McQuade hielt an, als er mit den Oberschenkeln die Tischkante berührte. „Heb die Hände und steh auf, Garrett!“, stieß er scharf hervor. „Auf deinem Steckbrief steht tot oder lebendig. Du kannst es dir aussuchen. Jedenfalls bringe ich dich nach Douglas zurück – so oder so. Entscheide dich!“
Wayne Garrett wirkte sprungbereit, Heimtücke prägte den Ausdruck seiner Augen, er hatte nichts mehr zu verlieren und das machte ihn unberechenbar und gefährlich. „Sag mir deinen Namen“, forderte er, und McQuade musste niemand sagen, dass der Bandit versuchte, Zeit zu gewinnen. Wahrscheinlich zermarterte er sich das Hirn nach einem Ausweg. Und er würde jede Gelegenheit, die sich ihm bot, nutzen, um das Ruder zu seinen Gunsten herumzureißen. Die Gesetze der Fairness zählten in seiner Lage nicht. Auf ihn fiel der Schatten des Galgens. McQuade war klar, dass er sich nicht den geringsten Fehler leisten konnte.
„McQuade.“
„Na schön, McQuade.“ Garrett stemmte sich am Tisch in die Höhe. Und plötzlich ging alles ganz schnell. Der Bandit kippte mit einem Ruck den Tisch gegen McQuades Oberschenkel, dann zuckte seine Rechte zurück und umspannte den Knauf des Coltrevolvers.
Er war schnell und mit allen Wassern gewaschen. Bei ihm ging es um Kopf und Kragen.
Der Kopfgeldjäger hielt jedoch dem Tisch stand, er kam nicht einmal ins Wanken. Und ehe der Bandit den Sechsschüsser aus dem Holster bekam, traf ihn McQuade mit dem Gewehrlauf an der Schläfe. Er brach zusammen, als hätte ihn die Faust des Satans getroffen. McQuade nahm ihm den Revolver weg, schob sich die Waffe in den Hosenbund, dann nahm er Handschellen aus der Manteltasche und fesselte Garrett die Hände auf den Rücken.
Draußen erklangen trampelnde Schritte, die Tür flog auf, einige Soldaten des Wachdienstes stürzten in die Kantine. Ein Sergeant brüllte: „Was ist da los? Warum liegt der Mann gefesselt am Boden?“
„Der Hombre im braunen Mantel hat ihn niedergeschlagen“, rief einer. „Sieht ganz so aus, als würde der Kerl am Boden vom Gesetz gesucht.“
Mit wiegenden Schritten kam der Sergeant auf McQuade zu, sein Blick war stechend und durchdringend. „Ich fordere eine Erklärung von Ihnen, Mister.“
Wortlos zog McQuade den Steckbrief aus der Manteltasche, faltete ihn auseinander und reichte ihn dem Sergeant. Der heftete seinen Blick darauf, begann an seiner Unterlippe zu nagen, beugte sich schließlich über Wayne Garrett und studierte dessen Gesicht eingehend. Dann nickte er und knurrte: „Ja, das ist der Bursche auf dem Steckbrief. Wer aber sind Sie? Ich sehe an Ihrem Mantel keinen Stern. Sind es vielleicht persönliche Gründe ...“
„Nein, keine persönlichen Gründe, Sergeant. Auch trage ich keinen Stern.“ McQuade hielt dem Sergeant die Hand hin und der Soldat gab ihm den Steckbrief zurück.
„Ich verstehe“, brummte der Sergeant. „Sie sind der Prämie wegen hinter ihm her. Sie sind ein Kopfgeldjäger.“ Ein grüblerischer Ausdruck trat in seinen Blick. „Jetzt kommt es mir auch wieder in den Sinn. Ich habe von einem Burschen gehört, der Banditen jagt und den ein großer, grauer Hund begleitet. Allerdings fällt mir der Name nicht ein.“
„McQuade.“
„Richtig. Na schön, McQuade, der Hombre gehört Ihnen. Was nun? Soll ich ihn in Gewahrsam nehmen, bis Sie mit ihm das Fort verlassen? Was haben Sie vor?“
„Ich werde noch in dieser Stunde mit ihm das Fort verlassen“, antwortete der Kopfgeldjäger. „Seine Frau und drei Kumpane von ihm sind im Anmarsch. Ich will Verdruss mit ihnen vermeiden.“ Die Stimme des Texaners hob sich ein wenig. „Weiß jemand, wo er sein Pferd untergestellt hat?“
„Es steht im Stall, der zur Kantine gehört“, meldete sich der Keeper. „Soll ich das Tier satteln lassen?“
„Das wäre sehr freundlich von Ihnen.“
Der Keeper verschwand durch eine Tür.
