Freitag, der 18. Oktober 2019, 06:00 Uhr
Berlin-Teltow
Das Handy weckte ihn mit dem lieblichen Riff von Slayers Reign in Blood . Pete hatte traumhaft geschlafen. Er öffnete die Augen, stand direkt auf und begann den Tag mit seinem morgendlichen Training. Das permanente ›Auf die Schlummertaste drücken‹ hatte er sich abgewöhnt. Hundert Liegestütze, hundert Bauchaufzüge und hundert Kniebeugen. Er verausgabte sich. Beinahe wurde ihm wegen der Überanstrengung übel. Ein kräftiger Schluck Wasser und er hatte sich wieder im Griff. Es hatte fast acht Monate gedauert, aber nun war er back on track . Seine Fitness war nahezu auf hundert, seine Gier bei eintausend. Pete Beska war zurück. Er konnte es kaum noch erwarten, seinen Dienst endlich wieder anzutreten.
Die Dusche tat ihm gut. Das heiße Wasser prasselte wie leichter Hagel auf seinen Kopf und spülte die Anstrengung weg, die ihm sein morgendliches Training abverlangt hatte. Seine Gedanken drehten sich einzig und allein um diesen Morgen. Den ersten Morgen seit knapp einem Jahr. Keine Krücken, kein Krankenhaus und vor allem keine Reha mehr. Wenn er nur an den Krankenhausfraß und an diesen Kaffee dachte, drehte sich ihm schier der Magen um. Pete hatte die letzten vier Monate im Krankenhaus verbracht. Die dortige Verpflegung und die Unterbringung der Patienten raubte ihm noch immer den Glauben an das deutsche Gesundheitssystem. Fast täglich erinnerte er sich an diese Zeit zurück. Obwohl er sich bemühte, diese Gedanken auszublenden, kamen sie jedes Mal wieder, sobald Pete an einem Kaffee nippte. Diese ekelhafte braune Brühe, die sie Kaffee nennen! Eine hellbraune Suppe, die zwar heiß ist, nicht aber im Entferntesten nach Kaffee schmeckt. Unser Gehirn schafft es, uns so zu manipulieren, dass wir denken, wir würden einen Kaffee trinken, einzig und allein, weil diese heiße braune Plörre in einer Tasse ist. Und diese Betten! Wer ist für diese Betten verantwortlich? Lagen die ›Erfinder‹ der Krankenhausbetten schon einmal im Krankenhaus? Ich glaube nicht, denn sonst würden sie diese Betten auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Aber darum heißt es ja auch Krankenhaus und nicht Gesundheitshaus. Und der Dreck und der Geruch erst. Es gleicht einem Wunder, dass dort nicht noch viel mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben! Er schüttelte verachtend und voller Ekel den Kopf.
Schwarzer Kaffee und ein Schinken-Käse-Omelett, das war heute sein Frühstück. Seit seinem Krankenhausaufenthalt nahm Pete sich ausreichend Zeit für das Frühstück. Er las die Tageszeitung, meistens jedoch nur die Headlines, und begann den Tag in Ruhe. Bea, seine letzte Freundin, trank nur Tee. Sie sah es als ihren persönlichen Kreuzzug an, Pete umzuerziehen. Kaffee ist so ungesund , sagte sie jedes Mal, wenn er einen Kaffee trank. Trink doch lieber Tee! Er erwärmt deine Seele und bringt dich ins Gleichgewicht. Er musste schmunzeln und dachte an die damalige Zeit zurück. Selbst wenn ich nie wieder Kaffee trinken könnte, wäre Tee das allerletzte Gesöff, das ich mir antun würde!
Tee, egal in welcher Form und Geschmack, war für Pete nur trinkbar, von einem möglichen Genuss wollen wir hier nicht sprechen, wenn er krank war und die Übelkeit ihn bereits völlig außer Gefecht gesetzt hatte.
