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Es war ein grauer und trüber Vormittag. Am Himmel hatten sich trübe Wolken zusammen geballt, die verhinderten, dass die Sonne sich zeigte. Ein schneidender Wind kam von Westen auf und ließ Devlin die Kälte des Winters spüren. Zum Glück schneite es aber nicht, so dass Devlin wenigstens gute Sicht auf das Gelände hatte, das sich vor ihm erstreckte.

Auf einem Hügel zügelte er sein Pferd und ließ seine Blicke in die Runde schweifen. Fort Yates lag schon einige Meilen hinter dem Horizont zurück. Die Einsamkeit der hügeligen Landschaft umgab ihn. Weiter südwestlich erstreckte sich ein größeres Waldgebiet, das nun sein Ziel war.

Er wollte sein Pferd schon wieder antreiben, als sein Blick zufällig auf zwei dunkle Punkte fiel, die er am Horizont in diesem Moment bemerkte. Devlin griff nach dem Fernglas, das er in der Satteltasche stets bei sich trug, setzte es an die Augen und beobachtete das Gelände.

Die Punkte entpuppten sich jetzt als zwei Reiter, die genau in seine Richtung geritten kamen. Devlin wartete einen kurzen Moment, bis er weitere Einzelheiten erkennen konnte. Es waren zwei Männer, die breitkrempige Hüte und dicke lange Mäntel trugen.

„Sieh mal einer an...“, murmelte Devlin, als er die beiden Männer erkannte. „Das ist ja wirklich ein eigenartiger Zufall.“

Es waren die beiden Kerle, die mit Parnell nach Fort Yates gekommen waren. Komisch, dass sie ausgerechnet kurze Zeit nach Devlin das Fort verlassen hatten und dieselbe Richtung wie der Scout einschlugen.

Devlin wusste, was das zu bedeuten hatte. Da wollte jemand auf Nummer Sicher gehen und für klare Verhältnisse sorgen. In diesem Falle bedeutete das nichts anderes, als dass diese beiden Hundesöhne Devlin kalt stellen sollten. Ein weiterer Beweis dafür, dass Parnell und seine Helfershelfer keine Mitwissser benötigten. Sie sahen in Devlin eine Gefahr!

Sofort wendete Devlin sein Pferd und trieb es an. Hier draußen in den Hügeln war er bei einem Kampf im Nachteil. Er musste deshalb so rasch wie möglich den nahen Wald erreichen und sich dort eine Deckung suchen. Es nutzte nichts, vor seinen Verfolgern zu fliehen. Seine Spur war im Schnee klar und deutlich zu erkennen. Also kam es jetzt nur noch darauf an, einen unvermeidbaren Kampf zu seinen Gunsten zu entscheiden.

Matt Devlin ritt auf den Wald zu und erreichte ihn eine knappe halbe Stunde später. Die Äste der hohen Douglas-Kiefern beugten sich vor Schnee. Devlin schaute sich um, als er die ersten Bäume passierte und Ausschau nach einer geeigneten Deckung hielt. Wenig später entdeckte er den Windbruch. Der heftige Schnee der letzten Nacht hatte einige Bäume umstürzen lassen. Sie hatten sich ineinander verkeilt und bildeten somit einen geeigneten Unterschlupf für sich und sein Pferd.

Devlin ritt seitlich auf den Windbruch zu, stieg vom Pferd und führte das Tier weiter nach hinten. Dort band er es an einem der Äste fest, zog die Winchester aus dem Scabbard, nahm das Fernglas mit und postierte sich an einer Stelle, von der er den Waldrand gut sehen konnte.

Ein leiser Fluch kam über seine Lippen, als ihm bewusst wurde, dass die beiden Reiter deutlich näher gekommen waren. Und was noch schlimmer war – sie trennten sich jetzt. Der eine ritt weiter auf den Wald zu, aber der andere tauchte seitlich zwischen den Hügeln unter, so dass ihn Devlin nicht mehr sehen konnte. Das machte die ganze Sache weitaus komplizierter und war ein Beweis dafür, dass die Kerle ihr Handwerk verstanden.

Sie wollen mich in die Zange nehmen und mich auf diese Weise austricksen, dachte Devlin grimmig. Aber an mir werden sie sich die Zähne ausbeißen! So schnell gebe ich nicht auf...

Er behielt seinen Verfolger genau im Blickfeld und sah, wie dieser jetzt ebenfalls den Waldrand erreichte. Der Blick des Mannes richtete sich auf die Spur im Schnee, die Devlins Pferd dort hinterlassen hatte. Jetzt war der Mann nur noch knapp fünfzig Yards entfernt. Gleich würde er den Windbruch entdecken und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.