Gray Wolf hatte sich, nachdem von keiner Seite Gefahr drohte, auf den Boden gelegt, den mächtigen Kopf zwischen die Vorderpfoten gebettet und ließ den besinnungslosen Banditen nicht aus den Augen.
„Sie kommen sicher alleine zurecht, McQuade?“, fragte der Sergeant.
Der Kopfgeldjäger nickte und der Sergeant gab seinen Leuten den Befehl, abzuziehen.
McQuade setzte sich. Die Lider des Banditen zu seinen Füßen flatterten, schließlich öffnete er die Augen und starrte stupide zur Decke hinauf. Es dauerte aber keine drei Herzschläge lang, dann stellte sich die Erinnerung bei ihm ein, er zerrte an den Handschellen und stieß einen lästerlichen Fluch aus.
„Die Kette würde selbst ein Grizzly nicht zerreißen“, sagte McQuade ruhig. „Also gib es auf, Garrett.“
Das Gesicht des Banditen zuckte herum, sein flackernder Blick saugte sich am Gesicht des Kopfgeldjägers fest. „Die Pest an deinen Hals, dreckiger Bastard!“
„Spar dir deine frommen Wünsche, Garrett“, versetzte McQuade unbeeindruckt und kalt. Dann stand er auf, packte den Banditen am Kragen der Weste, zerrte ihn auf die Beine und drückte ihn auf einen Stuhl nieder. Dort, wo ihn McQuade mit dem Gewehr getroffen hatte, sickerte etwas Blut aus den Haaren und rann über das Ohr und die Wange Garretts. „Sobald dein Pferd gesattelt und gezäumt ist, reiten wir“, fuhr der Kopfgeldjäger fort.
Wayne Garretts Zähne knirschten übereinander. Hass glitzerte in seinen Augen – brennender Hass.
Die Gäste beobachteten schweigend, was sich ihnen darbot. Es berührte sie nicht. Ausschließlich die Neugierde war es, die ihr Interesse an den Vorgängen weckte.
Ein Halbwüchsiger schaute zur Eingangtür herein und rief: „Das Pferd steht reitfertig am Holm.“
„Danke“, antwortete McQuade laut genug, sodass ihn der Bursche hören konnte. „Hoch mit dir, Garrett. Wir reiten.“
Der Bandit befolgte den Befehl, der Kopfgeldjäger bugsierte ihn nach draußen und half ihm aufs Pferd. McQuade zog das Gewehr Garretts aus dem Scabbard und schob es in seine Deckenrolle. Wenige Minuten später verließen sie Fort Bowie. Es war jetzt fast finster. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber der Himmel war sternenübersät. Das Terrain war – wenn nicht irgendwelche Hindernisse wie Hügel oder Bodenwellen die Sicht beeinträchtigten -, auf gut und gerne hundert Yards überschaubar.
„Du willst mich doch nicht etwa nach Douglas zurückbringen, McQuade“, stieß Wayne Garrett hervor.
„Doch. Dort unten hast du den Rancher getötet, der Sheriff von Douglas sucht dich, in Douglas wird man dir den Prozess machen, und man wird dich dort hängen, wenn es der Richter anordnet.“
„McAllister war ein verdammter Weidepirat!“, fauchte Garrett. „Im Einvernehmen mit dem Bankier hat er mich fertig gemacht. Sie haben mir alles genommen. Als ich meine Ranch verließ, war ich arm wie eine Kirchenmaus.“
„Mag sein“, versetzte McQuade gleichmütig. „Du hattest nicht das Recht, McAllister für das dir vermeintlich zugefügte Unrecht zur Rechenschaft zu ziehen. Selbstjustiz gibt es nicht in unserem Land. Du bist auch kein Richter und kein Henker.“ McQuades Stimme sank herab. „Es war Mord, Garrett, niederträchtiger, heimtückischer Mord aus niedrigen Beweggründen.“
„Nenn es, wie du willst, McQuade. Ich bin der Meinung, dass McAllister den Tod verdient hat. – Wenn du mich nach Douglas bringst, wird es zu keinem Prozess kommen. McAllisters Sohn und seine Leute werden mich aus dem Gefängnis holen und kurzer Hand aufknüpfen.“
„Der Sheriff wird das nicht zulassen.“
Garrett lachte gallig auf. „Den werden sie nicht fragen.“
„Ich werde dich beim Sheriff in Douglas abgeben, Garrett. Dann ist mein Job erledigt.“
„Sicher. Du kassierst tausend Dollar, und alles andere interessiert dich nicht. Ich habe doch nur ...“
„Du hast dich gerächt, Garrett. Und du hast McAllister feige aus dem Hinterhalt erschossen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung und auch keine Entschuldigung.“
Von jetzt an ritten sie schweigend.
