Chester Coles Rückkehr

W. A. Hary



Untertitel: "Der Verbannte kehrt zurück - um abzurechnen!"


Chester Cole rückte unbewusst das Halfter zurecht und löste den Sicherheitsriemen über seinem Colt Navy. Den Stetson tief in der Stirn, spähte er durch die flimmernde Mittagshitze zur Schlucht hinüber.

Er musste dort hindurch. Es gab keine andere Wahl. Auch wenn allein schon beim Gedanken an dieses Vorhaben ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend entstand.

Als sei diese Schlucht in Wirklichkeit das gähnende Maul eines alles verschlingenden Molochs.

"Yeah!" Er schnalzte mit der Zunge und kitzelte leicht die Flanken seines Braunen mit den Sporen. Das Tier machte erschrocken einen Satz nach vorn. Ein weniger gut geübter Reiter wäre dabei glatt abgeworfen worden. Und dann jagte es im Galopp zum Eingang der Schlucht.

Der weite Weg hatte Reiter wie Pferd zwar müde gemacht, aber davon war jetzt nichts mehr zu spüren.

Die Schlucht nahm sie auf.

Chester Cole, von Freunden wie Feinden überwiegend kurz "CC" genannt, schnippte seinen Stetson in den Nacken. Seinen suchenden Augen entging nichts - auch nicht das kurze, verräterische Aufblitzen hoch oben in den zerklüfteten Felsen.

CC griff hart in die Zügel. Der Braune scheute prompt. Gleichzeitig sirrte etwas wie eine wütende Hornisse knapp an CC's Ohr vorbei. Es folgte die donnernde Entladung eines Schusses, die sich mehrmals an den steilen Felswänden brach.

Also hatte ihn sein ausgeprägtes Gefühl für drohende Gefahren nicht betrogen!

Egal, wer der Heckenschütze auch sein mochte: Man wollte also mit aller Gewalt verhindern, dass er lebend Gold-Valley erreichte, das jenseits des natürlich entstandenen Felsengürtels lag!

"All right, Gold-Valley!" CC spuckte verächtlich in den Staub. Er lenkte den Braunen zu einer Deckung und glitt aus dem Sattel.

Der zweite Schuss verfehlte ihn genauso knapp wie der erste und dann kauerte sich CC zwischen die Felsbrocken, die hier wie zufällig hin gewürfelt herumlagen, so, als hätte kurz vorher ein Riesenbaby damit gespielt.

CC hatte sich die Stelle ganz genau gemerkt, von wo aus geschossen wurde. Das ganze Felsengewirr hatte sich in seine Erinnerung gefressen wie mit Säure.

Er schloss die Augen und stellte sich den Heckenschützen vor. Der musste jetzt die Stellung wechseln. Am besten, wenn er von sich aus gesehen nach links lief, um so Chesters Deckung weit zu umgehen. Dann konnte er CC in den Rücken fallen...

Es war, als wäre CC ein Hellseher, der jeden Schritt seines Gegners beobachten konnte, so lange er die Augen geschlossen hielt.

Schließlich war es soweit. Genau in diesem Augenblick, yeah, da müsste er sein Ziel erreicht haben, den breiten Rücken von CC, seinem Opfer, offen und ungeschützt vor sich sehen.

Er wollte töten. All sein Sinnen und Streben war darauf ausgerichtet. Und er konnte sich sicher überhaupt nicht vorstellen, dass CC längst jeden seiner Schritte genau voraus berechnet hatte und keineswegs der ahnungslose Todeskandidat war, als der er dem Mörder jetzt erschien.

Der Mordschütze verließ vollends seine eigene Deckung, um besser zielen zu können. Er hob das Gewehr in Schulterhöhe und legte an. Sorgfältig zielte er, schon in Vorfreude des Erfolges. Sein nächster Schuss würde nicht mehr daneben gehen. Ganz bestimmt nicht. So dachte er sich das.

Er sah überhaupt kein Risiko mehr für sich selbst und das war sein verhängnisvoller Fehler.

CC wirbelte rechtzeitig herum, riss jetzt erst den Colt Navy aus dem Halfter und brachte die Waffe in Anschlag.

Auch die dritte Kugel aus dem Gewehr des Mörders verfehlte ihn. Sie traf dort auf den harten Felsen, wo CC gerade noch gelegen hatte. CC hatte keine Sekunde zu früh reagiert.

Der Mörder war in Schussweite und deckungslos. Der Navy bellte los. Einmal. CC schickte sicherheitshalber noch zwei weitere Kugeln nach.

Keine verfehlte ihr Ziel.

Während aus dem langen Lauf seiner Waffe Rauch stieg, richtete sich CC in seiner vollen Länge von gut sechs Fuß auf. Das wettergegerbte Gesicht, in welches das Leben tiefe Furchen eingegraben hatte und den Mann viel älter erscheinen ließ als er in Wirklichkeit war, zeigte keinerlei Regung. Er sah den Getroffenen fallen. Das Gewehr hatte dieser verloren. Er starb bereits, bevor sein Körper auf der steilen Böschung auftraf.

CC schnalzte mit der Zunge. Gehorsam trippelte sein Brauner herbei. Die krachenden Schüsse schienen ihm überhaupt nichts ausgemacht zu haben.

"So ist er brav!", lobte CC und tätschelte ihm leicht die Hinterhand. Er steckte den Colt in das Halfter zurück, ließ aber den Sicherheitsriemen unbefestigt. Langsam stieg er in den Sattel, dabei aufmerksam seine Blicke in die Runde gehen lassend.

"Was denn, nur ein einziger zur Begrüßung?", murmelte er sichtlich enttäuscht. "By gosh, ich liebe es eigentlich, so sehr unterschätzt zu werden!"

Er ließ dem Pferd die Zügel.

"Gold-Valley, ich komme! Auch wenn du dir Mühe gegeben hast, mich nicht empfangen zu müssen, aber es war der Mühe zu wenig. Wirst es schon noch zu spüren bekommen."


* * *


Gold-Valley sah von hier oben aus wie ein Schmutzfleck in einer paradiesischen Landschaft.

Yeah, die Landschaft an sich wirkte wie ein Paradies der Fruchtbarkeit. Wer die sengende Mittagshitze zwischen den Felsen verließ und dieses weite, herrliche Land vor sich liegen hatte, glaubte sich in einer anderen, in einer besseren Welt.

So musste es auch den ersten Siedlern ergangen sein, nach Überwindung der gefährlichen und für viele sogar tödlichen Felsenwüste dieser Ausläufer der mächtigen Rocky Mountains. Kein Wunder, dass sie sich spontan hier für immer nieder gelassen hatten, um ihre Stadt zu gründen.

Die Goldgräber mit ihrer Gier nach Reichtum waren viel später erst in dieses Paradies eingedrungen und hatten eine Hölle daraus gemacht. Viele der friedlichen Farmen waren in Rauch aufgegangen, Unschuldige hatten ihr Leben lassen müssen.

Davon konnte Chester Cole selber ein Liedchen singen, denn er war hier geboren und kannte sich in der kurzen und dafür um so blutigeren Geschichte von Gold-Valley am fruchtbaren Rio Lobo bestens aus.

Der Rio Lobo sah hier am Oberlauf noch eher aus wie ein zu groß geratener Bach, obwohl die Stromschnellen im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze voll im Gange war und die Gletscher der Rockys kalbten, schon von vielen unterschätzt worden waren. Ein Fehler, den sie niemals wieder hatten gut machen können - in diesem Leben jedenfalls nicht mehr.

Sein Wasser hatte oft genug den Tod begleitet, nicht nur durch eigenes Zutun. Es hatte sich vom Blut gefallener Farmer rot gefärbt, wenn sie es gewagt hatten, sich gegen die Goldgräber aufzulehnen, die das schöne Land kaputt machten. Später noch, als die Goldgräber nichts mehr fanden, was ihnen lohnend erschien und deshalb die Stadt wieder verließen, wendete sich das Schicksal der Siedler keineswegs zum Guten. Dann kamen die ersten großen Viehherden. Denn der große Trail von Westen ging damals zwangsläufig an Gold-Valley vorbei. Und so färbte sich wieder oft das Wasser des Rio Lobo blutrot - viel zu oft.

Die Herdenbosse hatten als nächste Gold-Valley zu einem brodelnden Hexenkessel gemacht und ihre Herden zertrampelten nicht nur die Wintersaat. Vor allem im Herbst gab es deshalb die blutigsten Auseinandersetzungen zwischen den wilden Cowboys und den ortsansässigen Farmern.

Das Gesicht von Chester Cole wurde zu einer steinernen Maske, als ihm das alles beim Anblick von Gold-Valley durch den Kopf ging.

Gold-Valley: Niemand wusste mehr, wie die ersten Siedler ihren damals paradiesischen Ort eigentlich genannt hatten. Der Name, den ihm später die Goldgräber gaben, der hatte sich bis heute unverändert gehalten.

CC knirschte hörbar mit den Zähnen.

Jedermann glaubte, dass mit der Eisenbahnlinie alles besser werden müsste, weil die Linie diese Stadt weit verfehlte und danach keine Herden mehr am Rio Lobo vorbei gen Osten getrieben wurden, weil man sie viel lieber per Bahn verschickte. Die Farmer freuten sich darauf, wieder in Frieden ihr Land zu bestellen und die ortsansässigen Rancher hatten überhaupt nichts dagegen, dass es so weit war bis zur nächsten Bahnstation, falls sie ihr eigenes Vieh treiben mussten. Wenn nur wieder die ersehnte Ordnung Einkehr halten durfte.

Yeah, eine echte Chance zum Frieden und der erneute Beginn des Paradieses schien sich damals anzukündigen.

Weit gefehlt, wie die weitere Geschichte der Stadt zeigte, denn Gold-Valley wurde sogleich Treffpunkt von allerlei lichtscheuem Gesindel, gerade weil die Bahnlinie so weit weg blieb und die Stadt daher so abseits lag. Die einen waren auf dem Weg weiter gen Westen, von Abenteuerlust getrieben und die anderen auf der Flucht nach Osten. Dritte wiederum kauften hier alles ein, um auf der Flucht vor der Staatspolizei in den Bergen überwintern zu können.

Nun, eine harte Hand hätte in diesem Chaos sicherlich Ordnung schaffen können. Das war auch hin und wieder versucht worden, von einigen beherzten Bürgern, aber sie waren stets hoffnungslos in der Minderheit geblieben. Denn für einige anderen, die Goldgräber und Viehherden nicht nur überstanden hatten, sondern dabei auch reich geworden waren, bot sich damit eine neue Chance, leicht Geld zu machen. So verlor manch ein Bandit in Gold-Valley nicht nur seine Beute, sondern auch sein Leben. Andere wiederum gelangten zu Brot und Ansehen, nur weil sie einen schnellen Colt hatten, den sie an den Meistbietenden vermieteten.

Auch die geringste Chance zu einem neuen Frieden war auf diese Weise vertan.

Und weil Chester Cole zu seinem eigenen Pech auf der Seite der Schwächeren und Unterdrückten der Stadt geboren worden war, hatte er eines Tages ein Pferd gesattelt und war geflohen.

"Yeah, damals war es eine Flucht. Ich war zu feige, so etwas wie Heimatgefühl zu entwickeln. Aber ich bin nicht für immer weg geritten. Denn ich bin wieder hier!", sagte Chester Cole heiser. Es klang wie eine Entschuldigung und irgendwie war es das auch.


* * *


Bis zur Stadt gab es keinen weiteren Zwischenfall mehr. CC ritt dennoch mit stets hellwachen Sinnen. Unter dem breitkrempigen, tief in die Stirn gezogenen Stetson entging ihm nichts, nicht die geringste Kleinigkeit.

Gold-Valley war eine zwar absolut abgelegene Stadt, aber keineswegs langweilig oder gar tot.

Der einzige Vorteil, falls man das wirklich als Vorteil sehen sollte!, dachte CC und schnalzte mit der Zunge, wie es seine Art war.

Der Braune reagierte, indem er leicht zur Seite trippelte und einen großen Wagen vorbei ließ.

CC zupfte kurz an den Zügeln und verfolgte den Wagen mit den Blicken.

Das war sicher nicht der Besitzer des herrschaftlichen Zweispänners, sondern nur der Kutscher. Auf dem Kutschbock fanden bequem drei Männer nebeneinander Platz, auch wenn dort jetzt nur der eine saß. Die offene Fahrkabine war so groß wie bei einer mittleren Postkutsche und - leer.

Es blieb nicht der einzige herrschaftliche Zweispänner, der CC unterwegs begegnete und nicht jeder war ohne Passagier.

Solche Wagen signalisierten großen Reichtum, aber CC sah auch die Armut halb im Straßendreck, schmutzig, heruntergekommen, verwahrlost.

Er kam an einem der Saloons vorbei. Schüsse bellten, heiseres Männergelächter folgte, das durch die offenen Fenster mit den grellbunt wehenden Gardinen heraus drang, vermischt mit dem schrillen Kreischen anscheinend höchst vergnügter "Ladies".

CC brauchte keine allzu große Fantasie, um sich auszumalen, um was es da ging und wie meistens geschah der "Spaß" auf Kosten eines Schwächeren, der nicht ausreichend in der Lage war, sich seiner Haut und vor allem seiner Ehre zu wehren.

Schon erschien der Tropf sturz besoffen und bereits leicht lädiert an der Pendeltür. Jemand schoss über seinen Kopf hinweg, dass er zusammen zuckte und durch die Tür taumelte. Der Jemand versetzte ihm auch noch einen kräftigen Tritt in den Hintern. Der Tropf taumelte über den hölzernen Gehsteig, verlor vollends den Halt und kippte vornüber in den Straßenstaub, sich dabei überschlagend. Die Hände blieben im Bauch verkrallt. Er krümmte sich zusammen und stöhnte laut.

CC sah kurz den Missetäter, einen fettleibigen, bärtigen Gesellen, der mit seinem Colt noch einen Salut abgab, sich dem Innern des Saloons wieder zu wandte und lauthals "eine Runde für seine Freunde" bestellte.

Da war es wieder, das heisere Gelächter und das Frauengekreische. CC verspürte darüber eine Gänsehaut.

God damned, keine langweilige und gewiss keine tote Stadt, aber eine durch und durch verkommene Stadt, yeah, Gold-Valley, das bist du inzwischen endgültig geworden!

Endgültig?

CC hatte genug gesehen und ritt weiter. Es hatte sich einiges geändert. Vor allem war die Stadt inzwischen enorm gewachsen, was er nun gar nicht in solchem Ausmaß vermutet hätte. Überall war angebaut worden. Zwischen den einzelnen Gebäuden waren dadurch meist die Abstände so knapp geworden, dass kaum ein Mann noch hindurch kam. Jeder Quadratmeter wurde anscheinend genutzt.

Zu nichts Gutem!, wie CC fand.

Sein Ziel stand bereits fest. Er war zwar hier geboren und aufgewachsen, aber um sein Ziel zu finden, musste er trotzdem suchen: Die Poststation! Man hatte sie verlegt, mitten hinein in den größten Hexenkessel. Hier hatte man auch eine Art Marktplatz geschaffen, dem Vorbild der größeren Städte folgend, die sich zu Metropolen entwickelten.

Während man also überall gebaut hatte, waren hier ein paar Gebäude abgerissen worden. Unter anderem das alte Sheriff's Office und der alte Great Saloon, wie CC nicht ohne Wehmut feststellen musste.

Er zügelte seinen Braunen vor dem Postoffice und saß ab. In scheinbar stoischer Gelassenheit befestigte er die Zügel am Balken und warf dabei unauffällig einen letzten Blick in die Runde.

Bisher hatte keiner auf ihn geachtet. Niemand hatte ihm direkt ins Gesicht gesehen. Die Menschen, denen er begegnet war, waren alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Und auch hier war das nicht anders. Er sah niemanden, der sich Zeit ließ. Alle zeigten sich hektisch. Man überquerte die Straße scheinbar nur, wenn man unbedingt musste und dann tat man es in größter Eile, um es ja schnell genug hinter sich zu bringen.

Yeah, keine tote Stadt, aber eine, in der das Leben in keiner Weise mehr lebenswert war.

Höchstens für diejenigen, die ihren Profit dabei machen!, dachte er und schnippte den Stetson weiter in den Nacken. Seine Rechte streifte wie zufällig den Colt. Er saß locker genug.

Alles deutete darauf hin, dass man den Anblick von einer ganz bestimmten Sorte von Westmännern gewöhnt war. Männer mit tiefgeschnallter Waffe gehörten hier scheinbar zum alltäglichen Stadtbild.

CC ging mit schweren Schritten und klirrenden Sporen zum Eingang und trat diesen mit der Stiefelspitze auf.

Es herrschte wenig Betrieb im Schalterraum.

CC schaute sich suchend um. In der Ecke fand er den Telegraphenschalter. Früher war das alles wesentlich bescheidener, dafür aber freundlicher gewesen, konstatierte er im Stillen und setzte sich in Richtung Telegraphenschalter in Bewegung. Seinen lauernden Blicken entging auch jetzt nichts.

Nur einer nahm Notiz von ihm, ein relativ junger Bursche im piekfeinen Anzug, zu dem der tief geschnallte, schussbereite Revolver ganz und gar nicht passen wollte.

CC sah den überraschten Gesichtsausdruck des ihm Fremden, der umgekehrt ihn sehr wohl erkannt hatte und er sah, dass die Hand des Mannes zur Waffe flog.

CC zögerte keinen Sekundenbruchteil. Man hatte ihm oben in der Schlucht bereits bewiesen, dass er erwartet wurde und der Kerl hier wollte offenbar den Fehler seines Kumpans oben in der Schlucht wiedergutmachen.

CC's Colt Navy bellte einen Sekundenbruchteil vor der Waffe des Revolvermannes. Die Kugel fuhr in die Brust des Fremden und trieb ihn rücklings gegen die Wand.

Die Waffe des Sterbenden war noch nicht ganz oben. Ein Schuss löste sich krachend, aber die Kugel klatschte in den gewachsten Dielenboden, fetzte dort einen dicken Holzsplitter los und schlitterte weiter, ohne noch weiteren Schaden anrichten zu können.

Das Donnern der Schüsse ließ alle Anwesenden sekundenlang taub werden. Sie hörten ihr eigenes Schreien nicht mehr.

Alle wichen vor CC und dem Sterbenden zurück. Die in der Nähe der Tür standen, flohen schleunigst nach draußen.

CC behielt den Navy in der Faust. Er ging rasch zum Schalter hinüber, den er ursprünglich angesteuert hatte. Seine Linke schnellte vor.

Der Schaltermann sprang erschrocken auf. CC erwischte ihn am Rockaufschlag. Mit einem kräftigen Ruck zog er ihn halb über den Tresen. Sein Gesicht kam ganz nahe. Seine schneeweißen, gebleckten Zähne erweckten in dem Telegraphierer den schieren Horror. Der Mann zitterte wie Espenlaub.

CC's Atem streifte unangenehm sein Gesicht, als CC fragte: "Woher weiß man von meinem Kommen?"

Der Mann wollte etwas sagen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst.

"Vor Tagen schickte ich ein Telegramm an Stanley Williams. Hat er es bekommen?"

"Sicher doch!", stammelte der Mann.

"Wer noch?"

"S-sonst niemand doch!"

"Noch einmal: An wen hast du die Nachricht noch weitergegeben?"

"Ich - ich war das nicht. Wir arbeiten in Schichten. Ich war es nicht. Ein anderer hat das Telegramm angenommen. Ein anderer!", beteuerte er.

CC zog ihn noch näher an sich heran.

"Ich - ich schwöre, bei allem, was mir heilig ist. Ich - ich habe Familie. Bei meiner Frau, meinen Kinder, bei Gott...", rief der Telegraphierer entsetzt.

CC stieß ihn von sich und drehte sich herum.

Der Schalterraum war wie leer gefegt. Nur an der Wand lag die Leiche des Revolvermannes. Es gab keinen Zweifel daran, dass der Mann CC erkannt hatte. Anscheinend kannte jeder Revolvermann in der Stad CC's Bild und lauerte darauf, ihm das Lebenslicht auszublasen.

CC knirschte laut hörbar mit den Zähnen. Er spuckte verächtlich auf den Boden.

"Eine verdorbene Stadt, eine korrupte Stadt, eine mörderische Stadt!", sagte er mit heiserer Stimme.

Hinter ihm knallte eine Tür. Der Schalterbeamte hatte reißaus genommen. CC ließ ihn laufen. Er war an kleinen Fischen nicht interessiert und hatte er nicht schon von vornherein damit gerechnet, dass nicht nur Stanley Williams die Nachricht von seinem Kommen erfuhr, auch wenn er an ihn ein persönlich adressiertes Telegramm schickte?

Draußen erklangen Schreie und Rufen. CC hörte mehrere Namen heraus, mit denen er allerdings nichts anfangen konnte.

Er ging zur Tür und stieß sie auf.

Als er so in der offenen Tür zum Schalterraum erschien, mochte er den Schreihälsen wie die Inkarnation der Bedrohlichkeit vorkommen, denn sie schrien nur noch mehr und stoben auseinander.

Einer blieb stehen.

Ihre Blicke kreuzten sich.

CC brauchte eine Weile, bis er seinen Gegenüber erkannte. By gosh, wieviel Zeit war doch seitdem vergangen...

"Bart Sinters!", entfuhr es ihm.

Bart nickte grimmig.

"Yeah, richtig getippt und du bist Chester Cole. Manche hier sagen schon Chester 'King' Cole. Mit anderen Worten: Ein trauriger Ruf eilt dir voraus."

"Wer kann schon etwas für seinen Ruf?", entgegnete CC. In direkter Konfrontation mit Bart Sinters fühlte er sich unversehens ein wenig verunsichert und das ärgerte ihn maßlos.

Bart Sinters spuckte ihm vor die Füße.

"Oh, doch, CC, du kannst durchaus etwas dafür. Als was bist du gekommen? Als Revolvermann oder wegen Heimweh?"

Für ihn stand die Antwort anscheinend längst fest, denn er wartete sie gar nicht erst ab, sondern wandte sich zum Gehen.

"God damned!", entfuhr es CC: "Hier geblieben!"

"Und wenn nicht?", fragte Bart Sinters, ihm den Rücken zu gekehrt, ohne sich noch zu bewegen. Es klang verdammt überheblich. Woher nahm er diese Sicherheit? "Was willst du dann tun? Mich erschießen?" Er deutete mit beiden Händen auf seine Hüften. "Wie du siehst, ich habe keine Waffe. Man hat sie mir weg genommen, genauso wie meine Ranch, meine Familie und mein Geld. Das einzige, was man mir gelassen hat, das ist das, was du an mir siehst - und mein Leben. Ich laufe hier herum als abschreckendes Beispiel für alle Aufmucker, musst du wissen. Nur deshalb lebe ich noch. Aber eines hat man niemals geschafft, mir wegzunehmen: meine Ehre und meinen Stolz."

Er wirbelte halb um die eigene Achse, CC wieder zu und deutete mit erhobenem Zeigefinger auf CC, als wollte er ihn mit diesem Zeigefinger erschießen.

"Im Gegensatz zu dir, CC! Ehre und Stolz hattest du nie im Leben. Du bist der geborene Feigling. Du bist damals abgehauen, als es für uns alle wichtig gewesen wäre, dass du bleibst. Und jetzt verschanzt du dich hinter deinem noch schneller gewordenen Revolver."


* * *


CC hatte sich wieder gefangen. Seine Rechte ruhte lässig auf dem Griff seines Revolvers.

"Wir waren niemals Freunde, Bart Sinters, wir werden es auch niemals sein. Ich war nur einer, der damals ging. Willst du hier behaupten, dass alles nur von mir abhängig gewesen ist? Was ist denn mit dir, Bart Sinters? Du hattest immer schon ein zu großes Maul und wusstest damit andere herum zu kommandieren, mehr nicht. Sonst hättest du es auch ohne mich geschafft, die Stadt zu säubern. Du hast versagt, wie man es von dir erwarten konnte. Du bist auf der Seite der Verlierer, was du immer schon warst. Und ich? Welche Kastanien sollte ich denn damals für dich aus dem Feuer holen? Jeder ist also ein Feigling, wenn er dir nicht gehorcht wie ein Hund?"

"Ach, so siehst du es also?"

"Ich sehe die Dinge stets genauso, wie sie sind", erläuterte ihm CC gelangweilt.

"Und was ist mit deiner Farm?"

"Ich habe hier keine Farm und hatte nie eine!"

"Dein Vater hatte eine und er hat sie verloren, genauso wie ich meine Ranch. Aber er verlor sogar noch mehr als das, nämlich auch sein Leben."

"Er ist tot?", fragte CC ohne sichtliche Gefühlsregung.

"Als wenn du das nicht wüsstest. Du bist gegangen und hast alles im Stich gelassen. Deine Mutter war tot, dein Vater war allein und er hat dich gebraucht, mehr als alles andere. Wenn du schon nicht der Stadt zuliebe oder sogar meinetwegen geblieben wärst, dann zumindest wegen..."

"Das ging dich damals nichts an und geht dich auch heute noch nichts an, Bart Sinters. Du kümmerst dich also noch immer gern um Dinge, aus denen man sich besser heraus hält?"

"Dein Vater war kaum vier Wochen später tot, ermordet!"

"Ich habe erst zwei Jahre später davon erfahren, aber da war keine Rede von Mord gewesen."

"Von wem hast du das erfahren?"

"Ich hielt lockeren Kontakt", wich CC ungeduldig der Frage aus.

"Etwa mit Stanley Williams?"

"Wieso klingt dieser Name aus deinem Mund so verächtlich, Bart?"

Bart Sinters spuckte ein weiteres Mal in den Staub. Er wandte sich ab und schickte sich abermals an, einfach weg zu gehen.

"Stopp!", befahl CC.

"Falls du mich aufhalten willst, dann versuche es. Und wenn du dafür deinen Colt benutzt, musst du mir schon in den Rücken schießen." Bart Sinters deutete mit dem Daumen über die Schulter. "Da ist er, falls du ihn suchst, nicht zu verfehlen."

CC ließ die Waffe stecken.

Yeah, es hatte sich viel in der Stadt verändert, in der Regel zum Schlechteren, aber das eine oder andere war offenbar beim Alten geblieben. Unter anderem die unerklärliche Feindschaft zwischen Bart Sinters und ihm. Obwohl es eigentlich noch niemals zwischen ihnen zu einem echten Streit gekommen war. Selbst damals nicht, als sie sich beide in die schöne Diana verknallt hatten: Sobald Bart Sinters gemerkt hatte, dass er einen Rivalen um die Gunst der schönen Diana hatte, war er freiwillig zurück getreten, zugunsten von Chester Cole.

Die Erinnerung an Diana versetzte ihm einen Stich. Dagegen konnte er sich nicht wehren.

"Was ist mit Diana?", rief er Bart Sinters hinterher. "Was ist aus ihr geworden?"

Das hielt Bart Sinters tatsächlich auf. Der schlaksig gebliebene Mann mit dem jungenhaften Gang blieb stehen wie angewurzelt. Langsam drehte er sich CC zu.

Inzwischen war der Platz menschenleer, aber CC war nicht so naiv, anzunehmen, dass es keine Zeugen dieser Begegnung hier gab und er hatte nicht das Geringste seiner Aufmerksamkeit verloren und rechnete vielmehr mit allem.

"Du wagst es, nach ihr zu fragen?", sagte Bart Sinters endlich. Es klang ungläubig. "Du wagst es, nach allem, was du ihr angetan hast?"

