Kapitel 28

Freitag, der 25. Oktober 2019, 09:00 Uhr

Berlin, Kreuzberg

Berliner Allgemeine Zeitung – Redaktion

 

Peter Becker saß an seinem überfüllten Schreibtisch. Die aktuellen Ausgaben der zehn auflagenstärksten Tageszeitungen stapelten sich vor ihm. Wie an jedem Morgen studierte er die Headlines. Seit einigen Wochen gab es keine besondere Berichterstattung mehr. Die Berichte über Syrien oder Afghanistan waren weltweit das einzige spannende, jedoch waren die meisten Leser mittlerweile kriegsmüde. Die Mitgliederbefragungen zum SPD-Vorsitz waren so langweilig wie eine Partie Hallen-Halma und die Landtagswahl in Thüringen hielt sich lediglich vier Tage in der Berichterstattung. Zumindest schaffte es der amerikanische Präsident durch seine selten diplomatische Art, fast täglich einen echten Kracher zu präsentieren. Peter Becker mochte den US-Präsidenten. Nicht aus sympathischen Gesichtspunkten seiner Person gegenüber, sondern wegen seiner polarisierenden Art. Den US-Präsidenten scherte es einen Dreck, was andere über ihn und seine Politik dachten, und daran ließ er die ganze Welt per Twitter teilhaben. Über ihn gab es immer etwas zu berichten und an den Online-Berichten und den Leser-Reviews konnte man die Reichweite seiner Berichterstattung hervorragend erkennen. Peter Becker war ein Freund der medialen Möglichkeiten im Web. Die Onlineverbreitung wichtiger Nachrichten war ein Segen. Ein geschickt arbeitender Redakteur war so in der Lage, seine Leserschaft mit aufregenden News rund um die Uhr zu versorgen und in dieser Kategorie hielt sich Peter Becker für einen der Besten. Zumindest zeigten dies seine Erfolge im Aufbau einer Stammleserschaft, die mittlerweile bei knapp 20.000 Klicks pro Tag und Bericht lag.

Peter teilte seine Tage penibel ein, an denen er in der Redaktion war. Er betrat pünktlich um sieben Uhr morgens die Redaktion. Nachdem er sich einen Kaffee in der Teeküche geholt hatte, checkte er seine E-Mails und beantwortete diese bis exakt acht Uhr. Von acht Uhr bis halb zwölf widmete er sich konsequent und hoch konzentriert der Recherche. Er las die Presseschau der gesamten Republik, gefolgt von den großen Berliner Tageszeitungen. E-Mails las und beantwortete er in dieser Zeit nicht. Auch sein Chefredakteur versuchte ihn während dieser Zeit nicht zu stören. Ausnahmen bildeten nur besondere Vorkommnisse, die so schnell wie möglich in einem Bericht erfasst und online veröffentlicht werden mussten. Nach der Mittagspause war Peter Becker in Berlin unterwegs, um lokale Nachrichten zu sammeln. Pünktlich um achtzehn Uhr beendete Peter seinen Arbeitstag. Dieser sollte heute jedoch komplett anders verlaufen.

Pünktlich um halb zwölf beendete er seine tägliche Recherche. Just als er aufstehen und zu Mittag gehen wollte, überkam ihn eine innere Unruhe. Er öffnete noch einmal sein E-Mailprogramm. In den letzten zwei Stunden waren circa fünfzig E-Mails eingegangen, diese eine Mail stach ihm jedoch sofort ins Auge.

 

»Sie werden alle fallen«

 

Peter wiederholte laut lesend die Betreffzeile und klickte die E-Mail an.

 

Sehr geehrter Herr Becker,

Sie kennen mich nicht und Sie werden mich auch nicht näher kennenlernen, zumindest nicht persönlich. Sie werden jedoch das kennenlernen, was mich ausmacht, was meine Berufung ist und was eine bestimmte Spezies verdient hat, erleiden zu müssen.

