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Vizemarshal Merril Brown ließ sich nicht ungern beim Essen stören.

»Kartoffelbrei kann ich nicht ausstehen, Chesterfield«, behauptete der junge Mann, der eine um fünf Jahre ältere Frau aus Deutschland geheiratet hatte. Es gab zweimal in der Woche Kartoffelbrei, ob er wollte oder nicht. Da war es ihm gerade Recht, sich von T. T. Chesterfield ins nächste Restaurant entführen zu lassen.

»Was oder wer bringt dich nach Dallas, Chesterfield«, sagte er, als sie im Longhorn Restaurant an einem gedeckten Tisch am Fenster saßen und auf das Essen warteten. »In den vergangen Wochen hat man auch bei uns einiges von dir vernommen. Mein Freund, George Pierce, hat mir vor einigen Tagen ein Telegramm geschickt, dass du auf der Suche nach einigen Killern von Denver nach Laredo gereist bist.“

„Sagt dir der Name Frank Duncan was?“

„Hm. Was willst du von ihm?“

„Ich will ihm eine Frage stellen.“

„In welchem Zusammenhang?“

„Meine Frau und meine Schwiegermutter wurden bei einem Überfall auf einen Laden in Denver getötet.“

„Das tut mir Leid.“ Der Deputy griff nach seinem Bierglas, trank einen Schluck und stellte das Glas wieder auf den Bierdeckel.

Ein Kellner brachte ihnen das Essen.

„Dort, wo Chesterfield geht, wächst nicht einmal mehr Gras, geschweige denn Unkraut“, sagte Brown aus seinen Gedanken heraus. „Das habe ich mal in unserer Zeitung gelesen.«

»Die Zeiten in denen das so war sind vorbei«, entgegnete ihm Chesterfield. »Ich war dabei, ein ruhigeres Leben zu führen.«

»Das Gesindel lässt sich nicht so leicht ausrotten«, sagte Brown und schnitt sich ein handtellergroßes Stück von seinem Steak, das er zwischen langen dünnen Zähnen verschwinden ließ.

Ein Kellner brachte einen frischen Krug eisgekühltes Bier und legte diskret die Rechnung neben Chesterfields Teller, der einen flüchtigen Blick auf die dick unterstrichene Zahl warf, ohne sich den Appetit von ihr verderben zu lassen.

Nach dem Essen fragte er zum zweiten Mal nach Frank Duncan.

»Einer meiner ehemaligen Schulfreunde«, sagte Brown und wischte sich den Bierschaum von den Lippen. »Das schwarze Schaf in der Klasse. Ich erinnere mich, dass er einmal die Gedärme eines Kaninchens in der Schreibtischschublade unserer Lehrerin deponiert hatte. Als die alte Krähe nach einem Bleistift suchte und in die Schublade langte, traf sie der Schlag, von dem er sich nie wieder richtig erholte.«

»Frank Duncan war in Leavenworth«, sagte Chesterfield, der kein Interesse daran hatte, alte Schulbubenstreiche erzählt zu bekommen.

»Yeah, das stimmt. Aber alles schön der Reihe nach, Chesterfield. Duncan war von Kind auf einer, der blutige Finger haben musste, um sich sauber zu fühlen. Einmal stach er ein Schwein ab, tränkte sein Hemd im Blut und legte sich in einer Nebenstraße schlafen. Als er aufwachte, lag er im Leichenhaus, und der Doc machte sich daran, einen Totenschrein auszustellen. Damals handelte er sich ein paar Ohrfeigen ein, die ihn aber nicht aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Drei Tage später schlug er einem Nachbarjungen ein genageltes Brett ins Kreuz. Dafür wurde Duncan auf Geheiß seiner Eltern eingesperrt, obwohl er erst vierzehn Jahre alt war. Dem Wächter warf er einen Teller mit heißer Bohnensuppe ins Gesicht, und einem Mitgefangenen zerquetschte er die Zehen mit seinem Stiefelabsatz. Er war immer ein wilder, streitsüchtiger Kerl, und man musste damit rechnen, dass er früher oder später ein paar Leute umbringt und schließlich am Galgen endet. Aber Duncan verstand es, Leute umzubringen, ohne erwischt zu werden, bis er den kleinen Drugstore an der Ecke der vierten Straße und der Cedar Avenue überfiel. Er war mit einem anderen Kerl zusammen, aber man erwischte nur Frank. Er behauptete, der andere heiße Mark Stone, und der habe den Mann vom Drugstore umgebracht. Es war eine 45er Kugel, die gefunden wurde, und Duncan trug eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf, als man ihn zwischen hier und Denton erwischte. Er kriegte sechs Jahre Leavenworth und wurde vor einem halben Jahr oder so entlassen.«

