Ein triumphierendes Grinsen zeichnete sich auf Colonel Forsyths bärtigen Zügen ab, als er unten in der Senke die flüchtigen Indianer entdeckte. Die mühsame Verfolgung über schneebebdecke Ebenen hatte jetzt ein Ende gefunden!
„Die Männer sollen die Kanonen in Stellung bringen, Captain Fetchet“, entschied der Colonel. „Worauf warten Sie noch?“
„Zu Befehl, Colonel“, antwortete der Captain und beeilte sich dann, die Anweisungen des Offiziers in die Tat umzusetzen. Auch Colonel Sumners Truppen hatten mittlerweile diesen Ort in der Nähe des Wounded Knee Creek erreicht. Unbemerkt von den geschwächten Indianern waren sie in der Nacht an ihnen vorbei gezogen und waren nun auf dem gegenüber liegenden Hügel in Stellung gegangen. Mit dieser sehr eindrucksvollen Machtdemonstration wollten Forsyth und Sumner von Anfang an für klare Verhältnisse sorgen und den Indianern verdeutlichen, dass jeder Widerstand völlig sinnlos war.
Auf einem niedrigen Hügel, der das ärmliche Lager der Minneconjous von Norden überblickte, wurden vier Hotchkiss-Schnellfeuerkanonen in Stellung gebracht. Laute Befehle erschallten, deren Echo bestimmt bis ins Lager der Indianer zu hören war. Die Indianer verharrten dort unten, aber Forsyth wusste genau, dass sie jetzt begriffen hatten, in welch aussichtsloser Lage sie sich befanden. Genau das hatte er gehofft, denn umso schneller würde die ganze Sache vorbei sein.
Während die Scharfschützen bereits in Stellung gingen und ihre Gewehre bereit hielten, trug der Wind plötzlich seltsame Laute zum Hügel herauf. Forsyth runzelte die Stirn und blickte erstaunt zu Captain Fetchet, der das jetzt auch hörte.
„Was soll das denn?“, fragte der Offizier kopfschüttelnd. „Dieses Geheul klingt ja entsetzlich...“
„Sie tanzen“, sagte Colonel Forsyth. „Diese gottverdammten Idioten haben noch immer nichts dazu gelernt. Mit diesem elenden Geistertanz hat alles begonnen, und mit dem Geistertanz wird es auch enden. Nehmen Sie fünfzig Mann und reiten Sie hinunter ins Lager, Captain. Die Roten sollen ihre Waffen abgeben. Machen sie ihnen klar, dass sie keine Chance mehr haben und dass wir sofort schießen werden, wenn auch nur der geringste Widerstand zu sehen ist.“
„Das wäre Wahnsinn, wenn sie es versuchen würden, Colonel“, meinte der siegessichere Captain Fetchet. Minuten später hatte er fünfzig mutige Soldaten ausgewählt, die alle Winchester-Gewehre in den Händen hielten und sie auch schonungslos einsetzen würden. Mit den bedrohlichen Hotchkiss-Kanonen im Rücken fühlten sie sich sicher und ritten los.
Captain Fetchet fühlte sich ein wenig mulmig, als er sich dem Lager näherte und bemerkte, dass die Gesänge abrupt endeten. Nur noch der klirrende Trab der Pferde war zu hören. Aber die Indianer schwiegen. Fast teilnahmslos standen sie in Gruppen zusammen und blickten den heran reitenden Soldaten entgegen. Es war eine seltsame Stille, die jetzt herrschte.
Der Captain ertappte sich immer wieder dabei, wie er sich im Sattel umdrehte und zurück zu dem Hügel blickte. Er war entsprechend aufgeregt. Aber er sagte sich immer wieder, dass keine Gefahr für ihn und seine Männer bestand. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut, als er an der Spitze des Trupps jetzt die ersten Indianer erreichte.
