Und du wirst nicht arbeiten, Billie Joe. Du hast einen Sohn und wirst dich um ihn kümmern, nicht wahr? Wir überlassen ihn nicht unserer lieben Mrs. Hammersmith, die aus Klein-Theodor Gemüse machen will.«
»Red nicht so«, sagte sie. »Du weißt, dass Mumsi ...«
»Wir fahren von hier nach Dallas und dann nach Fort Smith, wo ich den Job als US Vizemarshal annehmen werde.«
»Für sechzig Dollar im Monat?«
»Jawohl! Für sechzig Dollar im Monat.«
»Für sechzig Dollar im Monat willst du dich unbedingt töten lassen?«
»Nein. Ich will einen Job haben, mit einem regelmäßigen Einkommen, einem Häuschen am Stadtrand mit einem Zimmer für Mrs. Hammersmith - ohne Verbindungstür und einem separaten Eingang «
»Dann wird es also nichts mit einem Drugstore oder einem Laden, der Frischgemüse ...«
»Entschuldige, dass ich dich unterbreche, aber die Tochter deiner Mutter hat auf eigenen Wunsch keinen Krämer oder Quacksalber geheiratet, sondern einen gestandenen Kopfgeldjäger. Ich weiß, was Mrs. Hammersmith von mir und meiner Arbeit hält. Ich weiß, dass sie von einer Gemüsehändlerfamilie kommt und davon träumt, einen Laden zu haben, mit einem Schwiegersohn hinter dem Ladentisch, grün geschürzt und mit einem immer freundlichen Lächeln unter dem Augenschirm. Aber daraus kann nichts werden, Billie Joe. Ich habe gestern nämlich einen Brief nach Fort Smith abgeschickt und Richter Parker mitgeteilt, dass ich das Angebot annehme. Morgen fahren wir von hier nach Dallas und von Dallas mit dem nächsten Zug nach Fort Smith. Ich wäre dir dankbar, wenn du das deiner Mutter schonend beibringen könntest, damit wir uns deswegen später nicht in die Haare geraten.«
»Sie wird es nicht so ohne weiteres hinnehmen, Liebling.« Billie Joe machte ein bekümmertes Gesicht. »Sie wird sich von mir nicht davon abhalten lassen darauf zu bestehen, dass du dir einen Job suchst, der nichts mit Revolvern zu tun hat und nichts mit Spielkarten und Schnaps.«
»Ich trinke kaum, rauche wenig und spiele nur ab und zu. Genügt das nicht?«
»Mir schon, T. T. Ich liebe dich.«
»Fein.« Er quittierte den Kuss mit einem Grollen. »Wir haben bis jetzt nicht schlecht gelebt, nicht? Man sehe sich mal Mrs. Hammersmiths Garderobe an. Wäre ich ein Gemüsehändler könnte sie sich kaum jeden Monat einen Hut leisten und auf keinen Fall Sonnenschirme aus San Francisco. Wäre ich ein Gemüsehändler könnte sie sich glücklich schätzen, jedes Schaltjahr einmal ihre Zähne nachsehen zu lassen.«
»In Denver kennen wir die Leute, T. T. Wir hätten schnell eine große Stammkundschaft.«
»Gerade deshalb kehren wir nicht dorthin zurück. Wer die Leute in Denver kennt, sucht sich seine Freunde im Zoo von San Diego.«
Sie warf die Bettdecke zurück und warf sich auf ihn.
»Fort Smith«, lachte sie. »Ob es dort auch solche dicken Käfer gibt wie der dort an der Wand.“
Er schielte zur Wand hinüber wo sich ein Käfer gerade anschickte, in einer Ritze zu verschwinden.
„Versuche jetzt nur nicht aufzustehen und den Käfer umzubringen, Liebling. Es ist ein Preis auf seinen Kopf ausgesetzt. Außerdem bin ich gerade dabei, dich zu verführen.“
Das konnte sie. Und wie. Voller Feuer und Leidenschaft und trotzdem hingebungsvoll und ohne Hemmungen. Sie liebte ihn, und er liebte sie. Jetzt, nachdem sie ihm einen Sohn geschenkt hatte noch mehr als zuvor. Er spürte dies mit all seinen Sinnen und mit jeder Faser seines Körpers, wenn er mit ihr zusammen war, und es wurde ihm auch heute wieder klar, dass er für sie und seinen Sohn leben wollte, nur nicht als Gemüsehändler.