· XI · Silberne Absätze

»D er Stern zog noch immer seine Bahn durch das Dunkel, als ich die Bibliothek leise verließ, und in meinem Herzen spürte ich ein seltsames Gefühl von Hoffnung. Ich war mir nicht sicher, ob ich ebenso fest an dieses Vorzeichen glaubte wie Chloe und ob es wirklich Gottes Wille gewesen war, dass wir uns trafen, wie sie gesagt hatte. Aber ich musste zugeben, dass die brennende Überzeugung der Schwesternovizin ansteckend war. Wie gesagt, ich war nur ein Bauernjunge. Aber da war noch etwas anderes – vielleicht zum ersten Mal, seit ich nach San Michon gekommen war, hatte ich das Gefühl, Menschen begegnet zu sein, zu denen ich wirklich gehörte.

Keine Brüder. Sondern Freunde.

Es fiel Schnee, als ich über das Klostergelände schlich. Die Fenster um mich herum waren erleuchtet; hinter dem Glas waren die Umrisse von Leuten zu erkennen, die die Köpfe zum brennenden Himmel wandten. Bis meine Arbeit in den Stallungen begann, war noch eine Stunde Zeit, und ich wollte nichts lieber als wieder ins Bett. Aber als ich mich dem Quartier näherte, erstarrte ich und verharrte so bewegungslos wie die Engelsstatuen im Kreuzgang der Kathedrale.

Vor mir in der Düsternis ging jemand.

Ein Junge in einem schwarzen Mantel entfernte sich auf leisen Sohlen von der Tür zur Waffenschmiede. Während ich mich im Schatten der Trieze möglichst unsichtbar machte, hob er den Kopf, um sich das Wunder am Himmel anzusehen, und in diesem heiligen Licht erkannte ich ihn.

Aaron de Coste.

Anwärter durften nach der Abendglocke nicht mehr draußen sein, und obwohl ich mich desselben Vergehens schuldig gemacht hatte, richteten sich meine Nackenhärchen auf, als ich beobachtete, wie Aaron sich die Kapuze tief ins Gesicht zog und zurück zu unserem Quartier schlich. Unsere Prügelei in der Trieze war mir noch bestens im Gedächtnis. Seine Warnung, am besten immer auf der Hut zu sein, hallte noch durch meinen Kopf. Was hatte dieser unerträgliche Arroganzling in der Waffenschmiede zu suchen?

Ich überprüfte die Türen zur Schmiede und stellte fest, dass sie verschlossen waren. Im Gebäude war nichts zu hören, und ich fragte mich, was ich nun tun sollte. Falls de Coste gerade erst in sein Bett zurückkehrte, würde es ihm auf keinen Fall entgehen, wie ich dasselbe tat, und er würde mit Sicherheit nicht darüber schweigen. Und daher beschloss ich, für die eine Stunde bis zur Morgenglocke woanders unterzukriechen.

In der Kathedrale.

Ich glitt durch die Flügeltür an der Ostseite hinein, durch die Tür für die Lebenden und das Morgenrot, und verbarg mich dann in einer Nische bei den Votivkerzen. In der Kathedrale spürte ich stets großen inneren Frieden, und auch jetzt saugte ich tief die Stille ein und flüsterte ein Gebet zum Allmächtigen. Ich sah zu dem großen Siebensternfenster auf, dessen Buntglas die Märtyrer zeigte. Mein Blick fiel auf Michon: In einer Rüstung, den Gral in die Höhe gereckt, führte sie ihre Armee der Gläubigen an. Meine Gedanken waren noch immer bei der Sternschnuppe. Und dann hörte ich es. Leise im Dunkeln. Ein Geräusch, das mir verriet, dass ich nicht allein war.

Da weinte jemand.

Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, in dem schattenumlagerten Raum, den das Vorzeichen am Himmel mit bleichem Licht erfüllte, etwas zu erkennen. Und dort, in der ersten Reihe vor dem Altar, kniete eine Frau. Zwar konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, aber meine Bleichblut-Sinne erkannten die kastanienbraunen Locken und den Klang der Stimme.

Es war Schwester Aoife. Seraph Talons Gehilfin.

