Bis zur endgültigen Zerstörung der Stadt gab es zweiundzwanzig Rayas von Bisnaga, und Krishna Raya war der achtzehnte und ruhmreichste von allen. Schon bald nach seiner Krönung fügte er seinem Namen deva hinzu, also Gott, was seine hohe Meinung von sich selbst verriet. So wurde er zu Krishnadevaraya, Krishna-Gott-König. Zu Beginn seiner Herrschaft aber hieß er schlicht Krishna, benannt nach dem beliebten blauhäutigen Gott, gewiss, doch weder blau noch göttlich; »beliebt« aber durchaus. Zu Lebzeiten und nach seinem Tod priesen ihn die Hofdichter in drei Sprachen, und sie alle feierten ihn; es gab zudem viele Statuen des Königs, die ihm gleichfalls schmeichelten – in Stein wirkte er noch attraktiver, der Leib schlanker, muskulöser, und wenn ein Bildhauer ihm eine Flöte in die Hand gab und einige ihn anhimmelnde Milchmädchen zu seinen Füßen drapierte, dann mochte man ihn durchaus für jenen Gott halten, nach dem er benannt worden war. Ehrlich gesagt aber war er in Wahrheit ein bisschen pausbäckig, und in seinem Gesicht sah man die Narben eines als Kind erlittenen Pockenanfalls, den er zum Glück überlebte. Zudem war er stolz auf einen üppigen Zwirbelbart sowie auf sein kantiges Kinn, und man sagte ihm nach, wobei es sich vielleicht aber auch nur um die Schmeicheleien seiner Höflinge handelte, dass er im Sex so potent war wie niemand sonst.
Über Krishnas Besteigung jenes Thrones, nun der Löwenthron genannt, manchmal auch der Diamantenthron – ein wahrhafter Thron hatte die ursprüngliche königliche gaddis ersetzt, das Thronpodest –, findet sich heute ein Bericht nicht nur in einem, sondern gleich in zwei wiederaufgefundenen Manuskripten. Wie stets in unserer Nacherzählung verlassen wir uns vorwiegend auf Pampa Kampanas Werk, doch gibt es außerdem nun auch noch das Tagebuch des italienischen Reisenden Niccolò de’ Vieri, der zu Krishnadevarayas Zeiten in Bisnaga weilte – dieser Vieri, der sich selbst den Spitznamen Signor Rimbalzo gab, Herr Hüpf, da er einen Großteil seines Lebens von Ort zu Ort hüpfte. Alle Berichte zusammen liefern uns sieben verschiedene Versionen davon, wie Krishnadevaraya König wurde. (Vieris Erzählungen sind blutiger als die von Pampa Kampana, was vermutlich mehr über diesen Musensohn als über das historische Ereignis verrät.)
Vieri erzählt, es hätte böses Blut zwischen Krishna und seinem viel älteren Halbbruder Narasimha gegeben. Beide waren sie Söhne des ersten Königs der Tuluva-Dynastie, also von Tuluva höchstselbst, einem Armeekommandanten niederer Kaste, der den Thron erobert hatte, ihre Mütter aber, beide ehrgeizig und ehemals Kurtisanen – Tippamba die Mutter des älteren Sohnes, Nagamamba die des jüngeren –, hassten einander und erzogen ihre Söhne dazu, es ihnen gleichzutun. Nach Tuluvas Tod befahl Narasimha dem Großminister, seinen jüngeren Bruder Krishna zu blenden und ihm die Augen als Beweis zu bringen (schreibt Niccolò de’ Vieri). Dieser Minister aber, Saluva Timmarasu, über den noch viel zu sagen sein wird, tötete stattdessen eine Ziege und brachte Narasimha deren Augen, um dann dafür zu sorgen, dass Krishna den Thron bestieg, sobald der König gestorben war.
Pampa Kampana erzählt dagegen, es habe kein böses Blut zwischen den Halbbrüdern gegeben; Narasimha habe freiwillig auf den Thron verzichtet und Krishna den königlichen Siegelring überreicht.
Aber nein!, ruft Vieri, die Wahrheit ist, dass Narasimhas Mutter, die boshafte Tippamba, Krishnas Ermordung plante, weshalb Timmarasu ihn versteckt hielt und ihm somit das Leben rettete.
