Am Anfang war nichts als Schmerz, die Art Schmerz, die einen den Tod als eine gesegnete Erlösung herbeisehnen lässt. Irgendwann aber ließ dieser extreme Schmerz nach, und lange Zeit danach war nur nichts. Sie kauerte im Dunkeln, aß ein wenig, wenn man ihr zu essen brachte, und trank ein wenig aus dem Messingkrug mit Wasser, den man in eine Ecke gestellt hatte, am Rand ein eingehängter Henkeltopf aus Metall. Sie schlief ein wenig, auch wenn ihr das unnötig schien; die Blindheit hatte die Grenze zwischen Wachen und Schlaf verwischt, beides fühlte sich gleich an; und sie hatte keine Träume. Die waren ebenfalls von der Blindheit gelöscht worden, und bald wusste sie auch nicht mehr, welcher Tag war. Manchmal hörte sie Timmarasus Stimme und begriff, dass man ihn zu ihr auf Besuch gebracht hatte, aber ihre Blindheiten hatten einander nichts zu sagen; er klang schwach und krank, und sie verstand, die Blendung hatte einen Großteil seines restlichen Lebens aus ihm herausgebrannt. Bald hörten diese Besuche auf. Es gab auch Besuche von Madhava Acharya, aber sie hatte ihm nichts zu sagen, womit er etwas anfangen konnte, und so saß er nur eine Weile still bei ihr, ob Minuten oder Stunden, das wusste sie nicht, ihr war es gleich. Sonstige Besucher gab es nicht, aber das kümmerte sie kaum. Ihr Gefühl sagte ihr, dass ihr Leben zu Ende war, nur schien sie dazu verflucht, nach seinem Ende noch weiterleben zu müssen. Sie war von ihrer eigenen Geschichte getrennt, kam sich nicht länger wie Pampa Kampana vor, die Vollbringerin von Wundern, vor langer Zeit von der Göttin gesegnet. Die Göttin hatte sie ihrem Schicksal überlassen. Ihr war, als lebte sie in einer lichtlosen Höhle, und obwohl nachts jemand hereinkam und den Ofen anzündete, damit ihr warm war, blieben die Flammen unsichtbar und warfen keinen Schatten an die Wand. Nichts war alles, was es gab, und sie selbst war auch nichts.
Man hatte versucht, es ihr bequem zu machen, aber Bequemlichkeiten waren für sie unwichtig. Sie wusste, es gab einen Stuhl und ein Bett, beides benutzte sie aber nicht; sie hockte weiter in einer Ecke, die ausgestreckten Arme auf den Knien, den Hintern an die Wand gedrückt. In derselben Stellung wachte sie auf und schlief wieder ein. Das Waschen fiel ihr nicht leicht, auch nicht, ihre körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen oder sich auch nur damit einverstanden zu erklären, dass sie gewaschen wurde, obwohl sie wusste, dass man sich von Zeit zu Zeit um sie kümmerte, dass man sie säuberte, ihr frische Sachen anzog, ihr Haar kämmte und ölte. Bis auf diese Ausnahmen blieb sie in ihrer Ecke, starb nicht, war nicht tot, wartete aufs Ende.
Es gab eine unliebsame Störung. Aufruhr an der Tür und eine Stimme, die sagte: »Der König. Der König ist hier.« Und dann war er da, eine spezifische, laute, wortreiche Abwesenheit in der allumfassenden, unspezifischen, stillen Abwesenheit, und sie spürte seine Berührung und verstand, dass er ihre Füße küsste und um Vergebung bat. Er lag vor ihr, lang ausgestreckt und brabbelte wie ein ungezogenes Kind. Der Klang war widerlich. Sie musste dafür sorgen, dass das aufhörte.
