»Und? Und? Sieht man schon was?«, fragte Matteo zum dritten Mal in einer Minute. Sie saßen am Tisch im Gastraum und starrten auf den Schwangerschaftstest. Franzi musste trotz ihrer eigenen Aufregung lachen.
»Da steht fünf Minuten warten , Matteo. Du hast es mir selbst vorgelesen.« Aber sie war glücklich über die freudige Ungeduld in seinen Augen. Er hatte nicht einen Moment Zweifel daran gelassen, wie er fühlte.
Sie selbst war sich nicht ganz so sicher. Das wurde ihr bewusst, als sie feststellte, wie sie mit der linken Hand einen der Balken des Bootes an der Wand umklammerte. Dieses Boot war für sie längst eine Art Symbol dafür geworden, dass alles lief in ihrem Leben. Solange es da so stolz sein Segel in den Wind hielt und aufrecht fuhr, würde sie alles im Griff haben. Und Holz zu berühren hatte sie schon immer beruhigt.
»Da!« Franzi hatte gar nicht bemerkt, dass sie die Augen geschlossen hatte, aber bei Matteos Ausruf schrak sie auf.
Zwei Striche.
Matteo tanzte förmlich durch den Rest des Tages. Am Baum kam eine weitere Tasse hinzu, weil sie ihm vor lauter Schwung vom Tablett geflogen war. Zum Glück eine von den alten.
Franzi band die angeschlagene Tasse mit einem frühlingsgrünen Band an einen Zweig und versuchte, ihre Gefühle zu verstehen.
»Du freust dich doch auch, oder?«, hatte Matteo ängstlich gefragt und sie prüfend angesehen. »Wir schaffen das! Ich bin doch da.«
»Natürlich freue ich mich!« Franzi hatte ihn fest umarmt. Das war die Wahrheit. Vor ein paar Tagen hatte sie zwar noch nicht einmal an eine Schwangerschaft gedacht, aber es war gut, dass ihr die Entscheidung nun abgenommen war. Sie hätte die Kinderfrage sonst verdrängt, bis es zu spät gewesen wäre. Nun sprudelte die Freude in ihr, als hätte man einen Korken gezogen. Nur eben auch die Zweifel. »Ich habe bloß Angst, dass es … dass unsere Familie später mal … dass alles so ein Chaos wird wie …«
»Wie bei deiner Familie?«, beendete er den Satz für sie. »Ach, Franzi. Wir haben eine eigene, neue. Das ist doch nicht unsere Geschichte!«
»Nicht unsere. Meine. Bestimmt färbt das irgendwie ab. Vielleicht weiß ich nicht, wie es richtig geht.«
»Wer weiß das schon? Das weiß man nie. Man kann es doch immer nur so gut wie möglich machen, nach bestem Wissen und Gewissen.« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie eindringlich an. »Wir beide haben schon so viel erreicht. Wir sind ein ideales Team. Das wird wundervoll, du wirst sehen.«
»Okay.« Sie lächelte ihn an. Ja, mit ihm würde sie alles schaffen. Seit sie beide in Kühlungsborn in dem Lokal Kormorans Rast zusammengearbeitet und sich beim Servieren von Heringsbrötchen und Fischsoljanka verliebt hatten, hatte sie sich nie mehr mit irgendetwas allein gefühlt. Außer mit dem ständigen vagen, beunruhigenden Gefühl, dass sich jederzeit von einem Augenblick auf den anderen alles ändern konnte und abgesehen von Matteos Liebe nichts sicher war.
Jetzt stupste sie die Tasse an, um zu sehen, ob das Band hielt. Dabei fiel ihr Lian ein, und dann Hella.
Hella. Sie würde Hellas mütterlichen Rat einholen. Was sie die alte Dame genau fragen wollte, wusste sie noch nicht. Nur dass ihr jemand helfen musste, das Durcheinander in ihr zu ordnen.