Unsinn, erwidert Pampa Kampana, in Wirklichkeit spielte der herrliche Prinz Krishna am Flussufer die Flöte, und alle kamen und staunten und sagten, wahrlich, ein Gott wandelt unter uns, und damit war die Sache erledigt.
Woraufhin Vieri die Geschichte erzählt, der zufolge Tuluva, der Vater von Narasimha und Krishna, den beiden Söhnen auf seinem Totenbett sagt, wer ihm den Siegelring vom Finger ziehen kann, der wird König. Narasimha hat es versucht, aber der Finger war zu geschwollen, der alte Mann dem Tode nah; Krishna aber schnitt dem Vater einfach den Finger ab und schnappte sich den Ring.
Pampa Kampana hatte wohl nur wenig für die grausigen und blutigen Geschichten übrig, die dem Fremden Vieri offenbar so gut gefielen. Sie behauptet stattdessen, der alte König Tuluva habe einen Dolch mitten auf einen Teppich gelegt und seine Söhne aufgefordert, sich die Waffe zu greifen, ohne über den Teppich zu laufen. Narasimha wusste keinen Rat, Krishna aber rollte den Teppich einfach zusammen, bis der Dolch in Reichweite kam und trug so den Sieg davon.
Vieri erwähnt auch das Gerücht über einen Kampf zwischen den beiden Halbbrüdern auf Leben und Tod, an dessen Ende Krishna über der Leiche stand, das blutige Schwert hob und so die Krone gewann.
All diese Geschichten können mit Respekt behandelt oder als Lügenmärchen abgetan werden, ganz wie es dem Leser beliebt. Für unsere Zwecke die wichtigste Version – auch wenn sie am schwersten zu glauben sein mag – ist die achte, laut der Pampa Kampana zusammen mit Zerelda Li anwesend war.
Am Tag des Todes ihres Vaters (erzählt Pampa Kampana) gingen Krishna und sein Halbbruder gemeinsam vor die Tore des Palastes, um der versammelten Menge zu verkünden, dass ihr Vater, Tuluva Raya, gestorben sei. Während sie vortraten, blickte Krishna nach oben und sah hoch oben am vor Hitze wabernden Himmel zwei cheels schweben, zwei Adler. Einmal, zweimal, dreimal flogen sie im Kreis, bis er ihre Anwesenheit für ein Omen hielt.
»Wenn sie siebenmal über uns kreisen«, sagte er, »dann ist gewiss, dass sie eine Botschaft der Götter überbringen.« Und die Adler zogen tatsächlich sieben Kreise und sanken mit jedem Kreis ein wenig tiefer, bis sie direkt über den Köpfen der Prinzen flogen. Dann landeten sie vor den Füßen der beiden Männer und verwandelten sich zu jedermanns Erstaunen in die zwei schönsten Frauen, die je gesehen wurden: Schwestern des Himmels, so schien es. In einer raschen Bewegung knieten sie vor Prinz Krishna nieder, beugten das Haupt und boten ihm ihre prächtigen Schwerter dar. »Wir begeben uns in Euren Dienst und in den Dienst des Reiches Bisnaga«, sagten sie. Danach stand außer Frage, wer den Löwenthron besteigen würde. Der Halbbruder Narasimha verschwand aus Pampa Kampanas Manuskript, und es ward nie wieder etwas von ihm gehört. Wir können nur hoffen, dass Krishna Raya es ihm vergönnte, den Rest seiner Tage in komfortabler Anonymität verleben zu dürfen.