Pete stand vor seinem Kleiderschrank und schob einen Kleiderbügel nach dem anderen zur Seite. Auf einen Anzug hatte er heute keine Lust, somit entschied er sich für Jeans, ein graues Hemd und den schwarzen Lederblazer. Pete stand auf diesen schwarzen Zwei-Knopf-Lederblazer, da er sich keine Gedanken machen musste, zu welchem Outfit er passen könnte. Er passte zu allem und er stand ihm verdammt gut.
Pete Beska war neunundvierzig Jahre alt und seit mittlerweile sechsundzwanzig Jahren Polizist. Seine polizeiliche Karriere hatte er als Kommissaranwärter im gehobenen Dienst begonnen. Seit nunmehr fünfzehn Jahren war Pete bei der Mordkommission im LKA 1 in Berlin. Sein Partner David Richter hatte seine Jugend mit dem Sound der Neunzigerjahre, Dr. Alban, Bandidos, 2 Unlimited et cetera verbracht. Somit war er das genaue Gegenteil von Pete. Petes Metal-Karriere hatte im zarten Alter von sieben Jahren begonnen, als er sich mit seinem hart ersparten Taschengeld den AC/DC Longplayer Powerage gekauft hatte. Als er stolz mit dem Longplayer unter dem Arm nach Hause gekommen war, hatte sein Vater beim Anblick der Platte nur den Kopf geschüttelt. Seit diesem Tag war es um Pete und seinen Musikgeschmack geschehen. Keine andere Musikrichtung kam seitdem mehr für ihn infrage.
Pete und David hatten sich nach den anfänglichen und üblichen Problemen rasch angefreundet. Mittlerweile war David Petes bester Freund. Das Problem war lediglich, dass sie auch in ihrer Freizeit über ihre Fälle sprachen. Sie nutzten jede freie Sekunde, um weiter an komplexen Fällen zu arbeiten. Um es kurz zu machen: Solange Pete und David Zeit miteinander verbrachten, arbeiteten sie auch. Das hatte sie bereits einige Beziehungen gekostet. Bea, Petes letzte Freundin, schlug ihm damals vor, er solle doch einmal in Erwägung ziehen, ob es nicht besser für ihn sei, schwul zu werden. Das würde viel Zeit sparen, denn diesen einen und besonderen Lebensgefährten hätte er ja bereits. Noch am selben Tag packte Bea ihre Sachen und weg war sie. Als Pete David diesen Vorschlag unterbreitete, sah ihn David mit großen Augen an, packte ihn und sie fuhren direkt in den KitKat-Club. Sie ließen es so sehr krachen, dass sie es seitdem nicht mehr wagten, ein weiteres Mal dort aufzutauchen. Anzumerken ist, dass David und Pete kein Paar geworden sind. Jedes Mal, wenn sich Pete an diese Geschichte erinnerte, brauchte es einige Zeit, bis sich seine Mundwinkel wieder entspannen konnten.
Halb acht, Pete erreichte das LKA 1 in Berlin Tiergarten. Nach über einem Jahr war er endlich wieder zurück. Pete freute sich auf seine Arbeit. Vor allem freute er sich auf seine Kollegen. Aber was war los? Einige nickten ihm höflich ein kurzes ›Guten Morgen‹ zu. Aber Pete konnte nur neue Gesichter erkennen. Wo waren die Kollegen und wo war David? Am Freitag hatte David ihm noch gesagt, wie sehr sich alle freuen würden, ihn endlich wieder im aktiven Dienst zu sehen.
Just in diesem Moment packte ihn jemand am Arm. Pete drehte sich erschrocken um und da standen sie. David, die Kollegen und seine Chefin Eve Decker. Sie war die Erste Kriminalhauptkommissarin des LKA 1 in Berlin. Alle Kollegen umarmten und drückten ihn innig. Endlich war er wieder bei seiner Familie, denn das waren sie hier alle, seine Familie.