· XXIII · Réunion de famille

»E in Schrei drang hinter uns durch die Nacht, gefolgt von dem brutzelnden Geräusch, mit dem Fett ins Feuer tropft. Dior warf mir Flammenzunge zu, deren Griff noch klebrig war von ihrem Blut, und als wir uns dem entsetzlichen Geheul zuwandten, bot sich uns ein Anblick, bei dem sich meine Augen weiteten.

›Ja, leck mich doch …‹, flüsterte ich.

Liathe kämpfte noch immer gegen die Edelblüter, zehn gegen eine. Und obwohl es ein Wunder gebraucht hätte, um so viele und so mächtige Feinde zu besiegen, war es wohl so, dass es am Mère in jener Nacht Wunder regnete. Denn tatsächlich war zwar Liathes schwarzes Haar mit Blut durchtränkt, ihr roter Mantel und das bleiche Fleisch von toten Klauen zerfetzt, aber sie schien … den Sieg davonzutragen.

Maarten der Metzger hatte sich in einen Haufen Asche verwandelt, der in seinem Kettenpanzer vor sich hin rauchte. Roisin die Rote hatte einen Arm verloren und nutzte den verbliebenen anderen, um sich die Eingeweide in den aufgeschlitzten Bauch zurückzuschieben. Und ich sah fasziniert zu, wie Liathe den kleinen Brings vom Eis in die Höhe riss. Seine edle helle Kleidung war inzwischen blutdurchtränkt, und er quiekte wie ein aufgespießtes Spanferkel, als sich ihre Hand um seinen Hals schloss. Mir drehte sich der Magen um, als ich daraufhin ein vertrautes Geräusch hörte und einen vertrauten Geruch wahrnahm – den von kochendem Blut.

›Sanguimantik‹, flüsterte ich.

Der Junge schrie erneut, trat mit seinen Beinchen um sich, die untere Gesichtspartie vor Schmerz wie lang gezogen. Und obwohl er ein Eisenherz war, bohrten sich Liathes Finger immer tiefer in das Fleisch seiner Kehle, und es wurde schwarz, die Marmorhaut verwandelte sich zu Asche, und das Blut lief ihm in dicken roten Strömen aus den Augen.

Der ältere Edelmann kam blitzartig aus dem Schnee herangestürmt und griff fauchend an, und Liathe war gezwungen, den Jungen beiseitezuschleudern, bevor sie ihn erledigen konnte. Aber er krachte aufs Eis, heulte und schlug um sich, und roter Rauch stieg von seiner zerstörten Kehle empor.

›Mein Fürst …‹, flüsterte Liviana.

Die Edelblüter wandten sich um, als sie ihre Stimme hörten, und starrten zu den Überresten der Bestie von Vellene, die hinter mir lag. Ich ging über das Eis auf die Untoten zu; Liathe wich vor dem Schimmer meines Aegis zurück und zischte leise vor Wut. Der Feind meines Feindes ist nichts als ein weiterer Feind, und ich wollte niemals freiwillig in einer Schlacht an der Seite einer Vampirin kämpfen. Aber wenn dieses gottlose Miststück zufällig ein paar Blutsauger für mich erledigen wollte, während ich den Rest in Stücke schlug, dann durfte sie das meinetwegen gern tun.

Die Eisenherzen erzitterten und blickten entsetzt auf ihren gefällten Meister. Und überlegten offenbar, was in dieser neuen Lage am schlauesten war – zu kämpfen oder schnellstens ins Dunkel zu fliehen.

›Der Herr ist mein unzerbrechlicher Schild!‹

Der Ruf drang laut über den gefrorenen Mère, und eine kleine Flamme erhellte das Dunkel in der Ferne. Ein silberblauer Schimmer, den ich lange schon vergessen hatte, erleuchtete die Nacht und kam uns entgegen. Ich bekam eine Gänsehaut – nicht von der eisigen Kälte, sondern vom Anblick von Muttermaid und Erlöser, der Engelsschar, von Bären und Wölfen und Rosen, die sich über Oberkörper und Arme reckten. Die heilige Magik, von den Silbernen Schwestern eingeritzt. Die Rüstung der Silberwächter.

Vier Gestalten kamen aus dem Norden über das Eis geeilt, und das heilige Licht ihrer Haut leuchtete wie Geisterflammen. Sie trugen Silberstahlklingen, und ihre Augen waren wild und entschlossen.

