„Ich denke, man muss die Sache zu einem vernünftigen Abschluss bringen, General“, sagte der grauhaarige Senator James Franklin. „In den Reservaten gärt es. Sitting Bulls Tod ist nur die logische Konsequenz der Unruhen, die in den letzten Wochen statt gefunden haben. Man muss solchen Dingen doch irgendwie Einhalt gebieten, oder?“
„Schon“, erwiderte General Miles und runzelte dennoch die Stirn. Weil er nämlich immer noch überrascht war, dass ihn der Senator höchstpersönlich aufgesucht hatte. Am Heiligabend wollte Miles eigentlich allein sein und die knappe freie Zeit, die ihm zur Verfügung stand, im Kreise seiner Familie verbringen. Aber es wäre nicht das erste mal gewesen, dass ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung machte. Deshalb reagierte er auch ziemlich gefasst, als der Senator vor seiner Haustür stand und darauf bestand, dringend mit ihm zu sprechen.
Normalerweise hielt sich Franklin immer zurück und beschränkte sich darauf, seine politischen Argumente im Senat kund zu tun. Aber nicht in diesem Fall, und das bereitete dem erfahrenen Militärstrategen einiges Kopfzerbrechen. Insbesondere deshalb, weil der Senator nur eine Stunde nach dem Erhalt der Nachricht über Sitting Bulls Tod und den Ereignissen in Standing Rock aufgetaucht war. Was für ein eigenartiger Zufall!
„Sie stimmen mir also zu?“, fuhr der gewiefte Politiker fort. Er lächelte bei diesen Worten, aber Miles erkannte, dass Franklins Augen dabei kalt und abwartend blieben.
„Mr. Franklin, ich weiß sehr wohl, dass die Geistertanzbewegung zu einem Problem werden kann“, antwortete General Miles. „Aber so lange sie in den Reservaten bleibt, denke ich nicht, dass daraus weiterer Ärger entsteht. Der Tod von Sitting Bull dagegen war eine denkbar schlechte Lösung. Sie können sich doch bestimmt vorstellen, dass die Sioux das nicht hinnehmen werden?“
„Genau deswegen muss man hart durchgreifen, um von Anfang an Macht zu demonstrieren, General“, erwiderte der Senator. „Eine andere Lösung verstehen die Rothäute nicht. Ihre Zeit ist doch ohnehin vorbei. Ich frage mich sowieso, wie lange man diese unzivilisierten Heiden noch mit Samthandschuhen anfasst und...“
Er hielt inne, als es an die Tür klopfte. Einer von Miles Hausangestellten trat herein und reichte dem General wortlos ein Blatt Papier und verließ rasch den Raum. Miles warf einen Blick auf den Inhalt. Seine Miene verdüsterte sich zusehends beim Lesen, und das entging natürlich auch dem Senator nicht.
„Schlechte Nachrichten?“, fragte der Senator. Man sah ihm sofort an, dass er seine Neugier kaum noch zügeln konnte.
„Das ist noch untertrieben“, erwiderte General Miles. „Dieses Telegramm kommt aus Camp Cheyenne. Abgeschickt wurde es von einem Mann namens Matt Devlin, der für mich früher als Scout gearbeitet hat. Er berichtet ebenfalls von Sitting Bulls Tod – und seine Schilderungen klingen ganz anders als der Inhalt des Telegramms aus Fort Yates.“
„Darf ich das mal sehen?“, erkundigte sich Senator Franklin. Miles nickte und gab dem Politiker das Telegramm. Franklin las es daraufhin und runzelte die Stirn.