Mit ihrer spektakulären Ankunft in Bisnaga gingen Pampa Kampana und Zerelda Li ein Risiko ein, das sich jedoch bezahlt machte. Ein derart tollkühner Auftritt war gewiss ein Wagnis, denn wenn sich Wesen wie sie zu erkennen geben, besteht immer die Gefahr, dass sie Furcht und Feindseligkeit wecken, nur hatte Pampa Kampana beschlossen, Bisnaga diesmal durch die Vordertür zu betreten und nicht durch einen Tunnel in die Stadt zu kriechen. Jedermann sollte wissen, wer und was sie war. Ihr Timing hätte zum Glück nicht besser sein können. Der frisch gekrönte Krishna Tuluva – jetzt Krishna Raya – war gleich davon überzeugt, dass es sich bei Pampa Kampana und Zerelda Li um übernatürliche Wesen handelte, um apsaras (himmlische Nymphen, Gestaltwandler also, wie allgemein bekannt), von oben herab als ein Segen seiner Regentschaft gesandt, womit Pampas und Zereldas Sicherheit gewährleistet war. Man wies ihnen im Palast prächtige Räumlichkeiten zu, die sie dankbar annahmen, auch wenn Pampa Kampana einen Anflug von Enttäuschung unterdrücken musste, da sie sich gut an ihre Tage in den königlichen Gemächern erinnern konnte. Dass der junge König viel für die beiden vom Himmel herabgestiegenen, von aller Welt für Schwestern gehaltenen Frauen übrighatte und bereits erste Liebesregungen verspürte, war kaum zu übersehen, nur welche der beiden er bevorzugte, war offenbar sogar ihm selbst noch nicht klar. Erst einmal aber hatte er vollauf mit Staatsangelegenheiten zu tun und wusste, Liebe und Ehe würden warten müssen.
Das große alte Sultanat Zafarabad war zu jener Zeit in fünf kleinere Königreiche zerfallen: Ahmadnagar, Berar, Bidar, Bijapur und Golconda; und niemand redete mehr vom »Geistersultanat«. So ist nun mal der Lauf der Geschichte; die Obsession der einen Zeit landet in der nächsten auf dem Abfallhaufen des Vergessens. Ungeachtet ihrer kleineren Territorien strebten alle fünf neuen Sultanate nach Expansion, zuvorderst das an Diamanten reiche Sultanat Golconda, in dem man es ganz zufrieden war, nicht länger unter der Vorherrschaft des alten Zafarabads zu stehen, und jetzt eigene Pläne hegte, die Herrschaft über diese Region an sich zu reißen. Zudem hatte das Königreich der Dynastie Gajapati im Osten an Macht gewonnen, und auch dort weckte das Land des Reiches Bisnaga Begehrlichkeiten. Die Ankunft eines jungen, unerprobten Königs auf dem Löwenthron ermutigte sie, ihr Glück zu versuchen.
Als Krishna Rayas Armee bereit war, gegen die vorrückenden vereinten Kräfte von Bidar und Bijapur zu ziehen, baten Pampa Kampana und Zerelda Li beim König um Audienz. »Zählt uns nicht zu den Brokat tragenden Damen am königlichen Hof, die nur Seidentücher und Eunuchen gewohnt sind, den ganzen Tag von der Liebe singen, Opium rauchen und gesüßten Granatapfelsaft trinken«, sagte Pampa Kampana. »Ihr werdet in Euren Diensten keine besseren Krieger als uns finden.« Krishna Raya war beeindruckt. »Das alte, zu Zeiten von Großmeister Li erbaute kwoon steht noch«, sagte er. »Wir lassen die besten Kriegerinnen unseres Palastes kommen und werden sehen, wie Ihr Euch gegen sie behauptet.«
»Wir wurden von den größten Meistern ausgebildet«, erwiderte Zerelda Li, »und würden es daher vorziehen, wenn Ihr uns nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen Männer antreten lasst.«
»Unterschätzt unsere Kriegerinnen nicht«, sagte die imposante Anführerin der Palastwache. »Zu meinen Vorfahren zählte die unbesiegbare Ulupi, der zu Ehren ich ihren Namen annahm. Und Ihr werdet feststellen, dass ich es mit jedem Mann aufnehmen kann.«
Der König schien amüsiert. »Genug, genug«, rief er lachend. »Ulupi die Jüngere wird gegen Euch beide kämpfen, meine zwei apsaras; und wir werden auch einen Mann finden, der Euch auf die Probe stellen wird.«