»Wie sieht er aus?«

»Wie ein — hm — das ist schwer zu sagen.« Merril Brown kratzte sich an der Nase. »Wie ein Waschbär«, sagte er dann. »Einer zum knuddeln, denkt man. Scheint immer etwas hilflos, so als wäre er auf der Suche nach einem guten Freund. Das ist Frank Duncan.«

»Und wie sieht er für einen aus, der kein Zoologe ist?«

»Klein, ohne Hals, mit einer Nase, die wie eine kleine Pflaume aussieht, runden Knopfaugen und etwas abstehenden Ohren.«

»Schnurrbart?«

»Kann sein. Soviel ich weiß hat es Jahre gedauert, bis er als Kind überhaupt Haare gekriegt hat, aber dann wurde das mehr ein Pelz.«

Das musste der Mann sein, der draußen auf dem Pferd gesessen hatte, während seine Freunde den Laden überfallen hatten T. T. Chesterfield erinnerte sich gut an ihn, obwohl er auf seinem tänzelnden Pferd und die drei anderen Pferden an den Zügeln haltend, keineswegs wie ein Knuddelbär ausgesehen hatte. Wo er den Hut her hatte, wusste T. T. Chesterfield nicht. Er konnte den Hut auch im Spiel gewonnen oder aber einem Toten abgenommen, gestohlen und geschenkt bekommen haben. Es sprach nicht viel dagegen, dass Frank Duncan der Mann auf dem Pferd gewesen war, aber es sprach auch nicht viel dafür.

»Weißt du ob Frank Duncan sich zur Zeit hier in der Stadt aufhält?« fragte Chesterfield.

Merril Brown zuckte mit den Schultern. »Hm, das kann sein oder auch nicht. Keine Ahnung. Hier in der Gegend treibt sich viel zu viel übles Gesindel herum, hier in Dallas und in Fort Worth herum. Desperados der übelsten Sorte. Dass Duncan sich unter ihnen befindet ist mir bis jetzt nicht zu Ohren gekommen.«

»Gibt es jemanden in Dallas, der sich auskennt? Einen Saloonkeeper oder eines der Freudenmädchen oder so was?«

»Davon gibt es hier jede Menge, Chesterfield. Es ist was los in unserer Stadt. Ich würde vorschlagen, dass du es in Jack Hortons Kneipe versuchst. Horton war selbst lange im Knast. Seine Kneipe ist sowas wie  ein Rattennest. Das Gesindel trifft sich bei ihm. Unsere Stadtväter würden den Saloon gern ausgeräuchert sehen, aber so lange Jack nicht gegen das Gesetz verstößt, können wir nicht gegen ihn vorgehen.“

T. T. Chesterfield fragte, wo er Hortons Kneipe finden könne, und Merril Brown zeichnete ihm einen Plan auf eine Serviette, nachdem er sich dafür entschuldigt hatte, ihn nicht begleiten zu können.

Hortons Kneipe sei kein Platz für einen Mann mit einem Stern auf der Brust, der nicht jung sterben wolle, erklärte er. Man habe dort seinen Vorgänger umgelegt.

T. T. Chesterfield bedankte sich, bezahlte die Rechnung und verließ den Longhorn Saloon. Es regnete nicht mehr, aber unter den Gehsteigen gurgelte das Wasser, das im Boden keinen Platz mehr fand. Die Luft war feucht und kühl. Winterzeit. In Denver, dachte Chesterfield auf seinem Weg zu Hortons Saloon, schneit es bestimmt.