»Matteo hat recht. Wir bekommen das hin«, sagte sie leise und legte eine Hand auf ihren flachen Bach. Würde das Kind Matteos dunkle Locken haben, die er von seiner italienischen Mutter geerbt hatte? Oder Franzis Augen, die ihr Vater als mitternachtsblau bezeichnet hatte – das wusste sie noch genau – und die Matteo »Blaue-Stunde-Augen« nannte? Er behauptete, sie würde damit mehr sehen als andere. Sie wünschte, das wäre so und sie könnte mit ihnen die Zukunft erkennen. Wahr war aber nur, dass sie die blaue Stunde liebte, zwischen Tag und Nacht, wenn die Luft zugleich glasklar und geheimnisvoll war, das Land erwartungsvoll still und der Himmel weich.
Am liebsten wäre sie sofort zu Hella gefahren, doch die würde jetzt noch Mittagsschlaf machen. Heute war es ruhig im Lokal, auch die alten Herren, die täglich am Stammtisch in der Ecke Skat spielten, waren schon fort. Matteo werkelte in der Küche herum. Selbst das Klappern der Töpfe klang fröhlicher als sonst. Um ihre Nerven zu beruhigen, begann Franzi etwas, das sie schon lange im Sinn hatte. Sie setzte sich an einen der Tische und fing an, die schlichten, auf sandfarbene Pappe montierten Speisekarten am Rand zu verzieren. Die Deko sollte zu dem neuen Geschirr und zu der Wandgestaltung passen, daher klebte sie aus zarten Zweigen zusammengesetzte Bäume auf die unteren Ecken. Kleine Kieselsteine stellten Blätter dar, und einzelne winzige Vögel aus Erlenzapfen saßen in den Wipfeln. Bei der Arbeit wurde es ruhiger in ihr. Zwischendurch blickte ihr Matteo über die Schulter.
»Wunderschön. Das passt perfekt!«, sagte er und küsste sie auf den Scheitel.
Franzi war selbst überrascht, wie hübsch das aussah. Sie machte ein Bild und schickte es Nele.
Super Idee, da ist mir gleich noch ein Einfall für Dessertschüsseln gekommen! , schrieb Nele zurück.
Und doch war sie beunruhigt. Die Bastelarbeit mit den Zweigen löste etwas in ihr aus, sie kam nur nicht gleich darauf, was es war. Diese Bäume sahen anders aus als die auf Neles Tassen. Sie wirkten seltsam vertraut. Sie erinnerten in ihrer Form an …
»Franzi? Kannst du mal bitte ans Telefon gehen?«, rief Matteo aus der Küche. »Hier brennt mir sonst was an.«
Sie hatte das Klingeln gar nicht gehört. Hastig sprang sie auf, nahm den Hörer ab und trug die Reservierung ein, die der Kunde am anderen Ende wünschte, dann half sie Matteo mit den Pfannen. Als sie danach an den Tisch zurückkehrte und auf ihr Werk heruntersah, erkannte sie, welche Bäume sie da unbewusst nachgestaltet hatte.
Es waren die Buchen im Gespensterwald.
Dreißig Jahre, seit sie zum letzten Mal dort gewesen war. Seit sie an jenem warmen Frühsommertag darunter gestanden und hilflos zu den hohen, mächtigen Wesen aufgesehen hatte. Sie hatte nicht begreifen können, was es bedeutete, dass ihre kleine Welt auseinanderbrach. Sonst rauschten die Bäume im Wind, aber an diesem Tag waren auch sie still, als würde der Wald selbst den Atem anhalten. Weit unten hatten selbst die Wellen aufgehört, an der Steilküste zu lecken, und waren in sich zusammengefallen. Es war wie eine Lähmung, die alles erfasste.
Jetzt stand es ihr wieder so deutlich vor Augen, als wären die Jahrzehnte dazwischen nie gewesen. Bei dem bloßen Gedanken daran wurde Franzi wieder leicht übel. Sie legte die Speisekarten zum Trocknen auf den Tresen und schob ihr Werkzeug hastig in eine Schachtel.
In der Küche packte sie einige Kuchenstücke in einen Karton. »Wenn du gerade allein klarkommst, bringe ich Hella was zum Kaffee. Sie freut sich immer so, und ich brauche mal frische Luft«, sagte sie zu Matteo.
