Samstag, der 26. Oktober 2019, 09:00 Uhr
Berlin, Kreuzberg
Berliner Allgemeine Tageszeitung – Redaktion
Peter Beckers gewohnter Tagesablauf war hinüber. Freie Wochenenden existierten nicht mehr. Die E-Mail des unbekannten Verfassers hatte seinen geregelten Arbeitsablauf aus dem Gleichgewicht gebracht. Warum hatte der Unbekannte ihn, Peter Becker, ausgewählt? Den Grund hatte er zwar in der E-Mail erklärt und Peter fühlte sich auch irgendwie geehrt, aber war das auch wirklich der hauptsächliche Grund? Während er weiter grübelte, poppte auf seinem Monitor das Zeichen für den Eingang einer E-Mail auf. Gelangweilt schaute er auf den Monitor und erstarrte, als er die Betreffzeile las.
»Sie werden alle fallen«
Peter Becker klickte auf die E-Mail.
Sehr geehrter Herr Becker,
da Sie meine letzte E-Mail nicht beantwortet haben, gehe ich nun davon aus, dass Sie mein Partner für die anstehenden Berichterstattungen sind.
Natürlich bin ich mir darüber bewusst, dass meine erste E-Mail ebenso von einem Irren hätte verfasst sein können. Ich möchte Sie beruhigen, ich bin nicht geisteskrank.
Ich habe Ihnen versprochen, dass ich Sie mit exklusivem Material versorgen werde, sodass Sie erstklassige Berichte für Ihre Zeitung verfassen können.
In den vergangenen Tagen habe ich überlegt, welches Opfer Ihrer Berichterstattung zuträglich sein könnte. Ich habe mich dazu entschieden, Ihnen heute zwei weitere Opfer zu präsentieren. Falls Sie sich jetzt fragen sollten, › wieso denn gleich zwei? ‹ , so muss ich Ihnen mitteilen, dass ich zum Start unserer Zusammenarbeit etwas prahlen wollte. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich in meiner ersten E-Mail an Sie von einer ungeheuerlichen Spezies berichtet habe und dass sie alle fallen werden. Da die zur Verfügung stehende Zeit wirklich knapp bemessen ist, schien mir ein Doppelschlag, also zwei Fliegen mit einer Klappe, zum jetzigen Zeitpunkt für angemessen.
Lassen Sie uns, wie bei meiner ersten E-Mail, folgendermaßen vorgehen: Bitte lesen Sie meine E-Mail erst bis zum Ende. Dann schauen Sie sich den Film und die Bilder an. Wenn Sie sich wieder gefangen haben, der Content mag extrem verstörend auf Sie wirken, rufen Sie die Herren Beska und Richter an. Bitten Sie sie, in die Redaktion zu kommen. Ach, und bevor ich es vergesse zu erwähnen: Beim ersten Mal sind die Herren wirklich schnell zu Ihnen gekommen. Chapeau, Herr Becker. Irritiert hat mich nur, dass sie bereits nach nicht einmal einer Stunde wieder gegangen sind. Gab es nicht mehr zu besprechen? Keine Sorge, Herr Becker, das war nur ein Scherz. Denken Sie bitte stets daran, dass ich über alles, was bei Ihnen passiert, bestens informiert bin. Das gilt im Übrigen auch für alle Aktivitäten der Berliner Kriminalpolizei. Und jetzt lehnen Sie sich zurück und genießen Sie die Show.
Steckbriefe der heutigen Spezies:
Opfer 1:
- Name: Leipold
- Vorname: Jürgen
- Geschlecht: männlich
- Geboren: 17.01.1986
- Geburtsort: Rostock
- Straße: Pritzhagener Weg 89
- Wohnort / PLZ: 12685 Berlin
- Hobbys: Kinder schänden
- Todesart 1: Entfernung der inneren Organe ante mortem
- Todesart 2: Erhängen post mortem
- Fundort: ?
Opfer 2:
- Name: Fiore
- Vorname: Pino
- Geschlecht: männlich
- Geboren: 17.01.1979
- Geburtsort: Bremen
- Straße: Amselhainer Weg 37
- Wohnort / PLZ: 12685 Berlin
- Hobbys: Pädophilie
- Todesart 1: Kastration und Entfer- nung der inneren Organe ante mortem
- Todesart 2: Erhängen post mortem
- Fundort: ?
