Dank

Während wir dieses Buch über das Schuldenmachen und seine dunklen Seiten geschrieben haben, haben wir selbst viele Schulden gemacht und dabei die schöne Seite des Schuldenmachens erlebt. Andere Menschen haben uns viel Zeit, Aufmerksamkeit und Ideen geliehen und wir haben dabei die Freuden des Austauschs mit ihnen erfahren. Einiges von diesem Austausch liegt lange zurück und betraf rein wissenschaftliche Themen, anderes hingegen datiert aus jüngerer Zeit und betraf die Reform von Bankenregulierung und Bankenaufsicht nach der Krise von 2007 bis 2009.

Ein Buch über Banken und Bankenregulierung zu schreiben, das für »Laien« verständlich ist, war eine große Herausforderung. Wir sind vielen Freunden und Kollegen dankbar, die uns dazu ermutigt haben, diese Herausforderung anzunehmen, und die uns dabei mit Unterstützung und Rat geholfen haben.

Besonders dankbar sind wir den folgenden Personen, die die Entwürfe zumindest von Teilen des Manuskripts gelesen haben und zahlreiche nützliche Kommentare und Anregungen lieferten: Philippe Aghion, Neil Barofsky, Jon Bendor, Sanjai Bhagat, Jules van Binsbergen, Christina Büchmann, Rebel Cole, Peter Conti-Brown, Pedro DaCosta, Jesse Eisinger, Christoph Engel, Morris Goldstein, Charles Goodhart, Andrew Green, Susan Hachgenei, Dorothee Hellwig, Hans-Jürgen Hellwig, Klaus-Peter Hellwig, Marc Jarsulic, Bob Jenkins, Simon Johnson, Birger Koblitz, Arthur Korteweg, Tamara Kreps, James Kwak, Alexander Morell, Stefan Nagel, John Parsons, Dieter Piel, Joe Rizzi, Steve Ross, Ingrid Schöll, Graham Stelle, Monika Stimpson, Tim Sullivan, Matthias Thiemann, Rob Urstein, Jonathan Weil und Art Wilmarth. Auch die Gutachter des Buches für die Princeton University Press (PUP) gaben uns wertvolle Anmerkungen. Ein besonderer Dank geht an Paul Pfleiderer, der an zahlreichen Brainstorming-Sitzungen teilnahm und viele nützliche Anregungen zu verschiedenen Entwürfen beisteuerte.

Außerdem danken wir den Mitgliedern der Finanzstabilitätsgruppe, die von Anat Admati und Simon Johnson am Peterson Institute for International Economics in Washington, D.C. gegründet wurde. In einer Zusammenkunft im Juni 2012 gab diese Gruppe uns viele Anregungen für dieses Buch. Die Finanzstabilitätsgruppe wird großzügigerweise vom Institute for New Economic Thinking finanziell unterstützt.

Im Rahmen der Debatte über notwendige Reformen der Bankenregulierung, die wir in den letzten Jahren geführt haben, hatten wir zahlreiche Gespräche mit Kollegen und mit anderen Teilnehmern dieser Debatte, die unser Denken beeinflusst und dieses Buch mitgeprägt haben. Wir danken Viral Acharya, Philippe Aghion, Sheila Bair, Mary Barth, Nadine Baudot-Traijtenberg, Jane Baxter, Lawrence Baxter, Urs Bichler, Niklaus Blattner, Jürg Blum, Arnoud Boot, Claudio Borio, Michael Boskin, John Boyd, Dick Brealey, Claudia Buch, Charles Calomiris, John Cochrane, Peter DeMarzo, Thomas Gehrig, Hans Gersbach, Hendrik Hakenes, Andy Haldane, Ian Harrison, Richard Herring, Tom Hoenig, Rob Johnson, Ed Kane, Dennis Kelleher, Mervyn King, David Kreps, Sebastian Mallaby, Maureen McNichols, Hamid Mehran, Allan Meltzer, David Miles, Chuck Morris, Manfred J. M. Neumann, George Parker, Francisco Pérez-Gónzalez, Thierry Philipponnat, John Plender, Barbara Rehm, Isabel Schnabel, David Skeel, Chester Spatt, Ilya Strebulaev, Martin Summer, Elu von Thadden, Adair Turner, Jom Van Horne, Larry Wall, Beatrice Weder di Mauro, Juli Weiss, Mark Whitehouse, Martin Wolf, Daniel Zimmer und Jeff Zwiebel. Einige von ihnen mögen anderer Meinung sein als wir, aber alle haben mit ihren Einsichten zu diesem Buch beigetragen.

In diesem Buch äußern wir uns generell kritisch über Politiker und Regulierer; es gibt jedoch auch viele, auf die unsere Charakterisierung nicht zutrifft. Unser Denken wurde zum Teil von unserer Mitarbeit in Gremien der Politikberatung beeinflusst. Wir sind dankbar für die Gelegenheit, die diese Gremien uns boten, wissenschaftliches Denken auf praktische Probleme anzuwenden und die Probleme mit Politikern, hochrangigen Regierungsvertretern und Beamten, Vertretern von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, Managern und anderen Wissenschaftlern zu diskutieren.

Ein wichtiger Vorläufer dieses Buches war der Aufsatz »Fallacies, Irrelevant Facts, and Myths in the Discussion of Capital Regulation: Why Bank Equity is Not Expensive«, den wir im Sommer 2010 gemeinsam mit Peter DeMarzo und Paul Pfleiderer von der Universität von Stanford verfasst haben. Dieser Beitrag richtete sich an alle, die von Berufs wegen an der politischen Debatte über Bankenregulierung teilnahmen. Unsere Erfahrungen aus der sich anschließenden Debatte veranlassten uns zu dem Versuch, die Überlegungen dieses Papiers einer breiteren Leserschaft nahezubringen. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis dieser Überlegungen. Während der Arbeit an dem Manuskript arbeiteten wir auch weiter mit Peter DeMarzo und Paul Pfleiderer zusammen. Diese Arbeit mündete in einen Folgebeitrag, »Debt Overhang and Capital Regulation«, auf den sich dieses Buch ebenfalls stützt.