CC runzelte die Stirn. "Ihr angetan?", fragte er gedehnt zurück.

"Was für ein Mensch bist du überhaupt, Chester? Bist du überhaupt ein - Mensch? Wie viele gute Männer haben deinetwegen schon ins Gras beißen müssen, im Laufe der vergangenen Jahre? Wie viele Kerben hat dein Colt Navy?"

"Viele, yeah, aber es war kein einziger guter Mann dabei!", sagte CC verächtlich und fragte sich im Stillen: Wieso unterhalte ich mich eigentlich mit dem? Der will mich nur provozieren, genauso wie früher. Und warum habe ich ihm dabei niemals den Schädel eingeschlagen? Warum blieb es nur bei verbalen Kämpfen und es ist niemals handgreiflich geworden?

Seine Rechte wollte sich um die Griffschalen des Colts schließen, aber es ging aus ungewissen Gründen nicht. Die Hand war wie gelähmt.

Ein Blick in die Runde. Es gab keine offensichtlich drohende Gefahr und Bart Sinters stand mitten auf dem staubigen Platz, wie eine Zielscheibe.

Aber CC wusste, dass er auf diesen Mann niemals schießen konnte, aus einem Gefühl heraus, ohne dieses Gefühl auch nur im Geringsten begründen zu können. Er hasste diesen Bart Sinters, yeah, das war gewiss, aber es war ein Hass ganz besonderer Art. Es war ein Hass voller unerklärlicher Zweifel und niemals tödlich.

"Ich habe dich nach Diana gefragt!", erinnerte er hart.

Bart Sinters lächelte auf einmal. Es war ein Lächeln, das noch mehr Verachtung ausdrückte. "Es gibt nichts mehr, was du von ihr oder über sie wissen müsstest, nachdem du sie bei Nacht und Nebel im Stich gelassen hast - genauso wie deinen Vater, wie die Stadt, wie uns alle."

"Wo finde ich Stanley Williams?", fragte CC überraschend.

Die Überraschung gelang ihm tatsächlich. Scheinbar hatte Bart Sinters angenommen, er würde auch weiterhin auf dem Thema Diana herum hacken.

"Es wird dir nicht schwer fallen, ihn zu finden", antwortete Bart Sinters. Vielleicht bildete CC es sich ein, aber es klang lauernd, als würde Bart Sinters gern noch eine Frage nach schießen, könnte sich aber nicht entscheiden, ob er es nun wirklich tun sollte oder nicht.

Er gab sich sichtlich einen Ruck und stakste auf seinen langen Beinen davon. Als CC diesmal ihm hinterher rief, reagierte er nicht mehr.

CC lockerte den Colt, um ihn stets schussbereit zu haben, ließ die Rechte darauf ruhen und warf einen aufmerksamen Blick in die Runde. Tatsächlich, es sah so aus, als wäre die Stadt wie ausgestorben, zumindest hier, auf dem Platz.

Er stieg in den Sattel, nachdem er die Zügel gelöst hatte. Ein Schnalzer genügte, um das Tier in Bewegung zu setzen.

Der Platz war das Zentrum geworden. Mehrere Straßen führten ab. Von Größe und Aufbau her hätte es Gold-Valley inzwischen sogar mit einigen Städten des Mittelwestens aufnehmen können, die im Laufe der Zeit zu Wohlstand gelangt waren. Aber Gold-Valley war längst nicht einmal einen Bruchteil so sauber oder gar freundlich und hatte auch nur einen Bruchteil der echten Einwohnerzahl. Denn die wenigsten Menschen hier waren echte Bürger dieser Stadt. Die meisten waren scheinbar auf der Durchreise - oder vielleicht eher vor irgendjemandem oder vor irgendetwas auf der Flucht.

Man sah es ihnen an - und dabei in der Regel auch den wahren Grund ihrer "Reisefreudigkeit"...

Abgesehen von dem Typ von Mensch, dem CC nun schon zweimal begegnet war: oben in der Schlucht und hier im Schalterraum der hiesigen Poststation.

Zu welcher Art von Mensch gehörte eigentlich inzwischen sein bester Freund aus früheren Tagen Stanley Williams? Was sollte die eigenartige Andeutung von Bart Sinters, er könnte Stan quasi überhaupt nicht verfehlen?


* * *


Chester Cole kam nicht weit. Soeben wollte er vom Platz reiten, als aus dem Schatten eines der umstehenden Gebäude ein hochgewachsener Mann trat.

CC schaute in noch jugendlich wirkende Gesichtszüge. Sein Blick tastete die hagere Gestalt ab. Der Mann war gut gekleidet, seine Stiefel reich verziert und ohne Sporen. Was CC vor allem interessierte: Der Mann erschien unbewaffnet und hatte außerdem beide Arme gehoben, um CC die leeren Hände zu zeigen.

"Was willst du?", herrschte CC ihn an.

"Eine freundliche Einladung, mehr nicht", sagte der Fremde leichthin.

"Wer lädt mich ein? Du etwa?"

"Nein, ich bin nur sozusagen der Kurier. Stan will Sie sehen, ich meine Stanley Williams."

"Bist du ein Freund von ihm?"

"Nein, nicht direkt. Ich..." Der Mann wirkte jetzt verunsichert. Er sprach nicht mehr weiter.

"Wo finde ich ihn?"

"Einfach die Straße hier lang. Darf ich Sie führen?"

CC deutete einfach mit dem Daumen nach vorn. Der Mann ließ zögernd die Arme sinken. Jetzt wirkte seine Gestalt leicht gebeugt, wie unter einer schweren Last. Man sah ihm deutlich an, wie ungern er CC den Rücken zu kehrte. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und ging voraus.

Auch jetzt ließ es CC keinen Augenblick lang an der nötigen Aufmerksamkeit fehlen. Er fragte sich die ganze Zeit schon, wo eigentlich der Sheriff blieb. Schließlich hatte es in der Poststation einen Schusswechsel mit tödlicher Folge gegeben. War Gold-Valley vollends eine gesetzlose Stadt geworden?

CC musterte den Mann, der voraus ging. Eigentlich war er der Typ eines Revolverschwingers, andererseits... CC konnte sich noch nicht entscheiden.

Die Straße, die sie benutzten, war wenig belebt. Es mochte daran liegen, dass sich die Nachricht von der Schießerei und vor allem vom Gewinner daraus inzwischen wie ein Lauffeuer verbreitet hatte. CC war das egal. Die wenigen Menschen, die ihnen begegneten, warfen ihm scheue Blicke zu. Den Hageren ignorierten sie, so dass CC an ihren Gesichtern nicht ablesen konnte, wie er den Mann einordnen sollte.

Eine Gruppe von Reitern kam ihnen entgegen. Sie waren die einzigen, die nicht auf CC achteten. Sie unterhielten sich lauthals über irgendwelche Weibergeschichten. Es machte ihnen anscheinend nichts aus, dass dabei zwangsläufig die halbe Straße Zeuge wurde.

Yeah, CC hatte in den vergangenen Jahren eine Menge Städte gesehen und einiges erlebt. Gold-Valley jedoch war in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme, wie er fand. Gab es hier denn keine Menschen, die sich wenigstens einigermaßen normal verhielten?

Seine Rechte blieb in der Nähe des Colt Navy. Seine Haltung spannte sich leicht, als sie in Höhe der Reitergruppe waren.

Es waren vier Reiter, die ihnen immer noch keines Blickes würdigten und gerade so taten, als wären sie völlig allein in der Stadt.

Und genau das hatte CC besonders misstrauisch gemacht. Seiner Meinung nach war das Ganze nur gespielt, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Und auf seinen wachen Instinkt hatte er sich bisher stets verlassen können. Oft genug hatte er ihm das Leben gerettet, nicht nur oben in der Schlucht und hier im Schalterraum der Poststation.

Man hatte ihm hinreichend bewiesen, dass er auf der Todesliste dieser Stadt stand. Er hatte noch keine Ahnung, wer genau sein Ableben so inbrüstig wünschte, auch war ihm das Motiv noch nicht völlig klar, aber er hatte beschlossen, seinen Feinden einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen.

CC ließ sich auf der den Männern abgewandten Seite aus dem Sattel gleiten und zog gleichzeitig seinen Colt. Es war eine fließende Bewegung. Sie erfolgte noch bevor die vier Banditen ihre wahre Absicht deutlich machten, indem sie ihr lautes Gespräch abrupt abbrachen und ihre Waffen hoch rissen. Aber sie erfolgte genau im richtigen Zeitpunkt.

Die vier Banditen schossen praktisch gleichzeitig, aber ihr Ziel war vor ihren Augen verschwunden, der Sattel von CC's Braunem scheinbar so plötzlich leer, als hätte sich CC in Luft aufgelöst.

Die vier Banditen schossen ins Leere und brauchten Sekundenbruchteile, um das zu begreifen.

Und dann war es zu spät für sie, sich auf die neue Situation einzustellen: CC duckte sich unter seinem Braunen hindurch. Das Tier tat gerade so, als sei nichts geschehen und veränderte nicht einmal seinen Tritt. Erst als der Colt Navy mehrmals hintereinander wie im Stakkato auf bellte, scheute der Braune kurz, aber die Kugeln trafen dennoch ins Ziel.

Mit ungläubigem Gesichtsausdruck ließen die vier Banditen ihre Waffen fallen. Ihre Hände krallten sich in die Brust. Lautlos kippten sie aus dem Sattel.

Noch bevor sie mit einem dumpfen Laut auf schlugen, saß CC wieder im Sattel.

Sein Führer hatte jetzt ebenfalls eine Waffe in der Rechten. Es handelte sich um einen kleinen Derringer, wie ihn eigentlich nur Westfrauen benutzten oder - Berufsspieler! Und jetzt konnte CC den Hageren endlich einschätzen.

Aber die Mündung des Derringers zeigte nicht in die Richtung von CC, sondern in die Richtung der Viererbande!

Das Donnern der Schüsse ließ die vier Pferde durch gehen. Sie gingen mit der Vorderhand hoch und galoppierten davon.

Zwei der Toten hatten sich im Steigbügel verheddert und wurden mit geschleift. Sie hinterließen eine deutliche Spur im Straßendreck.

Die Straße war menschenleer geworden. Diesmal aber nicht von Dauer. CC sah, dass zwei Ladenbesitzer heraus traten und es sammelte sich auch anderes Volk. Sie beobachteten ihn lauernd. CC sah niemanden, der ihm bekannt vorkam. Es war nicht der einzige Grund, warum er jedem von ihnen misstraute. Doch keiner von ihnen zeigte eine Waffe.

Der Hagere grinste, wog wie prüfend seinen Derringer in der Rechten und meinte trocken: "Na, den brauche ich jetzt ja wohl nicht mehr, oder?" Er steckte ihn weg, ohne die Antwort abzuwarten. Dann fügte er hinzu: "Kaum in der Stadt und schon fünf Tote, was?"

"No!", sagte CC.

"Wieso?", erstaunte sich der Hagere, "habe ich etwa einen übersehen?"

CC beobachtete ihn genau. Yeah, ein echter Profi, dem man niemals ansah, was er wirklich dachte. Wusste er tatsächlich nichts von der Begegnung in der Schlucht oder tat er nur so?

Und noch immer kein Sheriff in Sicht!, konstatierte CC widerwillig. Das ist doch nicht normal, auch nicht für Gold- Valley. Die Stadt ist gewachsen, das Verbrechen hat hier Hochkonjunktur. Viele werden daran verdienen, aber wer verdient, hat auch Angst, etwas von seinem erworbenen Reichtum wieder zu verlieren. Also wird er sich schützen. Der übliche Schutz ist ein Sheriff. Möglicherweise einer, der nicht auf der Seite der Bürger steht, sondern nur auf der Seite der Hauptübeltäter, aber immerhin ein Sheriff und bei der Größe der Stadt müsste er eigentlich eine ganze Truppe von Hilfssheriffs haben. Wo sind die?

CC konnte sich die diesbezügliche Frage nicht mehr verkneifen: "Ich vermisse den Sheriff - nach zwei solchen Schießereien!"

Diesmal war der Hagere basserstaunt und er spielte es mit Sicherheit nicht. CC sah soviel Überraschung in seinem hageren Gesicht, dass der Mann das unmöglich nur spielen konnte. Er klappte halb den Mund auf und ließ die Kinnlade sekundenlang hängen. Dann klappte er den Mund wieder zu und schüttelte kurz den Kopf.

"Schätze, die Überraschung wird ganz Ihnen gehören, Mr. Cole! Dann kommen Sie nur mal weiter mit."

"Wohin?", fragte CC misstrauisch.

"Zu Stanley Williams, wohin sonst? Gerade so wie angekündigt." Er schnalzte mit der Zunge, wie es sonst CC gern tat. "Damned, ich habe viel von Ihnen gehört, aber es ist mir ein Fest, Sie auch mal in Aktion zu sehen. Schätze, es ist besser, Sie zum Freund zu haben anstatt zum Feind? Werd's mir merken und mich bemühen. Hiermit versprochen." Er lachte heiser. "Und was halten Sie davon, Mr. Cole?"

Da hast du allerdings Pech!, dachte CC und nicht im Traum daran, seine Aversion gegenüber dem Hageren zu verbergen.

Er überlegte: War es nur ein geschickter Schachzug gewesen, dass der Hagere seinen Derringer nicht gegen ihn gerichtet hatte, hatte der Hagere damit nur CC in Sicherheit wiegen wollen - sozusagen als sein Beschützer, der nur nicht rechtzeitig zum Zuge gekommen war?

Denn eines stand fest: Der Hagere hatte mit dem Derringer keinen einzigen Schuss abgegeben.

Es gab keinen Grund für CC, nicht auch weiterhin hellwach zu bleiben und vor allem äußerst misstrauisch.

Und dann war er gespannt auf den besten Freund, den er jemals gehabt hatte: Stanley Williams. Was war inzwischen aus Stan geworden? Wieso schickte er einen Spieler als Kurier und kam nicht selber?

Nachdem CC Bart Sinters begegnet war, rechnete er eigentlich mit allem.

Aber Bart Sinters hätte sicherlich niemals einen Spieler als Kurier geschickt, um eine Einladung wie diese auszusprechen...


* * *


Die Überraschung für Chester Cole war sogar noch größer, als es nach der Ankündigung des Hageren zu vermuten gewesen war. CC fragte sich gerade zum wiederholten Male, wo denn nun in der Stadt das Sheriff's Office war, nachdem man es dort abgerissen hatte, wo sich jetzt eine Art Marktplatz befand. Da stand er unvermittelt davor, ohne es so recht begreifen zu wollen. Denn der Hagere hatte ihn schnurstracks dorthin geführt. Und somit erübrigte sich auch die weitere Frage nach dem Verbleib des Sheriffs, obwohl es nun schon zwei Schießereien mit tödlichem Ausgang gegeben hatte...

"Stanley Williams?", fragte CC ungläubig.

Der Hagere nickte grinsend. "Yeah, so ist es!"

"All right!" Mehr hatte CC zunächst nicht dazu zu sagen. Er stieg umständlich aus dem Sattel - sehr umständlich sogar, wenn man bedachte, wie geschmeidig er sich bewegen konnte, wenn es darauf ankam.

Sorgfältig befestigte er die Zügel am Balken. Er tat es so pedantisch, wie um Zeit zu gewinnen und das war sicherlich auch tatsächlich der wahre Grund.

Er tätschte leicht die Flanke seines Pferdes und murmelte ihm zu: "Nicht mehr lange, dann wirst du versorgt! Ich weiß, du brauchst dringend Wasser. Aber erst habe ich noch etwas zu erledigen, was dringend ist."

Als hätte der Hagere es verstanden, bot er sich an: "Ich kann mich inzwischen um Ihr Pferd kümmern, na, wie wär' das? Ich bringe es nach hinten zum Stall. Wir haben einen eigenen Stall hier, nur für die Pferde des Sheriffs und seine Leute. Dort wird Ihr Pferd gut versorgt."

Die Augenbrauen von CC schoben sich zusammen, bis sie einen geraden Strich bildeten. Seine eisgrauen Augen fixierten den Hageren, dass der sich prompt unbehaglich wand.

"Wer gehört eigentlich alles zu den Leuten des Sheriffs? Du etwa auch?"

"Warum nicht?", begehrte der Hagere auf.

"Ein Spieler als Hilfssheriff?"

Der Hagere grinste wieder. Er gewann schnell seine Sicherheit zurück und widerstand sogar dem Blick aus CC's Augen. "Ein Spieler ist dazu bestens geeignet, Mr. Cole, glauben sie mir. Schließlich ist das Glücksspiel eine der Haupteinnahmequellen der Stadt geworden. Böse Zungen behaupten, Gold-Valley sei eigentlich eine einzige Spielhölle. Und wer ist da besser geeignet, das Gesetz zu vertreten, als ein echter Experte? Wenn jemand betrügt, dann sehe ich das und ich mache nicht lange Federlesens. Das kann ich Ihnen versprechen."

"Wie lange machst du das schon?"

"Über zwei Jahre?" Yeah, es klang tatsächlich wie eine Frage und nicht wie eine Antwort.

CC hatte genug. Er wandte sich ab und trat auf den hölzernen Gehsteg.

"Wo ist Stan? Dort drin? Er wird warten. Also dehnen wir es nicht zu lange aus."

"Was ist jetzt mit Ihrem Pferd, Mr. Cole? Soll ich es versorgen lassen?"

CC hob nur den Arm, ohne sich umzudrehen. Mit der Stiefelspitze trat er die Tür auf. Sie schwang nach innen.

Im Innern des Office war es nicht nur kühler, sondern besonders dunkler. CC war zunächst geblendet und sah hinter dem wuchtigen Schreibtisch nur die Silhouette eines Mannes, mehr nicht.

Sonst war offenbar niemand im Raum. CC war mit dem Mann allein und als seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte er ihn auf Anhieb: Stanley Williams!

"He!", machte Stan, "also hast du den Weg doch noch hierher gefunden?" Es klang fröhlich.

CC ließ sich von der Fröhlichkeit nicht anstecken. Er musterte seinen Gegenüber sorgfältig. Es gefiel ihm nicht, dass es hier drinnen nicht heller war.

"War ja keine Kunst. Ich hatte einen guten Führer."

Stanley Williams winkte ab. Er nahm die Stiefel vom Schreibtisch und richtete sich auf.

CC sah, dass er keine Waffe umgeschnallt hatte und runzelte darüber prompt die Stirn. Ein unbewaffneter Sheriff?

CC sah die Waffe an einem Haken hängen, mitsamt dem Koppel. Der Revolver war mit einem Riemen gesichert, damit er nicht aus dem Halfter fallen konnte.

Hatte Stan die Waffe seinetwegen abgelegt? Wenn ja, wieso eigentlich?

Die Fröhlichkeit von Stanley Williams gefiel ihm irgendwie nicht. Das sollte zwar Wiedersehensfreude signalisieren, aber CC empfand sie als aufgesetzt. Er blieb ernst vor dem Schreibtisch stehen.

"Was denn, keine Begrüßung, wie es unter alten Freunden üblich ist, die sich so viele Jahre nicht gesehen haben?" Stan spielte ein wenig den Enttäuschten. Er stand auf.

Stanley Williams war genauso groß wie CC, aber er war auch in anderer Hinsicht ebenbürtig, wie CC aus Erfahrung wusste. Stan konnte hervorragend mit den Fäusten umgehen, falls er es inzwischen nicht verlernt hatte.

CC schielte zur Waffe hinüber. Nein, das Ding sah nicht gerade aus, als würde Stan es nur zur Zierde mit sich herum schleppen. Seine Schussfertigkeit war zwar nie besonders berühmt gewesen, aber vielleicht hatte sie sich inzwischen verbessert?

CC schätzte seinen Gegenüber ab. Früher hatten sie oft miteinander gekämpft, nur so zum Spaß. Jeder war dabei einmal Sieger geworden. Insgesamt gesehen musste man sagen, dass sie gleichstark gewesen waren. Und das hatte sich offensichtlich nicht geändert.

Stan widerstand dem forschenden Blick.

"Na, genug gesehen?", erkundigte er sich ein wenig spöttisch.

CC blieb zurückhaltend. "Ich hatte schon das Vergnügen einer angemessenen Begrüßung, gleich dreifach sogar."

"Wie meinst du das?"

"Hast du denn noch nichts davon gehört, dass es Schießereien gegeben hat?"

"Ich bin schließlich der Sheriff!", erinnerte Stanley Williams und CC dachte bei diesen Worten unwillkürlich an die Stadt, wie er sie bisher kennengelernt hatte. Von der Hand eines Gesetzeshüters fehlte bei allem, was er zu Gesicht bekommen hatte, aber wirklich jegliche Spur.

Und das sagte er auch seinem ehemals besten Freund: "Das scheinst du wohl nur insgeheim auszuüben, das Amt des Sheriffs, wie?"

Die Miene von Stan verfinsterte sich. Er sagte nichts.

"Ein Sheriff ist meines Wissens dazu da, dem Gesetz Genüge zu tun und nicht dem Chaos!", sagte CC hart. "Für wen arbeitest du eigentlich? Gewiss nicht für die ehrlichen Bürger der Stadt."

"Nein!", sagte Stan und lächelte wieder. "Es liegt vielleicht daran, CC, weil es keine ehrlichen Bürger in dieser Stadt mehr gibt. Sie sind entweder alle ausgestorben, im wahrsten Sinne des Wortes, oder sie sind rechtzeitig abgehauen. Und gerade diejenigen, die rechtzeitig ihre eigene Haut in Sicherheit gebracht haben, dürften eigentlich am wenigsten hier die Moralisten spielen."


* * *


Dieser Hieb hatte wirklich gesessen, aber CC steckte ihn ein, ohne mit der Wimper zu zucken.

"Mir ist Bart Sinters begegnet."

"Der gute, alte Bart, yeah, einer von denjenigen, die es niemals begreifen lernen."

"Was begreifen lernen?"

Stan zuckte die Achsel und meinte leichthin: "Ich jedenfalls habe rechtzeitig begriffen, dass es gesünder ist, auf der richtigen Seite zu stehen."

"Auf wessen Seite?", hakte CC nach.

"Auf der Seite der Stärkeren, CC, ganz einfach nur auf der Seite der Stärkeren und jetzt bitte keinen Vorwurf dessentwegen. Du bist ein Ausreißer und kehrst reumütig zurück. Na und? Hast du damit das Recht, den Stab über andere zu brechen? Vielleicht haben diese anderen selber bereits den Stab über dich gebrochen, vor langer, langer Zeit schon?"

CC nickte grimmig. "Yes, vor viel zu langer Zeit schon!"

Stan legte den Kopf schief, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen.

"He, du hast von einem dreifachen Empfang gesprochen. Wie ist das zu verstehen?"

"Ich kam über die Berge und wurde in der Schlucht oben erwartet. Du kannst die Leiche des Heckenschützen dort abholen. Er hat ein gutes Gewehr, sehr präzise, nur wusste er damit nicht so recht umzugehen, wie mir scheint. Ich habe es ihm trotzdem gelassen. Du kennst mich ja, ich mag keine Gewehre. Die sind nur etwas für Feiglinge. Wenn ich einen Mann töte, dann stehe ich ihm lieber Auge in Auge gegenüber."

"Du bist ja auch ein Held!", antwortete Stan und es war ersichtlich, wie er das nun gemeint hatte. CC jedenfalls stufte es ein als ironisch und somit als abfällig.

Er reagierte nicht darauf. "Wer außer dir wusste eigentlich, dass ich zurück kommen wollte? Ich habe nur einem ein Telegramm geschickt, nämlich dir."

"Ich nehme an, in der Poststation hast du dich schon erkundigt?"

"Das habe ich, yeah."

"Das Ergebnis kenne ich bereits: Ein Toter!"

"Glaubst du denn, es sei einer vom Telegraphenamt gewesen?"

Stan hob die Schultern und drehte die Handinnenflächen nach oben. "Keine Ahnung, CC. Aber es kann auch sein, dass einer meiner Männer die Nachricht weiter gegeben hat."

"Ein Hilfssheriff?"

"Ich ließ durch sickern, dass sie die Augen offenhalten sollen - deinetwegen", gab Stanley Williams zu.

"Dann waren das vielleicht sogar deine Männer, die mir auflauerten?"

Stan reagierte ärgerlich: "Jetzt ist es aber wirklich genug, CC. Was soll das Geplänkel? Wir haben uns immer gut verstanden. Wir waren beide unzertrennlicher gewesen als Zwillinge. Nicht nur, weil wir uns in so vielen Dingen sehr ähnlich sind. Die du erschossen hast, das waren Gunmen und das scheint jedem klar zu sein außer dir. No, ein Hilfssheriff war keiner dabei. Glaubst du denn, du würdest in seinem solchen Fall noch frei herumlaufen?"

"Na, ich hatte mich diesbezüglich sowieso schon gewundert. Aber anscheinend gehört es nicht zu den Aufgaben des hiesigen Sheriffs, Mordfälle aufzuklären?"

"Ach was, es gab genügend Zeugen, die gesehen haben, dass du nicht als erster zur Waffe gegriffen hast. Du warst nur schneller gewesen. Und vorhin, das waren immerhin vier gegen einen. Gratuliere übrigens!"

CC schüttelte fassungslos den Kopf. Er angelte sich einen Stuhl und ließ sich schwer darauf nieder. Mit der Rechten rückte er den Colt zurecht. Die Waffe blieb griffbereit, denn CC sah keinen Grund, in seinem Misstrauen gegen alle und jeden, einschließlich seinem alten Freund Stanley Williams, auch nur ein Haarbreit zurück zu stecken.

Stan blieb unschlüssig stehen. Und dann ließ er sich auch wieder in seinen Sessel zurück sinken. Er legte die Beine auf die Schreibtischkante und stellte die Finger mit den Kuppen gegeneinander, bis seine Hände ein spitzes Dach bildeten.

"Was nun, CC? Willst du mich länger mit deinem Misstrauen beleidigen, ohne auch nur ein einziges Mal guten Tag gesagt zu haben oder wollen wir endlich zur Sache kommen?"

"Es kommt darauf an, welche Sache du meinst."

"Ich sagte bereits, ich stehe auf der Seite der Stärkeren und damit bin ich bisher recht gut gefahren. Vielleicht gefallen dir die Zustände in der Stadt nicht, aber es wird dich in diesem Zusammenhang überraschen zu hören, dass ich trotzdem alles einigermaßen im Griff habe. Ich sorge dafür, dass die Leute alle ihre Freiheiten behalten, aber dass sie gewisse Grenzen dabei einhalten."

"Und wer steckt diese Grenzen fest? Die Stärkeren, wie?"

"Du hast es haargenau erfasst, CC und ich habe dir einen meiner Männer geschickt, damit er dich sicher herbringt."

"Das Sicher streichen wir besser wieder", bemerkte CC grimmig.

"Gut, ich habe wahrscheinlich die Gefahr für dich unterschätzt. Das mag sein. Obwohl du dich dieser Gefahr bisher durchaus als gewachsen erwiesen hast."

"Sag mal, worauf willst du eigentlich hinaus?" Das Misstrauen von CC war jetzt nur noch mehr gewachsen.

"Würdest du mich einmal ausreden lassen, wüsstest du es bereits." Stan stieß die Fingerkuppen gegeneinander. Seine Augen verengten sich.