Sie hatte den Kopf gesenkt, und ihr Schluchzen wurde vom dunklen Stein zurückgeworfen. Ich wusste nicht, was die junge Schwester zum Weinen brachte, aber so, wie sie sich anhörte, war ihr etwas sehr zu Herzen gegangen. Nun hatte sie mir gegenüber stets große Freundlichkeit erwiesen, aber wenn ich gefragt hätte, was ihr fehlte, hätte ich dennoch offenbart, dass ich mich außerhalb meines Schlafsaals aufhielt. Daher verharrte ich in meinem Versteck und lauschte ihrem Weinen. Nur einmal während der ganzen Stunde sprach sie und richtete ein klagendes Gebet an eine Statue nahe dem Altar. Sie hatte die Arme fest um den Körper geschlungen, als sie flüsterte: ›O gesegnete Muttermaid, zeige mir die Wahrheit. Wird das, was du mir schenktest, Fluch oder Segen sein?‹

Ich saß ganz ruhig im Dunkeln, grabesstill. Dann endlich läuteten die Glocken, um die Köche zur Arbeit in die Küche zu rufen. Schwester Aoife strich sich die Locken glatt und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Bevor sie mich entdecken konnte, war ich aus der Tür geglitten und verschwunden. Dann entfernte ich mich von der Kathedrale und suchte Torwächter Logan auf, der an der Himmelsplattform stand.

Die Augen des dünnen Mannes waren auf das schwache Licht gerichtet, das immer noch am Himmel zu erkennen war. ›Seht Ihr das, Jungchen?‹

›Oui.‹ Noch einmal blickte ich zu dem Omen auf, das über uns seine Bahn zog. ›Ich sehe es.‹

›Was meint Ihr, isses ’n gutes oder schlechtes Zeichen?‹

Ich dachte an Schwester Aoife, die in der Kathedrale weinte, an Chloes Verkündung, es sei alles vorherbestimmt, und an das Licht der Sternschnuppe, das über Astrids geschwungene Wange glitt.

›Alles im Himmel und auf Erden ist das Werk meiner Hand‹ , sagte ich.

›Und alles Werk meiner Hand entspricht meiner Absicht.‹ Logan machte das Zeichen des Rads, als er das Zitat aus den Testamenten ergänzte. ›Gut gesagt, Jungchen.‹

›Manchmal treffe ich ins Schwarze.‹

Der Torwächter sah mich aus den Augenwinkeln an und grinste liebevoll. ›Wisst Ihr, Ihr seid gar nicht so ’n hinterwäldlerischer Schleimscheißer, wie die andern Jungs behaupten, de León. Ich find Euch ganz brauchbar. Für ’nen hübschen Schafsficker ausm Nordlund jedenfalls.‹

›… Merci , werter Torwächter.‹

Logan zwinkerte mir zu. ›Dafür nich, Jungchen.‹

Wie an jedem anderen Morgen lagen die Stallungen im Dunkeln, und auf mich warteten am Tor treu und brav Schaufel und Schubkarre. Die Pferde waren unruhig, was ich auf den Kometen zurückführte, der über den Himmel zog. Ich ließ die Schubkarre und die Laterne an der ersten Box stehen und wanderte an den Ställen entlang bis zu Justus, der schnaubte und mit den Hufen stampfte, als er mich sah. Nachdem ich ihm einen Zuckerwürfel gegeben hatte, umarmte ich ihn und drückte meine glatte Wange an seine struppige.

›Gut Morgenrot, mein Schöner.‹

Justus wieherte und schnupperte an meinem Hemd, und ich lachte und gab ihm einen zweiten Zuckerwürfel, den ich noch versteckt gehalten hatte. Dann schob ich die Schubkarre in den Hauptstall und warf einen misstrauischen Blick auf die beiden Elenden, die mit Silberketten gefesselt von der Decke hingen. Die zwei waren hier, damit sich die Pferde an die Gegenwart der Toten gewöhnten, aber das hieß nicht, dass die Pferde sie mochten , und wenn ich ehrlich war, dann hatte es auch mich in den letzten zwei Wochen mächtig gegruselt, wenn ich in ihrer Nähe arbeiten musste. Die beiden Toten waren männlich, der eine älter und untersetzt, der andere eine dünne Bohnenstange, die zum Zeitpunkt ihrer Ermordung vielleicht siebzehn gewesen war. Ihre hungrigen Augen ruhten auf meiner Kehle, als ich mein Hemd auszog, die Schaufel schwang und loslegte. Jeder Pferch lag voller Dung, und ich musste schnell arbeiten; ich würde noch mehr bestraft werden, wenn ich die Morgenrotmesse verpasste.

Ich hatte die siebte Karre Mist abgefahren, als mich das Ungeheuer angriff.