Herr Becker, ich möchte vermeiden, dass Sie denken, ich wäre in der Art meiner ausgewählten Exekutionen nicht ausreichend innovativ. Anmerken möchte ich, dass Herr Leipold und Herr Fiore in ihrer Freizeit den gleichen Interessen und Hobbys nachgegangen sind. Also dachte ich mir, dass sie diese auch im Tod teilen sollten. Bitte sehen Sie mir das nach, denn ab diesem Punkt muss ich spoilern. Die Herren Leipold und Fiore hatten kurz vor ihrem Tode noch eines gemeinsam. Sie jammerten und flehten, wie jämmerliche Feiglinge eben jammern und flehen, wenn sie verstehen, dass nichts und niemand auf dieser Welt sie noch retten kann. Das Problem ist nur, dass ich auf dem rechten Jammer-Ohr taub und auf dem linken Fleh-Ohr leider gnadenlos bin.
Ach, eines noch. Bitte richten Sie Herrn Beska aus, dass ich in exakt zwei Stunden den Fundort mitteilen werde.
Die E-Mail endete mit diesem Satz. Peter Becker blickte auf die angehängten Video- und Bilddateien. Er klickte auf die erste Datei.
Eine knappe halbe Stunde später betraten Pete und David den Konferenzraum der Redaktion. Peter Becker und Christoph Weigl erwarteten sie bereits.
»Danke, dass Sie erneut so schnell kommen konnten. Ich habe alles vorbereitet.« Peter Becker wirkte aufgeregter als bei ihrem ersten Treffen.
»Lassen Sie uns mit der E-Mail beginnen«, forderte David ihn auf.
Peter Becker schaltete den Screen ein und öffnete die E-Mail. Beim Lesen herrschte Totenstille. Pete reagierte zuerst und wählte die Nummer von Noah.
»Hey, Pete.«
»Hör zu, Noah, ich habe jetzt keine Zeit für Small Talk.« Noahs Nackenhaare stellten sich auf, sein Verstand war auf Knopfdruck einsatzbereit.
»Zwei Namen: Jürgen Leipold und Pino Fiore. Klingelt da was?«
»Nicht sofort. Hast du mehr?« Noah klappte seinen Laptop auf und öffnete die Website des Bundeskriminalamtes. Nach Eingabe der Namen und Daten wurde die Suchmaschine schnell fündig. »Ja, hier poppt so einiges auf. Ich werte es aus und schicke es dir gleich zu.«
»Verdammt! Bitte tue mir den Gefallen und check alles über sie.« Noah bestätigte die Bitte und sie legten auf.
»Herr Becker, bitte starten Sie das Video.«
Das Video begann mit einer Totalen auf zwei Männer, die winselnd und gefesselt auf einer völlig versifften Couch saßen. Um ihre Hälse hingen große Schilder, die wie Plakate wirkten. Sie waren komplett nackt und sie zitterten. Entweder vor Kälte oder vor der Angst, die sie mit jeder Faser ihrer Körper ausstrahlten. Der blonde, skandinavisch aussehende Mann saß auf der linken Seite der Couch. Auf seinem Schild standen die Worte:
Mein Name ist Jürgen Leipold. Ich vergewaltige kleine Jungs und genieße es, wenn sie winselnd nach Hilfe schreien. Außerdem foltere ich sie.
Auf der rechten Seite der Couch saß ein Mann mit Glatze und Brille. Neben dem hageren blonden Mann wirkte der schwammige Körper wuchtig. Wäre auf dem Plakat nicht sein Name gestanden, hätte man ihn auch für einen Deutschstämmigen halten können:
Mein Name ist Pino Fiore. Ich vergewaltige kleine Jungs und genieße es, wenn sie winselnd nach Hilfe schreien. Danach töte und verscharre ich sie.