"Draußen ist es heiß", sagte er. "Deshalb habe ich den Raum hier ein wenig abgedunkelt. Deshalb ist es hier drin kühler und somit erträglich. Verstehst du, was ich damit noch ausdrücken will? Die ganze Welt und nicht nur Gold-Valley ist ein brodelnder Hexenkessel von Gewalt und Gegengewalt. Wer weiß das besser als du? Du kennst die Hitze des Tages und ahnst nicht nur, was die Hitze der Nacht für dich bereit hält. Hier gibt es einige Leute, denen es offensichtlich am liebsten gewesen wäre, wir wären uns nicht begegnet. Denke doch mal nach, CC: Welches Motiv sollten sie gehabt haben? Glaubst du denn, diese Männer waren auf meiner Seite?"

"Ich ahne es, Stan: Du willst mir ein Angebot machen!"

"Das klingt nicht nach Begeisterung, CC, aber welche Wahl hast du eigentlich noch? Deine Gegner sind auch meine. Wenn ich dich nun bitte, mit mir zusammen zu arbeiten, geschieht das hundertprozentig in deinem ureigenen Sinne."

CC stand spontan auf.

"Die Sache hat leider nur einen einzigen Haken: Ich bin es gewöhnt, allein auf mich aufzupassen und außerdem bin ich nicht gewillt, an irgend jemanden meinen Colt zu vermieten."

"Auch nicht an das Gesetz?"

"An das schon, aber so etwas wie ein Gesetz scheint es hier nicht zu geben. Hier gibt es nur einen Sheriff, der die Interessen einer ganz bestimmten Gruppe vertritt. Ich kenne diese Gruppe nicht, will sie auch gar nicht kennenlernen."

Stan riss die Beine vom Schreibtisch und schnellte sich hoch. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er ließ sie auf die Tischplatte schmettern.

"Verdammt noch eins, du sturer Vierkantkopf! Was glaubst du denn, wer du bist, dass du hier einfach in die Stadt reiten kannst, um dich anschließend zwischen die Stühle zu setzen? Diese Stadt ist die Hölle für einen, der sich nicht anzupassen weiß. Hast du nicht schon in einigen Städten aufgeräumt? Ja, ich kenne deinen Weg ziemlich genau, obwohl du dich in all den Jahren nur zweimal bei mir gemeldet hast."

"Dafür hast du damals auch genau gewusst, wo ich zu finden war, um mir das Telegramm vom Tode meines Vaters zu schicken. Ich verstehe."

"So ist es!"

"Man munkelt, mein Vater sei ermordet worden, schon vier Wochen nach meinem Weggehen aus Gold-Valley."

"Wer munkelt das?"

"Spielt keine Rolle, Stan. Ich erwarte darauf eine Antwort vom kompetenten Sheriff der Stadt, yeah, von ihm persönlich. Denn in dem Telegramm damals stand kein Wort von einem Mord. Ich kenne noch den genauen Wortlaut: HALLO CC STOP DEIN VATER VERSTORBEN STOP TUT MIR LEID STOP FARM GING AN DIE BANK STOP SIE WAR VERSCHULDET STOP GRUSS STAN!"

"Das ist nicht fair von dir!", begehrte Stanley Williams auf.

"Warum hast du mir eigentlich das Telegramm geschickt? Es erreichte mich um zwei Jahre verspätet, aber als ich Vater verließ, war die Farm keineswegs verschuldet. Wo sind denn soviel Schulden eigentlich her gekommen, innerhalb von einem Monat? Oder hast du mir das nur geschrieben, dass ich mich weiterhin fern halte?"

"Jetzt ist aber wirklich Schluss, CC. Ich höre mir das nicht mehr länger an. Ich..."

"Heraus mit der Sprache, was wurde aus meiner Farm?"

"Die Farm deines Vaters meinst du wohl?"

"Ich habe sie geerbt, mit seinem Tode. Jetzt gehört sie mir."

"Na, hör mal, du kannst doch nicht nach so vielen Jahren hier aufkreuzen und angeblichen Besitz zurück fordern, der dich niemals interessiert hat!"

"Und wieso kann ich das nicht? Ist das die Art von Gesetz, die du vertrittst?"

"Damals, da war ich noch kein Sheriff gewesen. Ich weiß nicht genau, was vorgefallen ist, wieso die Bank alles hat. Inzwischen wird die Farm von einem ganz anderen bewirtschaftet. Es wäre Unrecht, ihm die Farm wieder wegzunehmen. Das werde ich jedenfalls verhindern, auch wenn es gegen dich geht, CC, so leid es mir tut."

CC schüttelte den Kopf. "Und wenn ich den rechtmäßigen Besitz nachweise?"

"Wie willst du das schaffen, nach all der Zeit?"

"Gut, ich habe begriffen, dass du es zu verhindern weißt." CC's Daumen hakten sich in das Koppel. "Ich würde dir jedenfalls raten, Stan, in Zukunft nicht wieder die Waffe abzulegen, bevor du mir begegnest. Ich weiß jetzt, welches Gesetz diese Stadt hier regiert: das Gesetz des Stärkeren. Und so habe ich auch begriffen, dass ich nur eines tun muss, um hier nicht nur zu überleben, sondern auch mein Recht durchzusetzen: Ich muss stets bemüht sein, selber der Stärkere zu sein. Haben wir uns verstanden?"

"Ich dachte eigentlich, wir müssten immer noch Freunde sein", sagte Stan resignierend. "Mein Angebot steht. Du kannst Sheriff werden, mir ebenbürtig. Seite an Seite könnten wir es schaffen, das durchzusetzen für die Stadt, was für die Stadt am besten ist. Aber wenn du mein Office durch diese Tür da verlässt, hast du dich endgültig gegen den gemeinsamen Weg entschieden. Dann gibt es kein Zurück mehr für dich, weil dann mein Angebot nicht mehr länger aufrecht erhalten bleibt."

"Meine Frage hätte sich auch leichter beantworten lassen, zum Beispiel mit einem klaren Yes!" CC wandte sich zum Gehen. "Mein Pferd kann vorübergehend in eurem Stall bleiben. Ich werde es mir dort abholen, wenn ich es wieder brauche. Ich gehe inzwischen davon aus, dass mein Pferd es gut hat bei euch, nicht wahr? So long, my friend."

Er griff nach der Türklinke, aber bevor er die Tür auf zog, zögerte er noch einmal. Er wandte halb den Kopf.

Stanley Williams stand vornüber gebeugt hinter seinem wuchtigen Schreibtisch. Er stützte sich mit beiden Armen auf die Tischplatte.

"Ich habe noch etwas vergessen, Stan. Eine Frage, die mir Bart Sinters nicht beantwortet hat."

"Welche Frage denn?"

"Die Frage nach Diana McGomery!"

Stanley Williams zuckte merklich zusammen.

"Di?", fragte er gedehnt.

"Ja, was ist aus ihr geworden, nachdem ich die Stadt verließ?"

"Du willst zu ihr gehen?"

"Warum nicht? Vielleicht habe ich nach all der Zeit einfach das Bedürfnis dazu?"

"Ich würde es an deiner Stelle nicht tun."

"Das solltest du getrost mir überlassen."

"Vielleicht will sie es ganz einfach nicht?"

"Das soll sie mir selber sagen."

"Also gut!" Stan wich seinem forschenden Blick aus. Was war los mit ihm? Was hatte er mit Diana zu tun?

CC fragte ihn nicht danach, weil er ahnte, dass Stan ihn sowieso nur belügen würde.

Stanley Williams sagte, ohne CC dabei anzusehen: "Du findest Diana im neuen Great Saloon!"

"Was denn, in einem Saloon?"

"Warum nicht?", begehrte Stanley auf. "Sie ist dort Geschäftsführerin."

"Und ihre Farm - ich meine, die Farm ihrer Eltern?"

"Die sind tot und die Farm..." Stanley Williams brach ab.

"Dieselbe Bank?" CC erwartete auf diese Frage keine Antwort mehr, sondern verließ das Office.

Draußen blieb er sekundenlang stehen. Die Hitze des Tages traf ihn wie ein Schlag. Aber bald würde sich die Nacht auf Gold-Valley nieder senken. Ob sie Abkühlung brachte?

CC schöpfte tief Atem und setzte sich in Bewegung. Er musste den Great Saloon finden.

Damned, Diana in einem solchen Milieu? Wie konnte das geschehen? Was war überhaupt mit ihr geschehen in all den Jahren?

Diese Frage war im Moment für ihn sogar wichtiger als die Frage, wer denn nun wirklich diejenigen waren, die ihn umbringen wollten.

Die Bande, die Stanley Williams als Sheriff vertritt etwa? No, das erschien nicht logisch, im Moment wenigstens nicht. Warum sonst sollten die sich denn dann andererseits noch bemühen, ihn anzuheuern?

Gab es eine rivalisierende Bande in der Stadt, die den Bossen über Stanley Williams inzwischen zu gefährlich wurde?

Es konnten unmöglich Leute um Bart Sinters sein, so wie Bart ihm begegnet war. Bart Sinters schien in dieser Stadt keine Rolle mehr zu spielen, es sei denn als das, was er selbst zu sein vorgab: als abschreckendes Beispiel dafür, dass es hier ein Fehler war, nicht zu den Stärkeren zu gehören und sich sogar gegen diese aufzulehnen zu versuchen.

CC schnalzte mal wieder hörbar mit der Zunge.

Yeah, das war Bart Sinters, aber der war schon immer aus ganz anderem Holz geschnitzt gewesen als Chester Cole, genannt CC.


* * *


"By gosh!", fluchte Chester Cole halblaut. Er hatte sich zu Fuß auf den Weg gemacht. Der Mann, der ihm gerade begegnete und den Fluch mit bekommen hatte, schrak zusammen und beeilte sich, wieder Abstand zu CC zu gewinnen.

Chester Cole spürte, dass ihm sein Herz bis zum Halse schlug. Weil er an Diana dachte. Damned, ich soll verdammt sein, aber ich habe mehr Angst vor der Begegnung mit ihr als vor der ständigen Lebensgefahr, in der ich schwebe! Das gab er nicht gern gegenüber sich selbst zu, aber es war unleugbar.

CC hatte mehr gefährliche Situation in seinem Leben überstanden als ein aktiver Frontsoldat und er fürchtete weder Tod, noch Teufel. Sonst wäre er nicht heim gekehrt in die Hölle. Und dennoch...

"Diana!" Er flüsterte es. Es drang wie ein gefährliches Zischen zwischen seinen Zähnen hervor und er bleckte dabei sein perlweißes, prächtiges Gebiss wie ein Raubtier, bevor es zubiss.

Er fasste seinen Revolverknauf, wie Halt suchend. Er ließ seinen Blick lauernd in die Runde gehen, aber seine gerühmte Aufmerksamkeit war leicht getrübt. Auch das war nicht zu leugnen. Das erste Mal, so lange er zurück denken konnte.

Diana, sie schaffte das.

Yeah, er hatte sie bei Nacht und Nebel verlassen. By gosh, hatte er eigentlich sie verlassen oder die Stadt - oder beide? Damned, ich bin ein Narr, dass ich heim gekehrt bin. Nicht wegen der Mordschützen. Die sind das geringere Problem. Sondern wegen... ihr.

Was bin ich, da ich sie verlassen habe? Ein Schuft oder - ein Feigling?

Falls ich wirklich ein Feigling sein sollte - wenigstens in dieser einen Sache... Vor was bin ich damals eigentlich weg gelaufen?

Er gab sich die Antwort nicht selbst, vielleicht, weil er sie nicht zu ertragen wusste. Es sei denn, die Antwort fand er, wenn er Diana gegenüber stand, nach all diesen Jahren. Wie würde sie reagieren?

Genau davor fürchtete er sich wie vor sonst nichts auf dieser Welt. Am liebsten wäre er jetzt umgekehrt, aber seine Beine hatten sich selbständig gemacht. Sie beschleunigten den Schritt. Denn seine Augen hatten mit scharfem Blick das Ziel entdeckt: GREAT SALOON! Er war wahrlich nicht zu übersehen.

CC eilte regelrecht dorthin, obwohl alles in seinem Innern dagegen war.

Sein Bewusstsein hatte jegliche Aufmerksamkeit für die Umgebung verloren, aber nicht seine Augen. Sie hatten sich scheinbar selbständig gemacht wie seine Beine. Ihnen entging nichts. Sie nahmen jede Kleinigkeit wahr, während das Innere von CC total aufgewühlt blieb.

Sein Gesicht war totenbleich, aber das hätte auch von einer gewissen Übermüdung her rühren können. Er hatte weder sich, noch seinem Braunen auf dem Weg hierher zuviel Pausen gegönnt.

Erst direkt vor dem Haupteingang stoppte er.

Ganz schön feudal, der Laden!, konstatierte er. Diana, du hast dich gemausert.

Er trieb die beiden Flügel der äußeren Pendeltür auf und stand im nächsten Augenblick im Innern.

Schummriges Licht empfing ihn. Hier hatte die Nacht schon Einzug gehalten, während draußen noch der Tag wachte.

Yeah, von draußen hatte das Lokal noch feudal gewirkt. Als sich seine Augen jetzt an die Dämmerung gewöhnt hatten, verwischte sich der Eindruck und er korrigierte sich im Stillen: Im wahrsten Sine des Wortes ein Zwielichtschuppen!

Er kannte Etablissements dieser Güte. Die gab es in jeder mittleren Stadt zwischen Ost- und Westküste, einmal mehr und einmal weniger verrufen. Nicht immer auch mit Damen der Halbwelt, aber in der Regel mit Spieltischen, um ehrliche Männer um ihr sauer verdientes Geld zu bringen.

CC schob den Stetson in den Nacken und trat näher. Es herrschte kaum Betrieb. Kein Wunder, zu dieser Tageszeit. An den Tischen langweilten sich die Bankhalter, hinter dem Tresen stand ein Barkeeper, der so emsig Gläser putzte, als wollte er mit dem Lappen das Glas dünner reiben. Obwohl er keinen einzigen Gast vor sich sitzen hatte.

CC steuerte auf ihn zu. Als der Mann das sah, ließ er den Lappen und das Glas sinken, dem er sich gerade gewidmet hatte.

Doch als CC nahe genug war, zuckte der Mann erschrocken zusammen.

Er kennt mich!, durchfuhr es CC. Ja, das war offensichtlich.

Die Frage, die sich unmittelbar dieser Erkenntnis anschloss, war folglich: Wieso kennt er mich?

Dazu gab es gleich zwei Möglichkeiten: Erstens, er kennt mich von früher und zweitens, er hat sich mein Bild genauso eingeprägt wie die Wegelagerer und Revolverschwinger, die mir bisher ans Leder wollten.

Die Antwort fand CC, als er den Tresen erreichte.

Der Barkeeper atmete heftig. "Helloh, CC!", presste er mühsam hervor. Er stellte zitternd das Glas ab und legte das Tuch daneben. Seine Hände flatterten wie aufgeschreckte Vögel.

"Helloh, Hank!", sagte CC rauh. "Angst?"

"No, vor wem denn?"

"Etwa vor mir?"

"Sollte ich?"

"Kommt darauf an, was in deinem Kopf vor geht. Das heißt, kommt ganz darauf an, auf wessen Seite du stehst."

"Hat sich schnell herumgesprochen, dein Kommen!", behauptete Hank.

"Gute Freunde waren wir nie gewesen, Hank, nicht wahr? Aber wir waren auch keine Feinde, wenigstens nicht direkt. Du hast immer zu den Mitläufern gehört. Du warst für alles und jeden und gleichzeitig gegen alles und jeden. Je nachdem, wie es gerade gewünscht war. Der Mann ohne Rückgrat. Das konnte ich nie an dir leiden, aber Menschen wie du leben oftmals länger als andere. Und sie leben besser, wie ich sehe."

"Der Schein trügt, CC!", versicherte Hank eifrig. Er schien sich wieder zu fangen. "Habe gehört, es hat Schießereien gegeben. Du hast sie gewonnen?"

"Würde ich sonst gesund vor dir stehen, Hank?"

"Äh, natürlich nicht... Ich meine, dass, nun..."

"Höre auf zu stottern und gib mir was gegen den Durst!"

"W-was denn?"

"Grabe in deinem Gedächtnis. Na, was habe ich früher immer getrunken?"

"Whiskey?", vermutete Hank vorsichtig.

"Na, wer sagt's denn? War das denn so schwer?"

"No, wahrhaftig nicht. By gosh, die Tür geht auf, es kommt ein Fremder. Ich denke: Herrschaft, endlich der erste Kunde, haben nämlich erst auf gemacht und dann sehe ich... sehe ich, damned, dass du das bist, CC. Dabei..."

"Wo bleibt mein Drink?"

Hank beeilte sich. Er zitterte wieder.

"Dabei?", hakte CC nach.

"Dabei... Ich meine, wir haben uns so lange nicht gesehen und ich habe von dir viel gehört, CC."

"Viel Gutes, wie ich vermute!" CC grinste breit.

"Yeah, gewiss doch, CC, nur Gutes. Du hast ordentlich aufgeräumt, drüben in Arkansas und auch..." Er brach ab, weil er einschenken wollte und einfach die Flasche nicht ruhig halten konnte. Erst als er sich stirnrunzelnd darauf konzentrierte und seinen Redeschwall unterbrach, klappte es.

"Du wunderst dich sicher, wieso ich hierher kam?"

"In die Stadt, CC? Nun, Heimweh? Oder meinst du...?"

"Yes, ich meine, du wunderst dich sicher, dass ich hier herein kam."

"Das stimmt, CC, jetzt, wo du es so sagst: Ich wundere mich tatsächlich."

"Deshalb bist du sicher auch so nervös?"

"Kann sein, CC, ja, ganz bestimmt sogar."

"Oder bist du etwa deshalb so nervös, weil du die Leute kennst, die mir ans Leder wollen?"

Soeben wollte Hank das Glas vor CC stellen, aber das gelang ihm nicht mehr. Das Glas rutschte einfach durch seine Finger hindurch. Er riss erschrocken die Augen auf. Dass sich der kostbare Whiskey über den Tresen ergoss und das Glas weiter rollte zum Tresenrand, um dort schließlich hinunter zu fallen, das schien er nicht mehr wahrzunehmen. Hank hatte nur noch Augen für den großen Colt, auf dem die Rechte von CC ruhte.

"No, CC, ich schwöre es, bei allem, was mir heilig ist."

"Was schwörst du?"

"Ich schwöre, dass ich nicht zu denen gehöre. Eigentlich gehöre ich zu niemandem. Ich mache hier meine Arbeit, sonst nichts. Ich bin Barkeeper, nicht mehr und nicht weniger."

Seine Hände wanderten langsam in Schulterhöhe.

"Du wirst mir doch jetzt nichts tun, oder? CC, die wollen dich irgendwie umbringen. Ich weiß nicht warum. Ich weiß nicht einmal, wer hinter allem steckt."

"Seit wann weißt du, dass ich in die Stadt zurück komme?"

Hank gab nicht sofort Antwort. Hilfesuchend schaute er an CC vorbei.

CC warf einen Blick in den Barspiegel hinter Hank. Die Bankhalter waren längst aufmerksam geworden. Sie starrten herüber. Einer hatte die Karten noch in der Hand. Er hatte mitten in der Bewegung gestoppt und sah aus wie eine Wachsfigur.

Im Moment ging für CC keine Gefahr von den Leuten aus und für Hank gab es keine Unterstützung. Sie waren nur neugierig, wollten wissen, wie es weiter ging.

CC tat ihnen den Gefallen. Mit der freien Linken reichte er über den Tresen. Er erwischte Hank am Rockaufschlag und zog ihn näher.

Hank klapperte mit den Zähnen wie eine mexikanische Braut mit ihren Kastagnetten.

"Wann hast du es zum ersten Mal erfahren - und von wem?"

Hank wollte antworten, aber es ging einfach nicht, beim besten Willen nicht. Seine Kinnlade zitterte so stark, dass er kein vernünftiges Wort formulieren konnte. In seinen Augen stand die nackte Todesangst.

"Von mir!", rief in diesem Augenblick eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund des Lokals. "Du kannst ihn wieder los lassen, CC. Er hat dir nichts getan und wird dir auch nichts tun. Es wäre das erste Mal, nicht wahr, Hank?"

CC ließ ihn tatsächlich los.

Hank fuhr zurück und prallte mit dem Rücken gegen das Flaschenregal. Die Flaschen wackelten bedrohlich, aber keine fiel.

Am liebsten wäre er davon gerannte, aber seine Beine versagten ihm den Dienst.


* * *


CC sah sie zuerst im Spiegel: Diana. Dann drehte er sich ganz langsam zu ihr um, ganz langsam.

"Er hat es von mir erfahren, CC und ich wusste es nicht lange nachdem dein Telegramm hier ankam. Wieso schickst du ein Telegramm und wunderst dich nachher über die Begrüßung? Falls dir die Begrüßungszeremonien bis jetzt nicht gefallen haben, hättest du dich ja nicht gerade anzukündigen brauchen."

Ihr Gesicht war kaum zu sehen, weil es von einem Schleier größtenteils verborgen wurde. Es schimmerte diffus hindurch. Um die Hüfte war sie etwas fülliger geworden, nicht mehr so knabenhaft schlank, wie CC sie in Erinnerung hatte. Auch um den Busen herum war sie weiblicher geworden. Sie trug einen tiefen Ausschnitt und gewährte damit erregende Einblicke.

CC hatte bisher keine andere Frau in diesem Lokal gesehen. Diana war die erste. Blieb sie auch die einzige? War das hier nun eine Spielhölle und nicht mehr - oder war es nebenbei auch ein Bordell?

"Du bist fraulicher geworden!", stellte CC fest.

"Ja, nicht nur fraulicher, sondern auch älter - und gefährlicher!" Damit erinnerte sie CC an die Tatsache, dass sie einen Revolver im Anschlag hielt.

CC tat so, als würde er es jetzt erst sehen.

"Willst du mich umlegen?"

"Genau das will ich tun, du Hurensohn. Oder glaubst du, das Ding hier dient zur Zierde."

"Wer hat die Mörder geschickt, die mich empfingen? Du etwa?"

"Bist du naiv? Was glaubst du, wie groß mein Einfluss in dieser Stadt ist? Sieht es danach aus, als würden alle nach der Pfeife einer Frau tanzen? Und selbst wenn ich dafür verantwortlich wäre, so kannst du sicher sein, dass dich in der Schlucht mehr als nur einer erwartet hätte."

"Du weißt das mit der Schlucht?"

"Wieso nicht? Einer ist hinaus geritten und hat die Leiche gefunden. Er kam zurück und hat es lauthals herum krakeelt. Zufrieden?"

Wieso redet sie so lange?, dachte CC. Wieso schießt sie nicht gleich? Weiß sie nicht, dass ich dadurch eine Chance bekomme?

Diana schien dasselbe zu denken, im gleichen Moment. Denn unvermittelt krümmte sich ihr Zeigefinger um den Abzug.

Der Hahn war gespannt. Er schnellte vor...


* * *


Diana McGomery, die Geschäftsführerin des Great Saloon, was ja nichts anderes war als eine Spielhölle der übelsten Art, meinte es bitterernst. CC hatte keine Ahnung, wie es ihr die ganzen Jahre ergangen war. Er wusste nicht einmal, wieso er sie damals Knall auf Fall verlassen hatte, obwohl er heute noch glaubte, sie sei seine einzige große Liebe.

In jeder Frau, die er bisher gehabt hatte, egal wo und wann, hatte er stets Diana gesehen.

Diana!

Und jetzt schoss sie gezielt auf ihn. Der Lauf ihres Revolvers deutete haargenau dorthin, wo sich sein Herz befand. Sie wollte ihn auslöschen. Sie wollte sich für etwas rächen, was sogar CC nicht verstehen konnte. Er war gekommen... wer wusste schon warum, aber jedenfalls nicht, um durch ihre Hand zu sterben.

Die Kugel erwischte ihn nicht mehr, denn CC hatte mit seinem unglaublichen Instinkt genau zur rechten Zeit genau das Richtige getan: Er war rechtzeitig ausgewichen, so schnell, dass Diana ihm mit dem Lauf ihrer Waffe nicht mehr folgen konnte.

Der Rückstoß der schweren Waffe machte ihr für Sekundenbruchteile zu schaffen. So lange brauchte sie, um erneut anzulegen. Den Hahn spannte sie mit der freien Hand.

Das war genügend Zeit für CC, über den hohen Tresen zu flanken, um dahinter Deckung zu nehmen.

Sein Colt Navy blieb an seinem Platz. Er griff nur danach, um sich zu vergewissern, dass er ihn nicht beim Sprung verloren hatte.

Die zweite Kugel pfiff knapp über ihn hinweg und traf in das Flaschenregal. Eine Flasche zerbarst, ihr Inhalt plätscherte nieder.

CC blieb in Deckung.

"Hör auf mit dem Unfug!", sagte er hart. Es klang wie ein Befehl und wahrscheinlich war es auch so gedacht.

Anstelle einer Antwort folgte der dritte Schuss, der beinahe den Barkeeper Hank traf. Der Mann schrie entsetzt. Die Todesangst peinigte ihn so, dass er gar nicht mehr aufhören wollte zu schreien. Deckung aufsuchen kam nicht für ihn in Frage. Dazu war er einfach nicht fähig. Sein Körper gehorchte längst nicht mehr dem Willen. Die Beine vesagten ihm vollends den Dienst. Langsam und immer noch schreiend rutschte er an dem Flaschenregal herunter, gegen das er gelehnt stand. Die Flaschen klirrten bedrohlich.

"Wenn ich dich töten wollte, wärst du längst tot!", sagte CC eindringlich. "Du hast keine Chance und das weißt du."

"Ich schieße besser als die meisten Männer!", entgegnete sie verbissen.

"Das ist nicht gut genug für mich."

Sie zögerte.

"Lass die Waffe sinken. Ich komme jetzt heraus", sagte CC. "Ich werde nicht auf dich schießen. Das verspreche ich dir. Es sei denn, du zwingst mich dazu."

Sie nickte widerstrebend, denn sie wusste haargenau, wie recht er hatte. Anstatt über den Tresen zu flanken, hätte er seinen eigenen Colt ziehen und abdrücken können. Jedermann, der je von CC auch nur gehört hatte, wusste, dass er bis jetzt auf keinen getroffen war, der ihm auch nur annähernd ebenbürdig erschien. Sonst würde er wahrscheinlich längst nicht mehr leben. So gut konnte sie gar nicht sein, um auch nur den Hauch einer Chance zu haben.

Sie ließ die Waffe sinken. Ihre Hand zitterte. Ihre Lippen bebten, obwohl man es hinter dem Schleier kaum sehen konnte.

CC richtete sich vorsichtig auf - natürlich dort, wo es Diana nicht vermutete, also weit genug von der Stelle entfernt, wo soeben noch seine Stimme erklungen war.

Er sah, dass Diana tatsächlich die Waffe hatte sinken lassen und wirkte befriedigt.

Diesmal flankte er nicht über den Tresen, sondern benutzte den üblichen Weg. Langsam und immer noch vorsichtig ging er auf seine einstige große Liebe Diana zu. Er nahm ihr beinahe behutsam die Waffe aus der Hand und wog sie wie prüfend in seiner Linken.

"Was sollte das eigentlich?"

"Wieso bist du überhaupt hier?", presste sie hervor.

"Man sollte eine Frage niemals mit einer Gegenfrage beantworten", belehrte er sie.

"Warum bist du gekommen? Was lockt dich? Du bist ein bezahlter Mörder. Wen sollst du alles umbringen und - für wen?"