Ein Buch zu schreiben, wenn eine der Beteiligten in Kalifornien lebt und der andere in Deutschland, erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Ressourcen für Reisen und Kommunikation. Dafür danken wir der Stanford Graduate School of Business und dem Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Außerdem danken wir dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für seine Unterstützung durch den Max-Planck-Forschungspreis 2012.

Die Forschungsassistenten Siddhartha Basu, Matthew Haney, Josh Loud, Michael Ohlrogge, Lucas Puente, Estefania Molina Ungar, Zack Wang und Yizhou Xiao haben uns sehr bei den Anmerkungen und Literaturhinweisen geholfen. Außerdem danken wir unseren Assistentinnen Mandy Ferrero und Monika Stimpson für ihre unschätzbare logistische, administrative und sonstige Unterstützung.

Seth Ditchik und Peter Dougherty von PUP boten uns zahlreiche nützliche Anregungen, die das Buch verbessert haben. Dafür danken wir ihnen und allen anderen Mitarbeitern des Verlags. Außerdem danken wir Princeton Editorial Associates für ihren Ansporn, ihre Geduld und Hilfe bei den zahlreichen Überarbeitungen.

Und schließlich möchten wir vor allem unseren Familien, und hier ganz besonders unseren Ehepartnern David Kreps und Dorothee Hellwig, danken. Sie mussten viele Monate voll Stress und zahlreiche Abwesenheiten ertragen, während wir uns intensiv auf das Manuskript konzentrierten und darüber im steten Austausch standen. Wir sind ihnen überaus dankbar für ihr Verständnis und ihre Unterstützung.

Kapitel 1: Die Kaiser des Bankwesens sind nackt

Ich finde einfach, dass dieser ständige Refrain »Banken, Banken, Banken« unproduktiv und unfair ist. Die Menschen sollten aufhören, immer mit dem Finger auf die Banken zu zeigen.

Jamie Dimon, CEO von JPMorgan Chase, Davos, Schweiz, 27. Januar 2011

Die Welt hat mit zig Millionen Arbeitslosen bezahlt, die keinerlei Schuld hatten und für alles bezahlen mussten. Das hat viel Wut ausgelöst ... Wir sahen, dass große Institute, die wir für vertrauenswürdig hielten, in den letzten zehn Jahren Dinge getan haben, die nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun hatten.

Nicolas Sarkozy, Präsident der Französischen Republik, Davos, Schweiz, 27. Januar 2011

Im Bewusstsein der Wut, die die Finanzkrise von 2007 bis 2009 und der massive Einsatz von Steuergeldern für Bankenrettungen ausgelöst hatte, hielten sich die Banken im ersten Jahr nach der Krise in Deckung.1 Die oben zitierte Erwiderung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy auf Jamie Dimons Äußerung auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum von 2011 fand ein breites Echo in den Medien und der Öffentlichkeit.2 Damals fand der größte Teil der Lobbyarbeit der Banken hinter den Kulissen statt.

Seitdem meldet sich die Bankenlobby jedoch wieder offen zu Wort.3 Wie in den Jahren vor der Krise werben die Banken unermüdlich für ihre Interessen und protestieren lautstark gegen jegliche strengere Regulierung.4 ­Führende Bankmanager gerieren sich als Experten, die genau wissen und die sich genau darum kümmern, was gut für die Wirtschaft ist. Von führenden Regierungsvertretern, Regulierern und Politikern werden sie regelmäßig zurate gezogen.5 Jede Äußerung eines CEO einer Großbank wird ausführlich in der Presse besprochen. Aber bei aller Aufmerksamkeit für diese Äußerungen werden die Argumente dahinter kaum hinterfragt.

In Hans Christian Andersens berühmtem Märchen »Des Kaisers neue Kleider« bieten zwei vorgebliche Schneider dem Kaiser an, ihm prachtvolle neue Gewänder zu schneidern, die die besondere Eigenschaft haben sollen, dass sie für dumme oder inkompetente Menschen unsichtbar sind. Der Kaiser bestellt daraufhin eine komplette Ausstattung. Als er seine Minister schickt, damit sie den »Schneidern« auf die Finger schauen, können diese kein einziges Kleidungsstück entdecken. Aus Sorge, sie könnten als dumm oder inkompetent gelten, verschweigen die Minister dem Kaiser, dass sie keine Kleider gesehen haben, und preisen stattdessen die Pracht und Herrlichkeit der unsichtbaren und inexistenten Stoffe, aus denen die kaiserlichen Gewänder angeblich genäht sind.

Der Kaiser selbst kann seine neue Garderobe auch nicht sehen. Aber da auch er nicht als dumm oder inkompetent gelten will, lobt er die nicht vorhandenen Gewänder über den grünen Klee. Als er sich darin seinen Untertanen präsentiert, bewundern alle seine Kleidung, obwohl sie nichts sehen können. Erst als ein kleines Kind ausruft: »Aber er hat ja gar nichts an!«, bemerken es die Menschen und trauen sich einzugestehen, dass der Kaiser in Wirklichkeit nackt ist.

Ein wichtiger Grund für den Erfolg der Bankenlobby liegt darin, dass das Bankwesen als geheimnisvoll angesehen wird. Es gibt einen gewissen Mythos, dass Banken ganz anders sind als andere Unternehmen und dass für das Bankgeschäft ganz andere Regeln gelten als für andere wirtschaftliche Tätigkeiten. Jeder, der diesen Mythos und die Behauptungen, die sich darauf gründen, infrage stellt, setzt sich dem Risiko aus, als inkompetent abgestempelt und aus der politischen Diskussion ausgeschlossen zu werden.6

Jedoch haben viele Behauptungen führender Bankmanager und Bankexperten ebenso viel Substanz wie die neuen Kleider des Kaisers in Andersens Märchen. Diese Behauptungen werden aber zumeist gar nicht hinterfragt und können daher die Politik beeinflussen; zu einschüchternd wirkt die Fassade der Kompetenz und des Selbstvertrauens dieser Experten. Selbst Menschen, die es besser wissen, machen den Mund nicht auf. Der Kaiser mag nackt sein, aber er paradiert weiterhin, ohne dass die Dinge beim Namen genannt würden.7

Unsere Absicht ist es, das Bankwesen zu entmystifizieren und zu erklären, worum es geht, sodass mehr Menschen an der Debatte teilnehmen können. Wir wollen mehr Menschen anspornen, sich eine eigene Meinung zu bilden und ihr zu vertrauen, Fragen zu stellen, Zweifel zu äußern und die fehlerhaften Argumente zu hinterfragen, die die politische Debatte beherrschen. Wenn wir wollen, dass das Finanzsystem gesünder wird, müssen mehr Menschen die Probleme verstehen und Einfluss auf die Politik nehmen.

