Am Abend des siebenten Tages befanden sie sich am Kiowa Creek. Die Sonne tauchte mit ihrem letzten Licht die Prärie und das Buschland in der Flussniederung in warme Farben.
Wilbarger hatte ein Feuer in Gang gebracht, und Justin Hunt brachte Wasser vom Bach herauf. T. T. Chesterfield war dabei, die beiden Maultiere zu entladen, und als er einen Packen herunterhob, sah er die Reiter im Nordwesten auf einem Pfad, der wahrscheinlich von Indianern auf ihren Streifzügen benutzt wurde.
Bei den Reitern handelte es sich um die Männer, die vier Rinder vor sich her trieben.
»Wir kriegen Besuch«, rief Chesterfield Wilbarger zu, der mit dem Kolben eines Revolvers Kaffeebohnen zerquetschte. »Drei Burschen mit vier Rindern!«
Justin Hunt richtete sich auf, konnte aber von der Mulde aus nichts sehen. Er holte sein Gewehr und kam den Hang herauf. Wilbarger folgte ihm,
»Könnten Cowboys aus Texas sein«, sagte er. »Wir sind hier dicht an der Grenze zum Panhandle. In dieser Gegend haben schottische Viehzüchterorganisationen Ländereien gepachtet, um Rinder zu züchten. Vielleicht sind es aber auch nur ein paar Viehdiebe aus Beavertown.«
»Auf jeden Fall bringen sie uns Steaks«, sagte Justin Hunt.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis die Pferde zu hören waren. Die drei Männer tauchten zwischen den Büschen am Kiowa Creek auf, knapp fünfzig Schritte vom Camp entfernt. Sie trugen alle drei dicke Mäntel und Handschuhe. Einer hatte einen Wollschal um Kopf und Hut gebunden, so dass er wie eine bärtige Frau aussah.
»Hallo, Camp!« rief einer von ihnen und hob die linke Hand.
Wilbarger räusperte sich. »Galgenvögel«, sagte er leise.
»Wie kommst du drauf?« fragte Hunt.
»Ich habe die Nase dafür«, erklärte Wilbarger.
Die drei Männer ließen die Rinder am Flussufer zurück und kamen herübergeritten. Der mit dem Tuch um den Kopf schien der älteste zu sein. Er hatte graue Flecken im Bart, und sein Gesicht war von scharfen Falten durchzogen. Links von ihm saß ein untersetzter Bursche auf einem mausgrauen Hengst. Er hatte den Stoß seines Mantels über dem rechten Knie zurückgeschlagen, und sie konnten den Griff eines Revolvers sehen, der aus einer Mantelfalte ragte.
Der dritte war ein hagerer, großer Bursche mit einem langen Gesicht und einer spitzen Nase. Er hielt sich etwas zurück und schien nur Augen für Wilbarger zu haben.
»He, bist du nicht Wilbarger?« fragte er.
»Das stimmt«, sagte Wilbarger. »Und du bist Long John Russell, der am Maple Creek Eric Watson erschossen hat.«
»Richtig«, sagte der Lange. »Das ist eine lange Zeit her, und ich weiß nicht einmal, ob es wirklich der Maple Creek gewesen ist. Gibt es einen besonderen Grund für deinen Hiersein, Wilbarger?«
»Ich suche ein Nest für den Winter.«
Russell kniff die Augen etwas zusammen. »Hier?« fragte er.
»Warum nicht, Russell?«
»Weil Lone Wolf Lugert seit vier Wochen hier ist.«
Wilbarger pfiff an seinem letzten Zahn vorbei.
»Und Lugert hat sich mit einem jungen Burschen zusammengetan. Und der junge Bursche hat zwei Freunde. Außerdem hat Lugert hier mehr Freunde als du, stimmts?«
»Ich habe zwei mitgebracht«, entgegnete Wilbarger dem Langen. »Mr. Smith und Mr. Brown.«
Zum ersten Mal sah Russell zuerst Chesterfield und dann Hunt an, musterte sie und ihre Pferde. Dann nickte er ein und sagte: »Ich kenne Chesterfield, Wilbarger.«
»Na dann«, sagte Wilbarger. »Ihr könnt hier einen Kaffee trinken, wenn ihr wollt.«
»Ohne Hintergedanken, Wilbarger?«
»Hintergedanken?« lachte der Alte. »Hättest du ein hübsches Weib dabei, kämen mir vielleicht welche. Wer sind denn Lugerts Freunde?«
»Bainbridge heißt einer. Keine Ahnung, wo er hergekommen ist, aber er ist ziemlich lichtscheu.«
»Und die anderen zwei?« fragte Wilbarger.
