Die Frau hieß Claire Byrd und hatte eine Tochter namens Susan.
Was mit Justin Hunt passierte, als die junge Frau den Raum betrat, konnte sich T. T. Chesterfield auch später nie erklären. Im Moment sah es aus, als wollte sich sein Partner in eine Schildkröte verwandeln und blitzschnell der Kopf einziehen, aber das gelang ihm so schlecht, dass ihn Mrs. Byrd freundlichst aufforderte, ihr doch sein Baby zu übergeben und sich danach auf den Stuhl bei der Tür zu setzen.
„Bestimmt hat steckt Ihnen die lange Zugfahrt in den Gliedern, Mr. Hunt.
Justin Hunt beeilte sich, den beiden Frauen zu versichern, dass das Baby nicht sein Baby sei, sondern das Baby seines Freundes, Mr. T. T. Chesterfield.
»T. T. jr.«, sagte er und öffnete die Decke etwas, so dass das kleine, runde Gesicht mit den großen schwarzen Augen und dem schütteren Haar sichtbar wurde.
„Dann erlauben Sie mir die Frage, wo denn die Mutter des Babys geblieben ist.“
„Meine Frau ist vor einigen Tagen in Denver ums Leben gekommen, Ma`am“, sagte Chesterfield und nahm Justin Hunt seinen Sohn ab. „Mr. Hunt und ich kümmern uns gemeinsam um T. T. jr. bis wir die Mörder seiner Mutter zur Strecke gebracht haben.“
„Dann will ich mich für meine Fragerei entschuldigen“, antwortete Mrs. Byrd sichtlich betroffen. „Unser herzlichstes Beileid, Mr. Chesterfield. Kommen Sie, ich zeige ihnen die beiden Zimmer. Susan, nimm doch bitte Mr. Chesterfield die Tasche ab.“
Auch mit Susan schien etwas vorzugehen. T. T. Susan, die mit ihren Zähnen auf der Unterlippe herumkaute, musste im Hausflur an Justin Hunt vorbei, um an T. T. Chesterfields Tasche heranzukommen. Weil sie bei diesem Unterfangen über ihre eigenen Füße stolperte und nur nicht hinfiel, weil Hunt reaktionsschnell nach ihr griff und sie zurückzog, kamen sich die beiden für einen Moment so nahe, dass Susan einen spitzen Schrei ausstieß und beinahe in seinen Armen zusammenbrach.
»Lieber Gott, steh mir bei“, keuchte sie und entzog ihren schmalen jedoch wohlgeformten Körper seiner ungewollten Umarmung. «Entschuldigen Sie, Mr. Hunt, ich habe mich sehr ungeschickt angestellt.“
Hunt war keiner, dem in ungewöhnlichen Situationen keine geeignete Worte einfielen, aber dieses Mal öffnete er nur den Mund, errötete dabei und murmelte schließlich die folgenschweren Worte:
„Gerne wieder, Miss.“
Susans Mutter räusperte sich. „Dann wollen wir ...“
»Oh, ein süßes Baby«, wurde sie von ihrer Tochter unterbrochen. Eine Bewegung ihrer Hände verführte T. T. Chesterfield dazu, ihr T. T. jr. zu überreichen.
»Er zahnt«, erklärte er dabei. »Die Stockzähne. Etwas früh, meine ich, aber er ist groß für sein Alter.«
»Wie alt ist er denn?« fragte Mrs. Byrd, während sie die Zimmerschlüssel von einem Regal nahm.
»Vierzehn Monate«, sagte T. T. Chesterfield. »Wenn Sie uns jetzt unsere Zimmer zeigen wollen, Mrs. Byrd?«
»Aber selbstverständlich. Sue, du gehst in die Küche setzt Milch auf für den Knirps. Außerdem kannst du Kaffee bereit machen. Im Ofen ist ein Apfelkuchen, der an den Rändern leicht anbrennt, wenn wir hier noch lange stehen bleiben uns und anstarren.«
Mrs. Byrd reichte T. T. Chesterfield seinen Sohn. Dann ergriff sie selbst die Tasche und ging ihnen voran die Treppe hinauf Im Vorbeigehen bemerkte Chesterfield, wie sein Freund noch ziemlich benommen im Flur stand und zur Tür hinüberstarrte, wo Susan beim Betreten der Küche über ihre nackte Schulter zu ihm zurückblickte, bevor sie mit einem hellen Auflachen in der Küche verschwand.
T. T. Chesterfield dachte unwillkürlich an den Tag, an dem er Billie Joe zum ersten Mal begegnet war. Ein Regentag, nasskalt und ohne Farbe. Billie Joe war die Sonne, die Wärme, tausend Farben und trockene Füße, und er wusste sofort, dass er sich im ersten Augenblick in sie verliebt hatte.