Viele Menschen haben den Eindruck, irgendetwas laufe falsch bei den Banken, und sie haben Fragen: Warum haben Banken in der Finanzkrise so große Probleme gehabt? Warum wurden Banken und andere Finanzinstitute vom Staat gerettet? Waren diese Rettungsaktionen wirklich notwendig? Werden diese Institute wieder gerettet werden, wenn sie erneut in eine Schieflage geraten? Werden neue Regulierungen nützlich oder schädlich sein? Sind sie zu streng oder nicht streng genug?

Führende Banker haben auf diese Fragen einfache Antworten. Sie mögen zwar zugeben, dass Fehler gemacht wurden,8 aber sie erklären die Krise in erster Linie als Folge einer außergewöhnlich unglücklichen Verkettung von Umständen, als einen Unfall, der sich höchstwahrscheinlich nicht wiederholen wird.9 Sie behaupten, es würde die Wirtschaft teuer zu stehen kommen, wenn man die Regulierung so verschärfe, dass ein solches Ereignis, das sonst vielleicht einmal in hundert Jahren geschehe, zu verhindern sei. Eine strengere Regulierung, so ihre Warnung, würde die Banken daran hindern, der Wirtschaft zu dienen, und könnte gefährliche »unbeabsichtigte Nebenwirkungen« haben.10

Der englische Altphilologe Francis Cornford schrieb im Jahr 1908: »Es gibt nur ein Argument dafür, dass etwas unternommen wird. Alle anderen sind Argumente dafür, dass nichts unternommen wird. Das Argument dafür, dass etwas unternommen wird, ist, dass es das Richtige ist. Dann kommt natürlich die Schwierigkeit, sich zu vergewissern, dass es wirklich das Richtige ist.«11 Er erklärt weiterhin, wie »Schreckgespenster« an die Wand gemalt werden, um Zweifel oder Angst zu schüren, die verhindern sollen, dass etwas unternommen wird. Heute würde Cornford über das Schreckgespenst der »unbeabsichtigten Nebenwirkungen« sprechen.

So scheinen sich die Politiker von der Bankenlobby vereinnahmen zu lassen. Trotz aller Entrüstung über die Krise haben sie wenig unternommen, um die Probleme zu lösen. Nach der scharfen Kritik, die der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy an den Banken übte, könnte man vermuten, dass Frankreich bei der Bankenregulierung besonders strikt ist. Diese Vermutung ist jedoch falsch. In den internationalen Gremien, die versuchen, die Vorschriften der Bankenregulierung länderübergreifend zu koordinieren, war Frankreich einer der härtesten Gegner einer Verschärfung der Bankenregulierung.12 In den USA werden Regulierungen als Folge der Lobbyarbeit oft verwässert. So schwächte der US-Kongress 2010 bei der Verabschiedung des nach seinen Initiatoren benannten Dodd-Frank-Gesetzes zur Reform der Bankenregulierung die sogenannte Volcker-Regel ab, die es Geschäftsbanken verbieten sollte, auf eigene Rechnung mit Wertpapieren zu spekulieren. Die Lobbyarbeit beeinflusst auch die Arbeit der Regulierungsbehörden bei der Umsetzung der oft sehr allgemein gehaltenen gesetzlichen Bestimmungen in konkrete Regeln für die Regulierung.13

Viele Wissenschaftler, die über Banken, die Finanzkrise und die Reform der Bankenregulierung forschen, halten es für unvermeidlich, dass die Banken und das Finanzsystem so risikoanfällig sind, wie sie sind, und dass das Scheitern einer einzigen Bank das ganze Finanzsystem in den Abgrund reißen kann. In einigen Forschungsarbeiten erscheint diese Fragilität als ein unvermeidlicher Nebeneffekt der Vorteile, die die Banken der Wirtschaft bringen.14 Diese Arbeiten basieren allerdings auf Annahmen, unter denen die Fragilität des Finanzsystems und der Banken tatsächlich unvermeidlich ist; dabei wird nicht geprüft, inwiefern die Annahmen selbst der Realität entsprechen.15

Es ist wichtig, die politische Diskussion aus dem Kreis der Spezialisten hinauszutragen. Wirksame Reformen sind dringend geboten, denn bisher ist nicht viel geschehen.16 Das Bankensystem ist immer noch viel zu krisenanfällig und gefährlich. Der Status quo dient den Banken, setzt die meisten von uns aber unnötigen und teuren Risiken aus. Außerdem führt es zu erheblichen Verzerrungen in der Wirtschaft.

Lässt sich irgendetwas unternehmen, um zu vertretbaren Kosten die Wahrscheinlichkeit von Bankzusammenbrüchen und Finanzkrisen zu senken? Mit einem Wort: Ja. Werden die Reformen, die bisher beschlossen wurden, diesen Zweck erfüllen? Nein. Können wir Regulierungen einführen, die die Stabilität und Sicherheit des Systems deutlich verbessern und gleichzeitig den Banken erlauben, alle Geschäfte zu tätigen, die die Wirtschaft von ihnen braucht? Ja. Würden wir als Gesellschaft irgendwelche erheblichen Opfer bringen müssen, um ein besseres Bankensystem zu bekommen? Nein.

Eine klare Reformempfehlung geht dahin, dass sich Banken und andere Finanzinstitute zu ihrer Finanzierung sehr viel weniger verschulden sollten als bisher. Die seit 2008 hierzu beschlossenen Reformen sind jämmerlich unzureichend; dabei werden Regulierungsansätze fortgeführt, die in der Krise versagt haben. Eine ehrgeizigere Reform würde große Vorteile bringen, und das zu relativ geringen Kosten für die Gesellschaft – entgegen den Behauptungen führender Bankmanager und anderer Banklobbyisten.