Er nahm sie kurz in den Arm. »Natürlich, mach das. Es tut dir bestimmt gut. Grüß sie von mir, und Quentin natürlich auch.«
Quentin war Hellas Lebensgefährte. Sie hatten sich erst kennen und lieben gelernt, als sie weit über siebzig waren. Franzi war jedes Mal gerührt, wenn sie die beiden zusammen erlebte. Während sie das Auto die einzige Straße entlang in Richtung des alten Forsthauses lenkte, dachte sie darüber nach. Sie wünschte sich inständig, dass es zwischen ihr und Matteo auch einmal so sein würde, wenn sie alt waren. Ein solch wortloses Verständnis, solche unkomplizierte Rücksichtnahme und eine gemeinsame, große Freude an den alltäglichen Dingen. Hella war vor langer Zeit Försterin an verschiedenen Orten gewesen, und selbst nach ihrer Verrentung hatte sie sich noch naturpädagogisch im Nationalpark engagiert. Sie hatte Führungen veranstaltet und sich als Botschafterin der Bäume verstanden, aber niemals moralisierend oder aufdringlich. Sie liebte den Wald, und das zeigte sie den Menschen und teilte ihr scheinbar unerschöpfliches Wissen darüber.
Wenn jemand einen Rat für Franzi hatte, dann war das Hella.
Sie hätte keine Bedenken haben müssen, zu früh zu kommen. Die alten Leute saßen Hand in Hand auf der Bank vor dem Haus in der Aprilsonne, als Franzi ausstieg.
»Wie gemütlich. Und ich hatte befürchtet, ich störe beim Mittagsschlaf«, sagte sie.
»Mittagsschlaf? Schlafen können wir, wenn wir tot sind.« Hella lächelte zu ihr auf. »Vom Frühling darf man nichts versäumen, er sorgt dafür, dass der Saft steigt. Auch in den Menschen.«
»Hella!« Quentin fing an zu lachen.
»Was denn? Ist das da Kuchen in dem Karton, Franzi? Mein Appetit kommt im Frühling nämlich auch zurück.«
»Matteos Bester.« Franzi lupfte den Deckel.
»Der duftet herrlich«, meinte Quentin, der nur noch wenig sehen konnte. Seine anderen Sinne waren umso schärfer.
»Bring den doch in die Küche zu Lian«, bat Hella. »Er kann uns allen Kaffee auf die Terrasse bringen. Wir gehen inzwischen langsam ums Haus nach hinten.«
»Braucht ihr Hilfe?«
Hella winkte ab. »Heute nicht. Es ist ein guter Tag. Es dauert nur ein wenig.«
»Ach, da freuen sie sich. Hallo, Franzi.« Auch Lian schnupperte anerkennend. »Aprikosenkuchen. Lecker. Na, wie geht es dir?«
»Ausgezeichnet.« Franzi stellte Geschirr auf ein Tablett, während Lian die Kaffeemaschine befüllte.
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Kein Schwindel mehr?«
»Nein, Herr Doktor.«
»Wenn du mal Hilfe oder einen Rat brauchst, sag einfach Bescheid.«
»Danke, Lian.« Seine Fürsorge berührte sie. Er war ein wirklich netter Kerl. Auch Matteo war angetan gewesen. Er hatte sich sogar mit Lian zum Paddeln verabredet. »Der kennt ja hier noch niemanden. Und man kann sich richtig gut mit ihm unterhalten«, hatte er gesagt.
»Weißt du, ob er Familie hat?« Irgendwie passte es nicht zu Lian, dass er allein war.
Matteo zuckte mit den Schultern. »Hat er nicht erwähnt.«
Draußen fiel das schräge Nachmittagslicht durch die Baumkronen und ließ die jungen Blätter aufleuchten. »Ich kann mich nie daran sattsehen«, bemerkte Hella mit einem glücklichen Lächeln.
Quentin blinzelte. »Selbst ich kann das Hellgrün erkennen.«
»Welchem Umstand verdanken wir deinen Besuch, Franzi?«, erkundigte sich Hella, nachdem sie den Kuchen gekostet und anerkennend genickt hatte.
»Komme ich denn nur, wenn ich etwas von dir will?« Franzi war zerknirscht.
Hella lächelte. »Nein. Nur, auf deiner Stirn steht geschrieben, dass dich etwas bedrückt.«
»Soll ich hineingehen?«, fragte Lian.
