7

Er spürte die schleichende Kälte, die langsam in seinen Körper kroch – aber auch den bohrendem Schmerz in seinem Kopf. Als Devlin stöhnend die Augen zum ersten mal öffnete, konnte er nicht klar sehen, und er wusste im ersten Moment auch gar nicht, was geschehen war. Erst Sekunden später kehrte die Erinnerung wieder zurück.

Seine rechte Hand tastete nach dem Kopf. Er biss die Zähne zusammen, als er dort Spuren von verkrustetem Blut spürte. Mühsam versuchte er sich zu erheben, aber das gelang ihm erst nach dem dritten Versuch.

Der linke Arm schmerzte stark. Zum Glück blutete die Wunde nicht mehr, aber er musste sie dringend versorgen. Er zog den Mantel aus, riss einen Stofffetzen aus seinem Hemd und umwickelte damit die Verletzung. Das musste reichen, bis er wieder in Fort Yates war.

In der Ferne hörte er laute Stimmen, gefolgt vom Wehklagen vieler Menschen. Dutzende von Gedanken gingen ihm in diesem Moment durch den Kopf. Sein Gefühl sagte ihm, dass in Sitting Bulls Lager etwas Folgenschweres stattgefunden hatte. Und das Schlimmste daran war, dass er das nicht hatte verhindern können!

Er stand noch etwas unsicher auf den Beinen, während er Ausschau nach seinem Pferd hielt. Der helle Vollmond beleuchtete die nächtliche Szenerie ausreichend, so dass er wenige Augenblicke später sein Tier am Waldrand erkannte. Dort verharrte es abwartend und äugte immer wieder misstrauisch zum Lager der Sioux hinüber. Als wenn es genau spürte, was dort geschehen war.

Devlin wankte hinüber zu der Stelle, wo sein Pferd stand. Das Tier erkannte ihn und schnaubte dennoch nervös. Mit beruhigender Stimme redete Devlin so lange auf das Pferd ein, bis er mit der rechten Hand schließlich die Zügel zu fassen bekam.

Kurz darauf hörte er Hufschläge in seiner unmittelbaren Nähe. Instinktiv zog er das Pferd tiefer in die Büsche und hielt ihm die Nüstern zu. Zehn Yards von ihm entfernt ritten zwei Soldaten vorbei, deren Stimmen er deutlich verstehen konnte. Und was er dann zu hören bekam, jagte ihm einen Schauer über den Rücken!

„...jetzt wird es keinen Ärger mehr geben. Die Sioux haben begriffen, dass sie am Ende sind.“

„Was wird mit Sitting Bulls Leiche geschehen?“, fragte ein zweiter Soldat.

„Keine Ahnung“, kam prompt die Antwort. „Captain Fetchet hat befohlen, dass wir ihn mitnehmen nach Fort Yates.“

„Vielleicht will er sich mit dem Toten zusammen fotografieren lassen“, lachte der erste Soldat. „Das würde ich ihm zutrauen.“

„Das ist nicht unsere Sache, Hank“, wies ihn sein Kamerad zurecht. „Lass uns wieder zurück reiten. Sollen die Indianerpolizisten nach den Flüchtigen suchen. Das ist nicht unsere Sache. Für uns gibt es hier nichts mehr zu tun. Heulende Squaws und zitternde Kinder sind keine Gefahr mehr für uns, oder?“

Der andere lachte. Das war Antwort genug.

Devlin war schockiert, als er das hörte. Zunächst wollte er das gar nicht glauben. Aber als er dann sah, wie drüben beim Lager erneut laute Befehle erklangen, wusste er, dass der nächtliche Überfall kein Albtraum war.

Devlin machte sich Vorwürfe, weil er es nicht geschafft hatte, den Mord an Sitting Bull zu verhindern. Die Folgen, die diese nächtliche Aktion auslösen würde, konnte er jetzt noch nicht abschätzen. Er kannte die Lakota aber lange genug, um zu wissen, dass sie Vergeltung fordern würden, sobald die Trauer und die Wut über den feigen Mord an Sitting Bull abflaute.

Und was noch schlimmer war – diese schreckliche Nachricht würde sich in Windeseile in alle Himmelsrichtungen ausbreiten und schon bald das Reservat in Pine Ridge erreichen. Dort lebte Kicking Bear mit seinem Volk. Kicking Bear war ein glühender Anhänger des neuen Propheten Wovoka und würde zum Aufstand rufen! Er war ja vor kurze,m auch schon hier gewesen und hatte Wovokas neue Religion verkündet. Sitting Bulls Ermordung würde jetzt ausreichen, um das Pulverfass zum Explodieren zu bringen!

Devlin stieg in den Sattel, sobald sich die Hufschläge der beiden Pferde entfernt hatten. Er musste zurück nach Fort Yates und mit Colonel Rutherford über seine Befürchtungen sprechen. Es konnte doch nicht sein, dass ausgerechnet ein besonnener Mann wie der Colonel den Befehl zu diesem Mord gegeben hatte. Devlin kannte den erfahrenen Offizier lange genug, um zu wissen, dass dieser keinen Krieg wollte. Er hatte sich immer für den Frieden eingesetzt. Seltsamerweise schien sich das auf einmal völlig verändert zu haben, und dafür musste es einen Grund geben.

Im Schutze der Nacht ritt Devlin davon. Er musste noch vor den Soldaten und den Indianerpolizisten Fort Yates erreichen, damit ihm Zeit genug blieb, um mit Colonel Rutherford zu sprechen.