»Ja, ja«, sagte sie. Es waren die ersten Worte seit ihrer Blendung. »Ich weiß. Ihr wart wütend, habt die Beherrschung verloren, konntet nicht klar denken und wart nicht Ihr selbst. Ihr wollt Vergebung? Ich vergebe Euch. Jetzt geht und bittet zu Füßen des alten Saluva um Vergebung, denn er war wie ein Vater zu Euch. Für ihn war dies der Todesstoß, und er muss Eure dumme Entschuldigung hören, ehe er stirbt. Was mich betrifft? Ich werde leben.«
Er flehte sie an, in den Palast zurückzukehren und in aller Pracht wie die Königin zu leben, die sie war, sich bedienen und von den besten Ärzten versorgen zu lassen und auf dem neuen, eigens für sie geschaffenen Thron Platz zu nehmen. Sie schüttelte den Kopf. »Das hier ist jetzt mein Palast«, sagte sie. »In Eurem gibt es zu viele Königinnen.«
Tirumala Devi und ihre Mutter Nagala Devi seien in ihre Gemächer eingesperrt, sagte er. Was sie getan hatten, war unverzeihbar. Er würde sie nie wiedersehen.
»Ich auch nicht«, sagte Pampa Kampana. »Doch mir scheint, es fällt Euch schwerer, Vergebung zu gewähren als zu empfangen.«
»Was soll ich tun?«, flehte Krishnadevaraya sie an.
»Ihr könnt gehen«, antwortete sie. »Euch werde ich auch nicht wiedersehen.«
Sie hörte, wie er ging. Und sie hörte ihn an Timmarasus Tür klopfen. Dann brüllte der alte Mann vor Zorn. Mit letzter Kraft verfluchte der so brutal zugerichtete oberste Minister den König und sagte, seine Schandtat würde seinen Namen für alle Zeit besudeln. »Nein«, brüllte Saluva Timmarasu. »Ich vergebe Euch nicht und würde es auch nicht tun, wenn ich noch Abertausend Jahre lebte.«
In jener Nacht starb er, und die zeitlose Stille kehrte zurück und senkte sich über sie.
Die ersten Träume, die kamen, waren Albträume. In ihnen sah sie wieder das schuldbewusste Gesicht des Schmieds, der die Eisenstange in die Esse senkte und sie mit glühender Spitze wieder herauszog. Sie spürte im Rücken Ulupi die Jüngere die ihre Arme hielt, und über ihr ragte Thimma der Gewaltige auf und hielt ihren Kopf. Sie sah die Stange näher kommen, spürte die Hitze; dann wachte sie auf, zitterte, und aus jeder Pore ihres Körpers schwitzte sie ihr verlorenes Augenlicht. Im Traum sah sie auch Timmarasus Blendung, obwohl sie wusste, dass er nicht mehr lebte und nichts mehr zu fürchten brauchte, weder das Stirnrunzeln der Mächtigen noch die teuflische Tat des Tyrannen. Er war zuerst verunstaltet worden, weshalb sie zuschauen und mit ansehen musste, was ihr bevorstand. Es war, als wäre sie zweimal geblendet worden.
Aber auch andere Bilder kamen zurück, die Dunkelheit war nicht länger absolut. Sie träumte ihr ganzes Leben, und während sie es träumte, wusste sie nicht, ob sie wachte oder schlief. Sie träumte alles, von dem Feuer, das ihr die Mutter nahm, bis zu dem Feuer, das ihr die Augen verbrannte. Und da die Geschichte ihres Lebens auch die Geschichte von Bisnaga selbst war, fiel ihr wieder ein, dass ihre Ururururenkelin Zerelda Li sie geheißen hatte, alles niederzuschreiben. Also wandte sie sich an denjenigen, der über sie wachte und sagte: »Papier. Und eine Feder. Und auch etwas Tinte.«
Madhava Acharya kam und setzte sich wieder zu ihr: »Ich möchte Euch sagen«, begann er, »durch Euer Beispiel lehrt Ihr mich Güte und zeigt mir, dass sie für alle Menschen gilt, nicht allein für die wahren Gläubigen, sondern auch für die Ungläubigen und Nichtgläubigen, nicht bloß für die Tugendhaften, sondern auch für jene, die keine Tugend kennen. Ihr sagtet einmal, ich sei nicht Euer Feind, und ich habe es damals nicht verstanden, aber ich verstehe es heute. Ich war beim König, und ich habe ihm gesagt, dass er durch seine Missetat die eigene Tugend geschändet hat, dass ich aber dennoch weiterhin für ihn wie für unser ganzes Volk Sorge trage. Ich sprach mit ihm über sein Gedicht Die Geberin des getragenen Blumenkranzes , in dem er uns von jener tamilischen Mystikerin erzählt, die wir unter dem Namen Andal kennen; und ich sagte ihm: ›Ihr habt es zwar nicht gewusst, aber die ganze Zeit, in der Ihr über Andal schriebt, habt Ihr in Wahrheit über Eure Königin Pampa Kampana geschrieben, Andals Schönheit ist Pampa Kampanas Schönheit, und all die Weisheit ist Pampa Kampanas Weisheit. Als Andal ihren Blumenkranz trug und im Teich ihr Spiegelbild erblickte, sah sie Pampa Kampanas Gesicht. Ihr aber habt ebendas verunstaltet, was Ihr verherrlichen wolltet, Ihr habt Euch selbst der Wahrheit beraubt, die Euer Gedicht feiert, und habt damit ebenso eine Untat an Euch selbst wie an Pampa Kampana begangen.‹ Das sagte ich ihm ins Gesicht, und ich sah, wie er wütend wurde, doch schützt mich meine Stellung als Leiter der Mandana. Noch jedenfalls.«
»Danke«, erwiderte sie. Worte zu sprechen, fiel ihr schwer, vielleicht fiele es ihr leichter, sie aufzuschreiben.
