Jürgen

»He came to town like a midwinter storm

He rode through the fields, so handsome and strong

His eyes was his tools and his smile was his gun

But all he had come for was having some fun«

Rednex – Cotton Eye Joe

»Aus Castrop-Rauxel, und du?«, fragt der Mann, der sich als Jürgen Hasburg vorgestellt hat, nachdem Kalk und er nacheinander am Tresen des The Three Horses Pub »Een Biertje en een schnaps« bestellt haben. Kalk schätzt ihn ebenso auf Mitte 50.

»Aus der Nähe von Bremen«, sagt Kalk.

»Ja, dann Prösterchen.«

Zügig spülen sie den Inhalt der Schnapsgläser mit großen Schlücken Bier nach.

»Bist du auch alleine hier, Stefan?«

Alleine, was ist schon alleine? Außerdem bedauert er, ihm seinen Vornamen genannt zu haben. Kalk fühlt sich als Kalk unangreifbarer, als wenn er Stefan genannt wird. Er denkt an Fynn, an Nina, an Familie Berger, vor allem an Melanie.

»Mein Sohn ist gestern schon abgereist. Er ist Soldat. Ansonsten lebe ich gerade in Scheidung nach …«

Kalk überlegt.

»… 12 Jahren Ehe. War meine zweite. Hat auch nicht hingehauen. Auseinandergelebt. Was will man machen?«

Warum soll Kalk er selbst sein? Warum sollte er seine traurigen Geschichten Unbekannten offenbaren? Nichts würde dadurch besser werden. Also spielt er den halbwegs Glücklichen, dem die Dinge, die wehtun könnten, egal sind. Erstaunlich, wie ihm das gelingt.

»Interessant, wie lange ist die Trennung her?«, fragt Jürgen.

»Jetzt zwei Jahre«, sagt Kalk. »So genau weiß ich das nicht mehr. War ein langer Prozess, ein schwieriger und schmerzvoller obendrein, doch jetzt ist jedes Wort gesprochen und jedes Möbelstück dahin verschoben, wo es hingehört. Alles ist erledigt. So.«

Hasburg lacht dreckig

»Ja, so eine Scheidung ist das Allerletzte. Meine Ex-Frau Silvia lebt mit den Kindern bei ihrem Neuen. Geld wie Sau, der Typ, und ich zahl immer noch Unterhalt. Der Typ ist zehn Jahre jünger als sie. Krankes Schwein mit Mutterkomplex. Aber er zeigt Härte, ich glaube, das fasziniert sie. So ein ganz Unerbittlicher ist das. Ich bin in meinem Tischlerjob hängengeblieben. Bin halt solider Handwerker, der solides Handwerk macht. Das ist doch das, was die Leute brauchen. Anständige Menschen, die haltbare Dinge herstellen. Aber das bedeutet heute nichts mehr.«

Jürgen Hasburg redet sich in Rage.

»Abends bin ich immer total fertig, weil ich nicht nur Zahlen verschiebe und Kredite verweigere, sondern hart an der Säge maloche. Und wenn Silvia dann noch was machen wollte, war es echt immer ein Kampf, mich zu mobilisieren. Anfangs habe ich noch mitgespielt, hab aber schnell gemerkt, dass sie einfach mehr Energie hat als ich, zumindest in den Abendstunden. Sie war ja auch den ganzen Tag nur zu Hause. Irgendwann folgte die große Aussprache, der Moment, der alles zum Einsturz brachte. Sie meinte, dass ihr das nicht mehr gefällt und so. Hat uns ein Ultimatum von drei Monaten gegeben, wo ich nochmal alles aus mir rausgeholt habe, aber mein Job ist einfach anstrengend und ich bin nicht mehr der Jüngste. Das wollte Silvia nicht verstehen und am letzten Tag des Ultimatums ist sie einfach ausgezogen.«

Kalk fällt auf, dass an Jürgens linker Hand drei Finger fehlen. Er versucht sich den Unfall vorzustellen, der seine Hand so deformiert hat. Er versucht, sich den Schmerz fehlender Finger vorzustellen. Er scheitert aber.