Wir sagen nicht, dass sich die Regulierungsreform auf Maßnahmen zur strengeren Begrenzung der Verschuldung der Banken beschränken sollte. Solche Maßnahmen sind aber wichtig und nützlich, egal welche Maßnahmen sonst noch ergriffen werden. Darüber hinaus können durchaus noch weitere Maßnahmen nötig sein, um die Risiken zu senken, die das Bankensystem derzeit der Wirtschaft auferlegt, insbesondere auch die großen Verzerrungen durch Institute, die »zu groß sind, als dass sie bankrott gehen dürfen« (»too big to fail«). Es gilt, durchweg bessere Anreize für die Marktteilnehmer zu schaffen und für die, die die Regulierungen entwerfen und anwenden; die Geschäftspraktiken der Banken müssen weniger im Konflikt mit dem öffentlichen Interesse stehen.

Des Bankers neue Kleider

Anhand einiger Beispiele lässt sich illustrieren, was wir mit des Bankers neue Kleider meinen. Die hohe Verschuldung der Banken wurde als ein wesentlicher Faktor für die Krise von 2007 bis 2009 identifiziert. Das geben selbst die Banken zu.17 Dennoch kämpft die Bankenlobby aggressiv gegen jegliche Verschärfung der Regulierung der Verschuldung. Dazu heißt es immer wieder, eine solche Regulierung schade dem Wirtschaftswachstum.

Als beispielsweise im Jahr 2009 Verhandlungen über neue internationale Vereinbarungen zur Bankenregulierung geführt wurden, behauptete der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, in einem Interview, durch strengere Vorschriften zur Begrenzung der Verschuldung der Banken würden die »Möglichkeiten [der Banken] eingeschränkt, die übrige Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Das kostet Wachstum und damit Wohlstand für alle.«18

Hier wird ein typisches Schreckgespenst heraufbeschworen, mit dem uns weisgemacht werden soll, wir müssten zwischen Wirtschaftswachstum und Finanzstabilität wählen, könnten aber nicht beides haben. Wer wollte wohl einer Regulierung das Wort reden, die »Wachstum und damit Wohlstand für alle« kostet? Herr Ackermann räumte zwar ein, dass »ein höheres Eigenkapital … die Stabilität der Banken erhöhen« mag, aber er beharrte darauf, dies sei nur zulasten des Wirtschaftswachstums möglich. Über die Auswirkungen von Instabilität und Turbulenzen im Finanzsystem auf das Wirtschaftswachstum schwieg er sich jedoch aus.

Der dramatischste Einbruch der Wirtschaft seit der Großen Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er-Jahre ereignete sich im letzten Quartal 2008 und war die unmittelbare Folge der weltweiten Finanzkrise, die zahlreiche Banken und andere Finanzinstitute getroffen hatte. Der außergewöhnliche Rückgang der Wirtschaftstätigkeit und die daraus entstehenden Verluste werden auf etliche Billionen Dollar geschätzt.19 Die Krise hat viele Menschen in ihrer wirtschaftlichen Existenz getroffen.20 Angesichts dieser Erfahrung klingen Warnungen, eine größere Finanzstabilität sei nur zulasten des Wachstums zu haben, ebenso hohl wie Warnungen, darunter würde die Versorgung der Wirtschaft mit Bankkrediten leiden. In den Jahren 2008 und 2009 kam es zu einer schweren Kreditklemme, weil Banken mit besonders hohen Schulden sich verletzlich fühlten und ihre Kreditvergabe drastisch einschränkten.

Warum sollte eine Begrenzung der Verschuldung von Banken überhaupt Auswirkungen auf die Kreditvergabe der Banken haben? 2010 behauptete der britische Bankenverband, die damals vorgeschlagenen schärferen Vorschriften würden erfordern, dass die britischen Banken »zusätzliche 600 Milliarden Pfund Sterling an Kapital (»capital«) erhalten, die ansonsten für Geschäfts- und Privatkredite zur Verfügung stünden«.21 Wenn man nicht weiß, worum es bei der Regulierung genau geht, mag dieses Argument plausibel erscheinen. Tatsächlich ist es jedoch unsinnig und falsch.

Der Unsinn liegt in der falschen Verwendung des englischen Worts ­capital. In der Sprache der Bankenregulierung bezieht sich dieses Wort auf die Mittel, die eine Bank von ihren Aktionären oder Eigentümern erhält. Diese müssen von den Mitteln unterschieden werden, die sich die Bank geliehen hat. Banken verwenden sowohl eigenes als auch geliehenes Geld, um Kredite zu vergeben und Wertpapiere zu kaufen. Eigenes Geld ist Geld, das eine Bank von ihren Eigentümern erhalten hat, falls es sich um eine Privatbank handelt, oder um Geld, das es von seinen Aktionären erhalten hat, falls es sich um eine Aktiengesellschaft handelt. In anderen Sektoren der Wirtschaft wird dieses Eigenkapital im Englischen als »equity« bezeichnet, im Bankwesen heißt es einfach »capital«.

Eigenkapitalregulierung setzt eine Untergrenze für den Anteil der Vermögenswerte einer Bank, der mit eigenem Geld finanziert werden muss.22 Das ist vergleichbar dem Mindestbetrag, den ein Immobilienkäufer als Eigenanteil aufbringen muss, wenn er ein Haus erwerben möchte. Die Festlegung einer Untergrenze für das Verhältnis zwischen eigenen Mitteln und den Vermögenswerten insgesamt bewirkt, dass der Anteil der Vermögenswerte, der durch Schulden, das sogenannte Fremdkapital, finanziert wird, nach oben begrenzt ist. Da die Bank auf eigene Mittel keine Zinsen zu jeweils festgelegten Terminen bezahlen muss, bedeutet ein höheres Eigenkapital, dass sie besser imstande ist, etwaige Verluste aus ihren Investitionen zu absorbieren, ohne in Schwierigkeiten zu kommen.