»Er hat mir gestattet, in Eure Gemächer zu gehen und Euch einige Kleider zu bringen«, fuhr Madhava Acharya fort. »Ich habe dies selbst getan. Ich habe Euch auch all Eure Papiere gebracht, Eure Schriften; sie sind in dieser Tasche, die ich vor Euch abstelle; und was immer Ihr an Papier, Feder oder Tinte benötigt, lasse ich Euch bringen. Ich kann Euch auch unseren besten Schreiber schicken, der Euch die Hand führt, bis sie sich wieder von allein zu bewegen weiß, denn von jetzt an wird es Eure Hand sein, die sehen muss, was Eure Augen nicht mehr sehen können. Sie wird es lernen.«
»Danke«, sagte sie.
Und ihre Hand lernte rasch, nahm leichthin die vertraute Beziehung von Papier und Tintenfass wieder auf, und ihre Pfleger staunten, wie fein und akkurat ihre Schrift war, wie schnurgerade die Wortzeilen übers Blatt marschierten. Pampa Kampana spürte, wie sie durchs Schreiben ihre Selbstsicherheit zurückgewann. Sie schrieb langsam, viel langsamer als früher, aber sie schrieb ordentlich und klar. Sie hätte sich nicht glücklich nennen können – Glück, das spürte sie, war für immer aus ihrer Nähe gerückt –, aber wenn sie schrieb, kam sie dem Ort, an dem dieses Glück jetzt weilte, näher als zu irgendeiner anderen Zeit.
Dann begann das Flüstern. Anfangs war ihr nicht klar, was geschah; sie dachte, irgendwelche Leute redeten auf dem Flur vor ihrem Zimmer, und sie wollte sie schon bitten, leise zu sein oder woandershin zu gehen, doch begriff sie bald, dass niemand da draußen war. Sie hörte die Stimmen von Bisnaga, die ihr Geschichten erzählten. Die Dinge liefen jetzt andersherum, so, als fingen Flüsse an, bergauf zu strömen. Als Kind hatte ein religiöser Heiliger sie aufgenommen, nur erwies sich der vermeintlich sichere Ort als unsicher, und eine Freundschaft wurde ihr zur Feindschaft vergällt; jetzt aber hatte ein heiliger Mann, der ihr Gegner gewesen war, sich in einen Freund verwandelt und gewährte Sicherheit und Pflege. Und in den frühen Tagen Bisnagas hatte sie den Menschen ihr Leben ins Ohr geflüstert, damit sie anfangen konnten, dieses Leben auch zu leben; und nun flüsterten die Nachfahren dieser Menschen für sie, flüsterten ihr Leben in ihre Ohren. Vom Verkäufer jener Petitessen, die als Gaben in die vielen Tempel der Stadt getragen wurden – Blumen, Weihrauch, Kupferschalen –, hörte sie, wie dramatisch der Verkauf angestiegen war, weil die Menschen seit den Blendungen – gefolgt vom Tode Mahamantri Timmarasus – Angst vor der Zukunft hatten und die Götter um Beistand anflehten. Aus der Straße der ausländischen Händler vernahm sie weitere Sorgen und noch mehr Zweifel: Würde Bisnaga trotz aller militärischen Erfolge nun untergehen? Sollte man daran denken, die Taschen zu packen und zu verschwinden, ehe es dafür zu spät war? Chinesische und malaiische Stimmen, persische und arabische redeten zu ihr, und sie verstand nur wenig von dem, was gesagt wurde, doch war ihr die Panik in den Stimmen nur zu vertraut. Sie hörte die Stimmen der Mägde, die ihr die Sorgen ihrer Herrinnen mitteilten, und sie hörte die Astrologen, die eine schreckliche Zukunft vorhersagten. Die weiblichen Palastwachen waren voller Trauer, und manche von ihnen dachten gar