Er befahl Thimma den Gewaltigen zu sich (zum einen so genannt, weil er damit durchaus angemessen beschrieben war, zum anderen auch, um eine Verwechslung mit Saluva Timmarasu zu vermeiden, Krishna Rayas Großminister). Über diesen ungeheuren, wortkargen Hulk hieß es, dass mehr von einem Elefanten als einem Menschen in ihm steckte, die Arme zwei lange Rüssel, die einen Feind in die Luft schwingen und über weite Entfernungen davonschleudern konnten, die gigantischen Füße fähig, Gegner unter seinem unvorstellbaren Gewicht zu zermalmen. Er musste so viel essen, dass er seine Mahlzeiten wie ein Arbeitselefant in einem Sack um den Hals trug, und wenn er nicht kämpfte oder schlief, dann aß er. Auf dem Schlachtfeld bewirkte seine bloße Ankunft, dass ganze Kompanien kehrtmachten und flohen. Seine bevorzugte Waffe war die Keule, doch als er diesmal den Kampfplatz betrat, griff er sich zudem einen Speer. Die Balkone des kwoon waren voll. Auch wenn die Frauen vom Himmel herabgeflogen sein mochten, räumte ihnen doch niemand eine Chance ein. Die Zuschauer schlossen Wetten gegen sie ab. Thimma und Ulupi die Jüngere waren die klaren Favoriten. Aus Freundschaft gegenüber den Neuankömmlingen, die seinem Anspruch auf den Thron ihren Segen erteilt hatten, setzte allein der König eine erkleckliche Summe zu hohen Quoten auf die übernatürlichen Frauen.
Dann begann der Kampf, und alle, die auf die beiden Lokalmatadore gesetzt hatten, begriffen rasch, dass ihr Geld verloren war. Das Spektakel der beiden durch die Luft wirbelnden apsaras , die ihre Gegner von oben angriffen, die Wände hinaufliefen und über das Dach des kwoon eilten, um sich gleich darauf hinabzustürzen, anzugreifen und sich wieder zurückzuziehen, war nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für die Gegner so schwindelerregend, dass sie nur noch Rücken an Rücken auf dem Kampfplatz des kwoon stehen konnten, wo sie ausholten und in die leere Luft hieben. Das Luftballett der beiden Frauen, gelegentlich allein von einigen Runden fast ekstatisch schöner Schwertkämpfe unterbrochen, erschöpften Thimma den Gewaltigen und Ulupi die Jüngere die bald nur noch mit einer geborstenen Keule, einem zersplitterten Speer und einem zerbrochenen Schwert kämpfen konnten. Als Thimma schließlich keuchend auf die Knie sank, warf der König ein dunkelrotes Tuch in die Arena, um anzuzeigen, dass der Kampf beendet war. Seit diesem Tag zweifelte niemand mehr daran, wer die furchterregendsten Krieger in Bisnaga waren, und Krishna Raya verkündete: »Alle vier Krieger werden mit mir in den Krieg ziehen, und keine Macht auf Erden wird sich uns widersetzen können.«
Die ältesten Zuschauer, die mit den alten Geschichten noch vertraut waren, flüsterten: »Die einzigen Frauen, die je so kämpfen konnten, waren Pampa Kampana und ihre drei Töchter, vor allem Zerelda Sangama.« Ihre Erinnerungen machten auf den Balkonen des kwoon rasch die Runde, auch bis hinab in die Arena, wo sie schließlich den Kämpfern und auch dem König zu Ohren kamen.
»Dann nennt mich Pampa Kampana«, sagte Pampa Kampana, »und ich werde ihre Wiedergeburt sein. Die zweite, genau genommen.«
»Mich nennt Zerelda«, sagte Zerelda Li, »und Ihr dürft in mir die Wiedergeburt dieser großen Frau sehen.«
Die Goldmünzen, die Krishna Raya mit seiner Wette auf die beiden Frauen gewonnen hatte, wurden ausgegeben, um Essen an die Armen zu verteilen. So machten sich der König und die beiden siegreichen Frauen beliebt; man schätzte sie als tugendhafte Wohltäter des Volkes. »Für Bisnaga beginnt eine neue Zeit«, sagten sich die Leute, und sie sollten recht behalten.