Aus der Äußerung des britischen Bankenverbands würde man aber nicht schließen, dass Eigenkapitalanforderungen etwas mit der Verschuldung von Banken zu tun haben. Vielmehr klingt sie so, als gehe es um eine Bargeldreserve – einen Sack voll Geld, das die Banken in Reserve halten müssen und nicht für Kredite verwenden können. Tatsächlich schreiben Eigenkapitalanforderungen den Banken nicht vor, was sie mit ihren Mitteln machen oder in welche Vermögenswerte sie investieren dürfen. Sie schreiben ihnen lediglich vor, welcher Anteil der Mittel, die sie verwenden, aus eigenen Mitteln stammen muss. Die Behauptung, neue Kapitalvorschriften würden die britischen Banken zwingen, »zusätzliche 600 Milliarden Pfund Sterling an Kapital bereitzuhalten«, ist daher unsinnig. Die Schlussfolgerung, die Kreditvergabe an Unternehmen und Privathaushalte werde durch das zusätzliche Eigenkapital automatisch reduziert, ist falsch. Eigenkapital ist kein Notgroschen für Krisenzeiten.

Die Verwirrung über die Bedeutung des Eigenkapitals von Banken lässt sich sehr oft beobachten. Zahlreiche Medienberichte sprechen davon, Banken müssten zusätzliches Kapital »beiseitelegen«, um die neuen Vorschriften zu erfüllen. Mit dem Ausdruck »Kapitalreserven« wird suggeriert, die Regulierung zwinge Banken, Bargeld vorzuhalten, das müßig in den Banktresoren herumliegt, anstatt in der Wirtschaft zu arbeiten.23 Ein amerikanischer Banken­lobbyist wird mit dem Satz zitiert: »Ein Dollar mehr an ›capital‹ ist ein Dollar weniger, der der Wirtschaft zur Verfügung steht.«24

Diese Begriffsverwirrung ist heimtückisch, weil sie die Debatte über Kosten und Nutzen der Regulierung verfälscht, indem sie Kosten und Abwägungen suggeriert, die es so gar nicht gibt. Es gibt diese Abwägungen bei Mindestreservevorschriften, die von Banken verlangen, dass sie einen bestimmten Anteil der Einlagen ihrer Kunden in Bargeld oder Guthaben bei der Zentralbank halten. Jedoch bestimmen Eigenkapitalanforderungen, wie viel eigene Mittel Banken für die Finanzierung ihrer Investitionen einsetzen müssen. Mindestreserveanforderungen und Eigenkapitalanforderungen betreffen sehr verschiedene Dinge. Ihre Beurteilung verlangt daher auch verschiedene Ansätze. Man kann aber die Verwechslung von Eigenkapital- und Mindestreservevorschriften benutzen, um zu behaupten, eine Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen zwinge die Banken, ihre Kreditvergabe einzuschränken. Dabei trifft das nicht zu.

Zumindest bei Banken, die die Form einer Aktiengesellschaft haben, wirken sich Anforderungen an das Bankenkapital nicht automatisch auf die Kreditvergabe aus. Werden die Eigenkapitalanforderungen erhöht, so gibt es nichts, was den Banken verbieten würde, zusätzliche Aktien auszugeben, um ihr Eigenkapital zu erhöhen, und jeden Kredit und jeden Wertpapierkauf zu finanzieren, die ihnen profitabel erscheinen.

Banken, die keinen Zugang zur Börse haben, können, wie Aktiengesellschaften natürlich auch, über eine gewisse Zeit ihr Eigenkapital erhöhen, indem sie ihre Gewinne einbehalten und für neue Kredite oder Wertpapierkäufe verwenden. Für welche Zwecke die Banken die zusätzlichen Mittel einsetzen und warum, sind allerdings ganz andere Fragen, die natürlich auch wichtig sind. Jedoch gibt es keine Vorschrift der Eigenkapitalregulierung, die die Banken zwingen würde, ihre Geschäfte zurückzufahren oder ihre Kreditvergabe einzuschränken. Profitable Banken können ihre Verschuldung senken, ohne die Kreditvergabe zu reduzieren.

Die Gegner höherer Eigenkapitalanforderungen für Banken behaupten oft, Eigenkapital sei teuer. Wenn Banken mehr Eigenkapital einsetzen müssten, so würden ihre Kosten steigen.25 Für Banker und Bankspezialisten ist dieses Mantra so selbstverständlich, dass sie meistens nicht einmal die Notwendigkeit erkennen, es zu begründen. Aber warum haben Banken eigentlich einen solchen Hass auf Eigenkapital und sagen, es sei teuer? Was genau ist damit gemeint und was folgt daraus für die Gesellschaft und die Politik?

Wir können diese Behauptung prüfen, indem wir Banken mit Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen vergleichen. In anderen Branchen gibt es keine Regulierung, die die Unternehmen hindern würde, so viele Kredite aufzunehmen, wie sie wollen, sofern sie einen Kreditgeber finden. Doch in keiner anderen Branche ist das Fremdkapital, das heißt die Verschuldung, so hoch wie bei den Banken. Die überwältigende Mehrheit der US-Unternehmen außerhalb des Finanzsektors finanziert weniger als 50 Prozent ihrer Anlagen mit Fremdkapital. Einige äußerst erfolgreiche Unternehmen nehmen überhaupt keine Kredite auf.26 Im Gegensatz dazu finanzieren die meisten Banken mehr als 90 Prozent ihrer Anlagen mit fremdem Geld. Bei einigen europäischen Großbanken liegt der Anteil sogar noch höher, über 97 Prozent. So hohe Fremdkapitalquoten wiesen auch einige große US-Investmentbanken sowie die Hypothekengiganten Federal National Mortgage Association (Fannie Mae) und Federal Home Loan Mortgage Corporation (Freddie Mac) vor der Krise auf, die anschließend von der Regierung gerettet werden mussten.27 Die neuen Regulierungsvorschriften, über die sich die Banken so bitter beklagen, ermöglichen es ihnen immer noch, bis zu 97 Prozent ihrer Vermögenswerte durch Schulden zu finanzieren.28

Wenn Eigenkapital teuer und Fremdkapital günstig ist, wie die Banken behaupten, warum gilt das dann nicht auch für andere Unternehmen? Warum nehmen Unternehmen aus anderen Wirtschaftssektoren nicht mehr Kredite auf und sparen am angeblich teuren Eigenkapital? Machen diese Unternehmen etwas falsch? Warum gibt es dort Unternehmen wie Apple und andere, die über mehr als ein Jahrzehnt gar keine Schulden aufgenommen haben? Wäre es für diese Unternehmen nicht vorteilhaft, das teure Eigenkapital des Unternehmens durch billiges Fremdkapital zu ersetzen? Oder gibt es irgendwelche grundlegenden Unterschiede zu den Finanzierungskosten von Banken?