›Da will ich doch verdammt sein …‹, hauchte ich.

Als die verbliebenen Eisenherzen die herannahenden Silberwächter sahen, während Liathe und ich sie von der Seite in die Zange nahmen, kamen sie schnell zu einer Entscheidung. Ihr furchteinflößender Capitaine war erschlagen. Ihr Vorteil verloren. Und man lebt nicht ewig, wenn man ein Narr ist. Wie Schatten flohen sie wieder ins tiefere Dunkel und waren zufrieden damit, diese Nacht überlebt zu haben. Und obwohl ich sie nur ungern davonkommen ließ, empfand ich doch eine grimmige Befriedigung bei der Vorstellung, wie sie dem Ewigen König diese Nachricht überbrachten – seine Beute verloren, seine Pläne vereitelt, sein jüngster Sohn erschlagen. Und ich tat einen leisen Schwur, mit Blut auf den Händen und der Asche einer getöteten Bestie auf meiner Haut.

›Das ist nur der Anfang, Fabién …‹

›Komm mit unsss, Kind.‹

Ungläubig wandte ich mich um. Liathe stand im Schnee, immer noch verborgen hinter der Maske mit dem blutigen Handabdruck am Mund, und streckte die Finger aus. Dior wechselte einen Blick mit mir und hob ihren Silberstahldolch. Beinahe hätte ich laut gelacht.

›Du machst wohl Witze.‹

Der Schneefalke schoss über uns dahin, während die Wächter auf uns zueilten. Liathe fixierte mich mit bleichen, leblosen Augen, die sie gegen das gleißende Licht zusammenkniff, das von meinem Aegis ausging. ›Es gibt nur einen Ort im ganzen Reich, an dem dieses Mädchen in Sssicherheit wäre, und der befindet sssich nicht in den verfallenden Hallen deines elenden Ord…‹

›Du Miststück‹, seufzte ich, ›halt die verdammte Fresse.‹

Dann erhob ich Flammenzunge zwischen uns, die Klinge blutrot.

›Wenn du glaubst, ich hätte meinen Arsch durch das halbe Reich geschleppt, Priesterinnen umgebracht, mich von Inquisitorinnen foltern lassen, ganze Horden von Elenden abgewehrt, die Schrecken der Nordmarken erlebt, Fürsten des Ewigen bekämpft und dabei noch mein Gewicht in Scheißkartoffelbrot gegessen, und das alles nur, um dir jetzt dieses Mädchen auszuliefern, dann bist du verrückter als das Schwert in meinen Händen, Vampir.‹

Das Schnick und das Schnack , flüsterte Flamm. Und das Rot, Rot, Rot.

›Du hast keine Ahnung, was diesesss Mädchen bedeu…‹

›Das Mädchen hat einen Namen!‹, fuhr Dior sie an. ›Und es steht direkt hier .‹

›Gabriel!‹, ertönte es aus der Ferne.

›Sssie haben keine Vorstellung davon, wasss du bissst‹, zischte Liathe, die zu den nahenden Silberwächtern herübersah. ›Komm mit unsss, Kind, ich flehe dich an.‹ Sie streckte uns ihre bleiche Hand entgegen. Um uns herum fiel der Schnee. ›Komm mit unsss oder stirb.‹

Aber Dior schüttelte den Kopf und verzog den Mund. ›Ihr Arschlöcher habt Rafa ermordet. Saoirse. Bellamy. Schwester Chloe. Ich weiß jetzt vielleicht noch nicht so viel über diese ganze Silberwächter-Sache, aber ich lerne schnell, und das habe ich jetzt schon begriffen: Wer toten Zungen lauscht, wird tote Zungen schmecken .‹

›Gabriel!‹, rief es wieder. ›Dior!‹

Jetzt hatte uns der Silberkader erreicht, in göttliches Licht getaucht. Liathe, die sich nun einer zahlenmäßigen Überlegenheit gegenübersah, fauchte hinter ihrer Maske, warf sich ihren zerfetzten Mantel um und zerplatzte wieder zu dieser Wolke blutroter Motten, die in den wirbelnden Schnee hineinflatterten.