Als die Armee an diesem Abend auf ihrem Weg in den Norden und nach Diwani, wo man sich dem Heer von Bijapur und Bidar stellen wollte, das Lager aufschlug, teilten sich Pampa Kampana und Zerelda Li ein Zelt und fanden nach der unaufhörlichen Hektik seit ihrer ersten Begegnung endlich ein wenig Zeit, sich besser kennenzulernen.
»Erzähl mir deine Geschichte«, sagte Pampa Kampana, und die junge Frau, von Natur aus eher schweigsam und in sich gekehrt, geprägt von ihrem merkwürdigen Leben, öffnete sich dieser Erscheinung einer jugendlich aussehenden Vorfahrin, die sowohl Verkörperung wie Ursprung jener Merkwürdigkeit war. »Ich wurde auf einem Schiff geboren«, erzählte sie, »und niemand schlägt auf See Wurzeln. So war es für uns schon immer, schon seit dem Tag, an dem Zerelda Sangama und Großmeister Li zu General Cheng Ho kamen. Wir waren Frauen auf Schiffen, suchten unseren Weg hierhin, dorthin, überallhin, und fanden Männer, heirateten aber nie – getreu dem Vorbild von Zerelda Sangama und Großmeister Li, die auch nie geheiratet haben, einander ihr Leben lang aber treu blieben –, gebaren Töchter und machten weiter, Töchter, die alle Zerelda Sangamas Vornamen trugen – Zerelda nach Zerelda nach Zerelda, was erst mit mir, der sechsten Zerelda, ein Ende fand! –, und über all die Generationen hinweg behielten wir auch den Nachnamen des Großmeisters bei, hießen also alle Zerelda Li, die erste, die zweite, die dritte und so weiter. Was mich betrifft, so hatte ich meine Mutter und das wars. Meinen Vater haben wir in irgendeinem Hafen verloren. An Bord gab es keine weiteren Kinder, weshalb man mich von Anfang an wie eine Erwachsene behandelte und auch erwartete, dass ich mich wie eine benahm. Ich war ein stilles Kind, aufmerksam, und ich glaube, die Männer an Bord – tätowierte, goldzahnbestückte, holzbeinige, augenklappige Piratenkerle, vor denen jedes normale Mädchen gewiss Angst gehabt hätte –, diese Männer fürchteten sich ein wenig vor mir, und sie fürchteten sich erst recht vor meiner Mutter, also wahrten sie Abstand.
Das Schiff war mein Zuhause, es war mein Viertel, die Straße, in der ich aufwuchs, doch wartete in jedem Hafen eine neue Welt auf mich, und für eine Zeit lang wurde auch diese neue Welt Teil meiner eigenen Welt. Java, Brunei, Siam, die fernen Länder Arabiens, das Horn von Afrika, die Swahiliküste. Als wir aus Malindi eine Giraffe zum Kaiser von China brachten, sagte er, sie sei Beweis für sein Himmelsmandat und segne und autorisiere seine Herrschaft. Wir brachten auch Strauße, doch hielt man die nicht für göttlich, sie sahen einfach zu blöd aus. So war mein Leben, überall und nirgendwo, und ich stellte fest, dass ich die Gabe besaß, die Gestalt der Dinge in meinem Kopf zu behalten. Ich wurde zur Landkarte der Welt.