"Aha, daher weht also der Wind. Man glaubt wohl, ich sei eine Gefahr für die Stadt, das berüchtigte Zünglein an der Waage, das die Machtverhältnisse zu ändern vermag, in welche Richtung auch immer? Auf wessen Seite stehst du denn eigentlich? Ich meine, es könnte doch sein, dass ich von der gleichen Seite bezahlt werde, nicht wahr?"

Ihre Augen hinter dem Schleier wurden groß. Auf diese Idee war sie anscheinend noch gar nicht gekommen.

"Es wäre mir egal!", behauptete sie.

"Mir aber nicht, Diana. Ich bin auch nicht deshalb gekommnen. Niemand hat mich her gerufen, niemand hat mich mit harten Dollars gelockt. Ich habe noch niemals in meinem Leben gegen Geld einen Mord begangen, weil ich noch niemals in meinem Leben aus einem anderen Grund auf jemanden geschossen habe als aus Notwehr heraus."

"Man erzählt sich ganz anderes von dir."

"Mag ja sein, aber ich stand niemals außerhalb des Gesetzes. Ganz im Gegenteil, ich habe einige Städte befriedet. Das Schlimme daran ist nur, dass derjenige, der den Frieden schafft, danach am überflüssigsten ist. So lange man ihn braucht, ist er gut genug. Aber dann wird er unbequem. Allein sein Anblick genügt schon, um an die vielen Toten zu erinnern, den der Frieden gekostet hat. Doch an die Toten, die es ansonsten immer noch geben würde, so ganz ohne den endlich erreichten Frieden... yeah, an die denkt niemand mehr. Man zieht sich freiwillig zurück, bevor die Stadt sich einen Grund überlegt hat, einen auf andere Weise los zu werden. So zieht man von Stadt zu Stadt..."

"Und dann, wenn es keine mehr gibt, wo man den Revolver schwingenden Superhelden spielen darf, dann ist es an der Zeit, heim zu kehren, um dort weiter zu morden." Es klang verächtlich aus dem Munde von Diana. Sie schnaubte voller Abscheu.

Er warf die Waffe Dianas von sich. Eine ärgerlich Geste. Irgendwo schepperte sie gegen die Wand und polterte zu Boden.

Hart packte CC seine einstige Geliebte an den nackten Schultern.

"Hör zu, vielleicht bin ich auch deinetwegen zurück gekommen? Vielleicht habe ich damals einen schlimmen Fehler gemacht, vielleicht aber auch nicht. Wer soll das wissen? Doch jetzt bin ich hier und du hast mich zur Begrüßung umzubringen versucht. Wen wolltest du damit schützen?"

Sie wand sich in seinem Griff, hatte aber keine Chance, zu entrinnen.

"Ich schütze niemanden, außer mich selbst!", zischte sie. Ein kleiner Schmerzenslaut folgte. Aber CC ließ trotzdem nicht locker.

"Niemanden außer dich selbst?", echote er ungläubig. "Du willst mir doch nicht weis machen, dass es in all der Zeit in Erinnerung an mich keinen anderen Mann gegeben hätte?"

"Lass endlich los, du Bastard. Du tust mir weh!"

Es schien ihm gar nicht bewusst gewesen zu sein, denn er ließ sie jetzt tatsächlich los. Dabei wirkte er eschrocken.

"Natürlich gab es andere als dich, wesentlich bessere sogar!", fauchte sie ihn an. "Wer bist du denn schon? Ein schmutziger, heruntergekommener Cowboy, dessen Schießeisen locker sitzt und der Leute umlegt, wie es ihm beliebt. Es dauert nicht mehr lange, dann wird einer schneller sein als du. Oder es wird eine Übermacht geben, die ein Ende mit dir macht."

"Vielleicht ist es längst soweit? Vielleicht ist gerade das der Grund, warum ich hier bin?" Es klang geheimnisvoll. "Die ganze Stadt scheint gegen mich zu sein. Ich traf Bart Sinters. Er zeigte mir unverhohlen seinen Hass. Wenn er einen Colt besessen hätte, hätte er mich zu erschießen versucht, genauso wie du. Eigentlich ist nur Stan die lobenswerte Ausnahme. Oder er hängt zu sehr am eigenen Leben als dass er ein Risiko eingehen will. Seine Waffe jedenfalls hing am Haken, als wir uns begegneten. Er hat mir seine Freundschaft angeboten - und Kooperation."

"Und? Hast du zugesagt?"

"Wenn du schon angenommen hast, es würde einen Auftraggeber geben, der mich hier in der Stadt haben wollte, wieso sollte ich dann Stan zusagen? Entweder wir sind sowieso schon beim selben Brötchengeber im Sold oder ich bin als sein Todfeind gekommen - auf Bezahlung. In keinem Fall könnte es eine Zusage geben. Aber auch, wenn ich völlig in eigener Regie gekommen bin, warum sollte ich mich mit einer der hiesigen Machtgruppen arrangieren?"

"Vielleicht um zu überleben?", vermutete sie.

"Was das betrifft, habe ich mich immer schon auf mich selbst verlassen und niemals auf einen anderen. Ich bin ein Einzelgänger, schon immer gewesen und werde es auch für immer bleiben. Ich bin sehr gut damit gefahren, wie du siehst, denn ich lebe noch und das bei bester Gesundheit."

"Dass du ein Einzelgänger bist, hast du mir hinlänglich bewiesen und das ist schon viele Jahre vorbei. Du hast mich benutzt wie einen Gebrauchsgegenstand und hast mich zum Müll geworfen, als du meiner überdrüssig warst. Du hast alles zum Müll geworfen, all deine Freunde und Feinde, ja, die ganze Stadt. Und dort ist Gold-Valley immer noch, dort, wo du es hingeworfen hast, nämlich im Müll. Gold-Valley, das ist selber ein einziger großer Müllhaufen."

"Das sagst du mir und bist immer noch hier? Wenn es so schlimm war, dass ich dich verließ, warum bist du mir dann nicht gefolgt? Es hätte doch sein können, dass ich das erwartete, dass ich dich nur verließ, um uns beide zu prüfen, wie ernst es wirklich war. Wenn man ein Leben lang zusammenbleiben will, gibt es für ein ganzes Leben Belastungen, denen man erst einmal gewachsen sein muss. Und bei der geringsten Belastung hast du schon aufgegeben. Du hast dir rasch einen Ersatz gesucht, hast dich getröstet und hier und heute willst du mir Vorwürfe machen? Mit welchem Recht? Nein, Diana, nicht nur ich habe dich verlassen, du hast dies ohne die geringste Gegenwehr einfach zugelassen."

"Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit. Kommt nach all den Jahren hierher, um eine solche Schuldzuweisung zu machen. Jetzt war auf einmal ich es, der damals einen Fehler gemacht hat, nicht er. Alles nur ein Test, um meine wahren Absichten zu erfahren, was? Soll das jetzt ein Witz sein? Dann ist es einer, über den kein Mensch lachen kann, außer dir vielleicht. Da muss man schon ziemlich verdreht sein im Kopf."

Er packte sie wieder an den Schultern, diesmal nicht so hart. CC knirschte hörbar mit den Zähnen. "Wir stehen hier herum und streiten uns über Dinge, die lange zurück liegen. Wir sind beide voller Bitterkeit. Ist wirklich soviel Hass an der Stelle in deiner Brust, an der du vorher Liebe für mich empfunden hast? Oder warum streiten wir überhaupt hier? Wenn ich dir gleichgültig wäre, würdest du dich nicht so verhalten und wenn du mir gleichgültig wärst, wäre ich niemals hier. Ich hätte dich ignoriert. Warum hast du also geschossen? Um mich zu töten oder den letzten Rest von Gefühl, das noch für mich übrig ist?"

Sie schrie auf, riss sich los und wich vor ihm zurück.

Sie weinte, obwohl man es nicht sehen konnte, weil der Schleier es verbarg.

Die Bankhalter standen an ihren Spieltischen. Ein paar Gäste im Hintergrund waren längst aufmerksam geworden. Alle schauten herüber und rührten sich nicht vom Fleck. Sie waren Zeugen der Szene.

CC vergaß ihre Anwesenheit beinahe. Er setzte Diana nach. Sie schlug nach ihm, um ihn sich vom Leib zu halten. Diana wich aus bis zur Treppe, die in das Obergeschoss führte. Beinahe wäre sie über die unterste Stufe gestolpert und rücklings hin gefallen. Sie ruderte mit den Armen.

CC's Linke schoss vor und hielt sie auf. Mit der freien Rechten tat er etwas anderes: Er riss ihr Schleier hoch, denn er wollte ihr Gesicht sehen, vor allem wollte er den Grund erfahren, wieso sie überhaupt einen Schleier trug.

Yeah, welchen Grund gab es dafür?

CC sah ihn und erschrak. Er sah die Narben und konnte es nicht begreifen.

Das schöne Gesicht von Diana - vernarbt! Wie war das geschehen und vor allem - warum?


* * *


Sie schrie vor Wut und Scham und versuchte, mit ihren Händen die Narben zu verbergen.

CC befand sich im Widerstreit mächtiger Gefühle. Ein gewisser Widerwillen mischte sich in den unbändigen Wunsch, dieses zerschundene Gesicht in beide Hände zu nehmen und mit Küssen zu bedecken, als könnte das die Narben wieder vertreiben und Dianas einstige Schönheit zu Tage fördern. Er hatte das Gefühl, weg rennen zu müssen, weil das hier nicht mehr seine Diana war und gleichzeitig konnte er sie nicht erneut im Stich lassen, denn wenn er damals geblieben wäre, hätte sie nicht diese Narben...

"Deshalb hast du auf mich geschossen", murmelte er fassungslos. "Du wolltest mich erschießen, damit ich niemals dieses Gesicht sehen konnte!"

"Weg mit dir!", schrie Diana. "Verschwinde und lass dich nie wieder blicken!"

Er reagierte überhaupt nicht. Immer noch hielt er sie mit einer Hand fest. Die Rechte hatte er erhoben, sie zitterte zögernd. Dann griff sie nach dem Schleier und zog ihn wieder herab.

Diana ließ die Arme sinken.

Unerbittlich zog CC sie an sich, drückte sie fest an seine Brust. Er spürte ihren bebenden Leib, den federnden Druck ihrer vollen Brüste. Sie wehrte sich sekundenlang gegen ihn, chancenlos. Er hielt sie fest, als wollte er sie niemals mehr los lassen.

"Wie konnte das passieren?", murmelte er. Und dann: "Wer war das Schwein?"

Sie erstarrte, vergaß, sich weiter zu wehren, wurde auf einmal wieder ganz ruhig. Nur ihr heftiger Atem verriet noch, wie aufgewühlt sie innerlich war.

CC hielt sie fest, ganz fest. Und dann klammerte sie sich plötzlich an ihn wie eine Ertrinkende, die nach dem letzten Rettungsanker greift. Sie lagen sich in den Armen und Diana begann leise zu weinen.

Als CC diesmal ihren Schleier lüftete, wehrte sie sich nicht mehr. Sie hielt ihm ihr Gesicht entgegen und er betrachtete die Narben, über die dicke Tränen rannen. Ganz so schlimm waren die Narben gar nicht mehr. Sie waren schon Jahre alt und es gab sowieso kaum Westfrauen, die keine Narben im Gesicht hatten, verursacht von einem harten, unerbittlichen Leben, von einem Existenzkampf, der erst mit dem letzten Atemzug endete.

"Diana!", flüsterte er und dann bedeckte er dieses Gesicht mit seinen heißen Küssen. Diana, sie war es, das Original, kein Ersatz wie all die vergangenen Jahre. Er brauchte nicht mehr nachts von ihr zu träumen, nicht mehr davon, dass er sie für immer verlor, um hernach schweiß überströmt auf zu schrecken und nach dem Revolver zu tasten, als wäre der Colt Navy das einzige noch, was in seinem Leben Bedeutung hatte.

Er hatte sie in seinen Armen, wahrhaftig und sie ließ sich küssen, erwiderte die Küsse sogar und sie scherten sich einen Dreck darum, dass sie nicht allein waren.

CC bückte sich und nahm sie auf die Arme.

Es war eine scheiß Stadt, es war ein Dreck- und Schandfleck in einer wunderschönen, paradiesischen Landschaft, es war der reine Müll, aber in all dem Unrat, in all dem widerlichen Dreck, hatte CC etwas für ihn unendlich Wertvolles gefunden. Hier hatte er es zurück gelassen, weil er ihren Wert einfach nicht hatte richtig einschätzen können. Und sie war ihm nicht gefolgt, weil er ihren Stolz zutiefst verletzt hatte.

Und hätte CC denn jemals eine Frau lieben können, die nicht mindestens ebenso stolz war wie er selbst?

Auch wenn ihnen genau dieses all die Jahre über im Weg gewesen war!

Er trug sie die mit Teppich ausgelegte Treppe empor. Niemand kümmerte sich darum, dass CC mit seinen Sporen den Teppich ruinierte.

Ihre Zeugen schauten ihnen fassungslos nach, als CC seine wiedergefundene Geliebte hinauf trug. Er brauchte nicht lange nach der Tür mit der Aufschrift "Privat" zu suchen. Mit dem Fuß trat er sie auf. Er brachte Diana zum Bett, um mit ihr zu verschmelzen. Nichts anderes war für für die beiden noch wichtig in diesen Augenblick. Nicht einmal die tödliche Gefahr, in der sie beide schwebten.

Denn wer CC umlegen wollte, der würde jetzt selbstverständlich mit Diana McGomery das gleiche vor haben. Denn er würde ihr niemals verzeihen können, dass sie sich so offensichtlich auf die Seite von CC geschlagen hatte.

Zeugen für diese ihre "Tat" gab es genug und vor allem einer der Zeugen wurde auf einmal sehr rege, nämlich der Barkeeper Hank. Erwacht aus seiner hemmungslosen Todesangst, hatte ein anderes Gefühl von ihm Besitz ergriffen: Rache für die Schmach, die ihm durch CC zuteil geworden war. Und er wusste nicht nur recht gut, wer das größte Interesse an CC's Ableben hatte, sondern wusste auch, wo er diesen fand und wie er ihm am besten seine hinterhältigen Dienste anbieten konnte. Hank wusste so gut Bescheid, weil er als Barkeeper sozusagen das Gras wachsen hörte. Niemand wusste in dieser Stadt soviel wie er.

CC würde die Schmach an Hank, dem Barkeeper, mit dem Leben bezahlen. Dafür würde er sorgen.

Was dabei mit Diana geschah, das interessierte Hank zur Zeit herzlich wenig. Außer dem Gedanken an Rache hatte nichts mehr Platz in seinem Schädel...


* * *


Diana schmiegte sich in seinen Arm und er drückte sie an sich. Seine Augen starrten zur Decke, ohne diese wirklich zu sehen. Sie überbrückten die Zeit, all die Jahre, blickten dorthin zurück, als sie beide zusammen gewesen waren. Klarer denn je war ihm bewusst, dass er im Grunde wirklich nur ihretwegen zurück gekommen war. Alle anderen Gründe, mit denen er sich selbst belogen hatte, waren eigentlich null und nichtig.

Er lag auf dem Rücken und genoss die Nähe ihres nackten Körpers. CC schloss die Augen, weil sie zu brennen begannen. Mit sanften Armen griff der Schlaf nach seinem Bewusstsein. Aber er wehrte sich dagegen. Nein, das konnte er sich nicht leisten, denn Schlaf, das bedeutete Unaufmerksamkeit. Hier lag er und draußen waren seine Todfeinde. Eine ganze Stadt voll, wie es schien. Falls er überhaupt eine Chance besaß gegen diese gewaltige Übermacht, dann nur, wenn er keine Sekunde lang unaufmerksam war.

Er riss die Augen wieder auf.

Doch jede Sekunde, die er gemeinsam mit Diana verbrachte, verschlechterten seine Chancen. Es sei denn, er würde sie zu seinem Vorteil nutzen.

"Ich habe es sehr genossen", hauchte Diana, "und ich genieße es immer noch. Das erste schöne Erlebnis seit du mich damals verlassen hast, Chester."

"Woher hast du eigentlich gewusst, dass ich komme?", erkundigte er sich ruhig. "Du hast ja wohl nicht das Telegramm gelesen?"

Ihr Körper versteifte sich deutlich. Hatte er das nur mit dieser Frage bewirkt.

"Bitte, lass alles doch noch ein Weilchen ruhen - lass damit uns noch ein wenig ruhen. Haben wir es nicht verdient, nach all diesen Jahren?"

"Was nutzt es, wenn wir hier liegen und darauf warten, dass alles zu Ende geht, noch ehe es wieder richtig neu begonnen hat - alles, einschließlich unser Leben?"

Sie hob den Kopf und musterte ihn.

Er erwiderte diesen Blick. "Wir haben einen Fehler begangen, einen tödlichen Fehler. Inzwischen hat es sich herum gesprochen, dass wir wieder zusammen sind. Damit wird die Jagd nicht nur auf mich gehen, sondern von nun an auch auf dich."

Sie erschrak nicht darüber, sondern sie nickte. "Das war mir klar, aber ich habe mich trotzdem auf dich eingelassen. Und bevor du fragst: Ich habe keineswegs vor, das Wiedersehen mit dir mit dem Leben zu bezahlen."

"Wie willst du es verhindern, Diana?"

"Nicht indem ich doch noch versuche, dich umzulegen, Chester, falls du das jetzt noch glauben könntest. Ich habe im Gegenteil vor, mich meiner Haut zu wehren."

"Es wäre vorher angebracht, mich über die Zusammenhänge zu informieren. Bist du nicht der gleichen Meinung?"

Sie kroch halb über ihn und umklammerte ihn mit einer Kraft, die er ihr nicht zugetraut hätte. "Gott, Chester, wenn du diesmal gehst, werde ich nicht zurück bleiben. Wenn du stirbst, sterbe ich mit dir und wenn du überlebst, überlebe ich mit dir. Du wirst mich niemals mehr los. Es sei denn, du erschießt mich."

CC streichelte ihr über den Kopf, strich ihr das lange Haar aus der Stirn und küsste sie. Es war ihm ernst, als er sagte: "Ich empfinde dasselbe für dich. Ein Gefühl, vor dem ich damals geflohen bin. Deshalb bin ich weg von hier. Ich war ein Feigling und wollte mich dem nicht stellen. Ich konnte zwar damals schon ganz gut mit dem Revolver umgehen, aber leider nicht mit meinen Gefühlen. Es hat sich geändert, sonst wäre ich nicht hier. Ich habe die inzwischen vergangene Zeit genutzt, um zu reifen. Und ich werde in keiner Weise zu lassen, dass alles kaputt geht, noch ehe es eine richtige Chance für einen Neuanfang gegeben hat."

"Also gut, Chester, ich werde dir alles erzählen, aber es wird dir nicht gefallen."

"Ich sehe dein Gesicht und die Narben und ich sehe, dass es kein Unfall war. Yeah, du hast recht, es wird mir nicht gefallen, aber ich muss es trotzdem wissen. Den Gegner kennen, das ist in unserer Situation Lebens notwendig."

"Der es mir gesagt hast, dass du kommst: Es war dein bester Freund, es war Stanley Williams!"

"Wie bitte?" CC fuhr hoch, wie von einer Tarantel gebissen. Er packte Diana an beiden Schultern, dass sie vor Schmerz leise aufschrie. "Es war Stan?"

"Ja, Stan hat mir erzählt, dass du ihm ein Telegramm geschickt hast. Er war hier und hat mir gesagt, 'Freu dich, Di, unser beider Freund kommt zurück. Er hat dich damals im Stich gelassen und wird es diesmal wieder tun. Nur diesmal weniger freiwillig.' Ich habe ihn angeschrien: 'Was hast du vor?' Er antwortete nur: 'Wer weiß, ob CC es überhaupt schafft, lebend die Stadt zu erreichen?' Dann ging er wieder."

CC wurde bewusst, dass er Diana weh tat und ließ sie los. Sie massierte ihre Schultern. In ihren Augen schwammen auf einmal Tränen.

CC betrachtete ihr Narben. By gosh, welcher Mensch war das gewesen, der so etwas getan hatte? Die Narben waren hervorragend verheilt. Sie waren nicht mehr so schlimm. Aber wie hatte Diana damals ausgesehen, als alles noch frisch war?

"Wer hat das getan? Sag es mir endlich", bat er eindringlich.

"Ist dir das denn wichtiger als die Tatsache, dass Stan von deinem Tod gesprochen hat und das schon vor Tagen?"

"Ja, das ist es." CC hatte einen furchtbaren Verdacht. "Stan?"

Sie nickte nur.

CC zitterte. Er konnte es nicht verhindern.

"Stan hat dich so zugerichtet?"

"Nein, eigentlich warst du es, Chester."

"Was soll der Quatsch?"

"Nein, kein Quatsch", sagte sie bitter. "Du warst der Grund, dass Stan damals mein Gesicht zerfetzen wollte. Er wollte mich zerstören. Du solltest niemals mehr Freude an mir haben. Er war außer sich, rasend vor Eifersucht, denn er hat immer geahnt, dass er deinen Platz niemals einnehmen konnte, auch wenn es eine Weile danach aussah. Aber ich hatte mich lediglich in mein Schicksal gefügt, mehr nicht. Eines Tages wurde diese Ahnung für ihn zur Gewissheit und er drehte durch. Das Ergebnis siehst du. Ohne den Doc wäre es immer noch so schlimm. Ich wäre bei der Sache beinahe umgekommen. Er hat mir mit dem Messer das Gesicht zerschnitten und mich draußen die Treppe hinunter gestoßen. Das Haus war voller Gäste gewesen. Er hat gerast und alle waren Zeugen geworden. Alle haben geschrien vor Entsetzen. Sie hatten schon viel gesehen in dieser Stadt, aber so etwas noch nicht. Alles voller Blut. Das Blut hat noch auf der Treppe geklebt, als ich längst schon wieder über dem Berg war. Ich hatte beide Arme gebrochen und ein Bein und..."

CC weinte vor Wut. Er schüttelte die Fäuste. "Also Stan! Dieses Schwein. Er hat sich immer als Freund aufgespielt..."

"...der er niemals war, Chester. Niemals, hörst du! Er hat sich als dein Freund aufgespielt, weil er dich fürchtete. Und er hat veranlasst, dass man dich schon tötet, noch bevor du die Stadt erreichst, weil er immer noch Angst vor dir hat. Du solltest die Wahrheit niemals erfahren."

"Aber er hat mich unterschätzt." CC öffnete und schloss die Hände. Das Zittern verschwand. Von einer Sekunde zur anderen wurde er ganz ruhig.

Er registrierte es mit Genugtuung. Das war seine herausragende Fähigkeit: Egal, was auch kommen mochte, er bewahrte einen klaren Kopf. Störungen waren nur vorübergehender Natur und bisher nie zu lange gewesen, sonst wäre er nicht mehr am Leben. Aber er lag hier, mit seiner Diana, die er früher immer liebevoll Di genannt hatte und er wusste, dass es für beide einen neuen Anfang gab.

Und sie hatten beide denselben Todfeind: Stanley Williams.

CC schüttelte den Kopf. "Ich hätte es niemals vermutet. Er hat mich immer einzuwickeln verstanden."

"Nicht immer, Chester, denn diesmal war es ihm nicht gelungen. Oder vielleicht doch?", fragte sie auf einmal bang.

"Was meinst du?"

"Du kamst doch direkt von Stan. Er hat dich zu mir geschickt."

"Ja, ich kam von ihm und er hat mich deshalb zu dir geschickt, weil er wusste, dass du einen Revolver für mich bereit hattest. Damit hoffte er, mindestens einen Teil seines Problems zu lösen. Falls du mich getötet hättest, wäre wahrscheinlich sowieso sein Hauptproblem weg gewesen - und das seiner Auftraggeber."

"Auftraggeber?", echote sie überrascht.

"Nun, er hat mir ein Angebot zur Kooperation gemacht. Ich habe abgelehnt."

"Dein Todesurteil!"

"Das hatte er vorher schon gefällt und sein Henker erwartete mich oben in der Schlucht. Ich nehme an, dass seine Helfershelfer strategisch um die Stadt verteilt sind. Er wusste ja nicht sicher, dass ich durch die Schlucht kommen würde."

"Es gibt keine Auftraggeber", belehrte ihn Di.

CC starrte sie verständnislos an.

"Es gibt keine", wiederholte sie, "denn der Auftraggeber, das ist er selbst!"

"Stan?" CC hatte alles verkraftet bis jetzt, was Di ihm gesagt hatte, aber das mochte er nun doch nicht glauben.

Sie bekräftigte ihre Aussage: "Stanley Williams, das ist der Baron, wie sie ihn inzwischen nennen. Er ist der uneingeschränkte Herrscher von Gold-Valley!"

"Aber ich habe Bart getroffen. Er..."

"Er hat natürlich angenommen, dass du gekommen bist, um deinen alten Freund Stan zu unterstützen, seine Macht noch weiter auszubauen. Er ahnt genauso wenig wie du, dass diese Freundschaft nur Mittel zum Zweck war. Stan ist schon immer ein geschickter Taktierer gewesen. Du wusstest gut mit dem Revolver umzugehen und er hat dasselbe mit Menschen getan. Du hast all die Jahre geglaubt, Bart Sinters sei dein Rivale gewesen um meine Gunst. Das war ein Irrtum. Bart Sinters war nur ein Freund, ein echter Freund. Er hatte kein wirkliches Interesse an mir als Frau. Anders Stanley Williams. Er hat damit nur hinter dem Berg gehalten, so lange du in der Stadt warst. Und kaum warst du weg und war er sicher, dass du nicht mehr zurück kommen würdest, griff er zu. Er tat es anfangs als Schmeichler, aber als das nichts half, nahm er mich mit Gewalt."

"Mit Gewalt?"

"Damned, wie deutlich soll ich denn noch werden, Chester? Er hat mich vergewaltigt, nicht einmal, sondern immer wieder. Er hat seine körperliche Überlegenheit ausgekostet und er war nicht nur körperlich überlegen. Ganz gezielt hat er Leute um sich geschart. Er hat keine zwei Jahre gebraucht, um der Herrscher von Gold-Valley zu werden. Bis dahin hat er jeden umlegen lassen, der ihm im Weg stand. Einer der ersten war dein Vater und das schon einen Monat nach deinem Weggehen."

CC knirschte mit den Zähnen, wie immer, wenn er sich mühsam beherrschen musste.

"Er zwang mich, ihn zu heiraten. Ich wurde Mrs. Williams und das bin ich auch heute noch, obwohl wir nicht mehr zusammen leben. Er demütigt und beleidigt mich, wann immer er Gelegenheit dazu findet und das ist ziemlich oft, denn er tut es immer dann, wenn er hierher kommt."

"Und warum hast du ihn nicht erschossen? Du kannst doch mit dem Schießeisen umgehen, wie ich gesehen habe und möglicherweise sogar besser als er."

Sie lachte schrill. "Erschießen? Stan? Begreifst du immer noch nicht, dass er der Baron ist, ein Unantastbarer, einer, dem alle gehorchen, eine ganze Armee von über hundert berufsmäßigen Revolverschwingern, die die ganze Stadt terrorisieren? Falls ich es geschafft hätte, seine Leibgarde zu überlisten, wäre ich direkt nach ihm gestorben und der Tod wäre dabei noch gnädig gewesen. Denn wer weiß, was die Banditen vorher mit mir angestellt hätten. Yeah, ich wäre tot gewesen und ich hätte dich niemals wiedergesehen!"

Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste es wieder.