Devlin hob den Lauf der Winchester etwas an und wartete ab, bis der Mann noch näher gekommen war. Sein Zeigefinger näherte sich allmählich dem Druckpunkt. Dann fiel der Schuss und zerriss die Stille des winterlichen Tages. Aber ausgerechnet in diesem Moment hatte Devlins Verfolger sein Pferd unerwartet nach links getrieben, so dass der Schuss des Scouts sein Ziel nicht traf.

Der Verfolger hatte jetzt Lunte gerochen und trieb sein Pferd zwischen einige Büsche. Dort stieg er hastig ab und postierte sich hinter einem großen Stein, bevor ihn Devlins Kugeln verletzten konnten.

„Verdammt...“, murmelte Devlin. „Ich habe viel zu lange gewartet...“

Sein Gegner eröffnete nun das Feuer auf Devlin. Natürlich konnte er ihn nicht treffen, aber er wollte dem Scout dadurch zeigen, dass er fest entschlossen war, diesen Ort als Sieger zu verlassen.

„Du hast keine Chance, Devlin!“, erklang die höhnische Stimme des Mannes. „Gib lieber auf und komm raus!“

„Das hättest du wohl gern?“, lachte Devlin und gab zwei weitere Schüsse auf die Stelle ab, wo er seinen Gegner vermutete. Danach robbte er flach auf dem Boden weiter, bis er eine andere Stelle im Dickicht des Windbruchs erreicht hatte. Er fröstelte, als Pulverschneee von einem der Äste direkt in seinen Nacken fiel.

Devlin begriff, dass er rasch handeln musste. Denn er wusste nicht, wo sich der zweite Verfolger befand. Sicher würde er versuchen, ungesehen in Devlins Rücken zu kommen, und das war die größte Gefahr.

Noch ehe der diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, pfiff plötzlich etwas haarscharf an seinem Kopf vorbei und schlug mit einem hässlichen Geräusch in den Baumstamm hinter Devlin. Sofort ließ er sich fallen, wirbelte herum und erkannte einen Mann, der sich gerade hinter einem Baum hervor gewagt hatte und erneut auf Devlin zielte. Die Kugel streifte Devlins Bein.

Nun drückte Devlin ab und jagte seinem Gegner drei Kugeln entgegen. Der Mann schrie laut auf, als ihn Devlins Schüsse niederstreckten. Er wurde herum geschleudert, und das Gewehr fiel in den Schnee. Sekunden später brach der Mann zusammen und rührte sich nicht mehr, während sich der Schnee unter seinem Körper allmählich rot zu färben begann.

„Du Bastard!“, brüllte der andere Mann. „Du hast Barry getötet!“

Voller Zorn schoss er mehrmals in Devlins Richtung, während er dabei selbst seine Position wechselte und Devlin noch mehr unter Druck setzen wollte. Aber in solchen Momenten behielt Devlin immer einen klaren Kopf. Jetzt drohte ihm keine Gefahr mehr durch einen zweiten Gegner – also konnte er sich nun voll und ganz auf den Kampf konzentrieren, der noch vor ihm lag.

Er schoss in die Richtung, wo er den Revolvermann zuletzt gesehen hatte und entdeckte eine schattenhafte Bewegung zwischen den Bäumen. Sekunden später fielen von dort wieder weitere Schüsse. Devlin musste den Kopf einziehen, und diesen Moment nutzte sein Gegner, um noch näher heran zu kommen. Das durfte der Scout auf keinen Fall zulassen!

Devlin riskierte einen kurzen Blick und sah den Mann wieder seine Deckung wechseln. Auch wenn er erneut Schüsse abfeuerte und die Kugeln neben Devlin in den Baum einschlugen, so musste dieser seine Chance nutzen. Er blieb ganz ruhig, zielte kurz und drückte dann ab.

Devlins Kugel traf den Mann in die Seite, bevor diese die schützende Deckung erreicht hatte. Vom Einschlag der Kugel wurde er herum gerissen. Er stolperte und suchte Halt an einem Baumstamm, während die Beine unter ihm einknickten. Dann brach er zusammen. Das Gewehr ließ er fallen.

Devlin verließ seine Deckung und näherte sich rasch dem Mann, den er soeben niedergeschossen hatte. Er wälzte sich vor Schmerzen im Schnee und blickte voller Panik auf den Mann, der ihn besiegt hatte. Verzweifelt streckte er seine zitternde rechte Hand nach dem Gewehr aus.

Sofort drückte Devlin ab. Die Kugel bohrte sich nur wenige Zentimeter vor der Hand des Mannes in den Schnee und ließ ihn in seiner Bewegung inne halten. Eine zweite Chance hatte Devlins Gegner nicht mehr.