›Süße Muttermaid‹, flüsterte einer der Wächter. ›Was war denn das ?‹

Nun sah ich die vier an, die mir in Silber gewandet entgegenkamen. Einer war ein junger Mann aus Sūdhaem, der mir fremd war, mit dunkler Haut und schwarzen Augen. Aber die anderen drei kannte ich aus den Tagen meines Ruhms. Den großen de Séverin, dem der Bär des Blutes Dyvok auf der Brust leuchtete und der seine Visage zu einem dümmlichen Lächeln verzogen hatte. Den schlauen kleinen Fink, dessen ungleiche Augen glänzten, als er die silberne Fleischgabel hob, die ihm seine Großmutter gegeben hatte, und der mich durchtrieben angrinste, während er die Waffe zwischen den Fingern drehte. Und den Letzten natürlich kannte ich am besten von allen.

Er war inzwischen älter, immer noch nichts als Haut und Knochen, und sein Haar, das einst die Farbe dreckigen Strohs gehabt hatte, war inzwischen fast völlig ergraut. Und dennoch war er erfüllt vom Glauben und Zorn seiner Jugend und trug ein Langschwert aus Silberstahl in seiner gesunden Hand, während in seinem verbliebenen Auge das Feuer der Rechtschaffenheit brannte.

›Grauhand …‹, flüsterte ich.

›Gabriel de León‹, hauchte mein alter Mentor. ›Bei der Muttermaid und allen Sieben Märtyrern, ich hätte nie gedacht, dich je lebend wiederzusehen …‹

›Wie in Gottes Namen habt Ihr uns gefunden?‹

Er hob den Arm, und der Schneefalke, der über uns gekreist war, landete auf seiner Faust. ›Der alte Schütze ist vor ein paar Jahren gestorben. Das hier ist Winter. Sie folgte euch schon, bevor ihr Aveléne erreichtet.‹

›Aber woher wusstet Ihr überhaupt, dass Ihr nach uns Ausschau halten musstet?‹, fragte Dior.

Mit einem Nicken stellte ich sie den anderen vor. ›Das ist Dior Lachance. Sie …‹

›Wir wissen, wer sie ist‹, erwiderte Grauhand.

›Gabriel?‹, ertönte jetzt ein wilder Schrei. ›Dior?‹

Mein Herz machte einen Sprung, Diors Augen leuchteten auf, und wir wandten uns beide der Richtung zu, aus der wir den Ruf vernommen hatten. Und dort an der gefrorenen Uferböschung, inmitten eines Kaders Silberschwestern, die mit Radschlosspistolen bewaffnet waren, entdeckte ich ein Gesicht, von dem ich nicht gedacht hatte, dass ich es je wiedersehen würde.

›Schwester Chloe!‹, schrie Dior.

Sie lief humpelnd los, und die kleine Nonne rannte ihr so schnell entgegen, dass sie auf dem Eis ausglitt. Dior kam ebenfalls ins Rutschen, prallte gegen Chloe, und die beiden fielen hin, lachten und weinten, während Chloe flüsterte: ›Merci , oh, merci, allmächtiger Gott …‹

›Ein Bote, der entlang des Flusses unterwegs gewesen war, brachte die werte Schwester vor einigen Wochen nach San Michon‹, berichtete Grauhand leise. ›Er hatte sie am Ufer der Volta gefunden, halb ertrunken und fast erfroren. Aber er war ein gottesfürchtiger Mann, und er nahm es auf sich, sie bis zum Kloster zu tragen. Erst dachten wir, sie würde nicht durchkommen, aber in ihr brennt ein starker Glaube. Und als sie wieder zu Bewusstsein kam, erzählte uns Sœur Sauvage von euren Reisen und dass ihr beide, du und das Mädchen, vielleicht noch lebt. Daraufhin sandten wir all unsere Augen aus, um nach euch Ausschau zu halten, auf allen Straßen, auf denen ihr vielleicht unterwegs sein würdet.‹

Ich lächelte, und während ich Dior und Chloe zusah, wie sie miteinander durch den Schnee tollten, wurde mir warm ums Herz.

›Stimmt es denn, Gabriel?‹, fragte mich Fink nun. ›Was uns Schwester Chloe von dem Mädchen erzählt hat?‹

›Ist sie wirklich der Gral von San Michon?‹, wollte de Séverin wissen.

Mein Blick glitt wieder zu den Überresten von Dantons Leichnam. ›Ihr Blut hat einen Fürsten des Ewigen zu Asche verbrannt. Hat Menschen von der Schwelle des Todes errettet. Wenn sie nicht das ist, was Chloe sagt, dann habe ich keine andere Erklärung für das, was sie vollbringt.‹

›Der Erlöser sei gepriesen‹, flüsterte Fink und schlug das Zeichen des Rads.