Das Bankgeschäft ist zwar anders als andere Geschäfte, aber Bankaktien werden von denselben Anlegern gehalten beziehungsweise von Anlegern, die Aktien auf die gleiche Weise beurteilen wie Anleger, die in andere Unternehmen investieren. Bankaktien sind nicht anders als andere Aktien; alle Aktien bieten ihren Inhabern das Recht auf Dividenden und alle lassen sich an den Aktienmärkten zum Marktpreis zu Geld machen. Warum sollten sich Bankaktien also von den Aktien anderer Unternehmen unterscheiden?

Ein Unterschied, der die Kosten der Bankenfinanzierung beeinflusst, trat im Jahr 2008 in Erscheinung. Wenn eine wichtige Bank in eine Schieflage oder gar an den Rand des Zahlungsausfalls gerät, besteht eine gute Chance, dass die Regierung oder die Zentralbank des Landes eingreift, um sie zu retten. Nur wenige Unternehmen außerhalb des Finanzsektors sind ebenfalls in den Genuss einer staatlichen Rettungsaktion gekommen; die ­US-Automobilhersteller gehören dazu.29 Dabei handelt es sich jedoch um seltene Ausnahmen. Im Finanzsektor ist die Rettung großer Institute beziehungsweise einer Vielzahl von Instituten, die zur gleichen Zeit in Schwierigkeiten geraten, inzwischen die Regel.

Wenn ein Unternehmen darauf zählen kann, im Notfall von der Regierung gerettet zu werden, und sich seine Kreditgeber keine Sorgen über einen möglichen Zahlungsausfall machen müssen, dann wird jeder Kreditgeber diesem Unternehmen freudig sein Geld zur Verfügung stellen. Das Unternehmen wird daher feststellen, dass Schuldenmachen billig ist und im Vergleich dazu andere Finanzierungsarten teuer sind. Die Zinsen, die das Unternehmen auf seine Schulden zahlen muss, spiegeln nämlich nicht sein wahres Ausfallrisiko wider, denn dieses wird zum Teil von den Steuerzahlern getragen. Aus der Perspektive der Banken ist Schuldenmachen daher eine billige Art der Finanzierung. Das gilt aber nur, weil die Kosten der Schuldenaufnahme zum Teil von den Steuerzahlern getragen werden.

Wenn Banklobbyisten behaupten, eine höhere Eigenkapitalquote würde die Kosten der Banken erhöhen, lassen sie die Kosten unerwähnt, die den Steuerzahlern entstehen, wenn sie dafür sorgen, dass sich Banken billig verschulden können. Bisweilen leugnen sie sogar, dass ihre Schulden überhaupt durch die Steuerzahler subventioniert werden.30 Es gibt jedoch erhebliche empirische Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldenfinanzierung von Banken durch die Aussicht auf steuerfinanzierte staatliche Rettungsaktionen profitiert. Zum Beispiel vergeben Ratingagenturen an schuldenfinanzierte Banken, die aufgrund ihrer Größe oder »Systemrelevanz« auf staatliche Hilfe im Notfall zählen können, gelegentlich eine bessere Bewertung, als wenn die Banken keine Aussicht auf Rettung durch den Staat hätten.31 Das höhere Rating senkt ganz unmittelbar die Zinsen, zu denen die betroffene Bank Schulden aufnehmen kann.32 Und der Wert dieses Zinsvorteils ist umso größer, je mehr Fremdkapital die Bank aufnimmt.

Das sind nur einige Beispiele für das, was wir als des Bankers neue Kleider bezeichnen – falsche und irreführende Behauptungen, die in den Diskussionen über Bankenregulierung regelmäßig vorgetragen werden. Viele dieser Behauptungen klingen zunächst einleuchtend, bei näherer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass sie nicht mehr Substanz besitzen als die fiktiven neuen Kleider des Kaisers aus Andersens Märchen.

Dieses Buch entwickelt einen begrifflichen Rahmen für die Auseinandersetzung mit diesen Themen, damit der Leser die Probleme besser versteht und fehlerhafte Argumente als solche entlarven kann. Dafür braucht der Leser keine Vorkenntnisse in Wirtschaftswissenschaften, Finanzwirtschaft oder Bankbetriebslehre. Manche Leser mögen denken, die Thematik betreffe sie nicht, doch wenn man die Diskussion über das Bankwesen und die Bankenregulierung nur den unmittelbar Beteiligten überlässt, wird das Finanzsystem weiterhin von übermäßigen Risiken der Banken bedroht sein, mit bösen Folgen für uns alle. Nur öffentlicher Druck kann die Politik verändern. Ohne öffentlichen Druck und den erforderlichen politischen Willen wird sich wenig ändern.

Viele von den Argumenten, die wir als des Bankers neue Kleider bezeichnen, betreffen die Höhe der Verschuldung von Banken. Um zu erklären, worum es geht, untersuchen wir zunächst, wie sich Verschuldung überhaupt auf Anlagemöglichkeiten und Risiken bei Einzelpersonen und Unternehmen auswirkt. Das ermöglicht uns, zu erkennen, inwiefern Banken mit anderen Unternehmen vergleichbar sind und inwiefern sie sich unterscheiden.

Es geht aber in diesem Buch nicht nur um Verschuldung. In der Diskussion über die Reform der Bankenregulierung gibt es noch viele andere schwache Argumente. Die meisten sind auch Schreckgespenste – Warnungen vor unbeabsichtigten Nebenwirkungen, die die politischen Entscheidungsträger davon abhalten sollen, etwas zu unternehmen, wobei die Probleme kaum angesprochen werden, geschweige denn Vorschläge zu ihrer Lösung gemacht werden.

Beispielsweise fordern führende Bankvertreter regelmäßig, dass Regulierung nicht zu ungleichen Bedingungen in verschiedenen Ländern führen darf.33 Sie warnen, sie könnten sich nicht im globalen Wettbewerb behaupten, wenn sie strengeren Regeln unterworfen würden als ihre Wettbewerber im Ausland. Dieses Argument wird gerne auch von Lobbyisten anderer Branchen verwendet und kann durchaus auch dort zur Schwächung der staatlich gesetzten Regeln führen. Gleichwohl ist es falsch.34 Die Wohlfahrt eines Landes hängt nicht einfach vom Erfolg seiner Banken oder bestimmter anderer Unternehmen im internationalen Wettbewerb ab, denn ein Erfolg, der nur mit Subventionen durch den Steuerzahler erreicht wird, ist weder für die Wirtschaft noch für die Gesellschaft von Nutzen. Dasselbe gilt für einen Erfolg, der darauf beruht, dass die Öffentlichkeit exzessiven Risiken ausgesetzt wird, wie etwa den Risiken der Umweltkatastrophe oder einer Finanzkrise.