an Rebellion. Den Tempeltänzern, den devadasis der Yellamma-Tempel, war die Lust zum Tanzen vergangen. Pampa Kampana glaubte sogar, einzelne Geschichtenerzähler ausmachen zu können, hier die trauernde Ulupi die Jüngere und dort Thimma der Gewaltige. Ganz Bisnaga befand sich in einer angespannten Lage, und die Stimmen der Krise beherrschten Pampa Kampanas Gedanken. Sie hörte das unzufriedene Gemurmel der Soldaten in ihren Quartieren, das Geschwätz der jungen Mönche, den unflätigen Schmäh der Kurtisanen. Das Ansehen des erst kürzlich im Triumph aus den Kriegen heimgekehrten Königs sank so tief wie nie zuvor während seiner Regentschaft, und durch die Köpfe der Menschen schwirrten Gedanken an eine Palastrevolte. Doch wer würde es wagen, sich aufzulehnen? Und wie? Und wann? Und würde man Erfolg haben? Und wenn ja, oh, was dann? Und wenn nicht, oh, was wenn nicht? In jenen Versen, die später als die »geblendeten Verse« des Jayaparajaya bekannt werden sollten, verlieh Pampa Kampana den namenlosen, gewöhnlichen Bürgern der Stadt eine Stimme, den kleinen, sonst unsichtbaren Leuten; und viele Gelehrte versicherten, nirgendwo in ihrem riesigen Werk würde Bisnaga so lebendig wie auf diesen Seiten.
Sie selbst schrieb, das Flüstern sei ein Segen. Es brachte ihr die Welt wieder und führte sie zurück in die Welt. Gegen die Blindheit ließ sich nichts machen, die aber war jetzt mehr als nur Dunkelheit, sie war voll mit Menschen, ihren Gesichtern, ihren Hoffnungen, ihren Ängsten, ihren Leben. Die Freude hatte sie das erste Mal verlassen, als Zerelda Li starb, und dann erneut, als ihr die Augen genommen wurden, und sie begriff, dass sie dem Fluch des Verbrennens nicht entkommen war. Nun aber gebar das Flüstern der Stadt die Freude aufs Neue, mit der Geburt eines Kindes, dem Bau eines Hauses, dem Herzen einer liebenden Familie, die sie nie kennenlernen würde, mit dem Beschlagen eines Pferdes, dem reifen Obst im Garten, der üppigen Ernte. Ja, erinnerte sie sich, schreckliche Dinge geschehen, und etwas Schreckliches ist mir geschehen, aber das Leben auf der Erde war noch immer überreich, noch immer prachtvoll, noch immer gut. Sie mochte blind sein, jedoch sie konnte sehen, dass es Licht gab.
Im Palast aber verlor sich der König im Dunkeln. Rund um den Löwenthron blieb die Zeit stehen. Krishnadevaraya begann, sich höchst unwohl zu fühlen. Höflinge erzählten, sie hätten ihn gesehen, wie er durch die Flure des Palastes wanderte und dabei mit sich selbst redete; anderen Berichten zufolge war er tief in Gesprächen mit Geistern versunken. Er unterhielt sich mit seinem neuen Großminister und bat um Rat. Ihm wurde keiner gegeben. Er sprach mit seiner im Kindbett gestorbenen Drittkönigin und bat um ihre Liebe. Seine Liebe wurde nicht erwidert. Er ging mit den toten Kindern im Garten spazieren, wollte ihnen Dinge beibringen, die Schaukel für sie anstoßen, sie aufheben und in die Luft werfen, aber sie wollten nicht spielen und wollten auch nichts lernen. (Seltsamerweise hatte er für Tirumalamba, seine lebende Tochter, weniger Zeit. Die verstorbenen Kinder, die niemals mehr aufwachsen würden, schienen ihn mehr zu beschäftigen als sein erwachsenes Mädchen.)