Ich lernte, dass die Welt in ihrer Schönheit unendlich ist, aber auch erbarmungslos, sorglos, unerbittlich, gierig und grausam. Ich lernte, dass es meist an Liebe fehlt und dass sich die Liebe, wenn sie sich denn zeigt, gern launenhaft gibt, flüchtig und letztlich unbefriedigend. Ich lernte, dass die Gemeinschaften der Menschen auf Unterdrückung der vielen durch die wenigen basieren, und ich verstand nicht, verstehe es bis heute nicht, warum die vielen sich mit dieser Unterdrückung abfinden. Vielleicht weil sie fürchten, dass eine größere Unterdrückung als jene folgen könnte, die sie gewohnt sind. Ich sagte mir, dass ich Menschen nicht besonders mag, dass ich jedoch Berge liebe, Musik, Wald und Tanz, wilde Flüsse, Gesang und natürlich das Meer. Das Meer ist meine Heimat. Schließlich lernte ich aber auch, dass das Meer einem ohne jedes Bedauern die Heimat nimmt. Irgendwo an der Ostküste Afrikas gelangte das Gelbfieber an Bord. Ich blieb verschont, aber viele starben, darunter auch meine Mutter. Und mir blieb nur, was sie mich gelehrt hatte, die hohe Kunst des Kämpfens und ihre letzten Worte, die letzten Worte aller Zereldas: ›Finde Pampa Kampana.‹ Und so kam ich hierher, und jetzt weißt du alles.«
»Deine Karte der Welt«, sagte Pampa Kampana, »hast du eine echte Karte in deinem Kopf? Kannst du sehen, wie die Welt zusammenhängt? Wie das Hier mit dem Da verbunden ist, wie es davon beeinflusst und verändert wird? Siehst du die Form der Dinge?«
»Ja«, erwiderte Zerelda Li. »Die sehe ich sehr deutlich.«
»Dann will ich dir sagen, wer ich bin«, sagte Pampa Kampana. »Ich bin eine Karte der Zeit. Fast zwei Jahrhunderte trage ich in meinem Kopf mit mir herum und werde noch ein weiteres halbes Jahrhundert hinzufügen, ehe es mit mir zu Ende geht. Und so wie du sehen kannst, wie das Hier mit dem Da verbunden ist, so nehme ich wahr, wie das Damals mit dem Heute zusammenhängt.«
»Dann lass uns unsere Karten zeichnen«, schlug Zerelda Li vor und klatschte in die Hände. »Ich übertrag meine auf Papier, wenn du bereit bist, mit deiner ebenso zu verfahren. Ich werde den König um einen Kartenraum bitten und jeden Quadratzentimeter der Wand und sogar der Decke mit Bildern der großen Welt jenseits des Meeres füllen; und du musst um ein leeres Buch bitten, das du mit deiner Geschichte und deinen Träumen füllst und, wenn du schon mal dabei bist, vielleicht auch mit der Zukunft.«
In jenem spartanischen Militärlager auf dem Weg in den Krieg wurde Pampa Kampanas Meisterwerk geboren. Sie begann ernstlich, das Jayaparajaya zu schreiben, obwohl dies bedeutete, sich aufs Neue den entsetzlichen Flammen zu stellen, die ihre Mutter verzehrten; und Zerelda Li begann, jene Karten zu zeichnen, die fünfundfünfzig Jahre lang als die vollkommensten Meisterwerke der Kunst der Kartografie galten. Der Kartenraum hat die Zerstörung Bisnagas jedoch nicht überdauert, und so blieb von Zerelda Lis Genie nicht mal ein Fitzelchen, das wir heute noch bestaunen könnten.
Die Schlacht bei Diwani dauerte nicht lang, man sollte sie besser wohl ein bloßes Debakel nennen, denn die Armeen von Bijapur und Bidar nahmen Reißaus, die besiegten Sultane warfen sich Krishna Raya bäuchlings zu Füßen und erwarteten, vom Kriegselefanten Masti Madahasti niedergetrampelt zu werden, auf dem im goldenen howdah der König saß und mit dem breiten gelbzahnigen Grinsen des Siegers auf sie herabschaute. Krishna aber hielt den Elefanten zurück. »Er hat empfindliche Füße«, informierte er die lang hingestreckten Sultane, »die ich möglichst nicht gefährden will. Also schlage ich vor, Ihr bleibt am Leben und kehrt auf Eure kleinen Throne zurück, doch werden Eure beiden Sultanate von nun an dem Reich Bisnaga untertan sein. Ihr akzeptiert meine Vorherrschaft und zahlt mir Tribut. Ich hoffe, Ihr nehmt mein großzügiges Angebot an, denn wenn nicht, wird Masti Mahahasti hier wohl dennoch seine empfindlichen Füße einem gewissen Risiko aussetzen müssen.«