Die Kamera fokussierte die Augen der Männer. Zuerst wurde Jürgen Leipold ins Visier genommen. Seine Augen zeigten Angst, unglaubliche Angst. Ein leises schmatzendes Geräusch war zu hören. Jürgen Leipolds Pupillen weiteten sich und ein grässlicher Schrei durchbrach die Stille. Die Augen verzerrten sich, gefolgt von weiteren markdurchdringenden Schreien. Etwa fünf Sekunden später, Jürgen Leipold schrie und schrie, schwenkte die Kamera auf Pino Fiores Augen. Sein Blick war auf Jürgen Leipold gerichtet und zeigte den Schrecken, der ihn überkam. Sein Blick lag starr auf Jürgen Leipold, nicht aber auf seinem Kopf. Pino Fiore schaute an Jürgen Leipold hinunter. Die Kamera schwenkte wieder auf Jürgen Leipolds schmerzverzerrtes Gesicht. Seine Augenlider flimmerten und seine mittlerweile blutunterlaufenen Pupillen drehten sich in die Augenhöhlen, bis nur noch das Weiße von ihnen zu sehen war. Die Kamera schwenkte nach unten. Der Bauch von Jürgen Leipold war vom Brustkorb bis zum Schambein sowie auf der kompletten Horizontalen mittig des Bauchnabels aufgeschlitzt worden. Die Kamera fokussierte die Mitte der klaffenden Wunde und legte die Sicht frei auf eine komplett entleerte Bauchhöhle. Die Kamera schwenkte zum Boden. Jetzt konnte man Gedärme und innere Organe auf einem Haufen liegend erkennen. Dann wieder ein kurzer Schwenk nach oben, direkt in das Gesicht von Jürgen Leipold. Es war schmerzverzerrt, jedoch völlig regungslos. Volle Totale auf Pino Fiore. Unbändige Angst zeichnete sein Gesicht, Panik kam in ihm auf. Pino Fiore riss Mund und Augen auf. Er wollte schreien, aber nichts war zu hören. Sein Blick erstarrte. Im Hintergrund hörte man, wie blanker Stahl auf etwas Hartes traf, gefolgt von einem spastischen Zucken von Pino Fiores Kopf. Die Kamera maximierte den Fokus und Pinos gesamtes Gesicht war jetzt zu erkennen. Schaumiger Speichel bedeckte seinen Mund und vermischte sich mit Blut, das in einem dicken Schwall aus der Nase lief. Das Röcheln, das tief aus seiner Kehle drang, wirkte durch den schaumigen Speichel noch schauriger. Die Kamera schwenkte nach unten, vorbei an einem unversehrten Oberkörper und stoppte in einer Frontalen seines Beckens. Penis und Hoden waren nicht mehr existent. Eine klaffende Wunde ließ nur vermuten, dass dort einmal ein männliches Geschlechtsteil vorhanden war. Blut strömte aus der Wunde. Augenblicklich schwenkte die Kamera nach oben. Aus dem linken Winkel der Kamera konnte man eine behandschuhte Faust, die ein Kampfmesser hielt, erkennen. Jetzt ging alles sehr schnell. Ein glatter vertikaler Schnitt vom Brustkorb zum Schambein, gefolgt von einem horizontalen Schnitt quer durch den Bauchnabel und die Bauchhöhle öffnete sich mit einem lauten Schmatzen. Die Faust ließ das Messer fallen und riss brutal Teile der inneren Organe aus der Bauchhöhle. Schreie waren nicht mehr zu hören, nur noch unmenschliches Zischen und Ächzen.
Die Aufnahme wurde gestoppt. Der Screen war fünf Sekunden schwarz. Ein grelles Licht ließ die Anwesenden im Konferenzraum kurz erblinden. Als sich ihre Augen wieder an das Licht gewöhnten, mussten sie schlucken. Ein noch nie da gewesener Schauer überkam sie. Christoph Weigl wendete angewidert seinen Blick vom Screen ab. Peter Becker, der aufgrund seiner Berichte schon so einiges gesehen hatte, war gefasster, aber auch er konnte den Ekel nicht verbergen.
Jürgen Leipolds und Pino Fiores Körper hingen nebeneinander aufgeknüpft an der Decke. Seile waren nicht zu erkennen. Die Schwerkraft vollendete die schaurige Inszenierung und das Blut tropfte in dicken Rinnsalen aus den offenen Wunden gen Boden. Dann wurde die Kamera abgeschaltet.
»Und auch diese beiden hat er mehrfach getötet! Das ist unser Mann!« David ärgerte sich, dass er diesen Satz ausgeplaudert hatte. Die Pressefritzen, so nannte er sie stets, hätten das nicht mitbekommen sollen.
Ein Handy piepste, Peter Becker schaute auf das Display. Nach einigen Sekunden richtete sich sein Blick auf Pete Beska. »Das gibt es doch nicht. Exakt in dem Moment, als das Video endete, hat er mir eine E-Mail mit dem Fundort geschickt.«
Pete und David wussten genau, was hier passierte. »Bitte leiten Sie die E-Mail direkt an mich weiter«, sagte Pete, dann legte er seinen Zeigefinger auf seine Lippen und signalisierte, dass in diesem Raum nicht mehr gesprochen werden dürfe. Sie standen gemeinsam auf und verließen den Konferenzraum. Pete signalisierte Peter Becker, sie zu begleiten. Am Auto angekommen, griff Pete nach seinem Handy und wählte die Nummer seiner Chefin.
»Decker?«
»Hey, Eve, ich schicke dir gleich eine Adresse. Wir benötigen das volle Programm. Kriminaltechnik, Rechtsmedizin und zwei Leichenwagen.«
»Zwei Leichenwagen? Was kannst du mir auf die Schnelle sagen?«
»Doppelmord in unserer Sache!«
»Verstanden. Ich werde auch vor Ort sein.«
»Wir haben die Morde auf Video und haben sie uns bereits angesehen.«
»Er macht also Ernst. Dann bis gleich.«