Franzi überlegte kurz. »Nein, du weißt ja sowieso schon Bescheid. Hella, Quentin – ich bin schwanger.«
»Na, das ist aber schön. Herzlichen Glückwunsch! Ich sag ja, der Frühling.« Hella sah sie forschend an. »Oder ist es nicht schön?«
»Doch. Sehr. Wir freuen uns riesig.« Franzi fasste nach den Holzperlen in ihrem Haar, wie immer, wenn sie nervös war. Als sie es bemerkte, nahm sie rasch die Kuchengabel in die Hand. »Ich weiß nur nicht, ob … ob ich …«
»Hmm. Das ist mehr als nur die normale Nervosität vor dem ersten Kind«, stellte Hella fest. »Was bekümmert dich, Liebes?«
»Kann dir deine Schwester nicht vielleicht helfen?«, fragte Lian, als Franzi noch immer nach Worten suchte. »Ich könnte mir vorstellen, dass eine Schwester dafür genau die richtige Person ist …« Dann fasste er sich an die Stirn. »Entschuldige, ich vergaß. Du sagtest ja, ihr habt schon lange keinen Kontakt mehr.«
»Du hast eine Schwester?« Hella war überrascht. Franzi nickte stumm. »Was fühlst du, wenn du die Perlen in deinem Haar berührst?«, forschte Hella weiter, als sonst nichts kam.
Fummelte sie tatsächlich schon wieder daran herum? Franzi ließ die Hand fallen.
»Du musst dich nicht dafür schämen. Es bedeutet etwas«, erklärte Hella. »Was bedeutet es dir?«
»Es beruhigt mich, wenn ich Holz berühre.«
»Kein Wunder«, sagte Hella. »Mir haben Bäume auch immer Kraft gegeben. Sie können jedem etwas geben. Das ist ihre Natur. Es macht ihr Wesen aus.«
»Bäume sind Wesen?«, fragte Lian.
»Natürlich sind sie das, warum denn nicht? Sie atmen. Sie halten Widrigkeiten stand. Sie brauchen Wasser und Licht und Nahrung. Sie wispern, stöhnen, rauschen, singen, sie senden sich mit Hilfe von Duftstoffen Botschaften. Sie unterstützen sich gegenseitig oder konkurrieren miteinander. Sie verkümmern oder gedeihen. Sie können krank werden. Sie pflanzen sich fort. Sie sind ungemein lebendig, sie rennen nur nicht hektisch herum wie die Menschen«, erklärte Hella belustigt.
»So habe ich das noch nicht gesehen«, meinte Lian erstaunt und warf der Kiefer am Rande des Grundstücks einen Blick zu, als würde sich diese gleich zu ihnen an den Kaffeetisch setzen.
Franzi aber war plötzlich den Tränen nahe. Quentin, der neben ihr saß, hörte sie schniefen und reichte ihr still ein Taschentuch.
»Weine ruhig«, sagte Hella. »Das heißt, dass wir der Sache näherkommen. Was ist dir an Holz wichtig? Wann hat das begonnen, dass es dich beruhigt?«
Franzi putzte sich die Nase und versuchte, sich zu erinnern. »Das war … das war schon immer so. Nein, warte!« Sie schloss die Augen. Da war etwas, ein Gegenstand, fast konnte sie ihn sehen. Als ob sich ein Nebel hob, wurde er deutlicher. Es war etwas Großes, Eckiges. Es hing über ihr, bedrohlich, nein, schützend! Es hatte über ihrem Kinderbett gehangen. Es hatte sie angesehen.