»Da ist nur noch eine Sache«, sprach der Sultan von Bijapur aus seiner horizontalen Lage. »Wir sind nicht bereit, uns zu Eurer Religion mit ihren tausendundein Göttern zu bekehren. Falls Ihr darauf besteht, lasst den Elefanten das Schlimmste tun. Ist doch so, mein Freund Bidar, nicht wahr?«
Der Sultan von Bidar dachte einen Moment nach und sagte dann: »Ja, glaub schon.«
Krishna Raya stieß ein lautes, doch eher freudloses Lachen aus: »Warum denn sollte ich darauf bestehen?«, fragte er. »Zum einen sind solche Bekehrungen nie ernst gemeint. Wir wissen aus unserer Geschichte, dass Hukka und Bukka Sangama, die Gründer von Bisnaga, vom Sultan von Delhi gezwungen wurden, dessen Religion anzunehmen, weshalb sie sich eine Zeit lang genötigt sahen, so zu tun, als hätten sie sich mit diesem so langweilig alleinigen Gott abgefunden bei der ersten sich bietenden Gelegenheit aber flohen sie und gaben diesen Unsinn gleich wieder auf. Zum anderen: Würdet Ihr tatsächlich konvertieren, würdet Ihr die Unterstützung Eures eigenen Volkes verlieren und folglich nicht in der Lage sein, es davon zu überzeugen, dass es gut daran täte, dem Reich Bisnaga treu zu sein. Was aber hättet Ihr dann noch für einen Nutzen für mich? Und drittens: Falls Euer Volk Eurem Beispiel folgte und en masse konvertierte, wer besucht dann noch all die schönen Moscheen, die Ihr in Euren Sultanaten errichtet habt? Also, behaltet Euren Glauben, mein Elefant hat nichts dagegen. Solltet Ihr dem Reich ansonsten aber auch nur andeutungsweise die Treue verweigern, wird Masti Madahasti seine empfindlichen Füße wohl doch gefährden und Euch zu Tode trampeln müssen.«
In jener Zeit der Enthauptungen, der strohgefüllten Köpfe, Attentate und tödlichen Elefantentritte verbreitete sich die Kunde von Krishna Rayas Gnadenakt in Windeseile und kam ihm sehr zugute. So also begann die Legende vom neuen Gottkönig, göttlich wie der Gott selbst, nach dem er benannt worden war, eine Legende, an die Krishna Raya leider nur allzu bald selbst zu glauben begann. An jenem Tag bemerkte Pampa Kampana jedoch ein unmittelbareres Motiv für seine großherzige Tat. Während Krishna Raya die besiegten Sultane begnadigte, wanderte sein Blick von den sich vor ihm erniedrigenden Leibern zu Zerelda Li und Pampa Kampana und huschte zwischen ihnen hin und her. Die Frauen saßen auf ihren Pferden rechts vom Elefanten, Ulupi die Jüngere und Thimma der Gewaltige zu seiner Linken, doch kein einziges Mal schaute der König zu Letzteren hinüber. Zerelda Li sah stur geradeaus und ließ nicht erkennen, ob sie das Interesse des Königs bemerkt hatte, Pampa Kampana aber erwiderte seinen Blick, bis das Grinsen des Königs noch breiter wurde, noch gelber und Krishna Raya tatsächlich errötete.
Pampa Kampana schlug in die Hände und applaudierte ihm für seine weise Tat. Der König dankte ihr mit einer Verbeugung für diese Geste, denn an der Billigung seiner beiden apsaras war ihm sehr gelegen. Etwas hatte begonnen, das ließ sich nicht länger leugnen.