Diese Geschichte wäre wesentlich kürzer ausgefallen, wenn ich nicht gewarnt worden wäre. Denn als der Schatten durch das Tor der Stallungen von hinten auf mich zuflog, scheute Justus so hörbar, dass ich den Kopf wandte. Und so krachte die Vampirin nur gegen meinen Rücken, warf mich um, und ihre Fangzähne rissen ein Loch in meine Schulter, nicht in meinen Hals. Während ich brüllend um mich schlug, wurde mir klar, wer da auf mich losgegangen war.

Vivienne La Cour.

Die Vampirin biss fester zu und bohrte ihre Zähne tief in mein Fleisch. Wieder brüllte ich auf und rammte ihr den Ellenbogen gegen den Kopf, während wir im Dreck umherrollten. Sie war wie von Sinnen und hatte ihre Klauen um meinen Hals geschlungen. Zwar versuchte ich, sie von mir abzuwerfen, aber bei Gott, sie war stark, und sie drückte mein Gesicht in den Dreck, während sie noch einen Schluck von meinem Blut trank. In diesem Augenblick erfasste mich die Verzückung des Blutkusses, meine Haut kribbelte, die Adern sangen, und ich begriff, wie leicht es wäre, jetzt einfach nur die Augen zu schließen und zuzulassen, dass dieses Wesen mich nahm, mich in sich ertränkte, mich ganz und gar schluckte.

Es war ein verlockender Gedanke. In Glückseligkeit zu sterben und nicht unter Qualen.

Könnte ich das? , fragte ich mich.

Wollte ich das?

Dann hörte ich einen dumpfen Aufschlag und das Knacken brechender Knochen. La Cour kreischte, als sie nach hinten geschleudert wurde und sich mehrmals überschlug, bevor sie vor einem Stützpfeiler liegen blieb. Als ich die Augen aufschlug, sah ich Justus über mir, die Nüstern gebläht, die Augen wild aufgerissen – er hatte die Wände seiner Box eingetreten, um mich zu retten, und der Vampirin einen mächtigen Tritt in die Rippen verpasst. Die schreckliche Seligkeit ihres Kusses verging, und mir wurde klar, wie nah ich dem Tod gewesen war. Als ich stolpernd auf die Beine kam und mir das Blut über die Brust lief, merkte ich, wie das Rote Paradies meinem ältesten und liebsten Freund Platz machte.

Dem Hass.

Vivienne erhob sich, um mir entgegenzutreten. Sie trug noch immer die schönen Kleider ihrer Beerdigung. Ihre Haut war grau, eingefallen und ausgelaugt von der schrecklichen Maschine in der Brennerei. Ihre Handgelenke und Lippen waren von dem Silber geschwärzt, mit dem sie gebunden gewesen war, und jetzt richtete sie ihre dunklen Augen auf mich, während blutige Tränen über ihre Wangen liefen.

›Ihr habt sie umgebracht‹, flüsterte sie. ›Ihr habt Eduard und Lisette umgebracht.‹

Um uns herum wieherten die verängstigten Pferde, aber Justus stand wie ein Fels hinter mir und gab mir Rückendeckung. Ich hatte keine Waffe außer meiner Schaufel und dem Silber auf meiner Haut, aber ich hatte schon zuvor ein Edelblut mit bloßen Händen erledigt. Wieder fühlte ich dieses Brennen in meiner Handfläche und auf meiner Brust; das heilige Feuer Gottes flammte in der Tinte meines Aegis auf. Ich hob die Hand, der Siebenstern flackerte hell, und die Vampirin zischte einen finsteren Fluch, als sie den Kopf abwandte.

›Zurück mit dir, du Blutsaugerin‹, fuhr ich sie an.

›Blutsaugerin?‹, flüsterte sie mit schimmernden Fangzähnen. ›Ihr heiligen Menschen. Ihr Kinder Gottes. Ihr bindet uns mit Silber und saugt uns aus und wagt es dann noch, uns als Parasiten zu bezeichnen!‹

Sie umkreiste den Lichtkreis meiner Hand, die Augen kalt und schwarz vor Bosheit.

›Wie bist du aus der Brennerei entkommen?‹, verlangte ich zu wissen, während ich mich langsam zu meiner Schubkarre hinbewegte.