»Da verlangen die Frauen ein Leben lang Verständnis für ihre Sorgen und wenn der Mann mal nicht mehr kann oder sich Schwächen erlaubt, wird das als Trennungsgrund angegeben. Ich habe natürlich versucht, sie wieder für mich zu gewinnen. Sinnlos. Und jetzt fickt sie unseren Kreditberater, diesen Milchbubi. Was für ein Hohn.«

Jürgen redet mit hochrotem Kopf weiter, untermalt von Cotton Eye Joe.

»Silvia hat die ganze Zeit und überall auf superselbstständig gemacht, aber wenn es dann wirklich mal darum geht, ihr eigenes Leben finanziell auf die Kette zu kriegen, hängt sie sich an irgendwen anderen dran, der ihr Rumgammeln durchfinanziert. Aber auch der Banker wird sich irgendwann umgucken und nur noch gelbe Fußnägel, Bauchspeck, Wasserfüße, schlimme Finger, tiefe Augenhöhlen, Hände voller fetter Adern, fleckige Haut und sonstigen Scheiß bemerken und es dann auch mit Silvia bleiben lassen. Liebe ist ja ein Deal, ein Geben und Nehmen und wenn einer aufhört, das gewohnte Maß zu geben, passiert immer etwas Schreckliches. Ich sag dir was, Frank …«

»Stefan, ich heiße Stefan«, sagt Kalk in Hasburgs aufgebrachten Vortrag hinein.

»Entschuldige, bitte, Stefan, nächste Runde geht auf mich.«

Er wendet sich an den rauchenden Wirt.

»Twee biertjes en twee schnaps. Von dem Klaren da, genau.«

Dann wendet er sich mit einer schwungvollen Bewegung wieder Kalk zu.

»Also Stefan, ich sag dir was, das größte Dilemma, mit dem wir Männer konfrontiert sind, ist die mangelhafte Kommunikation mit der Frau. Viele Frauen denken, man könnte in ihren Kopf gucken, um dann ihre Wünsche und ihr Verhalten zu erkennen und zu verstehen. Aber warum reden die nicht einfach mit uns, bevor es zu spät ist?«

Kalk ist ratlos. Er hat sich von Nina eine Menge gefallen lassen, hatte aber das Gefühl, dass Liebe schon so funktionieren würde. Hasburg scheint viel mehr in die Tiefe dieser zwischengeschlechtlichen Verbindungen eingetaucht zu sein. Vielleicht sogar etwas zwanghaft.

Die Getränke werden hingestellt, Jürgen Hasburg schiebt Kalk das Schnapspinnchen mit einem der verbliebenen Finger seiner verkrüppelten Hand hin und kippt seins herunter. Kalk kippt seins ebenfalls und bemerkt, wie ein warmes Loch in seinem Bauch entsteht. Egal was vorhin passiert ist, jetzt passiert etwas anderes.

»Das Schönste auf der Welt ist es doch, mit Freunden oder, wie jetzt hier, mit völlig Unbekannten eine Zeitlang am Tresen zu sitzen und Dinge zu bequatschen. Oft passiert dabei irgendein lustiger Schwachsinn. Ich muss mal eben pissen.«

Hasburg schält sich von seinem Barhocker und macht sich tapsig auf den Weg zum Pissoir. Versonnen blickt Kalk ihm nach. Auf der ersten Stufe Richtung Keller rutscht Hasburg fast aus, fängt sich aber wieder.

Kalk schaut sich im Pub um.

»Jetzt aber mal zu mir«, sagt Kalk, der gerade per Handzeichen neue Biere und zwei weitere Schnäpse geordert hat. Jürgen meint, er wäre ganz Ohr, sieht aber schon massiv angeschlagen aus. Sein Blick ist nicht mehr zielgerichtet, seine Augen wandern zur Tür, zum Bier, zum Wirt, zu einer rothaarigen Frau, die mit einem jungen Mann auf einer Eckbank sitzt und ihn innig küsst. Kalk spürt, dass er die Geschichte um Melanie Berger loswerden muss. Er erzählt Hasburg von der Rettungsaktion ihres Sohnes, von ihrer Hand an seinem Arsch, von ihrem schwachen Ehemann, von ihrem Flirt per Telefon, von ihrem Kleid, von ihrer Begegnung im Hotelzimmer, wobei Kalk bei der Beschreibung des sexuellen Akts ein wenig übertreibt. Weiterhin erzählt er Hasburg ausführlich von ihrer Unterredung auf dem Balkon. Sein eigenes Verharren auf dem Balkon lässt Kalk beiseite.