›Das Ende des Tagestods‹, flüsterte der junge Sūdhaemi.

›Vielleicht‹, sagte ich seufzend.

›Es tut gut, dich wiederzusehen.‹

Ich spürte, dass ich unwillkürlich die Zähne zusammenbiss, als ich Grauhands Worte hörte. Es war seltsam, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen, und ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Dieser Mann war mein Lehrer gewesen. Er hatte mir das Leben gerettet, ebenso wie ich ihm das seine. Und auch wenn ich ihn zu Zeiten meines größten Ruhms übertroffen haben mochte – jeder Sohn steht lebenslang im Schatten seines Vaters. Aber zwischen uns hatte sich eine Kluft aufgetan, die noch immer da war. Grauhand hatte zu denen gehört, die mir befohlen hatten, mich von Astrid zu trennen, die über mich gerichtet hatten, als ich mich weigerte, und die meine Geliebte und mich in die Kälte und Dunkelheit hinausgejagt hatten. Und obwohl ich mich an Aarons Worte erinnerte und obwohl mir mehr denn je bewusst war, dass jeder Augenblick meines Lebens genau hierher geführt zu haben schien und dass alles, was ich erlitten und geopfert hatte, vielleicht nur deshalb geschehen war, damit ich Dior nach San Michon bringen konnte … dennoch, dennoch …

›Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen, Frère.‹

›Er ist kein Frère mehr‹, sagte Fink. ›Das war einmal. Grauhand ist jetzt unser Abt, Gabriel.‹

Fragend sah ich meinen alten Meister an. ›Und Khalid?‹

›Sein Durst wurde zu laut.‹ Grauhand zeichnete das Rad. ›Vor vier Jahren ergab er sich dem Roten Ritual. Gott gab ihm die Kraft für den Tod eines Silberwächters.‹

›Besser, als Mensch zu sterben, denn als Monster zu leben, was?‹, fragte ich.

›Du hast es geschafft !‹

Ich stieß keuchend die Luft aus, als Chloe sich auf mich stürzte und mir die Arme in einer Art und Weise um den Hals warf, die sich für eine Nonne der Silbernen Schwesternschaft ganz und gar nicht ziemte. Aber ich fing sie auf und lachte, und die Freude darüber, sie lebend vor mir zu sehen, schob den Schatten auf meinem Herzen beiseite, den ich bei diesem seltsamen Wiedersehen mit meiner einstigen Bruderschaft empfand. Chloe küsste meine Wange, ohne sich an dem Blut und der Asche zu stören, und ihre Augen funkelten, als wären sie aus Kristall.

›Ich wusste es!‹, rief sie, und sie lachte und weinte gleichzeitig. ›Habe ich es dir nicht schon vor Jahren gesagt? Und vor kurzem erst wieder? Gott hat dich zu Großem ausersehen, mon ami . Und du hast diesem Reich einen größeren Dienst erwiesen als jeder heilige Bruder, jeder Chevalier, jeder Held oder Herrscher der gesamten Geschichtsschreibung!‹ Sie küsste mich wieder und drückte mich fest. ›Du bist ein guter Mann, Gabriel de León. Der beste von allen.‹

›Er ist ein Dreckskerl, nicht mehr und nicht weniger‹, erklärte Dior grinsend und humpelte zu uns herüber.

›Hüte deine Zunge, Mädchen‹, knurrte ich gespielt ernsthaft. ›Du hast dir eine ordentliche Abreibung verdient, weil du dein Versprechen gebrochen hast. Und Aaron und Baptiste schuldest du einen Schlitten und ein Rudel Schlittenhunde.‹

Ein Muskel zuckte an Grauhands Kinn, als er den Fluss hinabblickte. ›San Michon wird dem Herrn von Aveléne seinen Verlust ersetzen. Sag ihm, er hat mein Wort, wenn du zum Château zurückkehrst.‹

Verwundert hob ich den Kopf. ›Ich gehe nicht zurück nach Aveléne.‹

Chloe nickte und ließ mich wieder los. ›Gabriel hat im Osten etwas zu erle…‹

›In den Osten gehe ich auch nicht.‹ Mein Blick glitt zwischen ihnen hin und her, dann runzelte ich langsam die Stirn. ›Ich gehe mit Dior nach San Michon.‹