La Cours Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. ›Vielleicht liebt dich deine heilige Sippschaft nicht so sehr, wie sie sollte, Junge.‹

Ich spuckte ins Stroh. ›Wer toten Zungen lauscht, wird tote Zungen schmecken.‹

›Dann komm doch her und schmecke sie!‹

Sie holte mit ihrer verkohlten Faust aus, und ich sah zu spät, dass sie näher zu der Kette getreten war, an der die anderen beiden Elenden aufgehängt waren. Mit einem Knacken brach die Verankerung, und die Kette löste sich. Die Toten stürzten von der Decke in den Hauptstall, mitten zwischen die jetzt aufgeschreckten Pferde.

Und so schnell stand es plötzlich drei zu eins.

Vivienne flog mir aus dem Dunkel entgegen, die verbrannten Hände zu Klauen gekrümmt. Aber ihre Augen waren noch immer geblendet vom Siebenstern und dem Löwen auf meiner Brust, und ich wich aus und ließ sie an mir vorbeirennen, um ihr sofort die Schaufel über den Schädel zu ziehen. Der Stiel brach ab, das Blatt knüllte sich zusammen wie Papier, aber es reichte, um sie blutend und keuchend ins Stolpern zu bringen.

Ein gottloses Geheul ging durch die Stallungen. Der ältere Elende hatte sich von seinen Ketten befreit und griff mich an. Ich hob die linke Handfläche, das Silber flammte hell auf, und das Ungeheuer riss die Hände in die Höhe, um sein Gesicht abzuschirmen. Weit über den Kopf hinweg ausholend, rammte ich das, was von dem Schaufelstiel noch übrig war, in die Augenhöhle des Geschöpfs, bis das zersplitterte Ende des Rundholzes auf der Schädelrückseite wieder hervortrat.

Der zweite Elende versuchte noch immer, sich aus den Ketten zu winden, die ihn fesselten, und ich sprang über die halbhohe Stallwand und rannte an den inzwischen völlig in Panik geratenen Pferden vorbei auf das Wesen zu. Aber Vivienne La Cour fiel mich aus der Dunkelheit wieder an und stieß mich gegen einen Stützpfeiler. Sie war so stark wie der Tod und hatte die Augen geschlossen, um sich vor dem Licht meines Aegis zu schützen, als sie mit dem Mund an meine Kehle drängte. Ich presste meine Handfläche gegen ihre Wange und wurde mit einem unnatürlichen Schmerzensschrei belohnt. Sie taumelte nach hinten, und ich versetzte ihr einen heftigen Tritt, so dass sie mit einem Krachen eine Stallwand durchbrach.

Doch nun hatte der jüngere Elende seine Ketten abgestreift und kam mir von wilder Blutgier getrieben entgegengerannt. Aber er war wahrscheinlich ein einfacher Bauernjunge gewesen, als er starb, und ich hatte von einem der besten Fechtmeister des Silberordens lernen dürfen. Also packte ich seinen Arm und schleuderte ihn gegen den Pfeiler. Mit einer weiteren Drehung kugelte ich ihm die Schulter aus und drückte ihn ins Stroh. Löwenklaue hatte ich nicht mitgenommen, um die Ställe auszumisten, aber mir fiel ein, dass ich trotzdem Silber dabeihatte, wo immer ich auch hinging. Und so hob ich den Fuß und trat mit meinen silbernen Absätzen immer wieder nach dem Kopf des Elenden, bis sein Schädel wie eine reife Frucht aufplatzte und das verfaulte Hirn ins Stroh spritzte.

Ein Schlag traf mich von hinten, als der andere Tote mich mit dem Gesicht voran gegen den Pfeiler stieß, obwohl der Schaufelstiel noch immer in seinem Schädel steckte. Meine Nase brach, mir platzte die Wange auf, und ich brüllte, als das Wesen in meinen Hals biss. Vielleicht wäre das mein Ende gewesen, aber ein zweites Mal kam mir Justus zu Hilfe. Er schlug aus und traf den Elenden so hart, dass das Wesen mit eingedrücktem Brustkorb beiseitegeschleudert wurde.

Während mein Pferd das brüllende Ungeheuer mit weiteren Tritten traktierte, schlug Vivienne wie eine Schlange zu, krallte ihre Finger in mein Haar und zog meinen Kopf ihren Fangzähnen entgegen. Verzweifelt riss ich mich mit aller Kraft los und heulte vor Schmerz auf, als dabei eine dicke Haarsträhne und ein Stück blutiger Kopfhaut in der Faust der Vampirin zurückblieb. Dann rollte ich mich durch das Stroh zu meiner Schubkarre, packte die Laterne und schleuderte sie gegen La Cours Brust. Das Glas zerbarst. Öl spritzte umher. Und der schwarze Schrei, der sich ihrer Kehle entrang, schien direkt aus dem Bauch der Hölle zu dringen.