»Was für eine unzuverlässige Person«, beurteilt Jürgen die Situation umgehend. »Die macht dich erst komplett heiß, um sich dann wieder in die Untiefen ihrer Probleme zu stürzen und doch bei ihrem labilen Mann zu bleiben. Sie wird genau wissen, was sie dir antut. Gott, wie schlimm.«

Hasburg hat Wasser in den Augen. Weint er? Oder kommt ihm bereits der Alkohol aus den Linsen geschossen?

»Die ist einfach nur zu feige, entscheidende Schritte zu gehen. Der alleinige Leidtragende bist du. Ich hol noch mal ’ne Runde. Twee.«

Jürgen zeigt mit den zwei vorhandenen Fingern auf die beiden auf dem Tresen stehenden Biergläser. Kalk trinkt seins aus. Jürgen macht es ihm nach und nickt dem Wirt bestätigend zu, als dieser mit der Schnapsflasche winkt.

Es geht Schlag auf Schlag. In kürzester Zeit sind die beiden Männer kaum mehr zu geordneter Kommunikation fähig. Die Worte fehlen, aber es ist egal. Große Gesten stattdessen. Formulierungen enden im Nichts, trotzdem ist alles lustig. Halbsätze fliegen über den Tresen. Verwünschungen für alle Menschen, die dem persönlichen Glück im Wege stehen. Kalk freut sich regelrecht auf den Schmerz, der ihn morgen erwarten wird und der ihn von sich und seinen Gedanken an Melanie Berger ablenken wird.

Etwas später gesellen sich zwei jüngere niederländische Paare zu ihnen. Die vier müssten etwa Mitte 30 sein. Eine konstante Alkoholzufuhr ist weiterhin gewährleistet. Sie stehen gemeinsam am Tresen, als ob sie dort schon immer gestanden hätten.

Draußen dämmert es bereits, Kalk fühlt sich leicht und beschwingt. Er hat sein Zeitgefühl komplett verloren und schäkert mit einer Frau, die sich als Maartje vorstellt. Dazu beständig Cotton Eye Joe. Einer der Männer, der Klaas heißt, bietet ihm ab und zu Zigaretten an. Alle sehen trotz der schlechten Lichtverhältnisse, oder vielleicht auch deswegen, ziemlich desaströs aus. Vor allem Jürgen Hasburg. Der Wirt trinkt bei jeder dritten Runde einen Kurzen mit. Schließlich stellt er die Schnapsflasche auf den Tresen.

»Vanaf nu zelfbediening«, lallt er.

Kalk bedient sich selbst. Der Wirt setzt sich selbst auf einen Barhocker vor den Tresen, legt seinen Kopf darauf und schläft umgehend in einer Pfütze aus Bierschaumresten ein.

Where did you come from, where did you go?
Where did you come from, Cotton Eye Joe?

Die beiden Paare stellen sich nach näherem Kennenlernen als Arbeitskollegen in der benachbarten Gastronomie (Steakhaus Steen) heraus. Cotton Eye Joe ballert noch immer in voller Lautstärke durch das ranzige Etablissement. Als niemand mehr stehen möchte, setzen sich alle um einen großen Ecktisch herum. Maartje, Klaas, Sophia und Dennis reden über ihre Arbeit. Zumindest, soweit Kalk das gelallte Niederländisch verfolgen kann. Klaas zerhackt mit seinem Personalausweis Kokain auf seinem Smartphone, während Sophia die Rolle des Wirtes übernommen hat, weitere Biere zapft und die Schnapsgläser vorbereitet. Maartje und Dennis fangen an, sich zu küssen. Erst zaghaft, kurz darauf wie triebhafte Hunde, die Essensreste vom Asphalt schlabbern. Kalk sieht Jürgen an, aus dessen Blick jedweder Lebenswille verschwunden ist. Sophia bringt Bier und Kalk spürt beim ersten Schluck, dass er spätestens beim übernächsten kotzen wird. Jürgen wird blass, rennt plötzlich mit beiden Händen vor dem Mund Richtung Toilettenraum. Flüssiges Erbrochenes spritzt mit Hochdruck seitlich von seinem Gesicht weg.