Meile um Meile zogen sie nach Süden. Der Mond schob sich über den Horizont im Osten. McQuade hatte sich entschlossen, an der Ostseite der Chiricahua Mountains hinunter bis zur mexikanischen Grenze zu reiten und sich dort nach Westen, also in Richtung Douglas, zu wenden. So wich er Joyce Garrett und ihren drei Begleitern aus, und die Gefahr, Apachen zu begegnen, war auch nicht sehr groß.
Gegen Mitternacht erreichten sie einen schmalen Creek und der Kopfgeldjäger beschloss, zu kampieren. „Wir warten hier den Morgen ab, Garrett“, erklärte er und schwang sich vom Pferd.
Auch Garrett ließ sich aus dem Sattel gleiten. „Willst du mir nicht die verdammten Handschellen abnehmen?“
McQuade führte beide Pferde zu einem Strauch und band sie an. Dann kehrte er zu Garrett zurück und sagte: „In Ordnung, Garrett, ich werde dir die Hände vorne fesseln. Solltest du, wenn ich jetzt die Handschellen aufschließe, auf krumme Gedanken kommen, wirst du es bereuen. Dreh dich um.“
Wayne Garrett wandte McQuade den Rücken zu. Der nahm den Handschellenschlüssel aus der Tasche und öffnete eine der Stahlspangen. „Nimm die Hände nach vorn und dreh dich um.“
Garrett wirbelte herum und zog das Knie hoch. Aber McQuade hatte mit einer Hinterhältigkeit gerechnet und sprang geistesgegenwärtig einen halben Schritt. Der Kniestoß ging ins Leere, Garrett taumelte nach vorn – und lief genau in eine kerzengerade Rechte des Texaners. Der Kopf des Banditen wurde in den Nacken geschleudert, ein unartikulierter Laut brach aus seiner Kehle, er wankte zwei Schritte zurück.
McQuade setzte nach, seine Linke bohrte sich in den Magen Garretts, und als der Bandit eine unfreiwillige Verbeugung ausführte, schlug ihm der Kopfgeldjäger die Rechte von der Seite gegen den Kopf. Der Bandit brach auf die Knie nieder und ächzte.
„Gray Wolf!“, stieß der Texaner hervor.
Mit einem Satz war der Wolfshund bei Garrett, der kippte nach hinten und fiel auf den Rücken. Sofort stand Gray Wolf über ihm, fletschte dicht vor seinem Gesicht die Zähne und der schale Atem des gefährlichen Tieres schlug dem Banditen ins Gesicht. Ein drohendes Knurren stieg aus der Kehle Gray Wolfs.
Wayne Garrett wagte sich kaum noch zu atmen.
„Zurück, Partner“, gebot McQuade und der Wolfshund ließ von dem Banditen ab. Ehe er sich versah, hatte ihm der Kopfgeldjäger die Hände vor dem Leib gefesselt. Dann packte er ihn mit beiden Händen an der Weste und zog ihn in die Höhe. „Ich sagte es dir doch, Garrett: Du wirst es bereuen. Solltest du es noch einmal versuchen, prügle ich dich windelweich, und dann wirst du quer über dem Rücken deines Pferdes hängend in Douglas ankommen.“ Nach dem letzten Wort versetzte der Kopfgeldjäger Wayne Garrett einen Stoß, der Bandit taumelte zwei – drei Schritte zurück, strauchelte und setzte sich auf den Hosenboden.
„Gib auf ihn acht, Partner“, trug der Kopfgeldjäger dem Wolfshund auf.
Gray Wolf ließ sich vor Wayne Garrett auf die Hinterläufe nieder und starrte den Banditen mit gründlich schillernden Augen an. Der Kopfgeldjäger schnallte die Deckenrollen von den Sätteln und warf sie auf den Boden, dann lockerte er die Bauchgurte der Sättel und leinte die Pferde an einen Strauch. Vorsichtshalber hobbelte er ihnen die Vorderbeine, um zu verhindern, dass sie sich – von irgendetwas erschreckt -, losrissen und davon liefen.
Mit etwas Pemmican in der Hand und der Wasserflasche ging McQuade zu Wayne Garrett hin. „Hunger?“
„Friss den Dreck selbst!“, fauchte der Bandit gehässig.
„Wie du willst“, sagte McQuade gelassen, kauerte unweit von dem Banditen nieder und biss von der getrockneten Fleischpaste.
„Hoffentlich erstickst du an dem Fraß!“, knirschte Garrett.