Tageslicht. Silber. Feuer. Damit waren die Untoten zu bannen. La Cour stürzte aus den Stallungen, eine lebendige Fackel vor dem noch dämmrigen Morgengrauen. Nun gingen die Pferde durch, und Justus rannte mit ihnen davon; sie flohen vor den Flammen, die hinter der Vampirin aufflackerten. Ich zertrümmerte dem anderen Elenden mit meinem silbernen Absatz den Schädel und folgte La Cour hinaus in den Schnee. Der Gestank von brennendem Fleisch erfüllte meine Lungen. Als sie fast bis auf die Knochen verbrannt war, heulte Vivienne ein letztes Mal auf, doch nun lag mehr Trauer als Schmerz in ihrem Schrei. Sie sank auf die Knie, ihre Haut platzte auf wie harziges Holz, und sie brach zusammen. Der Tod, dem sie sich verwehrt hatte, holte sie nun doch.

Die Stallungen brannten, und andere Pferde tobten in ihren Boxen, als die Flammen höherschlugen. Obwohl das Blut dick aus meinen Wunden an der Schulter und am Hals quoll und mein Kopf wie eine Frucht gepellt worden war, rannte ich zurück, um die Tiere zu retten. Ich häufte Schnee in die Schubkarre und kippte ihn auf das Feuer. Eine Karre, eine zweite. Eine dritte. Rauch biss in meinen Lungen. Hitze versengte mir die Haut. Aber ich mochte verwundet sein, ich war trotzdem ein Bleichblut, und als Kaspar und Kaveh völlig perplex zur Arbeit erschienen, saß ich inmitten von verbranntem Fleisch und Stroh und Dung. Meine Brust, Schulter und Haare waren überall mit Blut verschmiert, aber das Feuer war gelöscht, und alle drei Vampire waren nur noch Asche.

›Im Namen des allmächtigen Gottes …‹, hauchte Kaspar.

Kaveh schüttelte stumm und mit weit aufgerissenen Augen den Kopf, als sich sein Bruder neben mich kniete.

›Was ist passiert, Kleiner Löwe?‹

Ich deutete mit dem Kinn zur Asche von La Cour, die immer noch rauchend auf dem frischen Schnee lag.

›Hat versucht, mich umzubringen‹, nuschelte ich mit gebrochenem Kiefer.

Die beiden Sūdhaemi ergänzten sich wohl in Gedanken den Rest der Geschichte und starrten mich staunend an. Dann nahmen sie mich in die Mitte und schleppten mich zur Himmelsplattform. Kaspars dunkle Hände waren blutverschmiert, weil er mir mein Hemd gegen die Wunden presste, die mir die Toten mit ihren Fangzähnen beigebracht hatten. Kaveh machte sich daran, die Pferde wieder einzufangen. Kaspars Blick ruhte auf dem schwarzen Fleck von La Cours Überresten, während sich der Aufzug aus dem Schnee erhob.

›Ein Wunder, dass du sie mit bloßen Händen besiegen konntest, mon ami ‹, sagte er.

›Gott sei gepriesen‹, murmelte ich.

Kaspar machte das Zeichen des Rads, während ich mich auf den Boden der Plattform gleiten ließ. Ich fühlte weder die kühle Luft noch die blutenden Risse in meinem Fleisch, noch die gebrochenen Knochen. Stattdessen gingen mir immer wieder die Worte durch den Kopf, die Vivienne La Cour mir entgegengeschleudert hatte, bevor sie starb.

›Vielleicht liebt dich deine heilige Sippschaft nicht so sehr, wie sie sollte, Junge.‹

Und obwohl ich wusste, dass die Toten vor allem mit Lug und Trug zu Werke gingen, obwohl ich wusste, dass ich keinem einzigen Wort trauen konnte, das dieses gottlose Miststück von sich gegeben hatte, stellte ich mir doch immer und immer wieder die Frage, wie zur Hölle sie aus der Brennerei hatte entfliehen können.

Und dann fiel mir die Gestalt wieder ein, die aus den Türen der Waffenschmiede geschlüpft war.

Schwarz gekleidet. Verstohlen wie ein Dieb in der Nacht.

Der scheißverdammte Aaron de Coste .

Und wieder murmelte ich vor mich hin, dieses Mal etwas leiser.

›Hat versucht, mich umzubringen …‹«