Klaas bietet Kalk an, eine Line von seinem Smartphone zu ziehen, indem er es ihm hinhält wie der Kellner, der er wahrscheinlich auch ist. Daneben schwenkt er einen fingerlangen Strohhalm wie ein Dirigent. Kalk winkt ab, deutet auf sein Bier und ist sich unsicher, ob das die richtige Geste für »Entschuldigung, mir geht’s nicht gut« ist. Klaas zuckt kurz mit den Schultern und wendet sich wieder den anderen zu.

»Wie het niet will, heeft het al.«

Ja, ja, wer nicht will, der hat schon.

Alle vier ziehen nacheinander von dem Zeug auf dem Smartphone, dessen Titelbild ein Familienfoto mit zwei kleinen Kindern ist. Der Mann auf dem Foto ist Klaas, die Frau weder Maartje noch Sophia. Die hat sich Klaas jetzt an den Hals geworfen. Es geht wüst zur Sache, Kalk trinkt sein Bier, wundert sich, dass er doch nicht kotzen muss, fragt sich jedoch, ob er gerade unsichtbar geworden ist. Er weiß nichts über diese Leute, die hier vor seinen Augen miteinander intim werden. Die beiden Paare verbergen ihre Geilheit nicht, leben sie hier auf dem Kneipeninterieur aus. Maartje krallt sich an der Bar fest, Kalk kann ihre zusammengekniffenen Augen im Spiegel zwischen den Schnapsflaschen und der verspiegelten Heineken-Werbung sehen.

Bei näherer Betrachtung fällt Kalk auf, dass Gier und Schmerz sich den gleichen Gesichtsausdruck teilen. Dennis steht hinter Maartje, eine Hand hat er unter ihren Rock geschoben, an der anderen qualmt eine Zigarette. Es sieht aus, als täte er das, was er tut, ganz beiläufig. Aber seine Augen sind aufgerissen wie die einer Kuh in der Sekunde, in der sie das Bolzenschussgerät im Hirn registriert. Klaas, der neben Kalk sitzt, hat einfach seine Hose geöffnet und Sophia versenkt ihre Hand in diese Öffnung. Sie stößt unbeholfen an den Tisch. Zwei Gläser fallen um, ein überfüllter Aschenbecher geht zu Boden. Der Wirt pennt ungerührt weiter am Tresen. Kalk schaut sich die triebhaften Menschen an, ohne eine Sehnsucht zu verspüren, daran teilhaben zu wollen. Er wird komplett ignoriert. Als wäre er ein Statist in einem Erotikfilm. Er sieht, wie Klaas die Pupillen nach innen dreht. Kalk trinkt aus.

Nachdem er sein Bier geleert hat, entscheidet er sich dafür, an die frische Luft, bestenfalls sofort zurück ins Hotel zu gehen. Dort will er so lange schlafen, bis es sich bei ihm wieder um einen normalen Menschen handelt. Dann fällt ihm Jürgen Hasburg ein, der irgendwo im Sanitärbereich verschwunden ist. Wie lange ist der eigentlich schon da unten? Sollte Kalk nach ihm sehen? Sich vielleicht verabschieden?

Als er die Treppen zu den Toiletten heruntersteigt, riecht es nach Kotze und Urin. Hasburg ist nirgendwo zu sehen. Eine der beiden Kabinen ist verschlossen. Da muss er drin sein. Zaghaft klopft Kalk an. »Jürgen?«, fragt er.

Keine Antwort.

»Alles klar bei dir?«

Kalk klopft etwas fester, er will Hasburg hier nicht alleine verrotten lassen, immerhin hat er ihm den ganzen Abend Gesellschaft geleistet. Er wagt einen weiteren Versuch und schlägt mit der flachen Hand gegen die Tür.

»Hasburg. Jürgen. Mach auf!«, schreit er.

Keine Reaktion.

Kalk geht in die Kabine nebenan und steigt auf den Toilettensitz, um zumindest einen letzten Blick auf Hasburg zu erhaschen, der sich eventuell morgen gar nicht mehr an diesen Abend erinnern wird.