"Ich werde alles rächen, nicht nur diese verheilten Narben und das, was ihnen voraus ging, sondern auch alles andere, auch die Stadt."

"Du allein?", fragte sie ungläubig.

"Nein, denn ich habe eine wichtige Unterstützung, nämlich dich!"

Auf einmal war sie keineswegs mehr so zuversichtlich, wie sie noch vor Sekunden erschienen war.


* * *


Die Nacht fiel über die Stadt herein wie ein schwarzes, gieriges Ungeheuer. So empfand es CC, als er hinaus spähte. In der viel zu kurzen Dämmerung rührte sich nichts und als es einmal dunkel war, konnte man dort unten nicht einmal mehr die Hand vor den Augen sehen. Das Fenster ging nach hinten hinaus. Es schloss sich ein enger Hinterhof an, der von einem alten, windschiefen Geräteschuppen begrenzt wurde.

CC zog sich an. Diana saß auf dem Bett und beobachtete ihn. "Willst du nicht das Fenster verdunkeln?", fragte sie.

"Nein!", entschied CC. "Wenn wir nicht direkt ans Fenster gehen, kann man uns von draußen nicht sehen und wenn wir nicht verdunkeln, glauben unsere Feinde, wir würden uns in Sicherheit wiegen."

Sie überlegte kurz. Dann nickte sie. "Was willst du jetzt tun?"

"Erst einmal abwarten, Diana. Wir müssen bereit sein und mit allem rechnen - sogar damit, dass man das Gebäude in Brand steckt, um uns auszuräuchern."

"Sehr unwahrscheinlich!", konstatierte Diana, "denn dieses Gebäude hier ist das Eigentum von Stanley Williams und niemand weiß besser als ich, wie sehr er an seinem Eigentum hängt. Er wird bemüht sein, den Schaden möglichst klein zu halten, wenn er seine Schergen auf uns hetzt. Und sie werden auf ihn hören, so lange er sie gut bezahlt und er ihr Boss ist. Schätze, auf deinen Kopf hat er eine saftige Belohnung ausgesetzt."

"Hast du keine Angst?"

"Doch, aber weniger um mich als mehr um dich, Chester", antwortete sie leise. "Ich bin in diesem grausamen Spiel eine Nebensächlichkeit."

"Wieso hat Stan dich eigentlich am Leben gelassen?"

"Du machst keine Umwege, nicht wahr, Chester? Du steuerst immer haargenau auf dein Ziel zu."

"Haben wir denn Zeit zu verlieren?"

Sie winkte ab. "Du hast recht, Chester: Ich wusste nicht, warum er mich am Leben ließ, aber jetzt ist es mir klar. Vielleicht diente ich als Köder für dich? Er fürchtete nur noch einen einzigen Menschen auf dieser Welt und das bist du. Man hat sich von deinem Wirken als Revolverschwinger die unglaublichsten Geschichten erzählt. Die meisten sind wohl bis nach Gold-Valley gedrungen. Yeah, Stan hat Angst, Todesangst, wenn er nur deinen Namen hört. Sein Angebot, das er dir in seinem Office machte, war nur dazu gedacht, Zeit zu gewinnen. Eine Strategie, die seiner würdig ist. Er musste erst alle Kräfte auf dieses Hauptproblem namens CC konzentrieren. Wie man sieht, war er erfolgreich."

"Noch ist nichts passiert, seit ich bei ihm war."

"Nun, er hat dich zu mir geschickt, damit wir uns gegenseitig umlegen. Ist das denn nichts?"

Er grinste breit. "Es hat sich zumindest ganz anders entwickelt als von ihm beabsichtigt, nicht wahr?"

Sie schnellte sich erstaunlich behende aus dem Bett. Noch immer war sie nackt. Aber sie brauchte nicht lange, um sich anzuziehen.

CC runzelte die Stirn. "Findest du es denn passend, in dieser Situation ein Kleid anzuziehen? Es geht um dein Leben."

Sie zögerte. Dann zog sie sich wieder aus, ging an den Schrank und suchte. Bald wurde sie fündig, zog eine Männergarnitur heraus und streifte sie sich über.

"Ich hätte eine Bitte, Darling!", sagte CC.

"Nur zu." Sie sah ihn nicht an.

"Lass diesmal den Schleier weg. Schätze, du brauchst ihn schon lange nicht mehr."

Sie lächelte ein wenig unsicher. "Vielleicht trug ich ihn nur noch, weil ich daran gewöhnt war? Es hat Jahre gedauert, bis die Narben verblassten und so aussahen wie heute. Ich hasste mich dafür und ich hasste Stanley Williams. Dann lernte ich, auch dich zu hassen, weil mit deinem Weggehen das ganze Unglück begonnen hat."

"Ich weiß, Di, sonst hättest du nicht versucht, mich umzubringen. Aber jetzt ist alles wieder gut, nicht wahr?"

Ihr Lächeln wurde verzerrt. Sie kam zu ihm und legte ihre Arme in seinen Nacken.

"Sieht ganz danach aus, wie?" Diana zog ihn zu sich herunter und brannte ihm einen heißen Kuss auf die Lippen.

Er spürte das Verlangen nach ihrem Körper übermächtig werden, unterdrückte es aber.

"Ich hätte ebenfalls eine Bitte", sagte Diana.

"Die wäre?"

"Lass diesmal die Sporen aus, denn du ruinierst damit mein ganzes Parkett."

"DEIN Parkett?", fragte er gedehnt.

"So gut wie jedenfalls. Schätze, wir kommen nicht daran vorbei, Stanley Williams zu erschießen, wenn wir überleben wollen. Und wenn er einmal tot ist, werden nicht nur viele Menschen in der Stadt aufatmen, sondern einige von ihnen wieder Anspruch auf ihren Besitz anmelden. So werden du und ich unsere Farmen zurück bekommen und ich werde erben - nämnlich dieses Etablissement hier. Das habe ich mir geschworen - schon seit ich von ihm hier als Geschäftsführerin eingesetzt wurde."

Er musste lachen. "All right, ich halte mit."

Sie besiegelten es lachend mit Handschlag.

Als würde uns nicht der schlimmste Kampf meines Lebens bevor stehen!, dachte CC jedoch im Stillen zerknirscht. Ihre Fröhlichkeit war nur aufgesetzt und sollte ihnen helfen, über die tatsächliche Ausweglosigkeit ihrer Situation hinweg zu täuschen, so lange das noch ging.

Dass so lange nichts passiert war, das wertete CC keineswegs positiv, sondern eher wie die berüchtigte Ruhe vor dem großen Sturm...


* * *


Ihre Geduld wurde auf keine große Probe gestellt. Sie waren noch auf Dianas Zimmer. CC hatte seinen Colt Navy griffbereit, aber auch Diana hatte einen schussbereiten Revolver.

"He, CC!", rief draußen jemand.

Sie erkannten die Stimme von Hank, dem Barkeeper.

"Ich finde, er ist noch schleimiger geworden seit damals, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe."

Di nickte dazu. Sie war anscheinend einer Meinung mit CC.

"He, CC, hörst du mich?", rief Hank, der Barkeeper.

"Yeah!", antwortete CC endlich.

"Bart will dich sprechen. Er wartet auf dich."

"Bart?", echote CC überrascht.

"Wenn ich's doch sage!"

"Wo wartet er?"

"Draußen, denn ins Lokal darf er nicht. Daran hält er sich. Du solltest dich beeilen. Allzu lange kann er nicht warten. Du weißt, ihm geht es nicht allzu gut."

"Was will er von mir?"

"Das hat er mir nicht gesagt. Kommst du nun oder nicht?"

"Das ist eine Falle!", raunte Di. "Bart war immer ein guter Freund. Weiß der Teufel, warum ihr euch früher nie vertragen habt. Dafür bist du auf diesen falschen, hinterhältigen Stan rein gefallen. Warum sollte er dich jetzt sprechen wollen, ausgerechnet unter diesen Umständen? Ich könnte eher verstehen, wenn er sich hinten in den Hof schleichen würde, um von dort aus auf sich aufmerksam zu machen. Er würde doch niemals Hank schicken..."

CC ging nicht darauf ein. Das war auch nicht nötig. Er hatte längst eine Falle vermutet. Dennoch stand er auf und ging zur Tür.

Er stieß die Tür auf und wirbelte hinaus. Seine Waffe drohte.

Aber da war niemand außer dem Barkeeper. Er stand noch halb auf der Treppe und begann wieder zu zittern, als er die drohende Waffe sah.

Er ließ die Arme hoch schnellen. "He, CC, mach keinen Quatsch. Ich sollte es dir nur ausrichten, mehr nicht. Ich habe nichts zu tun mit der ganzen Sache, auch nichts mit Bart Sinters."

"Mit wem denn sonst?", fragte CC heiser.

Hank machte sich rückwärts an den Abstieg. CC folgte ihm langsam. Er bedrohte nach wie vor den Barkeeper mit dem Revolver. Gleichzeitig sicherte er nach allen Seiten. Er musste damit rechnen, dass jeden Augenblick irgendwo eine Tür auf flog und auf ihn das Feuer eröffnet wurde.

Aber hatte Di nicht die Ansicht vertreten, Stan wollte den Schaden für sein schönes Haus so klein wie möglich halten? Vielleicht gab es überhaupt keine Mörder hier drinnen, sondern nur draußen, um den Schaden zu begrenzen?

CC schüttelte unwillkürlich den Kopf. Er hatte schon viel erlebt in all den Jahren, aber dies hier erschien ihm als der absolute Gipfel.

Das sollte Stanley Williams sein, der früher sein bester Freund war? Sie waren so unzertrennlich wie Brüder. Da hatte es kaum etwas gegeben, das einer allein erledigt hätte. Er war auch der einzige gewesen, mit dem CC sogar nach seinem fluchtähnlichen Abgang aus der Stadt lockeren Kontakt gepflegt hatte. Ein Telegramm hier, ein kurzer Brief da...

Yeah, das war Stanley Williams tatsächlich. Während er den falschen Freund spielte, kochte er sein eigenes Süppchen. Ihm war es nur recht gewesen, als CC den Abgang gemacht hatte. Für ihn war damit alles bestens gelaufen. Wahrscheinlich hatte er längst schon vorher seine Vorbereitungen getroffen.

CC spuckte aus.

Hank, der Barkeeper, deutete sein Kopfschütteln und sein Ausspucken falsch.

"He, CC, wenn du etwas gegen Bart Sinters hast, dann kann ich das ja verstehen. Auch wenn du ihn nicht sprechen willst, dann lass es doch einfach bleiben. Nur ein Vorschlag zur Güte, CC, aber lass mich doch bitte aus dem Spiel."

Er zitterte immer stärker.

CC stieß ein heiseres Lachen aus. "Du warst schon immer ein Schleimer und Feigling. Vor allem warst du ein Intrigant und nicht einmal ein geschickter. Was hast du diesmal ausgeheckt?"

"Was meinst du überhaupt, CC?" Er stieg zu schnell hinunter, verfehlte eine Stufe und verlor den Halt. Schreiend kullerte er abwärts. CC folgte mit drohendem Revolver.

Das Lokal war wie leer gefegt. Auch die Bankhalter waren verschwunden. Das Licht brannte und das war eine Gefahr für CC, denn man würde ihn bequem von draußen abknallen können.

Ehe er in Schussweite von irgendwelchen Waffen kam, die von draußen möglicherweise herein zielten, befahl er dem Barkeeper: "Schließe alle Vorhänge, aber ganz dicht, dass kein Lichtstreifen mehr hinaus fällt. Los, Beeilung!"

"Ja, gewiss doch!", versicherte Hank brüchig. Er rappelte sich stöhnend auf und humpelte zum nächsten Fenster.

Tatsächlich, er gehorchte und zog sämtliche Blendvorhänge zu.

"Die Arbeit hättest du dir sparen können", bemerkte CC dabei spöttisch.

"Was meinst du damit, CC? Ich - ich verstehe überhaupt nichts mehr."

"Das glaube ich aber gar nicht, Hank. Hast du nicht vorhin erst die Vorhänge aufgezogen, damit man mich von draußen besser abknallen kann?"

Hank erschrak sichtlich.

"Aber, CC, das traust du mir wirklich zu?"

"Noch ganz anderes, nur überhaupt nichts Gutes, mein Lieber."

"Aber - aber ich habe jetzt alle Vorhänge zu gemacht, CC. Ich - ich tu alles, was du mir sagst, wirklich alles. Di ist meine Zeugin, dass ich immer auf ihrer Seite gewesen bin, all die Jahre. Ich habe immer zu ihr gehalten und würde niemals etwas tun, was ihr vielleicht schaden könnte. By gosh, ich habe gesehen, dass ihr euch wieder gefunden habt. Glaubst du im Ernst, ich würde irgendetwas machen, was euer Glück stören könnte?"

"Er war all die Jahre der Aufpasser und der Informant von Stan", sagte Diana von oben. Sie stand auf der Galerie und hatte ebenfalls ihre Waffe auf Hank gerichtet.

Er schrie: "Nein, Di, das - das stimmt nicht. Ich war stets dein Freund und Beschützer."

"Vor allem Beschützer", sagte CC verächtlich und kam immer weiter hinunter.

Hand wich vor ihm zurück. Er humpelte stark. Anscheinend hatte er sich das Bein verletzt, als er die Treppe hinunter kullerte.

Der Barkeeper winkte ab. "Bitte, CC, so glaube mir doch. Ich - ich könnte ja versuchen, Bart herein zu rufen. Wie wäre denn das? Ja, gewiss, ich rufe ihn einfach herein. Warte hier, ich gehe hinaus und rufe ihn herein, dann könnt ihr in aller Ruhe über alles reden. Ich - ich weiß zwar nicht, über was, aber es geht mich ja überhaupt nichts an. Äh, warte hier, ich bin gleich zurück - mit Bart!"

Er wandte sich um und schickte sich an, die Tür zu öffnen, um nach draußen zu laufen.

CC hatte nicht vor, ihn aufzuhalten. Ganz im Gegenteil. Er erhob die Stimme und rief ganz laut: "Bart Sinters, ich komme jetzt!"

"Nein!", schrie Hank, der Barkeeper und riss die Tür auf.

CC übertönte ihn: "Hier bin ich, Bart Sinters!"

"Nein!", schrie Hank erneut und humpelte hinaus. "Nicht schießen, nicht schießen! Ich bin es doch, euer Hank..."

Es nutzte ihm nichts. Hank, der Barkeeper, tappte in seine eigene Falle, genauso wie CC es gewollt hatte.

Aus mehreren Büchsen gleichzeitig krachten Schüsse.

CC merkte sich den Standort eines jeden Schützen.

Von den Kugeln wurde der Barkeeper wieder herein getrieben. Er brach vor den Füßen von CC tot zusammen.

"Ich danke euch dafür, dass ihr mir die Arbeit abgenommen habt!", rief CC hinaus.

Die Tür schwang selbständig wieder zu.

Draußen war Totenstille. Auf der Straße war scheinbar jeglicher Verkehr zum Erliegen gekommen. Überall lauerten die Mordschützen und hier drinnen waren CC und Di allein - allein mit einem Toten.

CC deutete mit dem Revolverlauf auf ihn.

"Wer andern eine Grube gräbt..."

Di kam herunter. Der Anblick der blutüberströmten Leiche ihres ehemaligen Barkeepers erschütterte sie zusehends.

"Dass du dabei so kalt bleiben kannst..."

"Was sollte ich denn deiner Meinung nach sonst tun? Den Tod dieses Schweins beweinen, der mich in die tödliche Falle führen wollte?"

"Ich finde, jeder gewaltsame Tod ist zu beweinen, CC!", belehrte sie ihn.

"Gut, Di, dann fange gleich mit uns beiden an, denn wir sind die nächsten, die auf der Liste stehen. Es sei denn, wir besinnen uns und beginnen endlich zu handeln, ehe Stan gegen alle Grundsätze verstößt und dieses Gebäude doch nicht mehr länger schont. Alle Trümpfe scheinen in seiner Hand zu sein, aber hat er nicht schon einmal bewiesen, dass er mich falsch einschätzt? Sein Glaube an die eigene Unfehlbarkeit ist inzwischen anscheinend so stark, dass er sich selbst und seine Strategien erheblich überschätzt."

"Was hast du denn vor?", fragte Di mühsam beherrscht.

Er zog seinen Stetson aus, was er sonst eigentlich nur tat, wenn er mit einer Frau ins Bett ging.

"Hier, ziehe ihn an!" Er warf ihn Di zu. Sie fing geschickt mit der Linken.

"Aber, warum...?"

Er antwortete nicht. Sie gehorchte.

CC schaute sich suchend um. Dann machte er sich an der Beleuchtung zu schaffen. Er konzentrierte mehr Licht auf die Eingangstür. Sie bestand zum größten Teil aus Eisen bewehrtem Buntglas. Die beiden zusätzlichen Pendeltüren befanden sich draußen. Sobald der Great Saloon eröffnet wurde, öffnete man nur die Haupttür und stellte sie fest, damit sie nicht wieder von allein zu schwang.

Di sah, was CC vor hatte: Wenn jetzt jemand ins Licht trat, sah man seinen Schatten an der Haupttür.

Sie grinste unwillkürlich und trat ins Licht. Prompt entstand der hohe Schatten eines Mannes mit breitkrempigem Stetson.

CC war zufrieden. "Du weißt, was du zu tun hast, Darling?"

Sie erschrak. "Und DU, Chester? Du willst es wirklich wagen, das Haus zu verlassen?"

"So lange du mich spielst, werden sie nicht damit rechnen."

Sie ging aus dem Licht heraus und CC nahm sie zum Abschied in die Arme.

"Ich - ich habe wieder Angst um dich, Chester!", bekannte sie.

"Ich auch", erwiderte er grinsend. "Aber wenn du deine Sache gut machst und auch mir kein Fehler unterläuft, haben wir eine winzige Chance."

"Winzig, eh?"

"Wäre die Chance größer, wäre auch die Herausforderung kleiner, musst du wissen."

"Auch ein Standpunkt, yeah."

Er küsste sie und dann lösten sie sich voneinander.

"Falls wir uns in diesem Leben nicht mehr sehen sollten, Chester, dann auf Wiedersehen - in der Hölle!"

"Hiermit versprochen, Darling!" Er winkte ihr mit der Linken lässig zu und stieg die Treppe hinauf, immer drei Stufen auf einmal nehmend.

Diana begann, scheinbar unruhig auf und ab zu marschieren - und geriet dabei immer wieder in den Lichtstrahl, um ihre Silhouette gegen die Tür zu werfen. Sicher würde es auch einen Schattenabdruck bei den Gardinen geben, aber weniger deutlich.

Sie würden draußen annehmen, CC würde in Todesangst auf und ab marschieren, in Erwartung eines Angriffs. Vielleicht ging die Rechnung von CC wirklich auf und die Mörder würden ihr Opfer erst einmal noch eine Weile schmoren lassen, ehe sie wirklich tätig wurden? Wahrscheinlich grübelten sie schon, wie sie jetzt noch weisungsgemäß den Gebäudeschaden am kleinsten halten konnten. Dazu mussten sie CC aus dem Gebäude heraus bekommen. Aber wie?

Sie ahnten gewiss nicht, dass CC längst schon auf dem Weg zu ihnen war...


* * *


Nachdem CC die Lampe in Dianas Schlafzimmer gelöscht hatte, wartete er, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Wie ein Schatten verschmolz er mit der Nacht. Er ging vorsichtig zum Fenster und spähte hinaus. Es war nichts Verdächtiges zu sehen, aber das hatte noch wenig zu sagen.

CC schob das Fenster auf, aber so, dass ihn niemand von unten treffen konnte. Er zögerte Sekunden lang, rang mit sich. Sollte er es wagen, hier hinaus zu steigen? War das Risiko nicht doch zu groß? Welche Möglichkeiten hatte er sonst noch?

Er entschied sich und zog sich zurück. Er verließ den Raum und lauschte kurz nach unten.

Tapfere Diana!, dachte er.

CC ging in eines der anderen Zimmer. Das Haus war völlig leer, er konnte sich also frei bewegen.

Er betrat ein Büro. Hier erledigte Di scheinbar ihren Verwaltungskram. Es gab ein Fenster nach vorn und eines zur Seite.

Erst spähte CC nach vorn hinaus.

Höchste Zeit, dass er das Haus verließ. Lange würden sich die Feinde nicht mehr aufhalten lassen. CC sah Schatten umher huschen, die ihm verrieten, dass man sich neu formierte. Die Banditen machten sich zum Sturm auf das Gebäude bereit.

CC knirschte mal wieder mit den Zähnen und wandte sich dem Seitenfenster zu.

Man hatte das Straßenlicht zwar herunter gedreht, aber seine Augen hatten sich so gut an das Dämmerlicht zwischen den Häusern gewöhnt, dass er auch die beiden Schatten hier sah, die sich in Deckung duckten und auf ihren Einsatz warteten. Sie wandten ihre Aufmerksamkeit allerdings in erster Linie dem Geschehen auf der Straße zu. Nach hinten sicherten sie überhaupt nicht.

Das ließ die Vermutung zu, dass auch der Hinterhof bewacht wurde. Ein solches Risiko würde niemand eingehen und CC hatte nicht vor, die Gegner zu unterschätzen.

Sein Entschluss stand endgültig fest. Er verließ das Büro. An der Decke des kurzen Flures, der auf der Galerie endete, hatte er eine Luke entdeckt. Sie war zwar gut getarnt, aber seinem geschulten Auge nicht entgangen.

CC zog einen Stuhl herbei und stellte sich darauf. Jetzt konnte er die Luke bequem öffnen.

Er sicherte seinen Revolver mit dem Riemen, um ihn bei der bevorstehenden Kletteraktion nicht zu verlieren. Dann schwang er sich behende hinauf.

Leise schloss er die Luke wieder.

Hier oben hätte er eine Lampe benötigt. Es war so dunkel, dass CC trotz seiner guten Augen fast nichts sehen konnte - außer dem kaum erkennbaren Licht, das durch schmale Ritze von draußen herein drang. An der Stelle fand CC die gesuchte Tür auf das Dach hinaus. CC musste sich tief ducken, um sie zu erreichen.

Er erinnerte sich: Das Gebäude hatte der Straße zu einen niedrigen Erker, mit einem breiten Sims davor. Die niedrige Tür war von unten nicht zu sehen, aber sie war auch so niedrig, dass er nur kriechend durch sie hindurch kam.

Vorsichtig entfernte CC in der Dunkelheit die Verriegelung und öffnete. Er wand sich schlangengleich nach draußen.

Yeah, der Sims war breit genug. CC schob sich vor bis zum Rand und spähte hinunter. Die Aussicht war gut, aber es bestand die Gefahr, dass er sich gegen den etwas helleren Hintergrund des Himmels von unten gesehen abzeichnete. Das war zu gefährlich. Deshalb zog er sich sofort wieder zurück.

Unten hatte sich nicht verändert. CC schätzte, dass die Kerle in den nächsten Minuten zum Angriff bliesen. Sie konnten sich nicht leisten, sich so lange von einem einzelnen Mann zum Narren halten zu lassen. Dadurch würde eine neue Gefahr für sie entstehen, denn die terrorisierte Stadt würde beginnen, an ihrer Stärke zu zweifeln und sich aufzulehnen. Ganz nach dem Motto: Was ein Einzelner schon vermag, das vermögen ganz bestimmt viele, wenn sie nur genügend zusammen halten.

CC nahm an, dass sein angeblicher Freund Stanley Williams bald einen entsprechenden Befehl herausgeben würde. Seine Angst um den Erhalt seines Eigentums in Form von diesem Gebäude würde nicht mehr lange anhalten. Damit war fest zu rechnen.

CC konnte es nur Recht sein, denn während die dabei waren, sich neu zu formieren, würden sie ihn möglicherweise nicht bemerken und das war die winzige Chance, die er brauchte.

Er schob sich auf dem Sims entlang zur Seite - dorthin, wo es nur einen schmalen Abgrund zwischen den Gebäuden gab. Es waren vielleicht zwei Yards, die CC mit einem einzigen Sprung zur rechten Zeit überwinden wollte. Falls es ihm nicht gelang, würde er in diesem Leben wohl keine Sorgen mehr zu haben brauchen...

Lautlos erreichte er sein Ziel. Jetzt kam der kritsche Moment.

CC lauschte nach unten. Die Banditen riefen sich leise etwas zu, was er hier oben nicht verstehen konnte. Es waren kurze Kommandos.

War jetzt der entscheidende Augenblick des Angriffs gekommen?

CC sah plötzlich den Widerschein von Feuer.

Alles krampfte sich in ihm zusammen. Er dachte an Di. Würden sie das Gebäude jetzt doch in Brand setzen?

Da erscholl von unten eine Stimme, die ihm durchaus bekannt vorkam: Es war die Stimme des Hageren, der ihn zu Stan gebracht hatte: "He, CC, das Spiel ist aus. Wir haben lange genug gewartet. Also komme jetzt heraus, mit erhobenen Händen. Kein Mensch will dich umlegen. Das Angebot deines Freundes Stan steht immer noch: Er bietet dir Zusammenarbeit an. Du weißt sicherlich inzwischen, dass er der Herr der Stadt ist und es hat sich schon immer bewährt, auf der Seite des Stärkeren zu stehen."

Niemand unten antwortete. Kein Wunder, denn CC lag in Wirklichkeit auf dem Dach und bereitete sich auf seinen Sprung vor.

Noch zögerte er. Abermals dachte er an Diana. Wie würde sie sich verhalten?

"He, CC, warum antwortest du nicht?"

By gosh, das würde sie natürlich misstrauisch machen.

Der Hagere schob nach: "Wenn du nicht freiwillig kommst, räuchern wir dich aus."

Da war wieder der Widerschein des Feuers.

CC konnte nicht widerstehen: Er spähte nach unten, obwohl es im Grunde genommen ein unnötiges Risiko war.

Auf der Straße stand einer mit einer Fackel in der Hand. Zwei weitere bemühten sich, die Fackel mit einem brennenden Holzstück in Brand zu stecken. Aber keine Flammen schlugen auf, sondern die Fackel begann nur zu schwelen. Dabei entstand gewaltiger, beißender Qualm.

Der Mann holte aus, um die qalmende Fackel zu werfen. Seine beiden Helfer zogen die Revolver und eröffneten das Feuer auf eines der Fenster.

Der Hagere war wohlweislich in Deckung geblieben. Man sah ihn nicht, aber man hörte ihn: "Ich habe dich gewarnt, CC!"

Doch bevor der Mann auf der Straße seine Fackel durch das zerschossene Fenster schleudern konnte, wurde von drinnen das Feuer eröffnet. Diana ballerte mit ihrem Revolver durch das Buntglas der Tür. Sie sah von innen nur vage den Widerschein der Flammen, die von dem brennenden Holzstück auf züngelten, aber das genügte ihr offenbar, denn sie traf gewissermaßen ins Schwarze.

Der Getroffene wurde rücklings von den Beinen gerissen. Dabei verlor er die Fackel.

Einer der anderen beiden bückte sich wütend danach und wollte sie werfen.

Die nächste Kugel riss auch ihn von den Beinen. Der dritte floh schreiend und schoss dabei mehrmals in Richtung Haupteingang.

Die qualmende Fackel lag auf der Straße.

Jetzt würde niemand darauf achten, was hier oben geschah. Die hatten anderes zu tun.

CC erhob sich geschmeidigt. Er hatte zum Anlaufen nur einen einzigen Schritt und schon schwebte er über dem Abgrund.

