Matt Devlin ahnte nichts Gutes, als er die Indianerpolizisten zusammen mit McLaughlin auf einer Hügelkuppe bemerkte. Er hatte gewusst, dass er an diesem Tag noch mit einer unliebsamen Überraschung rechnen würde, als er unbemerkt dem Indianeragenten folgte. Zum Glück hatten weder McLaughlin noch einer seiner Indianerpolizisten etwas davon bemerkt.
Auch wenn Bull Heads Leute immer wieder die nähere Umgebung nach Spuren abgesucht hatten, so war ihnen dennoch nicht aufgefallen, dass ein Beobachter sich nicht weit von ihnen entfernt aufhielt. Aber Devlin war ein erfahrener Scout, der genau wusste, wie man seine Fährte am besten verwischte und welche Plätze man wählte, um ungestört etwas aus sicherer Entfernung beobachten zu können.
Sein Pferd war trainiert auf solche Fälle und hatte keinen Laut von sich gegeben, als eine halbe Stunde zuvor einer der Polizisten gefährlich nahe an seinem Versteck vorbei gekommen war und die Büsche durchkämmt hatte. Er war nur noch wenige Meter von ihm entfernt gewesen, und Devlin hatte sich schon darauf eingerichtet, im Notfall rasch die Flucht zu ergreifen. Aber dazu war es zum Glück nicht gekommen, denn ausgerechnet in diesem Moment hatte es im Unterholz geraschelt, und ein Coyote suchte mit einem raschen Satz das Weite.
Der Indianerpolizist hatte daraufhin kehrt gemacht und das Gelände durchsucht, wo das Tier zuletzt verschwunden war. Er kam nicht mehr zurück, und so konnte Devlin weiterhin beobachten, was geschah. Gespannt beobachtete er, wie der Wagenzug näher kam und McLaughlin mit einem Teil der Indianerpolizisten darauf zuritt.
Natürlich hatte auch Devlin ein Fernglas dabei, setzte es an die Augen und bekam so einige Einzelheiten mit. Aus den Gesten McLaughlins und einem der Männer auf den Wagen schloss der Scout, dass hier etwas Folgenschweres vereinbart wurde. Diese Vermutung bestätigte sich kurz darauf, als einer der Wagen den kleinen Treck verließ und in Richtung Norden aufbrach. Unterdessen geleiteten die Indianerpolizisten die übrigen Wagen nach Südosten – wo sich auch Standing Rock und McLaughlins Agentur befand.
„Sieh mal einer an...“, murmelte Devlin. „Das sieht ganz danach aus, als wenn Crow Killers Vermutung stimmt. Das muss ich mir mal genauer ansehen...“
Devlin wusste, dass er sich nicht zu beeilen brauchte. Den einzelnen Wagen würde er schon sehr bald eingeholt haben. Er musste nur abwarten, bis McLaughlin und seine Leute hinter den Hügeln verschwunden waren. Danach wartete er noch weitere zehn Minuten ab, bevor er sich mit seinem Pferd aus der Deckung wagte, rasch in den Sattel stieg und dann den Spuren folgte, die der schwere Frachtwagen im Gras zurück gelassen hatte. Diese Fährte zu erkennen, war ein Leichtes für Devlin.
Eine halbe Stunde später sah er den Wagen vor sich. Der Mann auf dem Bock schien noch nichts davon bemerkt zu haben, dass ihm jemand folgte. Das sollte er auch nicht, denn Devlin wollte ihn überraschen. Deshalb wählte er einen Weg, den der Frachtwagenfahrer nur schwer einsehen konnte, und so gelang es ihm, bis auf fünfzig Yards an ihn heran zu kommen.
Als Devlin sein Pferd aus dem Gebüsch lenkte, sah ihn der Fahrer. Er bückte sich, holte das Gewehr unter dem Sitz hervor und richtete den Lauf auf Devlin, nachdem er das Gespann zum Stehen gebracht hatte.