»Mark Moore und Murray Fargo.«
»Unbekannt?«
»Bainbridge hat einmal in Lillys Bar behauptet, er nie hätte nie bessere Freunde gehabt als diese beiden Halunken. Nach Weihnachten wollen sie nach Dodge rauf. Oder nach Wichita. Vielleicht auch in die Black Hills. Interessierst du dich für Bainbridge, Chesterfield?«
»Er hat meine Frau und meine Schwiegermutter auf dem Gewissen. Zusammen mit drei anderen.«
Der untersetzte Mann lachte scharf. »Es gibt Burschen, die darüber nicht unglücklich sein würden, Chesterfield.«
»Halt besser den Mund, Tim«, sagte Russell. »Was zwischen Bainbridge und Chesterfield ist, geht uns nichts an.«
»Chesterfield soll ein paar Männer umgelegt haben, die Freunde in Beavertown haben«, sagte Tim feindselig. Er hatte dabei die Hand am Revolver. »Für ein paar Dollar Kopfgeld ...“
»Tim!» unterbrach Russell den untersetzten Mann scharf. »Hör auf damit!«
»Lass ihn reden«, sagte Chesterfield.
»Ich will keinen Streit», sagte Russell. »Wir haben genug Sorgen. Cheyenne haben sich unseren Wintervorrat geholt. Die Rothäute sind auf dem Weg nach Norden, und die Armee macht Jagd auf sie.«
»Vier Rinder sind eine ganze Menge für drei Männer«, sagte Justin Hunt. »Oder vielleicht nur zwei, wenn Tim es darauf ankommen lässt.«
»Wir werden uns in Beavertown sehen!« schnappte Tim.
»Du nicht, Tim«, sagte Wilbarger. »Steig ab!« Und während er es sagte, hatte er plötzlich einen Revolver in der Hand. Es war ein alter, beinahe zierlicher Colt Lightning, dasselbe Modell, das Billy the Kid getragen haben sollte. Weder Chesterfield noch Hunt hatten von der Existenz dieses Revolvers gewusst.
Russell hob sofort beide Hände.
»Mach hier keinen Mist, Wilbarger. Wir sind auf dem Weg zu einem Außencamp, das von ein paar rauen Jungs gehalten wird.“
„Ich dachte, ihr reitet nach Beavertown“.
„Falsch, Wilbarger. Dein legendäres Bauchgefühl müsste dir eigentlich sagen, dass keiner von uns hier ein Interesse daran haben, Lugert oder Bainbridge zu warnen. Wir sind nicht auf dem Weg nach Beavertown, sondern wollen bis zum Abend eines unserer Außencamps erreichen, das von einigen wilden Jungs aus Texas gehalten wird. Wenn ihr keinen Ärger wollt, steckst du die Knarre lieber wieder ein, Alter.“
Tim lachte verächtlich auf.
»Deine Freunde scheinen anderer Ansicht zu sein«, sagte Wilbarger rau.
»Tim ist ein Hitzkopf, Wilbarger. Er ...“
„Halt die Fresse, Russell“, fiel ihm Tim ins Wort. „Lugert ist ein Freund von uns, und Bainbridge auch. Wer sollte uns davon abhalten, nach Beavertown zu reiten und den Jungs zu sagen, dass Chesterfield da ist.“
„Du reitest mit uns, Tim, mein Junge. Das ist unsere Aufgabe. Dafür werden wir bezahlt. Wir sind keine Laufburschen für Lugert oder Bainbridge.“
Tim legte den Kopf schief und grinste höhnisch.
„Hier ist das Indianer-Territorium, Chesterfield. Wenn du hier einen umlegst, kriegst du dann trotzdem den Kopfpreis?“
„Ich glaube nicht, dass auf Bainbridge ein Kopfpreis ausgesetzt wurde“, sagte Chesterfield ruhig. „Er ist nur für den Tod zweier Frauen verantwortlich. Hätte er eine Bank überfallen, wäre das was anders.“
„Es gibt in Beavertown einige Jungs, die dich nicht mit offenen Armen empfangen werden“, sagte Tim. „Genauer gesagt, bist du einigen von ihnen ein Dorn im Auge. Wir haben in Beavertown ein feines Beerdigungsinstitut, Chesterfield. Wer genug Geld in der Tasche hat, kriegt sogar Papierblumen auf den Sargdeckel gelegt.«
»Ich habe nicht die Absicht, in Beavertown zu sterben“, sagte Chesterfield freundlich. »Wenn du willst, kannst du es hier versuchen. Aber wärm dir vorher die Finger auf.«
»Er soll runter vom Gaul«, sagte Wilbarger hart. »Und das ist die letzte Aufforderung!«
T. T. Chesterfield sah den alten Mann, der plötzlich um Jahre jünger wirkte und eine seltsame Art von Gefährlichkeit ausstrahlte, die man ihm kaum zugetraut hätte, von der Seite an. Wilbarger hatte die Lippen zusammengepresst und sein Kinn vorgeschoben. Er sah wirklich aus, als ob er es ernst meinte.