Chloe lächelte leise und schüttelte den Kopf. ›Gabriel, sie ist bei uns in Sicherheit. Du hast mehr getan, als ich je von dir hätte verlangen dürfen, aber es gibt keinen Grund, dass du dir noch mehr Mühe …‹

›Es ist überhaupt keine Mühe.‹ Ich trottete über das Eis zu Dior hinüber. Das Licht meines Aegis war verblasst, und jetzt kroch mir die Kälte in die Knochen. Aber als Dior ihre Hand in meine schob, fühlte ich noch immer Feuer in meiner Brust. ›Ich lasse sie nicht allein.‹

›Es ist alles gut, Schwester‹, sagte Grauhand. ›Unser Abschied mag von einer dunklen Wolke überschattet worden sein, aber Gabriel hat San Michon lange und geschichtsträchtige Jahre gedient. Einige der Jüngeren würden den berüchtigten Schwarzen Löwen von Lorson sicher gern einmal kennenlernen.‹

Nicht berühmt , dachte ich bei mir, sondern berüchtigt .

Chloe presste die Lippen zusammen und nickte dann. ›Véris, Herr Abt.‹

›Dann lasst uns aufbrechen‹, knurrte Grauhand. ›Der Sonnenuntergang wartet nicht auf den Wächter.‹

Die Silbernen Schwestern hatten ein zusätzliches Sosya mitgebracht, und während Chloe Diors Handverletzungen verband, wickelte ich mich für den Ritt nach Norden in eine Decke. Dior stieg auf ein kräftiges graues Pony, und ich sah, wie sie den Blick noch einmal über den Mère schweifen ließ. Über das zertrümmerte Eis und die kalte Asche, die Überreste unsterblicher Ungeheuer, die sich unter ihrer Hand als nur allzu sterblich erwiesen hatten. Ihr Mantel war schneebestäubt und blutbespritzt, und ich empfand den beinahe unwiderstehlichen Drang, ihr das Haar verdammt nochmal aus dem Gesicht zu streichen. Stattdessen streckte ich ihr Dantons Säbel hin und verneigte mich wie ein Edelmann bei Hofe.

›Wofür ist das?‹, fragte sie.

›Die Beute gebührt dem Sieger. Das ist eine äußerst hervorragende Klinge, perfekt für Fechtübungen geeignet.‹ Das getrocknete Blut auf meinen Wangen bekam spürbar Risse, als ich lächelte. ›Wir sollten mit dem Unterricht beginnen, du und ich.‹

Sie grinste ebenfalls, nahm den Säbel und sah ihn sich genau an. ›Er ist wirklich hübsch.‹

Dann reichte ich ihr die dazugehörige Scheide. ›Schneide dir bloß nicht die Hände damit ab.‹

Mit einem leisen Lachen senkte sie den Kopf, und das ascheweiße Haar fiel ihr wieder vor die Augen.

›Es tut mir leid, Gabriel‹, murmelte sie. ›Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe.‹

›Ich nehme deine Entschuldigung an. Solange du es nicht wieder tust.‹

Nun hob sie die blutige rechte Hand. ›Ich schwöre feierlich, Gabriel nie wieder anzulügen.‹

›Gut.‹ Mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht stieg ich hinter ihr auf. ›Denn dramatische Jagden mit untoten Horden bringen ja den Kreislauf schön in Schwung, aber ich bin nicht mehr so jung wie früher.‹

›Soll ich dir deinen Gehstock holen, alter Mann?‹

›Freche Göre.‹

›Mir hinterherzufahren, war dumm, weißt du? Du hast doch gesagt, es ist besser, ein Arschloch zu sein als ein Narr.‹

›Als Vater kann man sich das leisten. Du sollst nicht meinen Taten folgen, sondern meinen Worten.‹

Sie lächelte andeutungsweise, die blauen Augen noch immer auf das blutige Eis gerichtet. ›Merci . Dass du mir nachgefahren bist.‹

›Ich habe es dir doch gesagt. Meine Freunde sind der Berg, auf dem ich sterbe.‹

›Dann sind wir immer noch Freunde?‹

›Von der seltsamsten Sorte. Aber oui .‹ Ich atmete seufzend ein. ›Immer noch Freunde.‹

Jetzt lächelte sie breiter, verschmitzt, reckte sich zu mir hoch und küsste meine blutige Wange.

›Wofür war das denn, verdammte Scheiße?‹, brummte ich.

›Einfach nur so‹, log sie.«