(An dieser Stelle spricht Pampa Kampana von Tirumalamba Devi als einer Erwachsenen. Wir fühlen uns verpflichtet, dies zu kommentieren, da sorgsame, um nicht zu sagen pedantische Leser des Textes errechnen könnten, dass Tirumalamba in »Wirklichkeit« noch ein Kind gewesen sein muss. Diesen Lesern sowie allen, die das Jayaparajaya auf unseren Seiten erst kennenlernen, geben wir folgenden Rat: Klammert euch bei der Lektüre von Pampa Kampanas Geschichte nicht zu sehr an die konventionelle Auffassung einer »Wirklichkeit«, die von Kalendern und Uhren bestimmt wird. Die Autorin hat schon an anderer Stelle bewiesen – etwa in ihrem Bericht vom sechs Generationen währenden »Schlaf« im Wald von Aranyani –, dass sie durchaus bereit ist, aus Gründen der Dramaturgie die Zeit zu komprimieren. Hier nun beweist sie zudem ihre Bereitschaft, auch das Gegenteil zu tun, nämlich die Zeit zu dehnen, statt sie zu verkürzen, sich die Zeit zu unterwerfen, was es ihr erlaubt, Tirumalamba innerhalb magisch ausgedehnter Stunden heranwachsen zu lassen – außerhalb ihrer Blase stehen die Uhren still, innerhalb aber ticken sie weiter. Pampa Kampana ist die Herrin der Chronologie, nicht ihre Sklavin. Wenn ihre Verse uns sagen, dass etwas so und so gewesen ist, dann müssen wir dies hinnehmen. Alles andere wäre bloße Narretei.)
Krishnadevaraya suchte alle Tempel von Bisnaga auf, betete und bat die Götter, ihn von seiner Qual zu erlösen, aber die Götter verschlossen ihre Ohren vor dem Mann, der die Schöpferin der Stadt geblendet hatte, jener Stadt, in der die Göttin über zwei Jahrhunderte lang zu Hause gewesen war. Er schrieb Gedichte und zerriss sie wieder. Er bat die versammelten Dichterfürsten des Hofes, die Sieben verbliebenen Elefanten, deren Talente wie Säulen den Himmel trugen, neue Werke zu verfassen, deren lyrische Herrlichkeit die Schönheit Bisnagas wiederaufleben lassen sollte, aber alle bekannten, dass die Muse sie verlassen habe, weshalb sie unfähig seien, auch nur ein einziges Wort zu schreiben.
Der König ist verrückt , flüsterte es.
Vielleicht war es aber auch so, dass der König voller Reue und Scham, geplagt vom Terror der Selbsterkenntnis – dem Wissen darum, dass seine Wutgewitter letztlich seine eigene Welt zerstört und ihn um seine beiden wertvollsten Berater gebracht hatten –, dass der König also von dem Verlangen nach Wiedergutmachung wie besessen war, aber einfach nicht wusste, wie oder wo er sie erlangen konnte.
Gesundheitlich ging es mit ihm bergab. Er wurde bettlägerig. Die Ärzte des Hofes konnten aber keine Ursache finden. Er schien schlicht keinen Sinn mehr im Leben zu sehen. »Er will nur noch«, flüsterte es, »vor dem Tod ein bisschen Frieden finden.«
Irgendwann, während er dahinsiechte, fiel ihm sein in der Festung von Chandragiri eingesperrter Bruder ein. In einem Zustand, den viele am Hofe bereits für den Beginn seines Todesdeliriums hielten, rief er: »Das ist immerhin ein Unrecht, das ich wiedergutmachen kann!« Er gab den Befehl, Achyuta aus seinem Exil zu entlassen und ihn in die Stadt Bisnaga zu bringen. »Bisnaga braucht einen König«, verkündete Krishnadevaraya, »und mein Bruder wird herrschen, wenn ich einmal nicht mehr bin.« Nur wenige Menschen am Hofe hatten Achyuta je kennengelernt, doch waren die Gerüchte über seinen üblen Charakter, seine Grausamkeit und seinen Hang zur Gewalttätigkeit allgemein bekannt. Niemand wagte jedoch, gegen den Bescheid des Königs das Wort zu erheben, bis Aliya, der Mann der Prinzessin Tirumalamba, es schließlich wagte, Einspruch einzulegen.