»Kala!« Franzi setzte sich gerade. »Der Baumgeist!«, erklärte sie ihrem fragend dreinschauenden Publikum und trank einen Schluck Kaffee. »Mein Vater hatte ihn aus einem großen Stück Rinde gemacht. Der Geist hatte Augen aus Astlöchern, in die er Kieselsteine gesteckt hatte, glaube ich. In dem natürlichen Muster der Rinde war ein Gesicht erkennbar, ganz deutlich. Mein Vater hatte es im Wald gefunden und in einem Rahmen befestigt. Er hängte ihn über mein Bett und sagte, das wäre ein Baumgeist. Er würde mich beschützen, und ich könnte ihm immer alle meine Sorgen anvertrauen, falls ich sie sonst niemandem verraten wollte. Denn der Baumgeist würde sie niemals weitererzählen. Meine Schwester hatte auch einen. Meiner hieß Kala, ihrer Keni.« Franzi lächelte, als die Erinnerung deutlicher wurde. »Ich fragte meinen Vater, ob man dafür nicht eher einen Schutzengel bräuchte, so wie es in einem meiner Bilderbücher stand. Er antwortete, dass ein Baumgeist beständiger wäre, weil ein Baum tief in der Erde Wurzeln hat, aber zum Licht hin wächst, so dass er immer eine Brücke zwischen Himmel und Erde ist. ›In ihm ist Weisheit, Schönheit und die Kraft von beiden‹, sagte er. ›Ein Engel ist auf der Erde nicht zu Hause. Wir und die Bäume aber schon.‹«
»Hat es funktioniert?«, fragte Lian.
»Ich habe lange daran geglaubt. Es war ein so beruhigendes Gefühl, wenn Kala mich ansah. Ich konnte ihm tatsächlich alles erzählen. Und er wirkte ständig anders, je nachdem, wie das Licht auf ihn fiel. Mit den Schatten wechselte sein Ausdruck. Ich war überzeugt, dass er mich verstand. Und dass er lebendig war und mir immer wohlgesonnen. Er besaß für mich eine geheimnisvolle Macht, die viel zum Guten wenden konnte.«
»Wenn ich diese Idee gehabt hätte, hätte ich sie an die Eltern in meinen Kursen weitergegeben«, sagte Hella. »Jetzt wissen wir, warum dich Holz beruhigt. Das ist eine schöne Geschichte und ein wunderbares Werkzeug für Krisensituationen, das dir dein Vater da mitgegeben hat. Aber was beunruhigt dich an deiner Schwangerschaft so sehr, dass du den Trost von Holz brauchst? Denk dran, der Teil eines Baumes, den wir sehen, ist nur der über der Erde. Das unsichtbare Wurzelwerk unter der Erde ist genauso breit wie seine Krone. Was ist es, das du bei dir nicht siehst?«
Franzi dachte nach. Ihr fiel die Traurigkeit ein, die sie in der Nacht gespürt hatte, als sie voller Unruhe aufgewacht und zum Fenster gegangen war. Hinten über dem Wald war gerade der Mond aufgegangen, groß und silberhell. Da hatte sie wieder an Luna denken müssen. Luna, von der sie nicht einmal wusste, wie sie jetzt aussah.
»Ich habe Angst!«, gestand sie. »Sogar doppelt. Angst, dass ich meinem Kind nicht eine genauso schöne Kindheit geben kann, wie ich sie anfangs hatte. Und Angst, dass alles genauso schiefgeht wie später bei uns.«
»Ich weiß, wie das ist, wenn Dinge aus der Vergangenheit an einem kleben. Sie können einen ausbremsen wie eine Fessel«, sagte Lian. »Nur, man kann trotzdem alles machen. Es ist eben bloß ein bisschen schwerer. Aber es wird mit der Zeit leichter. Wenn man es aus Angst nicht macht, versäumt man alles. Eine Binsenweisheit, aber wahr.«
»Binsenweisheiten sind meistens gut brauchbar«, sagte Hella mit einem Lächeln. »Binsen sind nämlich sehr haltbare Pflanzen. Nicht umsonst flicht man Körbe daraus, in denen man schwere Dinge tragen kann. Franzi, wenn du dir jetzt in diesem Moment etwas wünschen könntest – nichts Großes, irgendetwas Kleines, aber Wichtiges und vor allem Machbares –, was wäre das?«
Franzi dachte nach. Etwas Machbares . Seltsamerweise half ihr gerade dieses schlichte Wort, sich schlagartig besser zu fühlen.
»Ich möchte das Rindenbild wiederhaben. Kala. Den Baumgeist«, sagte sie. »Ich will ihn über das Bett unseres Kindes hängen.«
Erfahren Sie mehr über die Autorin
auf Facebook und Instagram und auf