Nur Sekundenbruchteile, in der bangen Angst, es doch nicht zu schaffen.

Der Rand des Nachbardaches raste herbei. CC traf mit der Gewandtheit einer Katze auf. Er landete auf allen Vieren und duckte sich tief.

Kurz lauschte er.

Nein, man war nicht auf ihn aufmerksam geworden, denn man hätte sofort geschossen.

Gute, brave Di!, dachte er anerkennend. Sie war eine exzellente Schützin, das hatte sie bewiesen. Kaum ein Mann konnte ihr das Wasser reichen. Jetzt würde niemand mehr daran zweifeln, dass CC unten im Saloon war, aber in Wirklichkeit huschte er schon weiter, auf dem Dach des Nachbargebäudes, eins geworden mit der Nacht, unerkannt.

CC hatte ein ganz bestimmtes Ziel. Diana hatte jetzt eine kleine Verschnaufpause. Das musste genügen, um ihr beider Hauptproblem zu lösen.

Falls nicht doch noch etwas Unvorhergesehenes dazwischen kam...


* * *


Diana hatte auf gut Glück geschossen - und getroffen. Ihr Magen krampfte sich zusammen, wenn sie daran dachte. Aber sie hatte schließlich in purer Notwehr gehandelt und sie würde es wieder tun, weil sie ihr keine andere Wahl ließen.

Draußen qualmte die Fackel. Di sah die dichten Qualmwolken, die sich träge verbreiteten und kaum an Höhe gewannen. Bald schon konnte man ihre Quelle gar nicht mehr sehen.

Diana schlich zum zerschossenen Fenster. Nach dem Schusswechsel hatte sie rasch sämtliche Lichter hier drinnen gelöscht. Etwas anderes wäre ihr jetzt zu riskant gewesen. Es war sowieso ein Glück gewesen, dass vorher niemand versucht hatte, auf ihren Schatten zu schießen.

Den Stetson von CC, der ihr viel zu groß war, schob sie in den Nacken. Sie beugte sich etwas vor und spähte vorsichtig nach draußen.

Etwas flog durch die Luft herbei. Unwillkürlich riss Di den Revolver hoch und schoss.

Damned, sie hatte immer wieder gut geübt und jetzt zahlte es sich aus. Sie schoss besser als die meisten Männer und noch bevor sie das Etwas erkannte, das heran flog, hatte sie es getroffen und ihm mit der Kugel eine andere Richtung gegeben.

Es war die Fackel, die jemand im Schutz des dichten Qualms aufgehoben hatte, um sie doch noch hier herein zu werfen. Sie erreichte nicht das offene Fenster, sondern prallte draußen gegen die Hauswand.

Diana hörte jemand husten. Sie wollte schießen, ließ es dann aber doch sein.

Der beißende Qualm kam bald zum Fenster herein. Ein leichter Wind, der von den Bergen kam, drückte ihn durch die Fensteröffnung. Er kratzte im Hals und reizte zum Husten. Di musste sich zurück ziehen, um sich nicht durch ihr Husten zu verraten. Wenn die einmal dahinter kamen, dass sie allein hier drinnen war, stürmten sie sofort. So aber hatten sie noch viel zuviel Angst vor CC.

"Hoffentlich geht alles gut, Chester!", murmelte sie.

Es war stockdunkel im Haus, aber Di bewegte sich sehr sicher. Sie war hier daheim, seit Jahren schon und sie konnte sich blind in jedem Raum bewegen, ohne anzuecken. Dies war gewiss ein Vorteil, wenn die Gegner kamen.

Draußen erscholl heiseres Gelächter, eine Stimme: "Wart's ab, CC, wir kommen bald. Noch ein bisschen mehr Qualm, dann wirst du dir die Lunge aus dem Leib husten. Besser, du kommst freiwillig, ehe wir dich holen."

Di rannte die Treppe hinauf nach oben. Gleichzeitig fielen draußen mehrere Schüsse. Sie machten sich daran, auch die anderen Frontfenstern zu zerschießen. Noch bevor Di ganz oben war, segelte eine der Rauchfackeln herein.

Sie stoppte oben und rang mit sich, ob sie wieder hinunter laufen sollte, um die Fackel wieder hinaus zu werfen. Da kam schon die nächste durch ein anderes zerschossenes Fenster.

Nein, entschied sie, es könnte mich eine verirrte Kugel treffen.

Sie rannte auf ihr Zimmer und riss den Schrank auf. Sie brauchte nicht lange zu suchen, um einen geeigneten Lappen zu finden.

Auf der Kommode stand eine Wasserschüssel und daneben ein gefüllter Krug. Di schüttete Wasser in die Schüssel und tränkte den Lappen. Sie presste mit der Linken den nassen Lappen gegen Mund und Nase und lief nach draußen.

Jemand trat mit aller Wucht die Haupteingangstür auf. Mit angespannten Sinnen lauschte Di nach unten. Ihr Colt befand sich im Anschlag. Der nasse Lappen half gegen den Hustenreiz, den die herauf steigenden Rauchschwaden erzeugten.

Sie benutzten Rauchfackeln, damit das Gebäude nicht Feuer fing. Aber sie unterschätzten diese Art von Fackeln: Irgendwo sah Di Glut glimmen. Die Fackeln schwelten und bald würden sie wider Erwarten doch unten alles in Brand setzen. Dann würde es mehr geben als nur Qualm. Das ganze Gebäude würde ein Opfer der Flammen werden.

Der Hagere schien es zu ahnen. Prompt geiferte er: "Verdammt, CC, wir werden dich ausräuchern und wenn das Gebäude bis auf die Grundmauern nieder brennt. Wir haben lange genug gezögert. Stan hat uns freie Fahrt gegeben. Wir haben keinerlei Beschränkungen mehr."

Er war zu feige, um selbst zu kommen, sondern schickte einen anderen durch die zerborstene Tür herein. Di sah ihn nicht, aber sie hörte ihn und das genügte.

Ihr Revolver bellte. Auf der Galerie klang es wie ein Donnerschlag.

Im dichten Qualm dort unten schrie jemand. Ein Revolver entlud sich, aber die Kugel ging sonstwo hin.

Andere kamen herein. Sie konnten nicht lange in dem Qualm unten bleiben, sondern mussten gleich weiter.

Einer von ihnen stürmte die Treppe herauf und gab mehrere Schüsse ab, um ein Feuern auf sich zu verhindern.

Leider ballerte er in die falsche Richtung. Di wartete ab, bis er nahe genug war. Der Kerl hielt ebenfalls ein nasses Tuch vor das Gesicht gepresst.

Di legte seelenruhig an und drückte ab.

Der Mann warf schreiend die Arme hoch. Sein Revolver segelte im hohen Bogen davon. Er selbst kippte rücklings auf die Treppe und polterte abwärts.

Unten fluchte einer halblaut.

Di schoss in diese Richtung - und traf auch diesmal.

Abermals Stellungswechsel.

Yeah, sie hatte getroffen, aber nicht tödlich. Kaum hatte sie ihre Stellung gewechselt, als der Verletzte herauf schoss, sie aber verfehlte. Di gab einen weiteren Schuss ab und zog sich dann in ihr Zimmer zurück. Sie rannte zum offenen Fenster und schöpfte erst einmal tief Atem. Die frische Luft tat gut.

Jetzt wurde die ganze Galerie eingedeckt mit Schüssen. Die Burschen ballerten, was das Zeug hielt. Di hatte instinktiv das einzig Richtige getan, dass sie sich rechtzeitig zurück gezogen hatte.

Sie ging wieder zur Tür und blieb hinter ihr in Deckung. Die Tür war stark genug, um Kugeln abzuhalten. Kaum stellten die Mörder das Feuer ein, riss sie die Tür auf. Mit zwei Schritten war sie am Geländer.

Zwei Gestalten kamen die Treppe herauf. Sie mussten annehmen, niemand sei mehr hier oben - zumindest niemand mehr, der noch lebte.

Di belehrte sie eines Besseren und schoss auf sie.

Übung macht den Meister!, dachte sie hart, als die beiden starben.

"Scheiß Fackeln, die man uns da angedreht hat. Sie setzen doch alles in Brand. Das Feuer breitet sich aus!", schrie unten jemand. Er befand sich im toten Winkel. Di konnte nicht auf ihn schießen. Sie erkannte die Stimme des Hageren. "Wenn das Gebäude abbrennt, ist die ganze Stadt gefährdet. Das gibt ein Flammeninferno ohne Gleichen."

"Was sollen wir denn tun?", schrie ein anderer. "Dieser CC ist der wahre Teufel."

"Und Diana? Was ist mit der?"

"Keine Ahnung, sie scheint oben in ihrem Zimmer zu sein."

"Also los, worauf wartet ihr? Hinauf mit euch!"

"No, Boss, es sind schon zu viele gestorben, die hinauf wollten. Trommele lieber den Löschtrupp zusammen. Wenn es mal so richtig brennt hier unten, werden die beiden von allein heraus kommen oder in den Flammen umkommen. Denen wird ganz schön heiß unter dem Hintern." Ein hässliches Lachen.

"Und wenn die ganze Stadt abbrennt?" Der Hagere war ärgerlich.

"Dann muss der Löschtrupp rechtzeitg hier sein, um das Schlimmste zu verhindern."

"Ihr werdet jetzt sofort hinauf gehen und dem Spiel ein für alle Mal ein Ende bereiten!", kreischte der Hagere mit sich überschlagender Stimme. "Dies ist ein Befehl."

"Du kannst uns mal. Wenn du lebensmüde bist, dann geh doch selber!"

Di hatte genug gehört. Sie musste den kleinen Streit für ihre eigenen Zwecke nutzen. Wenn sie wirklich wieder stürmten, brauchten sie nur genug Leute zu sein. Mit einem Colt allein in der Faust hätte sie keine Chance gehabt. Aber den einen oder anderen hätte sie doch noch mit nehmen können.

Sie würden ihr Zimmer stürmen. Wenn sie sich jetzt dorthin zurück zog, hatte sie keine Chance mehr. Die wussten, wo sie sich als Erstes hin wenden würden. Vielleicht versuchte man es jetzt auch schon von draußen...?

Kaum hatte sie das gedacht, hörte sie einen polternden Aufprall in ihrem Zimmer.

Sie hatten also auch dort eine Fackel herein geworfen.

Die Tatsache, dass niemand da war, um die Fackel zurück zu werfen, würde ihnen beweisen, dass sie das Zimmer verlassen hatte.

Di war es egal. Sie begab sich in neue Schussposition und biss die Zähne zusammen. Ihr Colt zeigte nach unten. Der Hahn war gespannt. Sie hatte sich genau gemerkt, wo der Hagere stand und schoss. Sie leerte in die Richtung, in der die Stimmen aufgeklungen waren, die ganze Revolvertrommel.

Ein wüstes Geschrei entstand in dem dichten Qualm. Di rannte weg. Gleich mehrere Kugeln hätten sie beinahe erwischt. Sie rannte in ihr Büro.

In der Dunkelheit öffnete sie die große Schublade ihres Schreibtischs und wühlte kurz.

Da war die Packung mit der Munition. In fiebernder Hast lud sie den Revolver neu. Dafür brauchte sie kein Licht. Dann kehrte sie zur Tür zurück und lauschte.

"Abrücken!", rief der eine, der sich dem Hageren widersetzt hatte. "Alles hört jetzt auf mein Kommando. Abrücken und den Löschtrupp bereit halten. Noch ein paar Minuten, dann ist hier erst recht die Hölle los." Er stöhnte auf.

Anscheinend hatte Di ihn doch getroffen, wenn auch nicht tödlich.

Sie wartete nicht länger und verließ wieder das Büro.

Unten die Geräusche des Abrückens. Dann wurde es still, aber nicht ganz: Di hörte das Knistern von Feuer.

Sie betrat die Treppe, immer noch lauschend.

Es würde sich zwar kaum jemand unten verstecken können, ohne vom Qualm zum Husten gereizt zu werden, aber Di wollte nicht unvorsichtig werden. Mit angespannten Sinnen ging sie tiefer.

Sie tauchte ein in den dichten Qualm und presste das Tuch fester gegen Mund und Nase. Es nutzte nicht allzu viel. Es half nur höchstens für eine Minute, dann würde sie das Husten nicht mehr unterdrücken können.

Schon begannen die Augen zu tränen.

Das waren genau die Schwierigkeiten gewesen, mit denen die Angreifer hatten kämpfen müssen. Deshalb hatte sie relativ leichtes Spiel gehabt - bisher.

Sie stoppte und drehte sich langsam um die eigene Achse. Ihr Colt drohte. Sie rechnete immer noch damit, dass irgend einer doch noch den Helden spielen wollte.

Und da erklang irgendwo im Raum ein unterdrücktes Husten. Di wollte schießen, überlegte es sich aber doch anders. Sie zögerte Sekunden lang.

Nein, der Kerl befand sich bestimmt in Deckung und wenn sie jetzt schoss, wussten sie, wo sie sich befand. Es musste damit gerechnet werden, dass sich noch mehr hier unten befanden und gegen den übermächtigen Hustenreiz kämpften. Sie würden mit tränenden Augen in ihrer Deckung lauern. Es wäre absolut tödlich für Di gewesen, jetzt zu schießen.

Das Feuer knisterte.

Es wird sich wohl nicht mehr vermeiden lassen, dass der Boden total ruiniert wird, Stan!, dachte Di in einem Anflug von Schadenfreude.

Ein Grinsen flog über ihr Gesicht. Sie stellte sich die lauernden Banditen vor. Alles Revolverschwinger, die eine solche Art des Kampfes nicht gewohnt waren. Sie befanden sich lieber in einer überlegeneren Position.

Vielleicht glaubten sie sogar, sich in einer solchen Position zur Zeit zu befinden?

Di hätte sie aufklären können. Sie bewegte sich statt dessen lautlos auf die lange Theke zu.

Das war die einzige Schwierigkeit: Hoffentlich lauerte nicht ausgerechnet einer von ihnen hinter der Theke, denn dorthin musste sie unter allen Umständen, wollte sie hier nicht in den Flammen umkommen.

Nur wenige kannten den Zugang zum Keller, der sich hinter der Theke befand. Es war ein Fluchtweg, falls es einmal im Saloon eine Schießerei geben sollte und so etwas kam hier sogar öfter vor als einem lieb sein konnte.

Im Keller sah Di ihre einzige Überlebenschance. Sie musste hinunter und nur Stan und Hank hätten sie dort vermuten können. Stan war mit Sicherheit nicht da, weil er zu feige dazu war. Er ließ die ganze Sache viel lieber von seinen Leuten erledigen. Und Hank lebte längst nicht mehr.

Sie hatte ihr Ziel erreicht: die Theke.

Langsam tastete sie sich daran entlang, immer noch nach allen Seiten lauernd.

Lange würde sie es nicht mehr aushalten. Die Augen brannten höllisch. Dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. Durch das Tuch bekam sie kaum Luft und das, was sie mühsam einsog, ließ ihre Lunge brennen, als würde sie mit Säure verätzt.


* * *


Yeah, nicht mehr lange und da hatte sie den Durchgang für hinter die Theke erreicht.

Der Durchgang war offen und das machte Di ganz schön misstrauisch. Es ließ vermuten, dass schon jemand hinter der Theke war.

Sie ging trotzdem weiter, völlig lautlos wie ein Katze.

Da war eine Diele. Wenn man darauf trat, knarrte sie. Di fand sie mit traumwandlerischer Sicherheit und machte einen großen Schritt darüber.

Etwas bewegte sich direkt vor ihr, ein Rascheln und Schaben, ein ganz leises Stöhnen und dann ein Schuss.

Aber die Kugel galt nicht Di. Die Kugel ging irgendwo in die Decke.

"Verdammt!", stöhnte der Mann direkt vor ihr. "Ich halte das nicht mehr aus. Dieser verdammte Qualm. CC ist der wahre Teufel. Er fällt nicht darauf herein. Sitzt wahrscheinlich irgendwo da oben und lacht sich ins Fäustchen."

Niemand ging auf seine Worte ein.

Jetzt wurde auch noch an anderer Stelle gehustet.

Di zog sich rechtzeitig zurück, denn der Mann vor ihr machte Anstalten, seine Deckung hinter der Theke zu verlassen.

Di huschte nach draußen. Genau rechtzeitig.

Noch jemand schoss. Die Kugel schlug irgendwo oben bei der Galerie ein.

"Raus hier!", sagte einer und diesmal war das Abrücken echt. Die Kerle hielten es nicht mehr aus. Sie hatten CC und seine Freundin Diana ausräuchern wollen und genau das geschah jetzt mit ihnen selbst.

Ohne dass es der Mann bemerkte, huschte Di hinter ihm wieder durch den Durchgang. Es waren nur ein paar Schritte. Di fand die Luke und wollte sie öffnen. Im letzten Moment erinnerte sie sich daran, dass die Scharniere knarrten. Nein, das konnte sie nicht wagen. Wenn sie es jetzt tat, saß sie in der Falle. Unten im Keller war sie verloren, wenn die erst wussten, dass sie dort zu finden war. Sie musste abwarten, bis sie abgerückt waren.

Darauf brauchte sie nicht lange zu harren. Sie öffnete endlich die Luke und stieg hinab.

Bevor zuviel Qualm nach unten dringen konnte, schloss sie die Luke über sich rasch wieder.

Aufatmend nahm sie das Tuch vom Gesicht.

Geschafft!, dachte sie erleichtert. Selbst wenn das Gebäude oben abbrannte, war sie hier in Sicherheit. Weil sie damit rechnen konnte, dass man rechtzeitig löschte, ehe der Brand wirklich eine Gefahr für die ganze Stadt werden konnte.

Eigentlich jammerschade für das schöne Haus, aber was könnte ich schon tun, um es zu verhindern?

Sie zog den Stetson aus und ließ ihn achtlos in die Dunkelheit fallen.

Langsam stieg sie die Treppenleiter hinunter. Jetzt konnte sie sich Zeit lassen. Hier unten konnte sie abwarten, wie sich die Dinge weiter entwickelten.

Sie dachte an CC. Wo er im Moment wohl war?

In diesem Moment wurde ein Streichholz entzündet.

Diana erstarrte wie zur Salzsäule. Den Revolver hatte sie natürlich in das Halfter zurück gesteckt.

Der Schein des Streichholzes beleuchtete ein stoppelbärtiges Gesicht. Und es war nicht das einzige.

Sie waren zu fünft und ehe Di auch nur die geringste Chance einer Gegenwehr gehabt hätte, packten sie sie.

Aus!, dachte sie, als die Kerle sie nieder knüppelten. Sie hatte sich sozusagen freiwillig in die Falle begeben und aus dieser gab es für sie kein Entrinnen mehr.


* * *


Die Befürchtung, dass auf dem Nachbardach einer der Gegner lauerte, erfüllte sich gottlob nicht. CC kam ungeschoren bis zum nächsten Durchgang zwischen zwei Gebäuden. Inzwischen schien unten auf der Straße die Hölle ausgebrochen zu sein. Er hörte Ballern und Schreien. Rauchschwaden zogen träge die Street entlang.

In einigem Abstand zum Geschehen war alles Toten still, als hätte man diesen Teil der Stadt evakuiert.

CC nahm an, dass die Leute alle freiwillig gegangen waren oder sich zumindest in den eigenen vier Wänden verschanzten, bis sich die Wogen wieder glätteten. Hier war man an soviel Kummer gewöhnt, dass man das Schicksal nicht auch noch unnötig heraus fordern wollte - indem man gar zwischen die Fronten geriet.

CC nahm zwei Schritte Anlauf und sprang ab. Er segelte sicher über den Abgrund hinweg und kam drüben katzengleich auf. So, hier konnte er wohl ohne besonderes Risiko den Abstieg wagen. Er suchte nach einem entsprechenden Zugang unter das Dach, fand aber keinen.

Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Er musste nach unten, egal wie. Es musste nur schnell gehen. Diana würde sich nicht mehr lange halten können und CC bangte ehrlich um ihr Leben. Irgendwie wäre ihm der ganze Einsatz sinnlos vorgekommen, hätte er nicht wieder zu Diana zurück kehren können. Das war ihm auf einmal klar. War er all die Jahre nur deshalb so ruhelos durch die Staaten geirrt, gewissermaßen mit dem rauchenden Colt in der Faust... wegen Diana?

"Yeah!", murmelte er vor sich hin. Es klang irgendwie trotzig und er knirschte danach auch noch mit den Zähnen, wie um das zu unterstreichen.

CC setzte sich auf den Dachsims und peilte nach unten. Die Straßenbeleuchtung war hier ausreichend hell, um alles deutlich genug zu sehen und seine Abstiegsmöglichkeiten abzuschätzen. Hinzu kam der Umstand, dass auf der Straße keine Menschenseele zu sehen war, wenigstens nicht in diesem Teil der Straße.

Umso besser!, konstatierte er im Stillen.

Er drehte sich halb um sich selbst und ließ sich auf dem Bauch über den Rand des Simses nach unten rutschen. Im letzten Moment stoppte er die Abwärtsfahrt, indem er sich am Sims fest klammerte. Jetzt hing er über dem Vorbau, unter dem der Eingang zum Gebäude lag. Nur noch höchstens zwei Fuß trennten ihn von da unten.

CC ließ sich los und kam federnd auf. Das Dach des Vorbaus hielt spielend sein Gewicht. Er hatte sich also nicht verschätzt.

Erst sicherte CC nach allen Seiten. Dann sprang er einfach auf die Straße hinunter. Im Schatten der Gebäudefront kam er unten auf. Die dicken Bohlen des Gehsteigs krachten unter seinen Stiefeln, aber das Geräusch wurde spielend von dem Chaos weiter unten in der Straße übertönt.

"Machs gut, Diana!", murmelte CC, "ganz besonders gut sogar, damit wir uns lebend wieder sehen können!"

Er hoffte, sie hatte eine Chance, zumindest eine geringe.

Genauso wie ich!, dachte er zerknirscht und lief im Schatten der Gebäudefront in die Richtung, in der er das Office des Sheriffs wusste.

Ganz so menschenleer blieb die Straße nicht. Zwei Männer rannten ihm entgegen, mit Colts in beiden Fäusten.

Rechtzeitig duckte sich CC in einen Durchgang zwischen zwei Gebäuden und wartete, bis die beiden vorbei gehetzt waren.

Anscheinend handelte es sich um Verstärkung für die Angreifer auf den Great Saloon.

CC schüttelte unwillkürlich den Kopf. Wenn die wüssten, dass ihr einziger Gegner eine Frau ist... Aber er berichtigte sich sofort, denn es handelte sich schließlich nicht um irgendeine Frau, sondern um "seine" Diana.

Yeah, machs gut, Di, Darling!, dachte er erneut und lief weiter.

Jetzt musste er noch vorsichtiger sein, denn die Gefahr, dass er jemandem über den Weg lief, war weitaus größer geworden.

Er bedauerte es, dass er sich nicht besser aus kannte in der inzwischen weitgehend umgebauten Stadt. Die Jahre hatten soviel verändert, dass er sich wie ein Ortsfremder vorkam. Sonst wäre er von der Straße weg geblieben und hätte sich hinter den Gebäuden entlang bewegt.

Die Schießerei am Great Saloon hielt an. Sie war bis hierher zu hören, obwohl CC fast schon das Office erreicht hatte.

Eine Gruppe von Männern kam auf Pferden.

Hatte Diana nicht von mindestens einer Hundertschaft gesprochen, die alle im Dienst von Stanley Williams standen?

Ein riesiger Aufwand, wie CC fand. Voller Genugtuung sah er zu, wie die Burschen in Richtung Great Saloon ritten. In einigem Abstand zügelten sie ihre Pferde, stiegen ab und gingen zu Fuß weiter. Dabei zogen sie ihre Waffen.

Genugtuung verspürte CC deshalb, weil mit jedem Mann, der zusätzlich da hinten eingriff, einer weniger da war, der Stanley Williams beschützte.

Und dann war es nur noch einen Steinwurf weit bis zum Office des Sheriffs. Ein wunderschönes, neues Gebäude, lang gezogen nach hinten reichend. Dort waren warscheinlich die Zellen untergebracht. Stan schien eine Menge Bedarf dafür zu haben.

CC schüttelte den Kopf. Mindestens hundert Banditen, die dem angeblichen Freund halfen, die Stadt unter der unbarmherzigen Knute zu behalten. CC konnte sich vorstellen, wie das zum Teil ablief. Stanley Williams hatte die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt und nutzte sie rigoros zu seinem Zweck. Kein Wunder, dass Gold-Valley nach wie vor der ideale Schlupfwinkel für allerlei lichtscheues Gesindel war. Falls die Staatspolizei hier auftauchte, trat Stanley Williams als der rechtmäßig gewählte Gesetzeshüter der Stadt auf, der alles prima im Griff hatte - und der die Staatspolizei gleichzeitig davon abhielt, etwa die Flüchtenden in den Bergen zu jagen oder gar hier zu warten, bis sie im Frühjahr hungrig aus ihren Löchern krochen, um sich neu mit Proviant einzudecken.

Gut auskalkuliert und die Rechnung ging offensichtlich auf. Die meisten Bürger machten wahrscheinlich mit, weil sie an der Lage der Stadt nicht schlecht verdienten. Dabei nahmen sie einiges in Kauf, was vom falschen Sheriff drohte.

Und dann gab es noch Leute wie Bart Sinters. Eine absolute Minderheit, eigentlich der Lächerlichkeit Preis gegeben, Vogel frei und ohne Rechte, wie streunende Hunde, auf jedes Almosen angewiesen.

CC musste an sich halten, um nicht auszuspucken. Er wusste nicht, ob er dessentwegen mehr Verachtung für Bart Sinters verspüren sollte, der sich weder dagegen wehrte, noch die Stadt verließ, oder mehr Hass gegenüber Stanley Williams wegen solcher Vorgehensweise.

Yeah, es konnte nicht jeder so gut mit der Waffe umgehen wie Chester Cole, schon gar nicht ein Bart Sinters. Aber CC wäre anstelle von Bart eher gestorben, als sich dermaßen demütigen zu lassen.

Er verdrängte die Gedanken daran, weil sie ihm jetzt im Weg waren. CC hatte genug gesehen. Das Office schien nicht mehr bewacht zu werden.

Im Schatten der Gebäude lief er hinüber. Zwischen dem Office und dem Nachbarhaus gab es einen breiten Durchgang. Dort tauchte er zunächst unter. Angestrengt lauschend blieb er stehen. Hier war es so dunkel, dass er praktisch nichts sehen konnte, aber sein Gehör war mindestens so gut wie sein wacher Instinkt.

Aber es schien keine direkte Gefahr zu drohen.

Er hatte keine Ahnung, ob er von hinten irgendwie in das Gebäude mit dem Office kommen konnte, deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als den offiziellen Weg von vorn einzuschlagen. Schon wenn er nur daran dachte, spürte er ein verräterisches Ziehen in der Magengegend. Aber was sollte er anderes tun?

Sein Instinkt warnte ihn eindringlich und CC handelte dennoch so, wie er handeln musste. Er wollte Stanley Williams, weil er wusste, dass er nur so den Kampf entscheiden konnte. Schließlich konnte er nicht völlig allein gegen die Hundertschaft des Sheriffs kämpfen, sozusagen bis zum letzten Blutstropfen. Einmal abgesehen davon, dass bis dahin Diana längst nicht mehr am Leben sein würde.