„Lass es bleiben!“, warnte ihn Devlin in scharfem Ton. „Du bist ohnehin am Ende...“

Mit dem rechten Fuß beförderte er die Waffe seines Gegners ein Stück weg. Sie war jetzt unerreichbar für den Verletzten. Devlin bückte sich und griff auch nach dem Revolver des Mannes. Nachdem er ihn ebenfalls weit von sich geschleudert und anschließend kurz davon überzeugt hatte, dass ihm von dem zweiten Mann keine Gefahr mehr drohte, wich die Spannung allmählich von ihm.

„Du Hundesohn“, keuchte der Mann, vor dem Devlin stand. Seine rechte Körperseite war blutrot. Sein Gesicht war in Schweiß gebadet. Die Kugel hatte ihn schwer verletzt. Ein kurzer Blick zeigte Devlin, dass der Mann nur noch wenige Minuten zu leben hatte.

„Wo ist...Barry?“, stöhnte der Mann weiter und wollte in die betreffende Richtung schauen, wo er seinen Kumpan hatte stürzen sehen. Aber er war schon zu schwach dazu.

„Dort, wo du auch gleich sein wirst“, erwiderte Devlin ungerührt. „Wer hat euch beauftragt, mir nachzureiten? War es Parnell?“

In den Augen des Sterbenden flackerte es kurz auf, als er Devlins Worte vernahm. Er wollte darauf antworten, aber ein kurzer Hustenanfall verhinderte das. Blut trat über seine Lippen, und er rang verzweifelt nach Atem.

„Andere werden...kommen“, röchelte der Mann. „Du bist schon...tot – du weißt es... nur noch nicht...“

„Abwarten“, lächelte Devlin. „Kerle wie du sind mir schön des öfteren begegnet und wollten mir Ärger bereiten. Dabei haben sie bisher immer den Kürzeren gezogen.“

„Der... Indian Ring ist stärker... als du, Devlin“, kam es über die aufgesprungenen Lippen des Sterbenden. „Parnell wird... dafür sorgen, dass...“

Ein weiterer Hustenanfall schüttelte den tödlich Verletzten. Plötzlich bäumte er sich auf und rang verzweifelt nach Luft wie ein Ertrinkender. Sekunden später fiel er zurück. Sein Gesicht war zu einer Grimasse des Hasses erstarrt.

„Der Indian Ring also“, seufzte Devlin, als er über die letzten Worte des Mannes nachdachte. „Das ist in der Tat ein gewaltiges Problem...“

Er hatte davon gehört, dass es eine Gruppierung von einflussreichen Geschäftsleuten in Washington gab, die mit gewaltigen Geldsummen Politiker gekauft hatten, um deren Entscheidungen zu beeinflussen. Natürlich immer zum Nachteil der Indianerstämme. Als er zum ersten mal davon erfahren hatte, hatte er das gar nicht glauben wollen. Weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass das Schicksal der Indianer im fernen Osten bestimmt wurde – von mächtigen finanzkräftigen Leuten, die noch niemals im Westen gewesen und wahrscheinlich auch niemals zuvor einem Indianer begegnet waren.

Um die Indianerstämme ging es auch nicht, sondern um das Land, das einst ihre Heimat gewesen war. Längst hatten sich weiße Siedler dieses unter den Nagel gerissen, und der Indian Ring verdiente an diesen Geschäften mit. Diese Männer waren unersättlich – sie gönnten den Indianern noch nicht einmal den letzten Rest ihrer Würde. Sie wollten sie einfach nur auslöschen!

Devlin erhob sich. Bittere Gedanken gingen ihm durch den Kopf, je deutlicher ihm bewusst wurde, welche weitreichenden Folgen das alles hatte. Jetzt hatte er es besonders eilig, Camp Cheyenne zu erreichen. Aber ob General Nelson A. Miles wirklich noch etwas unternehmen konnte? Oder war die Lawine schon so stark ins Rollen geraten, dass sie niemand mehr aufhalten konnte? Er wünschte sich, baldige Gewissheit darüber zu haben.

Die beiden Toten beachtete er nicht mehr. Parnell würde schon noch heraus finden, warum seine Revolvermänner nicht mehr zurück kehrten. Wahrscheinlich würde er Gift und Galle spucken, wenn er die Wahrheit erfuhr.

Devlin verließ den Ort des Todes und ritt aus dem Wald hinaus. Seine Blicke schweiften wachsam umher. Aber es sah ganz danach aus, als wenn es keine weiteren Verfolger mehr gab. Anscheinend hatte Parnell gehofft, dass diese beiden Revolvermänner ausreichten, um Devlin zu beseitigen. Er hatte den Scout jedoch unterschätzt. Devlin war zäh, und das würde Parnell schon sehr bald erfahren.