In der Frage, wie hoch sich Banken verschulden dürfen und mit welchen Risiken, besteht ein grundlegender Konflikt zwischen dem, was für Banken und ihre leitenden Angestellten privat gut ist, und dem, was für die Wirtschaft insgesamt gut ist. Politiker, die Banken zu einer hohen Verschuldung und einer hohen Risikobereitschaft anspornen, fördern paradoxerweise ein Verhalten, das für Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt schädlich ist, ohne dass irgendein sinnvoller Zweck erfüllt würde.

Ganz gleich, welche Maßnahmen sonst noch getroffen werden, bieten deutlich strengere Begrenzungen der Verschuldung von Banken ein einfaches und höchst kosteneffektives Mittel, um Risiken für die Wirtschaft zu reduzieren, ohne der Gesellschaft nennenswerte Kosten aufzubürden. Allerdings können darüber hinaus noch weitere Gesetze und Vorschriften erforderlich sein, um auch das Eingehen übermäßiger Risiken durch die Banken einzuschränken.

Warum es auf die Sicherheit der Banken ankommt

Warum sollten wir uns so viele Gedanken über die Sicherheit von Banken und über ihre Verschuldung machen? Je mehr Schulden jemand aufnimmt, desto größer ist die Gefahr, dass er sie nicht zurückzahlen kann. Wenn das geschieht, gehen die Schuldner normalerweise bankrott und die Forderungen der Gläubiger werden eingefroren, bis ein Gericht entschieden hat, welche Summe sie zurückerhalten. Und das ist gewöhnlich weitaus weniger, als den Gläubigern eigentlich zusteht.35

Ist der Schuldner eine Bank, kann der Schaden, der aus dem Zahlungsausfall auf seine Schulden entsteht, sehr groß sein und weite Kreise ziehen, sodass Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden, die gar nicht selbst etwas mit der Bank zu tun haben. Das gilt insbesondere, wenn es sich bei der Bank um ein systemrelevantes Institut handelt, wie zum Beispiel JPMorgan Chase oder die Deutsche Bank, deren Geschäfte sich über den gesamten Globus erstrecken.36 Eine exzessive Verschuldung solcher Banken belastet uns alle mit völlig unnötigen Risiken, Kosten und Ineffizienzen.

Im Vorfeld der großen Finanzkrise finanzierten zahlreiche große Banken ihre Tätigkeit zu 97 oder mehr Prozent über Schulden. Lehman Brothers in den USA, Hypo Real Estate in Deutschland, Dexia in Belgien und Frankreich und UBS in der Schweiz hatten Schulden in Höhe von vielen Hundert Milliarden Dollar, Euro oder Schweizer Franken angehäuft.37 Lehman ­Brothers meldete im September 2008 Insolvenz an. Die anderen drei Institute konnten einen Bankrott nur vermeiden, weil sie von ihren jeweiligen Regierungen unterstützt wurden.38

Der Bankrott von Lehman Brothers löste gewaltige Erschütterungen im globalen Finanzsystem aus.39 An den Börsen brachen die Kurse ein, Investoren zogen ihre Mittel aus den Geldmarktfonds ab, die Geldmarktfonds weigerten sich, ihre Kredite an Banken zu erneuern, und die Banken liehen sich untereinander kein Geld mehr. Um an Geld zu kommen, versuchten sie, in Panikverkäufen Wertpapiere abzustoßen, was deren Preise weiter in den Keller trieb. Innerhalb von zwei Wochen standen zahlreiche Banken vor dem Abgrund.40

Um einen völligen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern, ­gaben Regierungen und Zentralbanken auf der ganzen Welt ihren Finanz­instituten viel Geld und garantierten für deren Schulden.41 Diese Interventionen stoppten die Abwärtsspirale, aber der Konjunktureinbruch, der folgte, war dennoch der größte seit der Weltwirtschaftskrise.42 Anton Valukas, der Rechtsanwalt, den das für Lehman Brothers zuständige amerikanische Insolvenzgericht als Ermittler einsetzte, brachte es auf den Punkt: »Alle haben Schaden genommen. Die gesamte Wirtschaft hat unter dem Zusammenbruch von Lehman Brothers gelitten … die ganze Welt.«43

Im Herbst 2008 wackelten neben Lehman Brothers auch zahlreiche andere Finanzinstitute. Der amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke äußerte sich gegenüber der Untersuchungskommission des US-Kongresses zur Finanzkrise dahingehend, dass damals »von vielleicht … 13 der wichtigsten Finanzinstitute der USA zwölf von dem Risiko eines Bankrotts innerhalb der nächsten Woche beziehungsweise innerhalb der nächsten zwei Wochen bedroht waren«.44 In Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Irland, Island, den Niederlanden und der Schweiz gingen jeweils einige oder sogar alle Großbanken bankrott oder wären bankrottgegangen, hätten ihre Regierungen sie nicht gerettet.45

Analysen der Krise konzentrieren sich oft auf die verschiedenen Episoden zwischen August 2007 und Oktober 2008, in denen jeweils die Finanzierung von Banken zusammenbrach.46 Ein Großteil der Bankenfinanzierung bestand aus sehr kurzfristigen Schulden. Das machte die Banken anfällig für die Gefahr, dass diese Schulden nicht erneuert würden. Der tiefere Grund für die Zusammenbrüche lag jedoch darin, dass die Banken insgesamt sehr hoch verschuldet waren. Bei Verlusten verloren die Investoren, einschließlich anderer Finanzinstitute, das Vertrauen zu den Banken und drehten ihnen den Geldhahn zu aus Sorge, sie könnten ihre Schulden nicht zurückzahlen.47 Der Bankrott von Lehman Brothers verschärfte die Befürchtungen der Investoren, denn wenn ein so großes Finanzinstitut nicht vom Staat gerettet wurde, so musste mit weiteren Bankrotten gerechnet werden.48