CC presste die Lippen so fest zusammen, dass sie nur noch ein weißer Strich waren. Er löste den Sicherheitsriemen seines Colt Navy und ging geradewegs auf den Eingang zum Sheriff's Office zu. Mit der Stiefelspitze trat er die Tür auf. Im nächsten Moment wirbelte er hinein. Der Colt lag wie hin gezaubert in seiner Rechten. Er duckte sich, kauerte sich zusammen wie ein Raubtier zum Sprung.

Kein Schuss, der auf ihn abgegeben wurde, kein Mensch war zu sehen.

Sicherheitshalber ließ CC sich zu Boden fallen und rollte über die Schulter ab. Er landete gekonnt auf seinen Beinen, drohte mit dem Colt in alle Richtungen.

Yeah, der Raum war tatsächlich leer.

Unwillkürlich sah CC hinüber zu dem Haken, an dem die Waffe von Stanley Williams gehängt hatte. Jetzt war der Haken leer, und Stanley Williams, der falsche Sheriff von Gold-Valley, war ebenfalls verschwunden.

Konnte sich CC so geirrt haben? War Stan doch in vorderster Front und führte persönlich den Angriff auf den Great Saloon?

CC konnte es nicht glauben - und er lag genau richtig, denn in diesem Moment hörte er von draußen die Stimme von Stan: "He, CC, überrascht? Ich bin hier draußen und du steckst in der Falle. By gosh, wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet! Mir war als einzigem klar, dass du es irgendwie schaffst, aus dem Great Saloon heraus zu kommen und dass Di mit der Waffe umgehen kann, ist mir schon länger klar, obwohl sie es stets zu verbergen versucht hat. Langer Rede kurzer Sinn, CC: Ich bin hier draußen und erwarte, dass du mit erhobenen Händen heraus kommst. Du hast diesmal keine Chance."

"Was willst du denn tun, um deiner Bitte Nachdruck zu verleihen?", rief CC spöttisch.

"Es ist keine Bitte, sondern ein Befehl, CC und ich werde dir natürlich nicht erzählen, was ich vor habe. Du wirst es von allein merken, wenn du dich verweigerst."

CC schaute sich im Büro um. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken und dennoch: Das unangenehme Ziehen in der Magengegend hatte sich nur noch verstärkt. Irgend etwas übersah er.

CC wandte sich an den Durchgang zum Zellentrakt.

Als hätte der Sheriff ihn dabei beobachtet, tönte dieser: "Dorthin würde ich an deiner Stelle lieber nicht gehen, denn dort warten meine Leute. Sie haben die Tür im Visier. Ein Schritt und du bist ein Sieb."

CC glaubte ihm nicht. Er sprang aus dem Stand mit beiden Füßen gegen die Tür, dass sie in den Gang zwischen den Zellen krachte. CC wirbelte in der Luft halb um sich selbst und landete am Boden. Dort blieb er nicht einmal einen Sekundenbruchteil liegen. Er rollte zur Seite und in Deckung.

Alle Kugeln pfiffen über ihn hinweg, ohne ihn zu treffen.

"Bravo!", rief er hinaus. "Du hast deine Leute gut dressiert. Sie gehorchen aufs Wort. Und jetzt zu der Überraschung, die du hier für mich verborgen hast: Was ist es?"

Der Sheriff lachte nur hässlich, antwortete aber nicht.

Mit der freien Linken tastete CC über die Dielen. Einige waren frisch vernagelt, ohne Zweifel.

CC ging ein Licht auf: Dynamit! Stanley Williams wollte überhaupt nicht, dass er sich freiwillig ergab. Er wollte ihn viel lieber in die Luft jagen mitsamt seinem eigenen Office. Das war ihm viel lieber, weil es spektakulärer war. Es sollte ein Ereignis werden, das in die Annalen der Stadt ein ging.

Ein Entrinnen gab es für CC nicht mehr. Er zweifelte nicht daran, dass der Sheriff ihn erschießen ließ, wenn er nach draußen ging. Durch die aufgesprengte Tür zum Zellentrakt konnte er auch nicht entrinnen, denn auf ihn warteten dort schon die Mordschützen. Er würde keine Chance gegen die haben.

Er schaute sich suchend nach einem geeigneten Werkzeug um.

Es gab nichts, was geeignet gewesen wäre und mit bloßen Händen war es unmöglich, rechtzeitig die Dielen zu lösen.


* * *


"Na, los, worauf wartest du noch? Wir wollen hier nicht harren, bis die Nacht vorbei ist, CC." Der Sheriff lachte gemein.

"Ich hatte tatsächlich geglaubt, Stan, wir seien Freunde, sonst hätte ich mich niemals bei dir vorangekündigt. Und jetzt musste ich erfahren, dass du meinen Vater umgelegt und unsere gemeinsamen Freunde um ihren Besitz und zum größten Teil auch um ihr Leben gebracht hast. So etwas wie ein Gewissen kennst du wohl nicht?"

Stanley Williams wollte sich ausschütten vor Lachen.

"Hört euch den an!", gluckste er zwischendurch.

Nein, es gab keinen Ausweg, so sehr CC auch danach suchte. Und was blieb ihm dann noch?

"He, Stan, die Tür zwischen dem Office und dem Zellentrakt gibt es nicht mehr. Falls du mich also mit Dynamit in die Luft sprengst, gehen deine Mordschützen gleich mit hoch. Hast du denen das auch erklärt?"

"Was soll das? Willst du mir meine Leude madig machen oder was? No, das geht schief. Die sind bestens im Bilde und weit genug von der Tür weg."

Diesmal lachte CC: "Vielen Dank für den Tipp, Stan, dann habe ich also noch eine Chance. Denn die Leute müssen ziemlich weit weg sein. Wenn die Ladung hier hochgeht, kostet es viel mehr als nur mich und diesen Gebäudeteil. Die Druckwelle fegt durch die Türöffnung in den Zellentrakt. Der Gang wird zu einem Kanonenrohr. Der Druck lässt die Köpfe platzen. Das Blut schießt aus den Ohren, aus den Augen..."

"Aufhören, verdammt!"

"Wieso, Stan? Hast du deine Leute doch nicht ausreichend informiert? Wissen sie gar nicht, was auf sie zu kommt, wenn diese Ladung hier hoch geht? Du wolltest auf Nummer Sicher gehen, ganz nach dem Motto: Viel hilft viel. Es war ein bisschen zuviel, schätze ich. Die Ladung reicht ja für die halbe Stadt. Auch für dich, wenn du so nahe bleibst, wie du jetzt bist."

"Du verfluchtes Schwein!" Stanley Williams war außer sich. Er hatte sich bereits am Ziel geglaubt und jetzt schaffte es CC doch tatsächlich, seine Leute unruhig zu machen. Es war eine Frage der Zeit, dass die Mordschützen den Zellentrakt räumten und sich zurück zogen. CC war es gelungen, ihnen mit seiner drastischen Schuilderung Furcht einzuflößen. Hinzu kam der mörderische Ruf, den CC genoss. Sagte man nicht, er sei so etwas wie unverwundbar oder sogar unsterblich? Sonst hätte er wohl niemals so viele Kämpfe auf Leben und Tod für sich entschieden. Und wenn ein solcher Mann etwas sagte, hatte es doppelt und dreifach Gewicht.

"Sprich weiter, Stan, denn so lange ich dich hören und sogar verstehen kann, bist du zu nahe, um die Ladung anzuzünden. Du würdest dich doch wohl niemals selbst gefährden. Ach, ich weiß schon, wie du vorgehen wirst. Du wirst dich rechtzeitig zurück ziehen und einem deiner Männer überlassen, das Hochgehen der Ladung zu überwachen. Schlau ausgedacht. Weil du schon immer andere die Kastanien aus dem Feuer hast holen lassen. Es sind in diesem Kampf gegen mich schon einige deiner besten Männer gestorben und es werden in den nächsten Minuten noch eine ganze Menge hinzu kommen. Sag einmal, Stan, bezahlst du wirklich soviel, dass die alle für dich sehenden Auges in den Tod gehen? Das wiederum kann ich mir schlecht vorstellen. Es ist dir doch viel angenehmer, all das Geld selber einzustreichen, um das du die Stadt erpresst und betrügst, nicht wahr?"

Stanley Williams schrie außer sich vor Zorn und er hatte sich tatsächlich schon weiter zurück gezogen.

Ein Beweis für CC, dass es nicht mehr lange dauern würde. Die Ladung war sicherlich schon gezündet. Sie konnte jeden Augenblick hoch gehen.

"Ja, lauf nur, Feigling!", rief er dem draußen fliehenden Stanley Williams hinterher. "Die anderen lasse zurück. Desto weniger werden es sein, die übrig bleiben. Ich warte hier gelassen, bis die Ladung hoch geht. Bist du wirklich sicher, dass mich Dynamit umbringen kann? Sagt man mir nicht nach, ich sei unangreifbar und sogar unsterblich?"

Er lachte gehässig. Seiner Stimme war nicht die geringste Furcht anzumerken.

Das war auch besser so. Nur so lange er auch weiterhin totale Überlegenheit postulierte, auch in einer so ausweglosen Situation wie hier, hatte er den Hauch einer Chance.

Und dann ging sein Kalkül tatsächlich auf: Er hörte wildes Durcheinanderschreien im Zellentrakt und musste unwillkürlich darüber grinsen.

Man war offensichtlich in Aufbruchstimmung.

Und dann zögerten die Mordschützen nicht länger: Sie nahmen schimpfend reißaus und was sie sich zuriefen, das zeugte von Todesangst - vor allem vor CC. Er hatte seinem Nymbus sozusagen die Krone aufgesetzt.

Es ist wie beim Pokerspiel!, dachte CC grimmig. Du hast das schlechteste Blatt der Welt und bringst die anderen dazu zu passen. Und dann kassierst du ab.

Es war soweit - Zeit zum Abkassieren, denn jetzt war mit Sicherheit keiner mehr von den Mordschützen da. CC sprang auf und sprintete in den Gang zwischen den Zellen hinein.

Was er gesagt hatte, um den Leuten die nötige Angst einzujagen, kam nicht ganz von ungefähr. Es würde tatsächlich eine gewaltige Druckwelle geben, die hier den Gang entlang fegte. Und bevor es soweit war, musste er möglichst viele Yards zwischen sich und den Explosionsherd gebracht haben.

Er erreichte in Rekordzeit das Ende des Ganges. Hier führte eine Tür ins Freie. Sie stand noch offen von den fliehenden Mordschützen.

Kurz vor der Tür schlug CC einen Haken. Nein, hinaus durfte er sich nicht wagen, denn die Schützen waren zwar nach draußen geflohen, aber dort lauerten sie nach wie vor, um einen Rückzug von CC zu verhindern. Sie würden ihn abknallen wie einen flüchtenden Hasen.

Mit einem Hechtsprung landete CC in der Zelle links. Er krümmte sich am Boden und presste beide Hände gegen die Ohren. Den Mund sperrte er weit auf, die Augen kniff er fest zu.

Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment raste vorn am Office eine Stichflamme hoch. Der Boden brach völlig auf, das Feuer schlug sich Bahn, donnerte gegen die Decke, trieb sie nach oben, breitete sich aus, fetzte die Außenmauer hinweg als wäre sie aus Papier, röhrte in den Gang zwischen den Zellen, raste glutheiß darin weiter, den Gang dabei verbreiternd, die Gangdecke Fuß weit anhebend - um letztlich durch die offene Tür nach draußen zu fauchen. Noch dreißig Fuß vor dem Zellentrakt leckte die Explosionsflamme nach den Revolverschwingern, die sich entsetzt tiefer in Deckung warfen.

Sie wussten in diesem Augenblick in aller Deutlichkeit, dass CC Recht gehabt hatte. Er hatte ihnen mit seiner Warnung praktisch das Leben gerettet und ihr Boss hätte sie kaltblütig dem spektakulären Mordversuch an seinem einstigen Freund Chester Cole geopfert. Für ihn heiligte der Zweck wirklich alle Mittel. Wahrscheinlich hatte er sogar die ihm Unbequemsten in vorderste Front geschickt, um sie auf diese Weise gut und billig los zu werden.

Denn wer eine Hundertschaft von Desperados und Banditen befehligt, befindet sich ständig in Lebensgefahr, wenn er nicht dafür sorgt, dass man vor ihm mörderischen Respekt hatte.

Und jetzt hatten die Schlimmsten überlebt, was keineswegs im Sinne von Stanley Williams sein konnte. So war sein Schuss sozusagen nach hinten los gegangen.

CC war zwar nicht so kühn anzunehmen, dass die Revolverschwinger sich jetzt gegen ihren Boss wandten und sich auf seine Seite schlagen würden, aber zumindest hatte sein Vorgehen gereicht, die Front des Gegners erheblich und nachhaltig zu schwächen. Keiner von den Revolvermännern würde mehr so rigoros hinter seinem Boss stehen wie es bisher der Fall war. Keiner würde mehr für eine offenbar nur für den Sheriff sinnvolle Sache sein Leben so ohne weiteres riskieren.

Dies war ein riesiger Fortschritt, den CC nicht hoch genug einschätzen konnte.

Als das Inferno beendet war, nahm er die Hand von den Ohren und spuckte Dreck. Er befreite sich von den Schuttmassen, die auf ihn herunter geregnet waren und suchte seinen Colt, den er verloren hatte. Da war er. Er wischte ihn sauber und blies auch den Lauf frei vom Dreck. Die volle Funktionsfähigkeit seiner Waffe war jetzt von besonderer Bedeutung für sein Leben.

Er erhob sich und klopfte Staub aus seinen Klamotten.

Zögern durfte er jetzt nicht mehr. Er musste sofort hinaus, so lange die Verunsicherung der Revolvermänner anhielt. Sonst hatte er wirklich auch die letzte Chance vertan.

Geduckt stieg CC über die Trümmer und erreichte den Ausgang. Ohne weiter zu überlegen hechtete er nach draußen. In einer Rolle vorwärts kam er auf.

Kein einziger Schuss fiel, als würde keiner mehr auf den Ausgang achten.

CC landete nach der gekonnten Rolle auf beiden Füßen und wollte weiter rennen.

"Stop!", peitschte ihm ein harter Befehl entgegen.

CC schoss unwillkürlich, aber schon hatte sich der Mann wieder in seine Deckung zurück gezogen.

Sie hatten nicht sofort geschossen, weil sie eigentlich gar nicht erwartet hatten, ihn noch lebendig wieder zu sehen. Aber sie waren Berufsmäßige, die sich mit der Waffe in der Faust ihren Lebensunterhalt verdienten - mit allen Wassern gewaschen, außer mit Weihwasser. Von ihrer Überraschung erholten sie sich in Rekordzeit.

Ein halbes Dutzend drohende Revolver waren gleichzeitig auf CC gerichtet.

Lächelnd ließ er seinen Colt Navy sinken. Er zögerte eine Sekunde, dann steckte er die Waffe in das Halfter zurück.

"No!", befahl der Bandenführer, "lass die Waffe lieber zu Boden fallen."

"Wäre doch schade um das gute Stück, bei all dem Dreck hier", wiedersprach CC immer noch lächelnd.

Sie wagten es, ihre Deckung zu verlassen.

"He, der ist überhaupt nicht verletzt, hat nicht einmal einen Kratzer", stellte einer von ihnen entgeistert fest. Er war offenbar der Jüngste in dieser Bande, sozusagen der Benjamin.

Das diffuse Licht hier hinten reichte durchaus, um zu erkennen, dass CC tatsächlich völlig unverletzt geblieben war. Für die Revolverschwinger scheinbar ein echtes Wunder.

"Vielleicht stimmt es doch und CC ist unverwundbar?", murmelte der Benjamin brüchig.

Der flackernde Schein des Feuers, das vorn in der Ruine vom ehemaligen Office ausgebrochen war, beleuchtete gespenstisch die Szene.

CC lachte heiser: "Wer weiß, wieviel an manchen Gerüchten dran ist?" Er deutete auf ihre Waffen. "Aber vergesst auch nicht, dass ihr mir euer Leben verdankt!"

"Das wirst du sicherlich noch bitter bereuen, CC!", behauptete der Wortführer der Bande. Er setzte ein gemeines Grinsen auf. "Oder hast du schon einmal gehört, dass unsereins dankbar ist?"

Die anderen lachten jetzt, außer dem einen, der scheinbar fest überzeugt war davon, dass CC unverwundbar war und den CC im Stillen Benjamin nannte. Er wirkte auf einmal irgendwie unschlüssig.

Die anderen achteten gar nicht darauf. Sie waren sich ihrer Sache einfach zu gewiss. Was konnte denn jetzt noch passieren? Sie waren sich CC völlig sicher. Dabei hielten sie wohlweislich genügend Abstand, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Bei CC mussten sie mit allem rechnen. Das hatte er inzwischen hinreichend bewiesen.

"Stan wird sich freuen", meinte der Wortführer und winkte mit seinem Revolver. "Abmarsch, CC, wir wollen ihn doch nicht zu lange warten lassen, nicht wahr?"

Damit erübrigt sich die Frage, wie ich doch noch an Stan heran komme, dachte CC zerknirscht.

"Erst die Waffe, wie befohlen!", setzte der Wortführer noch nach.

CC gehorchte endlich, nahm mit spitzen Fingern seinen Colt und zog ihn aus dem Halfter. Er ließ ihn einfach zu Boden fallen.

Die Banditen trieben ihn voran. Nur Benjamin bückte sich kurz und hob den Colt Navy auf. Dann erst schloss er sich wieder seiner Bande an.


* * *


"Ganz ruhig!", sagte eine männliche Stimme ganz dicht an Dianas Ohr.

Jemand entzündete eine Lampe. Sofort war es hell genug in dem Kellerraum, dass Diana alles überschauen konnte.

Sie waren sieben und einen von ihnen kannte Diana besonders gut, denn es war einer der Croupiers von den Spieltischen.

"Damned, du?", entfuhr es der entgeisterten Diana. Alle Enttäuschung sprach aus ihrer Stimme. Dann hatte der Bankhalter also den anderen dieses Versteck hier verraten. Und deshalb hatten sie hier Seelen ruhig abwarten können, bis sie ihnen in die Falle gegangen war.

Man hielt ihr den Mund zu, damit sie nicht weiter reden konnte.

"Tut mir leid, dass wir grob werden mussten, Di, aber wir hatten keine Wahl. Wir mussten befürchten, dass du schreist oder gar schießt und damit auf uns hier unten aufmerksam machst."

Diana blinzelte verwirrt. Sie verstand kein Wort.

Ein anderer sagte: "Wir müssen die Luke besser abdichten. Seht, der Qualm sickert durch."

Zwei stiegen hinauf mit Lappen und machten sich an die Arbeit.

Dianas Verwirrung wuchs nur noch. Wieso wollten die sich hier unten verschanzen, während oben das Gebäude herunter brannte? Und selbst wenn es gelang, den Brand zu löschen, würde zumindest ein Teil des Wassers herunter sickern. Vielleicht reichte es aus, sie hier unten zu ertränken?

Wäre es denn nicht sinvoller, sie würden sie schleunigst nach oben bringen und sich dabei in Sicherheit bringen?

Der Croupier schüttelte den Kopf. "No, Diana, du schätzt die Situation völlig falsch ein. Wir gehören nicht zu denen dort oben." Er trat einen Schritt beiseite. Da erst bemerkte Diana die beiden reglosen Körper in der Ecke. "Die beiden haben scheinbar auch von dem Versteck hier unten gewusst und wollten sich hier verschanzen. Du wärst ihnen direkt in die Arme gelaufen und so konnten wir sie hier unten abfangen und unschädlich machen. Wir hatten gegen die beiden nur eine Chance, weil sie absolut nicht mit uns gerechnet haben - so wenig wie du scheinbar."

Und dann erklärte er der erstaunt lauschenden Diana weiter: "Bart Sinters hat mich bei dir als Bankhalter eingeschmuggelt. Ich bin so eine Art Spion von ihm. Er spielt zwar in der Stadt meist die Witzfigur, aber das ist er ganz und gar nicht. Viele wissen es, die meisten ahnen es nur. Außer Stanley Williams und seinen Schergen. Die tappen dabei im Dunkeln. Und das ist auch gut so. Nur so konnten wir bisher überleben."

"Aber...", stieß Diana hervor. Sie nahm sich zusammen: "Bart hat CC doch getroffen. Warum hat er ihm nichts gesagt?"

"Wussten wir denn, auf wessen Seite CC stand? Er war immer der beste Freund von Stan gewesen."

"Vergisst du, dass Stan seinen Vater umgebracht hat?"

"Nein, aber Bart wusste nicht genau, inwiefern CC überhaupt eingeweiht war. Es bestand die Möglichkeit, dass CC nur gekommen war, um seinen ehemaligen Freund zu unterstützen."

"Ein verfluchter Fehler!", schnappte Diana. "Und jetzt sitzen wir hier in der Falle."

"Ein Fehler sagst du? Di, ich war Zeuge der Szene zwischen dir und CC. Du wolltest ihn umlegen. Ihr beide musstet euch erst einmal finden. Für mich war es der Beweis, dass CC nur deinetwegen zurück gekehrt ist und dir würde er auch glauben, wenn du ihn über seinen ehemaligen Freund aufklären würdest. Da war ich ganz sicher. Und deshalb bin ich gleich los und habe Bart in Kenntnis gesetzt. Er gab mir diese Männer da mit und wir versteckten uns hier, bevor du mit CC herunter gekommen bist, um Hank, diesen schmutzigen Verräter, in die eigene Falle tappen zu lassen."

"Ihr habt tatsächlich hier unten auf mich gewartet?", fragte Diana ungläubig.

"Yeah", bestätigte der Bankhalter, "auf dich und CC. Wo ist er eigentlich?"

Diana berichtete ihm kurz. Sie glaubte ihrem Croupier jedes Wort. Doch selbst wenn die ein falsches Spiel mit ihr treiben sollten, um zu erfahren, wo sich CC inzwischen befand: Sicherlich war das sowieso bereits bekannt. CC war schließlich nicht gegangen, um sich in Sicherheit zu begeben und dort Seelen ruhig abzuwarten, bis es Diana endgültig an den Kragen ging.

In diesem Moment gab es irgendwo eine gewaltige Detonation, die den Boden bis hierher erschütterte. Dreck rieselte von der Decke. Sie hatten natürlich keine Ahnung, dass dabei das Sheriff's Office hoch ging.

"Das war nicht über uns", zischelte einer der Männer überzeugt.

"Wo sonst?", erkundigte sich ein anderer.

"CC!", entfuhr es Diana. Sie war hundert Prozent sicher, dass die Detonation unmittelbar im Zusammenhang mit CC stand - und lag damit Gold richtig.

Von oben drangen Rufe. Dann hörten sie das Plätschern von Wasser. Die Löscharbeiten begannen anscheinend.

Diana dachte: Wir können unmöglich hier unten bleiben bis zum Jüngsten Tag. Sollen wir denn CC alles allein überlassen? Und wer berichtet Bart Sinters letztlich, wie die Dinge inzwischen gediehen sind?

Sie wandte sich an den Croupier. "Wie entschlossen seid ihr eigentlich, euch an dem Kampf zu beteiligen?"

Er zuckte die Achseln und wirkte auf einmal unsicher.

"Wir sind keine Revolvermänner, wie du weißt, Diana", antwortete ein anderer anstelle des Bankhalters. "Wir haben keine Chance im Kampf Mann gegen Mann."

"Aber wie groß ist die Chance für CC, wenn er völlig allein bleibt?", gab Diana zu bedenken. "Wenn wir ihm nicht helfen, ist alles verloren, wir auch. Wir kommen niemals mehr lebend aus der Stadt - ihr so wenig wie ich. Eine Chance wie durch CC werden wir niemals mehr bekommen. Niemals, hört ihr!"

Sie nickten, weil sie genau wussten, wie Recht sie hatte, aber da war das Gefühl grenzenloser Unterlegenheit. Pläne zu schmieden und eine Art Untergrund zu bilden, das war eine Sache. Eine ganz andere Sache war es schließlich, all diese Pläne irgendwann endlich auch einmal in die Tat umzusetzen.

"Wie willst du vor gehen?", fragte der Croupier brüchig.

Diana nickte grimmig. Sie war sicher, dass sie jetzt die Männer so weit hatte, wie es nötig war. Sie deutete nach oben. "Wir müssen schnell sein. Wir brechen durch die Luke, ballern in Richtung Straße und rennen nach hinten. Wir müssen in den Hinterhof. Schießt, gebt euch gegenseitig Feuerschutz, aber ohne euch gegenseitig zu gefährden!"

"Nun, ganz so schlecht sind wir auch wieder nicht!", maulte der eine.

"Also los, worauf wartet ihr dann noch? Oder soll euch eine Frau vor machen, wie man gegen diese Brut kämpft? Ich war allein da oben und habe die ganz schön in Atem gehalten. Falls ihr feige seid: Ihr braucht mich ja nur zu unterstützen, mehr nicht!"

Der eine sagte: "Haha, ich lache, wenn mir die Zeit dafür bleibt."

Diana grinste Sieges gewiss. Sie glaubte jetzt alle restlos auf ihrer Seite. Sie würden spuren, denn sie hatte sie an ihrem männlichen Stolz gepackt, meinte sie. Da riskierten Männer aus dem Westen durchaus auch mal ihr Leben.

Bald wird es sich beweisen!, dachte sie zuversichtlich.


* * *


Sie kamen am Stall vorbei, der an das Gebäude mit dem Sheriff's Office und dem Zellentrakt direkt angebaut war.

Dem ehemaligen Office!, korrigierte CC im Stillen.

Ein kurzer Blick genügte: Man hatte die Pferde und somit auch seinen Braunen rechtzeitig evakuiert, um sie beim bevorstehenden Feuerwerk nicht zu gefährden. CC hatte also seinen ehemaligen Freund und jetzigen Widersacher gewaltig unterschätzt, als er so bereitwillig in die Falle getappt war.

Damit sind wir quitt, dachte er. Hättest du mich deinerseits nicht unterschätzt, wäre das Empfangskomitee in der Schlucht aufwendiger gewesen. Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich längst nicht mehr am Leben. Und hier habe ich meinerseits dich schließlich unterschätzt. Trotzdem: Hättest du es noch für möglich gehalten, dass ich dieser Falle noch entrinnen würde?

Gern hätte er die Frage persönlich gestellt, aber noch war es nicht so weit, noch hatten sie ihr Ziel nicht erreicht.

CC lauerte ständig auf eine Chance, aber die Revolverhelden in seinem Rücken waren zu gewieft. Die Bande hatte genug Fehler gemacht bis jetzt und es konnte als erwiesen angesehen werden, dass sie Stanley Williams als das kleinere Übel ansahen, wenn es darum ging, sich für ihn oder für CC zu entscheiden. Sie schienen zu ahnen, dass CC trotz seines miserablen Rufes ein Mann des Gesetzes geblieben war und damit hatten sie ganz und gar nichts am Hut.

Mit dem Revolver in der Faust und unter der Führung von Stanley Williams lebte es sich viel angenehmer und leichter und außerdem hatte man wesentlich mehr Geld als ein ehrlicher Mann.

Der Nachteil ist nur, ihr Kerle: Es lebt sich dabei nicht so lange!, schränkte CC in Gedanken ein.

Sie ließen ihm keinerlei Chancen zum Ausbruch, bis sie das Gebäude umrundet hatten und auf die Straße traten.

Dort wurden sie von einer weiteren Bande erwartet. Stanley Williams, der falsche Sheriff und ungekrönte König von Gold-Valley, hielt sich wohlweislich im Hintergrund. Erst als er sicher war, dass ihm im Moment keinerlei Gefahr von CC drohte, verließ er seine Deckung und trat grinsend näher.