Sein Blick richtete sich auf einen Indianer, der etwas oberhalb der anderen stand und in seinen Händen eine kleine Pfeife hielt. Auf der spielte er jetzt einige Töne und hielt erst inne, als er den Blick des Captains auf sich gerichtet fühlte. Seine Miene war eine Mischung aus unterdrückter Wut und Trauer über die eigene ausweglose Situation.
„Ich bin Captain Fetchet!“, sagte der Offizier so laut, dass es jeder hören und hoffentlich auch verstehen konnte. „Ich bin gekommen, um euch zu sagen, dass ihr wieder nach Standing Rock zurück gehen werdet. Ohne Waffen!“
Er wartete einen Moment, um zu sehen, welche Wirkung seine Worte bei den Minneconjous auslösten. Dass die meisten von ihnen verstanden hatten, um es was ging, zeigten ihm die zornigen Blicke einiger Indianer. Der Captain spürte, dass sich die Situation allmählich bedrohlich zuspitzte. Trotzdem gab er zehn Soldaten den Befehl, abzusitzen und die Indianer nach Waffen zu durchsuchen.
„Wer die Waffen freiwillig abgibt, wird es leichter haben“, sprach er weiter. „Von nun an soll Frieden herrschen!“
Angesichts dieser massiven Bedrohung von Frieden zu sprechen, wirkte auf die meisten der Indianer wie blanker Hohn. Erneut begann der Krieger mit der Knochenpfeife – es war Yellow Bird – eine schaurige Weise zu spielen, und die Gesichter der anderen verhärteten sich, während die Soldaten sich mit vorgehaltenen Waffen näherten, um den Befehl des Captains auszuführen.
Hinterher konnte keiner mehr sagen, was eigentlich der Auslöser gewesen war. Vielleicht trug einer der Soldaten die Schuld daran, weil er mit seinem Gewehr zu deutlich auf einen der Krieger gezielt hatte und der deswegen wohl sein Leben bedroht sah. Unter Umständen war es auch Yellow Bird, der Medizinmann, der mit seinen Pfeifenklängen und dem Geisterhemd zu einem offenen Widerstand aufrief. Oder es war die allgegenwärtige Spannung, die sich jetzt entlud und das Massaker letztendlich nicht verhinderte.
Big Foot stemmte sich vom Karren hoch und stöhnte entsetzt, als er sah, dass einer der Krieger ein Gewehr unter seinem Geisterhemd hervor holte. Noch unbemerkt von den Soldaten richtete er die Waffe auf die verhassten Gegner.
In diesem Moment packte ein Soldat einen Krieger und stieß ihn wütend nach hinten, weil dieser keine Anstalten gemacht hatte, seine Waffen abzugeben. Der Krieger stürzte in den Schnee und reckte wütend die Faust gegen den Soldaten, als dieser mit der Gewehr ausholen wollte, um ihm einen Kolbenstoß zu verpassen.
Zwei andere Soldaten versuchten einem zweiten Krieger ein Gewehr zu entreißen, als dieser auf seine Feinde zielen wollte, und dabei löste sich ein Schuss. Daraufhin drückte ein anderer Indianer wutentbrannt ab, und seine Kugel streifte einen Soldaten an der rechten Hüfte. Als dieser schreiend zusammenbrach, eröffneten die anderen Soldaten das Feuer. Aus so großer Nähe, dass der Pulverdampf die Haut der Getroffenen versengte.
Mehr als dreißig von Big Foots Leuten wurden von der ersten Salve niedergemäht. Die überlebenden Krieger, von denen die meisten nur noch Messer, Keulen und alte Revolver besaßen, stürzten sich todesmutig auf die Soldaten. Aber es war ein vergeblicher Versuch, das drohende Unheil aufzuhalten. Auch sie konnten die verängstigten Frauen und Kinder nicht mehr retten.
Von den Felsen aus erkannte Colonel Forsyth, dass Schüsse gefallen waren und die Unruhe sich immer weiter ausbreitete.