„Halt!“, rief er drohend. „Kommen Sie ja nicht näher. Wer sind Sie, Mister?“
„Mein Name ist Matt Devlin“, antwortete dieser mit gezwungener Lässigkeit. „Ich bin Scout in Fort Yates. Ich habe die Wagenspuren gesehen und war neugierig, wohin sie führen. Nichts für ungut, Freund. Ich habe nichts gegen Sie, Mister..?“
„Martin Dolan“, kam die brummige Antwort. „Nun haben Sie ja gesehen, was Sie wollten. Und wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich gerne meinen Weg fortsetzen. Ich habe noch ein gutes Stück vor mir.“
„Wohin wollen Sie denn?“
„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht, Devlin“, sagte Dolan. „Sie sind kein Sheriff, und deshalb auch noch befugt, mir Fragen zu stellen. Gehen Sie aus dem Weg – ich sage das nur einmal!“
„Sie würden tatsächlich auf mich schießen, was?“, entgegnete Devlin. „Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich das jetzt sage. Aber Sie kommen mir ganz schön nervös vor. Haben Sie vielleicht irgendwas zu verbergen?“
„Auf dem Wegen befinden sich Waren und Ausrüstungsgegenstände, die ich in der nächsten Stadt verkaufen will. Meine Kunden warten schon auf mich.“
„Die Lakota-Indianer auch“, sagte Devlin und genoss es, wie Dolans Gesicht auf einmal bleich und angespannt wurde. „Mich wundert es sehr, dass Sie nicht den anderen Wagen nach Standing Rock gefolgt sind. Ich glaube, Colonel Rutherford wird sich sehr dafür interessieren...“
Noch während er die letzten Worte sprach, bemerkte er das verräterische Aufblitzen in Dolans Augen. Geistesgegenwärtig riss er seinen Revolver aus dem Halfter und drückte ab, bevor es Dolan tun konnte.
Die Kugel traf den Frachtwagenfahrer in der rechten Schulter und stieß ihn nach hinten. Dolan brüllte vor Schmerz auf, ließ aber sein Gewehr immer noch nicht sinken. Statt dessen drückte er im Reflex ab. Natürlich strich die Kugel weit an Devlin vorbei. Zu einem zweiten Schuss kam Dolan jedoch nicht mehr, denn der Scout wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Er schoss auf Dolan und traf ihn in den Magen.
Der Mann fiel vom Bock des Wagens und prallte hart auf dem Boden auf. Dort blieb er liegen und stöhnte leise vor sich hin.
Devlin stieg aus dem Sattel und musste sein aufgeregtes Pferd kurz beruhigen. Das galt auch für die beiden Pferde, die den Wagen zogen und angesichts der Schüsse nervös mit den Hufen im Gras scharrten. Devlin bekam die Situation aber wieder rasch unter Kontrolle und beugte sich hinab zu dem verletzten Frachtwagenfahrer.
Seine zweite Kugel hatte Dolan den Rest gegeben. Das Gesicht des Mannes war kreidebleich, während sich ein dunkler Fleck in der Magengegend ausbreitete.Er würde nicht mehr lange leben. Es war nur noch eine Frage von wenigen Minuten.
„Warum wollten Sie mich umbringen, Dolan?“, fragte ihn Devlin. „Hat ihnen McLaughlin Anweisungen gegeben, auf jeden zu schießen, der unangenehme Fragen stellt? Reden Sie – es bleibt Ihnen nicht mehr viel Zeit.“
„Verdammter Bastard...“, keuchte Dolan, während ein dünner Blutfaden aus seinem Mundwinkel rann. Die rechte Hand zitterte heftig, als er sie zu erheben und Devlin damit zu drohen versuchte. Er wollte noch etwas sagen, aber ein heftiger Hustenanfall verhinderte das. Auf einmal weiteten sich seine Augen, während er sich aufbäumen wollte. Aber nur Sekunden später fiel sein Kopf zur Seite. Dolan war tot.
Devlin durchsuchte die Kleidung des Frachtwagenfahrers und fand schließlich ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Er öffnete es und warf einen Blick darauf. Was er dann las, bestätigte den Verdacht, den er schon von Anfang an gehabt hatte.
Devlin ging zum Wagen und inspizierte die Ladefläche. Was er dort fand, wäre ausreichend gewesen, um Dolan sofort wegen Unterschlagung vor Gericht zu bringen. Aber was noch viel schlimmer war: Devlin wusste genau, wer hinter all dem steckte, aber er konnte McLaughlin trotzdem nicht überführen. Wenn er ihn damit konfrontierte, würde er natürlich alles sofort abstreiten und statt dessen behaupten, dass Dolan hinter seinem Rücken krumme Geschäfte gemacht hatte, für die er als Indianeragent natürlich nicht verantwortlich war. McLaughlin war solch ein aalglatter Bursche, dem man so schnell nichts am Zeug flicken konnte.
Trotzdem beschloss Devlin, den Toten mit seiner Fracht nach Fort Yates zu bringen und Colonel Rutherford davon zu berichten. Selbst wenn es ihm und dem Kommandanten nicht gelingen sollte, McLaughlin unmittelbar zur Verantwortung zu ziehen, so war immerhin eins erreicht: die Vorräte gelangten wenigstens an ihren ursprünglichen Bestimmungsort.
Devlin packte den Toten und wuchtete ihn auf die Ladefläche. Dort deckte er ihn mit einer Regenplane zu, stieg anschließend rasch vom Wagen und holte sein Pferd. Er band die Zügel am Wagen an und ging nach vorn zum Bock. Dort stieg er auf, griff nach den Zügeln und trieb die beiden Pferde an. Zurück in die Richtung, aus der der Wagen gekommen war.