„Kennen Sie David Parnell, Senator?“, erkundigte sich Miles und bemerkte, wie Franklin bei der Erwähnung dieses Namens kurz zusammenzuckte. „Devlin erwähnt gewisse Zusammenhänge, die mir sehr zu denken geben.“
„General, verzeihen Sie bitte, wenn ich das jetzt so offen zur Sprache bringe“, ergriff Senator Franklin wieder das Wort. „Aber ich glaube, Sie verkennen den Ernst der Lage. Wir leben in einer fortschrittlichen Zeit. Die Welt ist nicht mehr so wie sie vor zwanzig Jahren war. Neue Siedler kommen ins Land. Sie alle träumen von einer Heimat und einem neuen Leben. Natürlich gibt es da noch die Indianer – aber sie nutzen das Land nicht. Bestes Acker- und Weideland, das unzähligen Menschen eine neue Heimat geben kann. Wir können es uns nicht erlauben, im Gestern zu leben, Sir. Und Sie auch nicht.“
„Was wollen Sie damit sagen, Senator?“
„Ich denke, das wissen Sie, General“, erwiderte Franklin. „Denken Sie doch mal an Ihre bisherige militärische Laufbahn. Sie verlief stetig in geordneten Bahnen, und Sie hatten in den letzten Jahren insbesondere während der Apachenkriege große Erfolge aufzuweisen. Sie sollten daran denken, bevor Sie womöglich eine Entscheidung treffen, die vielleicht nicht so gut in Ihrer Laufbahn aussieht. Männer wie Sie braucht Amerika, General. Auch in der Politik.“
„Das klingt wie eine Drohung, Senator.“
„Das ist ein hässliches Wort, General. Statt dessen sollte man sich nicht zu sehr von Emotionen leiten lassen, sondern vielmehr von der Vernunft. Auch Sie müssen nicht nur an heute, sondern auch an morgen denken. Dieser Devlin mag vielleicht ein alter Freund von Ihnen sein. Aber ich wage sehr zu bezweifeln, dass der Mann den nötigen Weitblick hat. Sie haben ihn aber, General. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Meine Partner und ich können dafür sorgen, dass dies zukünftig viel klarer zu erkennen sein wird. Wir können Ihnen helfen, Ihre Laufbahn auf würdige Art und Weise zu beenden – und Sie müssen sich dann auch keine finanziellen Sorgen mehr um Ihre Zukunft machen...“
„Von wem genau sprechen Sie, Senator?“, erkundigte sich Miles. Seine Miene wirkte jetzt sehr angespannt.
„Ich glaube nicht, dass Sie das wissen wollen, General“, kam sofort die Antwort. „Aber eins können Sie mir glauben: es sind mächtige und sehr einflussreiche Leute. Das sollten Sie vor Augen haben, wenn Sie Ihrem Freund Devlin antworten. Und machen Sie ihm klar, dass wichtigere Dinge auf dem Spiel stehen als irgend welche Einzelschicksale. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“
„Das haben Sie, Senator“, seufzte Miles. Dutzende von Gedanken gingen ihm in diesem Moment durch den Kopf. Einerseits dachte er an das Telegramm, das ihm Devlin gesandt hatte. Er wusste, dass Devlin ihm die tatsächliche Situationen geschildert hatte. Früher hätte er nicht gezögert, mit seinem Machtwort weitere Eskalationen sofort zu unterbinden. Andererseits war er aber nicht mehr der Jüngste. Mehr als ein Dutzend Feldzüge und Schlachten gegen die Indianer lagen hinter ihm und hatten ihm viel Kraft abverlangt. Eigentlich wollte er den letzten Abschnitt seiner militärischen Laufbahn in Ruhe verbringen und nicht mehr in die Schlagzeilen kommen. Erst recht nicht, nachdem ihm Senator Franklin unterschwellig gedroht hatte.
General Miles wusste natürlich von der Existenz des Indian Rings und dessen Position. Reiche Männer standen hinter ihm, die den Untergang der Indianer voran treiben wollten. Bis jetzt waren sie mit dieser Politik sehr erfolgreich gewesen und hatten auch nicht davor zurück geschreckt, Politiker auf ihre Seite zu ziehen. Männer wie Senator James Franklin zum Beispiel!
„Wie werden Sie sich entscheiden, General?“, fragte Franklin noch einmal. „Sie sollten schnell reagieren und damit ein Zeichen setzen. In zehn Jahren beginnt ein neues Jahrhundert. Da ist kein Platz mehr für mythologischen Hokuspokus...“
Sekunden vergingen, bis Miles seine Gedanken in Worte fassen konnte.
„Ich werde Colonel Sumner entsprechende Anweisungen geben, die Sache zu Ende zu führen, Senator. Mögliche Aufstände werden niedergeschlagen. War das die Antwort, die Sie von mir erwartet haben?“
„Ich sehe, wir haben uns verstanden“, lächelte Franklin.