„Feuer!“, rief er den Männern an den Hotchkiss-Kanonen zu. „Schießt sie zusammen!“
Die Männer führten den Befehl ihres Colonels aus und eröffneten kaltblütig das Feuer auf die Indianer, von denen sich die meisten hinter ihre Zelte verkrochen hatten und dort Schutz suchten. Aber das rettete sie nicht vor der tödlichen Kugelflut. Nur wenigen gelang es, den Kugeln der Hotchkiss-Kanonen zu entkommen, indem sie in ein ausgetrocknetes Bachbett hinter dem Lager flüchteten, das ihnen wenigstens zum Teil etwas Schutz bot.
Aber dieser Schutz hielt nur wenige Minuten an, denn mittlerweile griffen auch Colonel Sumners Truppen vom gegenüber liegenden Hügel in den Kampf ein und setzten das grausame Abschlachten fort. Die Kugeln aus den Hotchkiss-Kanonen schlugen durch die Zelte wie Papier und steckten einige angesichts dieser Hitze in Brand. Frauen und Kinder liefen voller Panik in alle Richtungen davon und begriffen gar nicht, dass sie ihren Todfeinden entgegen rannten. Und als sie es sahen, war es schon zu spät für sie!
„Attacke!“, schrie ein Captain und zielte mit seinem Revolver auf eine junge Frau, die sich und ihr Kind in Sicherheit bringen wollte. Aber der Offizier ließ ihr keine Chance. Mit einem gezielten Schuss beendete er das Leben der flüchtenden Frau und lachte noch, als er das Weinen des Kindes hörte, das wenige Sekunden später verstummte. Aber das nahm er nur am Rande wahr, denn er und seine Männer veranstalteten jetzt ein regelrechtes Kesseltreiben auf die überlebenden Indianer.
Big Foot stöhnte, als er sein Volk sterben sah. Das Dröhnen der Hotchkiss-Kanonen ließ seinen Körper erzittern. Mühsam rappelte er sich auf und sah sich nach seiner Squaw um. Kummer überzog sein Gesicht, als er sie reglos im Schnee liegen sah. An dieser Stelle hatte sich unter ihrem Körper ein dunkelroter Fleck ausgebreitet. Big Foot wusste, was das bedeutete.
Er hatte sich gerade erhoben und versuchte, Schutz unter dem Karren zu finden. In diesem Moment traf ihn eine Kugel in die Seite und ließ ihn taumeln. Ein rasender Schmerz breitete sich in seinem gesamten Körper aus. Erneut spürte er den Einschlag einer Kugel, diesmal im rechten Oberschenkel. Big Foot brach zusammen.
Hufschläge ertönten. Der sterbende Häuptling hob den Kopf und blickte in die hasserfüllten Gesichter mehrerer Blaurock-Soldaten, die ihre Pferde direkt auf ihn zutrieben. Sie lachten, als sie sahen, wie der alte Häuptling versuchte, den rechten Arm zu heben und ihnen mit letzter Kraft Einhalt zu gebieten. Jemand zielte mit dem Revolver auf Big Foot, drückte ab und löschte sein Leben von einer Sekunde zur anderen aus.
„Einer weniger von diesen Bastarden!“, rief ein Soldat und suchte sich schon ein neues Opfer aus. Auch diesmal traf seine Kugel ins Ziel und streckte einen Indianer nieder, der bereits alle Waffen weggeworfen und beide Hände erhoben hatte. Diese Geste ignorierte der Soldat jedoch. Seine Gedanken kreisten ums Töten, und deshalb musste der Indianer sterben.
Das Kesseltreiben, das die 7th und 8th Cavalry nun veranstaltete, war alles andere als ruhmreich. Die Indianer wurden wie Tiere gehetzt und kaltblütig niedergeschossen – auch wenn sie schon längst keine Waffen mehr besaßen und aufgegeben hatten.
An diesem winterlichen Morgen hatte das Grauen einen neuen Höhepunkt erreicht und dokumentierte den festen Willen der Armee, ein für alle mal ein Zeichen zu setzen, damit es niemals wieder zu einem Indianeraufstand kam.