»Jürgen, ich hau jetzt ab.«

Keine Reaktion.

Der Geruch von Erbrochenem lässt auch in Kalk eine Übelkeit aufkommen.

Hasburg liegt reglos und zusammengekrümmt am Sockel der Keramik, als wäre er eine dieser halbrunden Toilettenmatten. Er hat sich eingepullert sowie sein Hemd komplett vollgekotzt. Aus seiner Position kann Kalk nicht erkennen, ob Jürgen Hasburg noch atmet. Er hat von Leuten gehört, die nach extremer Alkoholzufuhr an ihrem Erbrochenem erstickt sind, ein, wie er hörte, gar nicht mal so unüblicher Tod.

»Hasburg, alles klar da unten?«, schreit er.

Stille.

Jürgen ist seltsam blass, was Kalk verunsichert. In diesen Lichtverhältnissen ist das alles schwer zu beurteilen.

Er steigt wieder vom Toilettensitz herunter, nimmt zwei Schritte Anlauf und tritt gegen die Tür der Kabine, in der Hasburg liegt. Nach zwei Versuchen bricht die Türverriegelung und die Tür schlägt hart gegen Jürgen Hasburgs Kopf, der an dieser Stelle auch umgehend zu bluten beginnt.

Kalk beugt sich zu ihm herunter, um seine Atmung zu kontrollieren, sie ist kaum zu registrieren. Nur ein leichtes, leises Säuseln entfleucht ihm, begleitet von entsetzlichem Gestank.

Kalk versucht, sich an Erste-Hilfe-Maßnahmen zu erinnern. Er spreizt Hasburgs Kiefer und steckt zwei Finger hinein, so tief es geht ins Mundinnere. Bis ein Widerstand kommt. Und der kommt. Da sitzt ein Brocken Kotze vor Hasburgs Luftröhre und behindert dessen Atmung. Kalk schafft sich mit den Fingern Raum in der Mundhöhle, bis er das halbfeste Objekt mit den Fingerspitzen zu fassen bekommt und herauszieht. Jürgen Hasburgs Augen weiten sich und glotzen Kalk an. Er zieht reflexartig seine Hand aus Jürgens Maul, worauf ein flüssiger Schwall Erbrochenes seinen kompletten Hemdärmel einnässt. Danach sackt Hasburgs Körper zur Seite weg. Er nuschelt Unverständliches, aber immerhin nuschelt er etwas. Kalk erhebt sich

»Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Herr Hasburg.«

Jetzt kann er auch verstehen, was Jürgen da vor sich hinmurmelt.

»Silvia, Silvia, ich liebe dich. Silvia.«

Notdürftig säubert sich Kalk, seinen Hemdsärmel und seine Hände am Waschbecken und geht die Treppen wieder nach oben.

Der Wirt liegt immer noch mit dem Kopf auf dem Tresen. Die Viererkonstellation sitzt wieder einigermaßen geordnet am Tisch. Kalk nimmt sie nur mit einem Seitenblick wahr und wankt aus dem Pub. Über der verdammten Nordsee geht die verdammte Sonne auf. Den genauen Rückweg zum Hotel, den Gang vorbei an der Rezeption, den elementaren Selbstekel, die kalten Fliesen des Badezimmers, der überall umherwabernde Geruch des Elends, der Gestank der eigenen und der fremden Kotze, der den Restduft von Melanie Berger überdeckt, das alles sind nur vage Eindrücke. Er erinnert sich schemenhaft an Ereignisse, die vielleicht passiert sein könnten, das Gesicht Hasburgs, sein Gewimmer, die Zufriedenheit in den Gesichtern von Klaas, Dennis, Maartje und Sophia, die ihn keines Blickes gewürdigt haben, als er den Pub verließ.

Als er gegen Mittag wach wird, ist die Balkontür offen, alles, was stinkt, liegt draußen und Kalk scheitert beim Versuch, die vergangenen Ereignisse zu rekonstruieren und in eine logische Reihenfolge zu bringen. Er hat höchstwahrscheinlich schon wieder jemandem das Leben gerettet. Er nimmt drei Aspirin, legt sich wieder hin und schläft umgehend ein.