Sie werden sich fragen, warum ich ausgerechnet Sie angeschrieben habe. Ich lese regelmäßig Ihre Berichte und ich schätze Ihren Schreibstil. Auch habe ich Sie bereits mehrfach bei Ihren Recherchen und Berichterstattungen in Berlin erleben dürfen.

Ich möchte Sie als mein Sprachrohr, als meine Plattform für die Öffentlichkeit, für das, was ich tue, gewinnen. Es gibt weitere Personen in Ihrer Branche, denen ich eine nahezu vergleichbare Arbeitsweise und Seriosität wie Ihnen zuspreche. Sollten Sie mein Angebot ablehnen, so werde ich die Nummer zwei auf meiner Liste kontaktieren.

Zu meiner Person und meinem Geisteszustand werde ich mich nicht äußern, da dies ohnehin den Ermittlern und deren Profilern vorbehalten bleibt.

In den letzten Wochen habe ich zwei Personen, die durch ihr widerliches Handeln ein Weiterleben in unserer Gesellschaft verwirkt haben, aus dem Leben befördert. Die Berliner Polizei vom LKA 1 ermittelt bereits in beiden Fällen. Da ich der Berliner Polizei eine gewisse Professionalität zuspreche, wird sie bereits Gemeinsamkeiten bei den Toten und der jeweiligen Tötungsart festgestellt haben. Die verantwortlichen Ermittler heißen Pete Beska und David Richter. Mit ihnen sollten Sie sich schnellstmöglich in Verbindung setzen, um meine Nachricht an Sie und ihren Inhalt zu verifizieren.

Um auf den Punkt zu kommen. Ich werde Sie und Ihr Blatt in den kommenden Wochen mit aktuellem Material in ausreichender Form versorgen. Diese Spezies, um die es mir hierbei geht, ist leider in ausreichender Anzahl vorhanden und meine Aufgabe wird sein, die aktuelle Menge dieser besagten Spezies stark zu dezimieren.

Ich erwarte im Gegenzug, dass Sie dieses Material verwenden und eine erstklassige Berichterstattung erfolgen lassen. Betiteln dürfen Sie mich, wie Sie wollen. Mir geht es nicht um das, was ich tue oder um meine Person, sondern darum, dass diese Spezies, um die es sich hierbei handelt, zukünftig in Angst leben wird. Seien Sie außerdem beruhigt, denn das Ihnen zukünftig zur Verfügung stehende Material wird immer den Beweis erbringen, dass das aus dem Leben getretene Individuum zu der besagten Spezies gehört hat.

Wie Sie wahrscheinlich bereits gesehen haben, befinden sich im Anhang dieser E-Mail zwei Dateien. Diese Dateien beinhalten die Obduktionsberichte sowie Adressen und Ausweiskopien meiner ersten beiden Opfer. Als Schmankerl habe ich Ihnen jeweils ein Tatortfoto hinzugefügt. Hierbei handelt es sich um die Fotos der Kriminaltechnik.

Herr Becker, da ich Sie für einen ausgezeichneten und vor allem für einen ambitionierten Journalisten halte, gehe ich davon aus, dass Sie mit der Polizei sprechen, ohne vorab einen Bericht zu verfassen. Vielleicht wird Ihnen die Polizei Inhalte zu diesen Ermittlungen mitteilen, vielleicht aber auch nicht. Richten Sie den Herren Beska und Richter einen herzlichen Gruß aus.

Heaven’s time will end soon!

 

Peter Becker musste die E-Mail mehrmals lesen. Gefühlte Hundertmal versicherte er sich, dass der Verfasser dieser E-Mail auch wirklich ihn, Peter Becker von der Berliner Allgemeinen Zeitung, meinte. Aber es bestand kein Zweifel daran. Was sollte er nun tun? Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, setzte die Wasserflasche an und trank sie bis zum letzten Tropfen aus. Dann öffnete er den Anhang.