Aliya suchte Krishnadevaraya auf und trat an sein Bett, sein Totenbett, wie viele glaubten. »Entschuldigt, Euer Majestät, aber Achyuta, Euer Bruder, gilt allgemein als ungehobelter Grobian«, begann er unverblümt. »Warum lasst Ihr ihn holen, wenn es doch mich gibt? Als Ehemann des einzigen Euch verbliebenen Kindes, allgemein als ernsthafte und verantwortungsbewusste Person bekannt, wäre die Entscheidung für mich als Euer Nachfolger doch bestimmt die bessere, minder riskante Wahl, meint Ihr nicht?«
Der König schüttelte den Kopf. Es war, als hätte er Mühe, sich zu erinnern, wer Tirumalamba war und wer dieser ältere Herr, ihr Gatte, sein mochte.
»Ich muss Frieden mit meinem Bruder schließen«, erwiderte der König und wischte den Vorschlag mit matter Hand beiseite. »Auch wenn Chandragiri gar kein so übler Ort ist«, setzte er beinahe mitleidig hinzu. Das Raj Mahal dort ist ziemlich komfortabel. Wie auch immer, ich muss Achyuta freilassen. Und was Euch angeht, kümmert Euch einfach anständig um diese Tochter von mir, und wenn Euer Onkel dann König ist, wird er Euch gewiss mit all dem Respekt behandeln, den Ihr verdient.«
Aliya ging zur Königin Tirumala Devi und deren Mutter Nagala Devi. »Als Erste Königin«, sagte er, »müsst Ihr sofort einschreiten. War die Krone nicht der Grund, warum Ihr wolltet, dass Tirumalamba einen Mann von Format heiratet, eine ältere, Respekt gebietende Person und nicht irgend so einen Grünschnabel? Habt Ihr nicht ebendeshalb versucht, Eure Familie auf den Thron von Bisnaga zu bringen? Nun denn, jetzt ist die Stunde gekommen, in der Ihr Euren Zug machen müsst.«
Bekümmert schüttelte Tirumala Devi den Kopf. »Meine Tochter hasst mich«, sagte sie, »Und sie hat sich auch von ihrer Großmutter abgewandt. Sie denkt, als sie krank war, wäre es uns egal gewesen, ob sie überlebte oder starb, da unsere ganze Aufmerksamkeit allein unserem Sohn gegolten habe. Mittlerweile hat sie den Blick von uns beiden abgewandt. Es würde uns also nichts nützen, ihr und Euch auf den Löwenthron zu helfen.«
»Stimmt das?«, fragte Aliya. »Das mit der Aufmerksamkeit?«
»Was für eine Frage«, erwiderte Nagala Devi. »Natürlich ist das Unsinn. Sie war schon immer ein bockiges Kind.«
Aliya kehrte zum schwächer werdenden König zurück. »Was Mahamantri Timmarasu und Pampa Kampana angeht, habt Ihr einen großen Fehler begangen«, sagte er. »Begeht nicht noch einen ähnlich kolossalen Fehler, ehe Ihr von uns geht.«
»Schickt nach meinem Bruder«, befahl Krishnadevaraya. »Er wird Euer König werden.« Es war die letzte Entscheidung seines Lebens. Wenige Tage später war er tot. Der einst große Krishnadevaraya, Herr über allem Land südlich jenes Flusses, dessen Name sich in seinem eigenen fand, größter Sieger, der je die Stadt des Sieges regierte und unter dessen Herrschaft Bisnaga so wohlhabend wurde wie nie zuvor, starb in einem Zustand unausgesprochener Schande, die Ehre befleckt, die Menschen blind für seine Errungenschaften, fast, als hätte er ganz Bisnaga geblendet, als er Pampa Kampana und Minister Timmarasu die Augen ausbrennen ließ.
Das Flüstern verriet Pampa Kampana, dass sein letztes Wort ein bitterer, gegen ihn selbst gerichteter Vorwurf war.
»Remonstranz.«