Es war Saluva Timmarasu, der Mahamantri , also Großminister, der den jungen Krishna Raya lehrte, wie wichtig die Zahl Sieben war. Es gibt, hatte er gesagt, sieben Arten, mit einem Gegner umzugehen: Man konnte versuchen, vernünftig mit ihm zu verhandeln, ihn bestechen oder für Ärger und Aufruhr in seinem Reich sorgen; man konnte ihn in Friedenszeiten belügen und ihn auf dem Schlachtfeld täuschen; man konnte ihn angreifen, was natürlich die bevorzugte Art war, und als Letztes, jedoch nicht gerade empfehlenswert, konnte man ihm auch vergeben. Als Krishna Raya bei Diwani den beiden Sultanen vergab, wurde das von fast allen Seiten gutgeheißen und als menschliche Tat gelobt. Timmarasu aber grüßte den König bei seiner Rückkehr in den Palast mit den Worten: »Ich hoffe, Ihr habt ihnen nicht wirklich vergeben, denn das wäre ein Zeichen von Schwäche, falls die Vergebung allerdings nur vorgetäuscht war, dann war es ein guter Zug.«
»Ich habe sie erst angegriffen und besiegt«, sagte Krishna Raya, »dann gab ich mir den Anschein von Vergebung und bestach sie mit der Hoffnung auf ein Weiterleben, handelte also vernünftig. Wir werden Spione nach Bijapur und Bidar entsenden, um für Ärger und Aufruhr zu sorgen, sodass sie daheim mit Zwistigkeiten beschäftigt sind und keine Zeit haben, etwas gegen uns zu unternehmen, sollten sie uns aber vorwerfen, etwas damit zu tun zu haben, werden wir das abstreiten. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr das ein Täuschungsmanöver nennen. Ich selbst aber ziehe die Deutung vor, laut der ich alle sieben Techniken gleichzeitig angewandt habe.«
Timmarasu war beeindruckt. »Wie ich sehe, hat der Schüler den Lehrer übertroffen«, sagte er.
»Ihr habt mein Leben mehr als einmal gerettet«, sagte Krishna Raya, »folglich werdet Ihr immer meine rechte Hand sein, und ich will von Euch lernen, was immer Ihr mir beibringen könnt.«
»Wenn das so ist, seid daheim willkommen«, sagte Timmarasu. »Und ich muss Euch gleich über die sieben Laster der Könige in Kenntnis setzen.«
Krishna Raya lehnte sich auf dem Löwenthron zurück. »Zwei davon treffen auf mich nicht zu, so viel kann ich jetzt schon sagen«, sagte er. »Ich trinke nicht, und ich spiele nicht, also erspart mir die Geschichte aus dem Mahabharata , wie Yudhisthira Königreich und Frau beim Würfeln verlor. Die Geschichte kennt nun wirklich jeder. Und erspart mir auch die Allegorie vom Gott des Todes und dem vergifteten Wasser des Sees.«
»Ihr habt bereits bewiesen, dass Ihr für Brutalität im Krieg nicht anfällig seid«, sagte Timmarasu, »das Laster der Arroganz aber deutet sich in Euch bereits an. Daran müssen wir arbeiten.«
»Jetzt nicht«, sagte der König mit abweisender Geste. »Bleiben noch drei.«
»Die Jagd«, sagte Timmarasu.
»Ich hasse die Jagd«, sagte Krishna Raya. »Ein barbarischer Brauch. Dichtkunst und Musik sind mir lieber.«
»Geldverschwendung«, sagte Timmarasu.
»Für Geld seid Ihr zuständig«, erwiderte der König lachend, auch wenn unklar war, worin der Witz lag. »Die Schatzkammer untersteht Euch ebenso wie das Steuerwesen. Solltet Ihr aber raffgierig werden oder Geld verschleudern, lasse ich Euch den Kopf abschlagen.«
»Durchaus angemessen«, sagte Timmarasu.
»Und das letzte Laster?«, fragte Krishna Raya.
»Frauen«, antwortete sein Minister.
»Falls Ihr mir sagen wollt, dass ich nur sieben Frauen haben darf«, erwiderte Krishna Raya, »lasst es sein. Für so manches Thema ist die Zahl Sieben schlicht ungeeignet.«
»Verstehe«, sagte Timmarasu. »Allerdings komme ich zu einem späteren Zeitpunkt hierauf vielleicht noch zurück. Vorerst aber muss ich Euch gratulieren. Fünf von sieben, das ist nicht schlecht. Ihr werdet ein guter König sein.«
Dann trat er nahe an den König heran und schlug ihm fest ins Gesicht. Ehe Krishna Raya aber Schock und Wut zum Ausdruck bringen konnte, sagte Timmarasu: »Das soll Euch daran erinnern, dass das gemeine Volk Tag für Tag Schmerzen zu erleiden hat.«
»Genug Erziehung für heute«, erwiderte der König und rieb sich das Gesicht. »Ihr könnt von Glück reden, dass ich gerade erst erklärt habe, mich von Euch unterrichten lassen zu wollen.«