"Wer hätte das gedacht: Nach langem Hin und Her bist du endlich in meiner Gewalt!"

"Yeah, nachdem die halbe Stadt nieder gebrannt oder in die Luft gesprengt ist." CC zeigte keinerlei Furcht. Er grinste breit.

"Immer noch voller Humor? Nennt man das nicht - Galgenhumor? Außerdem übertreibst du gewaltig, CC, es kostete lediglich den Great Saloon und mein Office. War sowieso an der Zeit, dass der Saloon von Grund auf renoviert wird und ich ein neues, größeres und schöneres Büro bekomme. Es ist also keineswegs ein Verlust."

"Und die Leute, die dank deiner großartigen Strategie ins Gras beißen mussten?"

"Daran denken wir nicht, wie, Männer? Wir denken an uns und wir sind die Überlebenden, weil wir gesiegt haben. Die Verlierer, das sind immer die Toten."

"Nicht immer, Stan", wandte CC grinsend ein, "denn schließlich lebst du noch und gehörst ebenfalls zu den Verlierern."

Stan schüttelte den Kopf. "No, Galgenhumor kann man das nicht mehr nennen. Das ist nichts als dreiste Dummheit. Schau dich um. Wieviel Chancen rechnest du dir denn jetzt noch aus?"

CC zuckte die Achseln. "Jede, wenn du so willst."

Stanley Williams war tatsächlich verblüfft. Dann schüttelte er abermals den Kopf und zog seinen Revolver.

"Ich bin kein besonders guter Schütze, wie du dich erinnerst. Aber ich werde die Erschießung von dir höchstpersönlich übernehmen. Das macht die Sache nicht nur für mich, sondern auch für dich spannender, denn ich werde erfahrungsgemäß nicht gleich mit dem ersten Schuss tödlich treffen. Sorry, das ist keine Absicht, denn wie gesagt, ich bin nun mal kein besserer Schütze, so sehr ich mich auch bemühen mag. Wo willst du den ersten Schuss hin? Ohne dir jetzt etwas versprechen zu wollen. Ich ziele zunächst einmal auf deine Brust. Männer, am besten macht ihr hinter ihm Platz. Ich will keinen von euch gefährden."

CC verschränkte die Arme vor der Brust, stellte sich breitbeinig hin und lachte Stanley Williams ins Gesicht.

"Mag sein, dass du dich darüber wunderst, wieso ich so zuversichtlich sein kann, aber du hast bereits verloren, ohne es auch nur zu ahnen. Du bist deiner Sache sehr sicher, aber kennst du nicht das Gerücht meiner Unverwundbarkeit? Wie, glaubst du, bin ich dem Inferno dort drüben entronnen?" Er deutete mit dem Kinn zur rauchenden Ruine. Anscheinend hatten die Banditen das Feuer gelöscht, denn es brannte nicht mehr.

"No, CC, mit mir nicht. Du kannst mich nicht ins Bockshorn jagen. Das überlasse ich Dümmeren und denen werde ich jetzt beweisen, wie verwundbar du tatsächlich bist. Jetzt nutzen dir all deine Tricks nichts mehr."

Er hob den Revolver und zielte sorgfältig. Der Hahn war gespannt. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug.

Seine Männer verhielten sich abwartend. Sie standen im gebührenden Abstand, die Waffen schussbereit, damit ihnen CC nicht doch noch in entscheidender Sekunde durch die Lappen ging.

"Ich hätte sie viel lieber spektakulärer gehabt, deine Hinrichtung, aber nachdem ich keine Zellen mehr habe, kann ich dich auch nicht einsperren."

"Du redest zuviel und handelst zu wenig!", kritisierte ihn CC unentwegt grinsend.

Jemand rannte über die Straße herbei. Er hatte reichlich Übergewicht und keuchte wie eine Dampflokomotive. "He, Boss, wir haben das Feuer beim Great Saloon im Griff. Ist aber nur noch eine rauchende Ruine."

Stanley Williams setzte den Revolver ab und bellte den Dicken an: "Nicht jetzt! Du siehst doch, dass ich gerade einen Mann erschieße!"

Da erst erkannte der Dicke CC. "Damned, wie kommt denn der Kerl hierher? Wir stöbern in den rauchenden Trümmern nach seiner Leiche."

"Was ist mit Diana?", fragte Stanley Williams ungeduldig. Es klang nicht sehr interessiert. Er wartete eine Antwort auch gar nicht erst ab, sondern hob den Revolver wieder.

"Die ist hin, Boss. Jedenfalls schießt jetzt niemand mehr beim Saloon. Ich kann mir auch kaum vorstellen, wie die das Feuer und den Rauch überlebt haben sollte."

"Und im Keller? Habt ihr schon im Keller nachgesehen? Der Eingang ist hinter der Theke."

Bevor noch die Antwort kam, schoss Stanley Williams endlich.

Das Grinsen war im Gesicht von CC gefroren, als das Gespräch auf Diana gekommen war.

Im entscheidenden Augenblick steppte er zur Seite. Die Kugel verfehlte ihn.

Stanley knurrte wie ein gereiztes Tier und schoss abermals.

CC sah, wohin der Lauf der Waffe schwenkte und sobald der Schuss sich löste, stand er nicht mehr dort, wohin Stanley Williams schießen wollte.

"Also gut!", kreischte der falsche Sheriff mit sich überschlagender Stimme, "ich überlasse ihn euch, weil ich nicht noch mehr Zeit verlieren will: MACHT IHN KALT!"

Darauf hatten seine Mordbuben nur gewartet. Sie legten an und nach Lage der Dinge würde es nun für CC kein Ausweichen mehr geben.

In diesem Augenblick strafte das Geschehen beim Great Saloon den Dicken Lügen: Schüsse peitschten wieder durch die Nacht. Es wurde geballert, als wäre drüben endgültig der Krieg ausgebrochen. Wüste Schreie waren bis hierher zu hören. Das Feuerwerk schien nicht mehr abreißen zu wollen.

Keiner dachte jetzt mehr daran, CC zu erschießen.

Ein Aufschub, der nicht länger als zwei Sekunden dauerte.

"He!", rief jemand. Es war Benjamin. Er warf CC den Colt Navy zu.

CC fing ihn geschickt und ließ sich gleichzeitig fallen. Die Kugeln seiner Mörder gingen über ihn hinweg. CC rollte seitlich in Richtung Stanley Williams und nach jeder blitzschnellen Drehung gab er einen gezielten Schuss ab.

Dreimal schoss er und dreimal traf er mit tödlicher Sicherheit. Dann war er so nahe vor Stanley Williams, dass die Revolverhelden nicht mehr zu schießen wagten, um ihren Boss nicht zu gefährden. Sie spritzten auseinander, um nicht wieder willkommene Zielscheiben zu bieten und auch Stanley Williams gab Fersengeld. Im Zickzack jagte er davon.

Unglücklicherweise schloss sich ihm der Dicke direkt an und bot mit seinem breiten Kreuz damit seinem Boss ungewollt Deckung.

CC sprang auf und hechtete zur Seite. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Benjamin am Boden lag und Blut spuckte. Also hatten nicht alle Kugeln ihm gegolten. Seine Kameraden hatten kurzen Prozess mit ihm gemacht.

CC duckte sich kurz über den Sterbenden. Benjamin grinste ihn an. "Unverwundbar!", stöhnte er. "Ja, das bist du, CC. Ich hab's gewusst."

CC hatte keine Zeit, ihm zu danken, denn Benjamin schloss die Augen für immer und CC hechtete zur Seite, um dem nächsten Kugelhagel zu entgehen.

No, eine echte Chance hatte er dennoch nicht gegen die Übermacht. Sie hatten ihn in der Zange und würden ihn nicht mehr heraus lassen, bis er tot war.

Du hast dich gewaltig geirrt, Benjamin: Unverwundbar bin ich keineswegs. Ich tu nur so - so lange es eben geht.

Er landete neben dem Gehsteig und rollte darunter in Deckung.

Eine trügerische Sicherheit, in der er sich hier befand, denn ewig konnte er sich nicht verschanzen. Sie würden es relativ leicht haben, ihn zu erledigen.


* * *


Sie durften nicht mehr länger zögern. In fliegender Hast lösten sie die Abdichtung an der Luke. Sofort sickerte Wasser in den Kellerraum und als sie die Luke hoch drückten, kam ein ganzer Schwall herunter. Der Zustrom an Wasser schien nicht mehr enden zu wollen.

Ein widerlicher Geruch von nasser Asche lag in der Luft und machte das Atmen schwer, als sie nach oben stürmten.

Jeder hatte seine Waffe Schuss bereit in der Faust. Die meisten der Banditen durften sich im vorderen Teil des Saloons befinden. In diese Richtung ballerten sie Wahl los, während sie Diana nach hinten folgten.

Das Feuer wurde zwar sofort erwidert, aber genauso ungezielt. Die Banditen waren über den unerwarteten Ausbruch viel zu überrascht.

Stan hat nicht jeden seiner Leute und vor allem nicht rechtzeitig über den Kellerraum aufgeklärt!, konstatierte Diana im Stillen. Er hat ja auch das Gebäude erhalten wollen, ursprünglich und da war es ihm besser erschienen, dieses Geheimnis nicht allgemein auszuplaudern. Umso besser für uns jetzt.

Sie erreichten den Hinterausgang und stürmten in den Hof. Ein Gegner rannte herbei. Aber ehe er noch einen gezielten Schuss anbringen konnte, hielt ihn Diana mit einer Kugel aus ihrer eigenen Waffe auf.

"Alle Achtung!", sagte einer ihrer Begleiter anerkennend.

"In den Schuppen auf der anderen Seite vom Hof!", befahl Diana.

Sie war als Erste dort, trat die Tür auf und wich gleichzeitig zur Seite. Die anderen gingen ebenfalls in Deckung. Sie hatten begriffen, dass Diana eine Wache im Schuppen vermutete.

Aber es wurde nicht auf sie geschossen. Diana schoss ihrerseits wahllos hinein und sprang durch die Tür mitten in die Dunkelheit.

No, hier war niemand. Die hatten sich zurück gezogen, weil sie den Sieg bereits in ihrer Tasche glaubten.

Und in der Tat hätte Diana niemals allein aus dem Kellerraum entkommen können. Es hatte schon des massierten Feuerschutzes ihrer Begleiter bedurft, um ihr diese Flucht zu ermöglichen.

Bis jetzt war alles gut gegangen, aber es gab keinen Grund, dadurch unvorsichtiger zu werden.

Diana konnte sich in der Dunkelheit blind bewegen. Sie kannte sich in dem Geräteschuppen gut aus. Hinten war ein Berg von Gerümpel und dieser verbarg eine Tür. Da mussten sie hindurch.

"Weg mit dem Zeug!", befahl Diana.

Einer hatte geistesgegenwärtig die Lampe mit genommen und entzündete sie mit einem Streichholz. Das Licht genügte. Sie arbeiteten verbissen. Viel Zeit blieb ihnen nicht, denn die Banditen formierten sich bereits. Sie würden Not falls auch den Schuppen niederbrennen, um ihrer habhaft zu werden.

In Rekordzeit war der Weg frei. Diana öffnete die Tür, ließ die Lampe wieder erlöschen, sicherte kurz und sprang dann in die Freiheit.

"Wohin jetzt?", raunte ihr ehemaliger Croupier.

"Wo ist Bart Sinters?"

"Er erwartet uns in der Nähe des Sheriff's Office. Dort sind wir verabredet."

"Also los, worauf warten wir noch?"

Sie rannten gemeinsam los. Da sie hinter der Häuserreihe laufen mussten, machten sie einen kleinen Umweg.

Unterwegs fragte Diana keuchend: "Wieviel Männer sind bei Bart?"

"Wer soll denn noch bei ihm sein?"

Diana blieb wie angewurzelt stehen. "Soll das heißen, er ist allein? Wie groß ist denn die ganze Widerstandsgruppe?"

"Äh, es sind noch einige, außer uns, aber wir sind die einzigen, die wenigstens ein bisschen mit einer Waffe umgehen können. Gegen die Revolvermänner haben wir allerdings keine Chance. Wir schießen alle schlechter als du."

"Wenn CC nicht mehr am Leben ist, dann gute Nacht!", sagte Diana. Beinahe resignierte sie. Aber dann nahm sie sich zusammen und rannte weiter. Sie ließ ihrem ehemaligen Croupier den Vortritt, weil der genauer wusste, wo sie Bart Sinters treffen würden.

Da erst wurden sie auf die Schießerei aufmerksam. Die Schüsse fielen nicht hinter ihnen, wo die Banditen sie anscheinend immer noch in dem Geräteschuppen vermuteten, sondern vielmehr nahe beim Sheriff's Office.

Diana dachte zuerst an Bart Sinters und sie war mit dieser Vermutung nicht allein, aber dann musste sie sich korrigieren: Selbst wenn Bart Sinters bis an die Zähne bewaffnet war, würden sie niemals so viele Kugeln brauchen, um ihn zu erledigen.

Es gab nur eine einzige Möglichkeit, die jetzt noch offen stand. Diana sprach es aus: "CC! Er lebt! Aber wenn wir uns nicht beeilen, wird dieser Zustand nicht mehr lange andauern, schätze ich."

Sie hoffte, dass ihre Begleiter es jetzt doch nicht mit der Angst bekamen und sie im entscheidenden Moment im Stich ließen.

Aber der Mut, den sie als Frau bereits unter Beweis gestellt hatte, blieb Ansporn genug für die Männer, die es keineswegs gewöhnt waren, mit der Waffe in der Faust ihren Alltag zu begehen.

Es war eine Ausnahmesituation für sie alle, aber sie waren dennoch entschlossen, diese Situation zu bewältigen und sich selbst damit eine bessere Zukunft zu sichern.

Sie würden CC unterstützen und sie sahen jetzt durchaus eine Chance für ihren Sieg. Hatte Stanley Williams und seine Hundertschaft nicht sowieso schon eine unglaubliche Niederlage einstecken müssen - bei diesen Verlusten? Jetzt galt es eigentlich nur noch, diese Niederlage endgültig in einen Sieg für die ganze Stadt zu verwandeln...


* * *


CC wurde so komplett mit Kugeln eingedeckt, dass er keinerlei Möglichkeit sah, sich wirksam zu verteidigen. Eine tödliche Falle, wie er schon vermutet hatte und wenn kein Wunder geschah, überlebte er die nächsten Minuten nicht mehr.

Fast wollte CC resignieren, zum ersten Mal in seinem bewegten und überwiegend gefährlichen Leben, aber das "Wunder" geschah tatsächlich: Auf einmal wurden die Banditen von dritter Seite mit Schüssen eingedeckt. Es kam für sie genauso überraschend wie für CC.

Diana!, dachte er sofort. Er lauschte. Nein, das konnte unmöglich Diana allein sein. Da waren auch noch andere mit im Spiel.

Aber wer?

Das Überraschungsmoment hielt bei CC nicht lange vor. Er nutzte die Gelegenheit auf seine Weise, indem er laut rief: "Wie ich schon sagte, Stan: Du hast längst verloren, ohne dass es dir klar ist. Glaubst du denn im Ernst, ich sei allein nach Gold-Valley gekommen? Meine Männer folgten nach, nachdem niemand hier mehr darauf achtete und sich alles auf deinen Befehl hin auf Diana und mich konzentrierte. Dies war dein größter Fehler überhaupt gewesen und jetzt gibt es kein Entrinnen mehr. Ihr werdet alle den verdienten Tod finden, denn meinen Männern ist noch niemals einer entwischt!"

Der Bluff tat augenblicklich seine Wirkung. Von einer Seite wurde die Schießerei eingestellt. Es war für CC nicht schwer herauszufinden, welche Seite das war: Die Revolverhelden, die im Dienst von Stanley Williams standen, hatten endgültig die Nase voll. Zu viele von ihnen hatten bei diesem ungleichen Kampf bereits sterben müssen und keiner von ihnen zweifelte noch an den Worten von CC, der ihnen in den letzten Stunden oft genug bewiesen hatte, zu was er fähig war.

CC hatte genau den Nerv getroffen und die Banditen nahmen reißaus, so lange sie ihrer Meinung nach noch konnten. Sie wollten die ersten sein, die den ominösen Gefolgsmännern von CC entrinnen wollten.

"Hier geblieben!", schrie Stanley Williams mit sich überschlagender Stimme. "Alles nur ein Bluff! Damned, fallt doch nicht auf dieses dumme Geschwätz herein. CC will euch doch bloß herein legen."

Sie gaben ohne weiteren Kommentar Fersengeld und ließen ihn allein zurück.

Hatte CC denn nicht im ehemaligen Office schon die Wahrheit gesprochen, als seine Situation völlig ausweglos erschien? Hatte er nicht den Banditen praktisch das Leben gerettet, als er sie auf die drohende Gefahr durch die Explosion aufmerksam gemacht hatte? Ihr Boss hatte sie wissentlich in den Tod gehen lassen wollen, nur um sicher zu sein, dass CC nicht mehr aus dem Office entkam. Er hatte kein Opfer gescheut - vor allem, da nicht er die Opfer bringen musste, sondern stets seine Leute.

Jetzt erhielt er endlich die Quittung von ihnen für sein Handeln und blieb allein.

Und Stanley Williams handelte weiter, wie man es von ihm gewöhnt war: Er warf feige seine Waffe weg und trat mit erhobenen Armen auf die Straße.

"Nicht schießen, ihr Männer! CC und ich waren immer die besten Freunde. Ich konnte nicht anders handeln, glaubt mir. Jetzt, wo die Banditen weg sind, bin ich wieder frei. Ich muss euch dafür dankbar sein."

Das war nun doch zuviel. CC hatte Zeit seines Lebens eiserne Nerven bewiesen, aber jetzt schwoll ihm mächtig die Zornesader. Er kroch aus seiner Deckung und stand auf. Wie prüfend wog er seinen Colt in der Rechten.

"Nein, CC, er gehört mir!", sagte jemand schrill.

Unwillkürlich wandte CC den Kopf. Aus dem Gebäudeschatten trat Diana. Sie war nicht allein: Mehrere Männer waren in ihrer Begleitung, die CC in der schlechten Straßenbeleuchtung nicht so recht erkennen konnte. Er wusste nicht zu sagen, ob sie ihm in früheren Zeiten schon einmal begegnet waren.

Er musste jetzt doch grinsen, dass sein letzter Bluff so gut gelungen war.

Doch, einen der Männer erkannte er jetzt: Bart Sinters. Bart kam direkt auf ihn zu. "Alles in Ordnung, CC?", fragte er besorgt.

Besorgt? Wirklich besorgt?

CC musste unwillkürlich den Kopf schütteln. Er zögerte, aber dann wechselte er die Waffe in die Linke und reichte Bart die Hand. "Ihr seid genau pünktlich gekommen!"

Bart nahm die Rechte und schüttelte sie. Er grinste ein wenig verlegen. "Nun, um ehrlich zu sein, CC, ich war schon die ganze Zeit über hier und habe mehr oder weniger alles mit gekriegt. Ich hoffe, du bis nicht sauer auf mich, dass ich nicht schon früher eingegriffen habe. Aber du weißt ja, mit dem Schießeisen konnte ich noch nie so gut umgehen. Ich wäre längst tot gewesen, bevor ich auch nur einen Hauch einer Chance gehabt hätte, um dir aus der Patsche zu helfen."

"Mach dir keine Sorgen, Bart, es ist alles genauso gekommen, wie es hat sein sollen."

Stanley Williams schaute verblüfft von einem zum anderen. "Das sind doch alles Leute von hier. Ich kenne sie alle. Und du, Bart, bist ihr Boss? Also doch ein Bluff und diese Idioten sind darauf herein gefallen. Sie hätten euch platt gewalzt."

"Freut mich, dass du nicht länger das Unschuldslamm mimst, Stanley", sagte Diana gefährlich leise. Ihre Waffe drohte. "Ich bin zwar nur eine schwache Frau, der du übel mitgespielt hast, wofür du mindestens zehnmal den Tod verdient hast, aber ich will dir trotzdem eine Chance geben. Sei einmal in deinem Leben ein Mann und kein hinterhältiges Schwein. Ich verspreche dir, dass keiner eingreift."

"Was hast du vor, Di?", rief Stanley Williams alarmiert.

"Hebe deine Waffe auf!"

"No, god damned, no!"

"Soll ich dich denn so nieder schießen, wie einen räudigen Hund?"

"Das willst du doch sowieso!"

"Nein, du sollst eine Chance haben. Nimm die Waffe und versuche, schneller zu sein. Wenn du es schaffst, lassen sie dich laufen."

Sein unsteter Blick irrte in die Runde. "Das würdet ihr wirklich tun?"

CC nickte als erster. Niemand wusste besser als er, wie gut Diana mit ihrem Revolver umgehen konnte und er hielt ihr Vorgehen gerade deshalb durchaus für akzeptabel.

"Das geht nicht!", warf Bart ein. "Wir wollen doch die Gewaltherrschaft von Stanley und seinen Desperados nicht mit neuem Unrecht fortsetzen. Es ist schlicht ungesetzlich."

"Noch gilt hier nicht das Gesetz, das du meinst - so lange es keinen echten Sheriff gibt", widersprach ihm CC. "Und wenn Di ihm eine Chance zur Gegenwehr gibt, dann ist es auch kein Mord, meiner Meinung nach. Wir brauchen erst einen Sheriff und dann vor allem Zellen und als drittes ein ordentliches Gericht, das nicht aus Schergen von Stanley Williams besteht. So lange dies nicht der Fall ist, herrscht in dieser Stadt nur ein einziges Gesetz und das ist das Gesetz des Westens. Es hat lange vor Gold-Valley bestanden und hat sich tausendfach bewährt. Warum also sollten wir es diesmal nicht zur Geltung kommen lassen?"

"Jawohl!", riefen die anderen und überstimmten Bart Sinters glatt.

Bart zögerte. Dann steckte er seine Waffe weg und trat zurück. "Gut, überstimmt!"

"Das nenne ich Demokratie", lobte ihn CC, "und damit beweist Gold-Valley, dass die Zivilisation hier wieder allmählich Fuß fassen kann. Ich behalte nur noch die Waffe in der Faust, damit alles auch wirklich gerecht abläuft. Hörst du, Stan: Dein Ziel heißt Diana. Nur sie will dich jetzt umlegen, wir nicht. Wehe, wenn du noch auf einen anderen schießt. Ich werde es zu verhindern wissen."

"Und du willst wirklich nichts tun, wenn ich Diana erschieße?" Er wollte es immer noch nicht glauben.

"Ich bin nicht so ein Schwein wie du, Stan. Auf mein Wort kannst du dich verlassen. Außerdem seid ihr ein Ehepaar, wie ich erfahren musste und in Ehestreitigkeiten sollten sich Außenstehende nicht einmischen, stimmt's?"

Jetzt bückte sich Stanley Williams tatsächlich nach der Waffe.

CC beobachtete Diana. Ihr Gesicht befand sich im Widerstreit der Gefühle. Sie durchlebte all die Schmach und die Grausamkeiten, die sie durch Stanley Williams hatte erleiden müssen. Niemand stand es mehr zu als ihr, der Sache ein Ende zu bereiten - nach ehernem Recht des Westens.

Alle machten Platz. Stanley Williams nahm seinen Revolver mit spitzen Fingern auf und steckte ihn in sein Halfter. So lange wartete Diana, bis sie ihre eigene Waffe ebenfalls weg steckte. Ihre Hand blieb über dem Revolvergriff schweben.

Stanley Williams zog als erster. Er wusste, dass es seine einzige Chance war, die er noch zum Überleben hatte und er zögerte keinen Sekundenbruchteil, auf die Frau zu schießen, mit der er sogar noch offiziell verheiratet war.

Er zog verdammt schnell, als hätte die Todesangst seinen Arm geschmeidiger gemacht. Aber egal wie sehr er sich auch bemühte, er hatte längst nicht die Übung wie Diana. All die Jahre hatte er sich lieber auf seine Revolverschwinger verlassen, die bei ihm im Sold standen. Wahrscheinlich hätte er niemals gedacht, sogar von einer Frau - in diesem Fall sogar von seiner eigenen Frau - übertroffen werden zu können, aber als ihn die tödliche Kugel aus Dianas Waffe traf, war es zu spät für ihn, es zu begreifen.

Er fiel auf die Knie. Seine Waffe zeigte zu Boden. Ein Schuss löste sich und ließ den Dreck spritzen.

Sterbend kippte Stanley Williams vornüber auf das Gesicht.

Diana schaute mitleidlos auf ihn herab.

CC trat zu ihr und nahm sie einfach in die Arme. Er drückte sie fest an sich. Sie fühlte sich so hart an wie Stein. Aber allmählich löste sich ihr Krampf und CC spürte, dass seine Schulter nass wurde.

Beruhigend streichelte er ihr über das Haar. Diana weinte und das stand ihr auch zu, nach allem, was sie durch gemacht hatte.

Eine Weile standen sie so da - genug Zeit für die Bürger der Stadt, die sich endlich trauten, ihre Verstecke zu verlassen. Sie kamen auf die Straße, verhielten beobachtend im gebührenden Abstand, als könnten sie einfach nicht glauben, dass der Terror wirklich ein Ende gefunden hatte.

Auch Bart und seine Männer hielten sich zurück. Sie störten das Paar nicht.

Dann konnte Diana endlich wieder sprechen. Sie hob den Kopf und sah CC an. "Hättest du wirklich zu gelassen, dass er mich erschießt?"

CC musste lachen. "Was gilt schon das Wort, das man einem Schwein gegeben hat?"

Sie zog ihn zu sich herunter und küsste seinen Mund. Ein verzehrendes Feuer nahm von ihnen Besitz und sie vergaßen darüber beinahe, dass sie nicht allein waren.

Als sie sich voneinander lösten, klatschten einige der Umstehenden in gutmütigem Spott Beifall.

CC sah sich verlegen um.

Bart stand neben ihm. Er hatte den Sheriff's Stern in der Hand, den er von der Brust des Toten abgenommen hatte. Der Stern war ein wenig verbogen.

"Es wäre mir eine Ehre, in dir zu verleihen, wenigstens für so lange, bis hier die Aufräumarbeiten beendet sind, CC. Schätze, es gibt keinen Besseren, um diese Arbeiten auch wirklich zu ermöglichen. Ohne dich würde sonst ein neuer Stanley Williams nach wachsen - schneller als uns lieb ist. Und dann sind wir wieder so weit wie vorher."

"Oder willst du uns wieder im Stich lassen, CC?", erkundigte sich Diana.

"Wenn du nicht mit mir ziehst...?"

"Keine Zeit - vorläufig. Schließlich muss der Great Saloon neu aufgebaut werden. Und hast du nicht auch noch eine Farm? Es wird Zeit, dass du dein Erbe endlich antrittst. Kannst die Farm ja so lange verpachten, wo du Sheriff bist."

CC musste lachen. Er ergriff den Stern unter dem tosenden Applaus aller, die dabei standen und heftete ihn sich selbst an, wie es seine Art war. Ein Jawort von ihm war nicht mehr nötig. Er hatte mit dieser Geste ohne weiteren Kommentar die schwere Aufgabe übernommen und keiner zweifelte daran, dass die lange - viel zu lange - Zeit des Terrors damit vorbei war. Der alte Frieden, der mit den ersten Siedlern und Gründern der Stadt gekommen war, erhielt durch ihn eine echte Chance, dauerhaft wiederzukehren...


E N D E