»Wilbarger, ich gebe dir mein Wort, dass Tim ...«'
»Dein Wort ist mir nicht gut genug, Russell«, unterbrach Wilbarger den großen, hageren Mann. »Ich erkenne eine Ratte, wenn ich sie vor mir habe.“
Russell legte den Kopf schief. »Dir geht’s um Lugert, eh?«
»Nicht unbedingt, obwohl ich gern zugebe, dass es für mich die Erfüllung eines Traums wäre, wenn Lugert endlich zur Hölle fährt. Nein, ich bekomme zehn Dollar die Woche, Mr. Chesterfield und Mr. Hunt zu begleiten, weil ich mich in diesem gottverlassenen Territorium auskenne wie sonst keiner. Dabei verlangt niemand von mir, dass ich mich einmische, aber es wäre wohl unfair, wenn ich meinen beiden Freunden im Notfall nicht mit Rat und Tat beistehen würde“.
„Du nennst diese Begegnung einen Notfall, Alter? Bist du nicht mehr ganz dich im Kopf? Von uns reitet keiner nach Beavertown, verstehst du! Nicht Tim, und auch nicht Buck, und ich schon gar nicht.“
„Und ich denke, dass deine beiden Freunde sich etwas ausrechnen, wenn sie die Jungs in Beavertown warnen.«
»Tim hat Spaß gemacht, Wilbarger.«
»Sein Pech!«
»Niemand wird euch in Beavertown anmelden.«
»Dass du es nicht tun wirst, das weiß ich, Russell. Lugert war nie dein Freund.«
»Auch nicht mein Feind.«
»Du tust es trotzdem nicht. Aber Tim, der würde es tun, wenn wir ihn ließen! Er ist eine Ratte und ...«
Der Lightning in Wilbargers Hand peitschte auf, und der untersetzte Bursche, der von Russell Tim genannt wurde, kam nicht mehr dazu, seinen Revolver abzudrücken.
Blitzschnell hatte er den Colt gezogen und weder Chesterfield noch Hunt hatten es bemerkt, da sie ihm die Seite zugewandt hatten. Aber Wilbarger, der sich mit Russell unterhielt, sah es trotzdem, und er feuerte, als Tim den Hammer spannte. Wilbarger traf ihn hoch in die Schulter, und Tims Pferd machte einen Satz zur Seite. Dann stieg es, drehte sich auf der Hinterhand, und Tim kippte nach hinten, den Revolver in der Hand. Im Fallen löste sich der Schuss, und die Kugel fuhr in den Abendhimmel, an dem schon einige Sterne glitzerten. Tim schlug am Boden auf, drehte sich seitwärts, sprang auf die Beine und feuerte. Wilbarger schoss gleichzeitig, traf aber nicht. Tims Kugel riss Wilbargers Hose über dem Oberschenkel auf und grub sich in den hinteren Zwiesel des Sattels. Es war Chesterfield, der Tim mit einem schnellen Schuss ins Herz traf, gerade, als dieser erneut seinen Revolver abdrückte, Wilbarger aber verfehlte.
Justin Hunt hielt mit seinem Revolver Russell und den anderen im Schach und sagte in das Echo des letzten Schusses hinein: »Er ist es nicht wert, Russell. Denk daran, dass jetzt einer weniger zu füttern ist.«
»Wir sind zwei Jahre zusammen geritten, verdammt!« stieß Russell hervor.
»Such dir einen besseren Mann«, schlug ihm Wilbarger mit schmerzverzerrtem Gesicht vor und tippte auf sein rechtes Hosenbein, wo ein Blutfleck zu sehen war. „Hier, das war nah genug! Wollt ihr jetzt Kaffee oder soll es vielleicht noch mehr Ärger sein?«
Russell seufzte und warf einen langen Blick auf Tim, der zusammengekrümmt im Gras lag, den Revolver noch immer in der verkrampften Hand.
»Er war ein Hitzkopf, Wilbarger, aber ich glaube nicht, dass er nach Beavertown geritten wäre, um Lugert und Bainbridge zu warnen.«
»Was macht dich so sicher, Russell? Hier sieht jeder zu, dass er sich auf die Seite schlägt, von der er am meisten erwartet. Lugert und Bainbridge hätten sich bestimmt erkenntlich gezeigt. Ich kenne dieses Gesindel, Russell.«
Russell schwang sich aus dem Sattel. »Ich gehöre dazu, Wilbarger.«
»Sag es nicht, sonst werde ich krank«, sagte Wilbarger, der sein Halstuch um den Oberschenkel wickelte. »Wie heißt dein Freund?« Er zeigte auf den anderen Mann, der neben Russell noch immer im Sattel saß und Tabak kaute, ohne bisher auch nur ein Wort von sich gegeben zu haben.
»Das ist Bucky McLean«, sagte Russell. „Er ist taubstumm und kein Freund von Lugert oder Bainbridge.«
Wilbarger grinste gequält. »Gut für dich, mein Junge«, sagte er.
»Er kann dich verstehen, wenn du die Lippen bewegst«, sagte Russell. »Wie ist es nun mit Kaffee und Kuchen?«
„Kaffee kriegst ihr, aber den Kuchen müsst ihr euch ausdenken.“