Jetzt folgte er hinter Mrs. Byrd die Treppe hinauf, ein Mann, der in einem einzigen Augenblick alles verloren hatte, ohne die Möglichkeit für einen Tausch zu bekommen – sein Leben für das seiner Frau.
»Die Zimmer liegen nebeneinander«, sagte Mrs. Byrd, »mit den Fenstern auf den Hinterhof hinaus. Äußerst ruhig, wenn nicht gerade ein Fest ist und Feuerkracher losgelassen werden. Wir haben selbstverständlich mit einem erwachsenen Sohn gerechnet, Mr. Chesterfield, aber ich werde ein Kinderbett heraufbringen lassen. Schwester Marge hat ein Bettchen, das nicht mehr gebraucht wird.«
»Besten Dank, Ma`am«, sagte T. T. Chesterfield.
»Nichts zu danken, Mr. Chesterfield. Selbstverständlich bekommen Sie und Mr. Hunt jeden Tag frische Handtücher. Sue wird die Betten machen, und das Bettzeug wird jedes Wochenende gewechselt. Ich darf ihnen also empfehlen, die Stiefel zum Schlafen ausziehen, meine Herren. Was T. T. jr. anbetrifft, ist Ihnen meine Hilfe sicher, Mr. Chesterfield. Ich habe vier Kinder großgezogen und kenne mich aus.«
»Machen Sie sich keine Umstände, Mrs. Byrd, wie Sie sehen, kommen wir ganz gut mit dem Kleinen zurecht.«
»Nun, Mr. Chesterfield, genau danach sieht es auch aus. Zwei Wolldecken und eine Zeltplane, ein Stück Rohhaut im Mund und eine Rotznase. Außerdem hat er die Windeln voll.«
»Unmöglich«, sagte Hunt. »Ich habe ihn zwischen San Antonio und Cotulla trockengelegt.«
»Und zuvor habe ich ihn beim Zwischenaufenthalt in Georgetown trockengelegt«, sagte T. T. Chesterfield. „Wir wechseln uns ab.“
»Und ich sage, dass er die Windeln voll hat. Wetten wir, Mr. Hunt?«
»Einen Buck«, sagte Justin Hunt.
Er verlor den Dollar. Mit der Fingerfertigkeit einer vierfachen Mutter entwickelte Mrs. Byrd T. T. jr., und das, was die Windeln enthielten, waren bestimmt keine zerquetschten Rosskastanien.
»Und wund ist er auch, der arme Kerl. Noch nie was von Talkum gehört, was? Feiner Vater und ein noch fürsorglicherer Onkel.« Sie schüttelte den Kopf. Und als T. T. Chesterfield einen Moment die Augen schloss, glaubte er eine ihm so vertraute Stimme zu hören. »Giligiligili«, machte sie, hob den Kleinen hoch über ihren Kopf und sagte: »Ich nehme ihn mit runter, falls keiner von Ihnen etwas dagegen einzuwenden hat. Die wunden Stellen an seinem Popöchen müssen mit Zinksalbe behandelt werden.“«
»Mrs. Byrd, ich habe sein Popöchen auf der Fahrt mehrfach mit Puder be ...«
»Keine Ausflüchte, Mr. Chesterfield«, unterbrach sie ihn. »Na gut, immerhin ist er gesund und munter, der Knirps. Wie heißt er denn?«
»T. T. jr.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“ entrüstete sich Mrs. Byrd«
»Theodore Taylor Chesterfield«, erklärte Justin Hunt. »Aber wir nennen ihn einfachheitshalber T. T. jr.«
„Einfachheitshalber, na, dann ...“ Ohne den Satz zu Ende zu führen, verließ sie kopfschüttelnd das Zimmer und die beiden Männer sahen ihr nach, bis sie hinter dem Treppengeländer verschwunden war. Dann stieß Justin Hunt die Luft durch die Zähne und sagte: »Da hat uns aber dein Sohn ganz schön reingelegt, was? Der hat noch nie dreimal am Tag die Windeln vollgemacht.«
»Solche Eisenbahnfahrten schlagen Babys meistens auf die Gedärme«, murmelte T. T. Chesterfield. »Auf jeden Fall hat das Mrs. Hammersmith immer behauptet.«
„Gut, dann sollten wir fortan vielleicht mit der Postkutsche reisen.“
T. T. Chesterfield sah seinen Freund an.
„Dann bleibst du also nicht hier?“
„Ich? Was soll ich denn hier.“
Heiraten und Kinder kriegen.“
„Ich?“
„Du und Susan Byrd.“
T. T. Chesterfield warf seinen Hut aufs Bett. Als er sich nach Justin Hunt umdrehte, war dieser dabei, das Zimmer durch die Verbindungstür zu verlassen.
„Okay, ich überleg es mir“, sagte er, ohne sich noch einmal umzudrehen.