Das Problem, dass einige Banken zu groß sind, als dass man sie ruhig bank­rottgehen lassen könnte, ist heute noch größer als 2008. Die größten US-Banken sind seither nämlich noch viel größer geworden. Am 31. März 2012 wurden die Schulden von JPMorgan Chase auf 2,13 Billionen Dollar und die der Bank of America auf 1,95 Billionen Dollar beziffert. Das ist das Dreifache der Schulden von Lehman Brothers zum Zeitpunkt der Insolvenz. Die Schulden der fünf größten US-Banken betrugen zusammen rund 8 Billionen Dollar. Die Zahlen wären sogar noch größer, wenn die US-Banken die in in Europa geltenden Regeln für die Rechnungslegung anwenden müssten.49

Die größten Banken in Europa sind von ähnlicher Größe. Da aber die europäischen Volkswirtschaften deutlich kleiner sind als die amerikanische, ist das Problem entsprechend gravierender. Im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft sind die europäischen Banken wesentlich größer als die amerikanischen, vor allem in einigen der kleineren europäischen Länder.50 In Irland und Island waren die Banken vor der Krise so groß geworden, dass die Bankenkrisen die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund rissen.51

Die traumatische Erfahrung mit der Insolvenz von Lehman Brothers hat die meisten Regierungen zu dem Schluss gebracht, es dürfe auf keinen Fall noch einmal zur Insolvenz einer großen, global tätigen Bank kommen. Sollte jedoch irgendeine dieser sehr großen Banken in ernsthafte Schwierigkeiten kommen, so könnte es sich erweisen, dass sie nicht nur zu groß ist, als dass man sie bankrottgehen lassen könnte, sondern auch zu groß, als dass man sie retten könnte. Dann wird es keine guten Handlungsoptionen geben.

Die Konsequenzen eines Bankrotts einer internationalen Großbank wären heute wahrscheinlich gravierender als im Jahr 2008 im Fall von Lehman Brothers; ihre Rettung könnte ein Land völlig ruinieren. Die Erfahrungen, die Irland, Spanien und jüngst Zypern gemacht haben und noch machen, geben einen Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, wenn ein großer Bankensektor von der Regierung gerettet werden muss. Keines der genannten Länder war in der Lage, seine Bankenprobleme selber zu lösen; alle mussten den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Europäische Union (EU) um Hilfe bitten.52

Diese Situation macht es umso wichtiger, Szenarien zu vermeiden, in denen sich Regierungen entscheiden müssen, ob sie den Bankrott großer Finanzinstitute in Kauf nehmen oder sich auf eine teure Rettungsaktion verpflichten. Ein Ansatz besteht darin, dass man versucht, Mechanismen zu schaffen, die es ermöglichen, eine insolvente Großbank abzuwickeln, ohne die Wirtschaft als Ganzes zu beschädigen oder staatliche Unterstützung erforderlich zu machen. Zwar wurden nützliche Anstrengungen in diese Richtung unternommen, doch für global tätige große Banken gibt es noch keinen solchen Mechanismus. Selbst die besten Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismen für große Banken dürften teuer sein und große Risiken für das Finanzsystem bergen.53

Wie auch immer man dieses Problem angeht, die drastische Senkung der Verschuldung von Banken ist die einfachste und kosteneffektivste Methode zur Krisenprävention. Die geltenden und vorgeschlagenen neuen Regulierungsvorschriften für Verschuldung von Banken zielen in die richtige Richtung, gehen aber noch lange nicht weit genug und weisen zudem ernsthafte Probleme auf.54 Hier zeigt sich der Erfolg der Bankenlobby und ihrer Scheinargumente – des Bankers neue Kleider – in der aktuellen Debatte. Ein Fortschritt wird nur dann erzielt werden, wenn die Fehler in diesen Argumenten als solche verstanden werden.

Die derzeitige Situation ist geradezu pervers. Es ist so, als würden wir die Chemieindustrie subventionieren, damit sie unsere Flüsse und Seen verschmutzt. Solche Subventionen würden zu einer noch größeren Verschmutzung anspornen. Würde man die Industrie auffordern, die Verschmutzung zu reduzieren, würde sie sich darüber beklagen, dass das ihre Kosten erhöhen würde. Würden diese Klagen uns dazu bewegen, Umweltverschmutzung zu tolerieren? Banken zu subventionieren, damit sie sich bis zur Halskrause verschulden und so hohe Risiken eingehen, dass das gesamte Bankensystem in Gefahr gerät, ist so, als subventioniere und ermutige man Unternehmen zur Umweltverschmutzung, obwohl es umweltfreundliche Alternativen gibt.

Mit den meisten Investitionen sind Risiken verbunden. Wenn diese Investitionen schuldenfinanziert sind, werden die Risiken aber nicht nur von den Schuldnern, sondern auch von den Gläubigern und möglicherweise von weiteren Dritten getragen. Die Schuldenaufnahme an sich erhöht bereits das Risiko und löst grundlegende Interessenkonflikte aus, die zudem zu Ineffizienzen führen können. Diese Interessenkonflikte und Ineffizienzen erklären einen Großteil von dem, was bei den Banken schiefläuft, und geben einen Hinweis darauf, was getan werden muss.

Um diese Probleme zu verstehen und die fehlerhaften Argumente der Bankenlobby als das zu entlarven, was sie sind – reine Scheinargumente –, ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen Schulden und Risiko zu kennen. Das ist das Thema der folgenden Kapitel. Zunächst besprechen wir ganz allgemein die Beziehung zwischen Verschuldung und Risiko, unabhängig vom Bankensektor. Anschließend widmen wir uns speziell dem Bankwesen, den Risiken im Bankgeschäft und den Implikationen dieser Risiken für das Finanzsystem. Diese Einführung erstellt einen Rahmen für unsere anschließende Diskussion der Reform der Bankenregulierung und der schwachen Argumente, die gegen eine solche Reform vorgebracht werden. Am Ende werden wir auch das Verhältnis von Politik und Banken beleuchten. Unser Ziel ist es, zu einem besseren Verständnis der Probleme und der damit verbundenen politischen Herausforderungen beizutragen.