Kapitel 36

Sonntag, der 27. Oktober 2019, 21:00 Uhr

Berlin, Kreuzberg

Berliner Allgemeine Zeitung – Redaktion

 

Als sie die Redaktion der BAZ betraten, wartete Peter Becker bereits im Konferenzraum. Er war mit allen ihm zur Verfügung stehenden Utensilien eines Journalisten bewaffnet. Auf dem großen Screen waren beide E-Mails des Killers geöffnet. Vor ihm ausgebreitet lagen die Tatortfotos aus der Gartenlaube und sein bereits aufgeschlagenes Notizbuch.

David setzte sich gegenüber von Peter Becker, öffnete seine Tasche und legte die Akten von Jürgen Leipold und Pino Fiore auf den Tisch. »Alles klar, Herr Becker, dann lassen Sie uns mal loslegen!«

Er informierte Peter Becker vorab über die Lebensläufe und die kriminellen Karrieren von Leipold und Fiore. Wie sie sich im Gefängnis in Berlin-Moabit kennenlernten, ihre gemeinsamen Pläne schmiedeten, den Schrebergarten zu pachten, um dort ihrer perversen Gesinnung nachgehen zu können.

Peter Becker hörte David konzentriert zu, bis er ihn plötzlich unterbrach. »Müssten wir ihm nicht dankbar sein? Er verfolgt, stellt und tötet diese perversen Dreckschweine. Er führt sie ihrer gerechten Strafe zu und nun wollen Sie ihn verhaften. Warum konzentrieren Sie sich nicht lieber auf dieses menschenunwürdige pädophile Netzwerk? Sie haben doch alle Möglichkeiten, das hier so aussehen zu lassen, als ob die Ermordungen der pädophilen Täter aus den Reihen des Pädophilen-Rings heraus hätten geschehen können. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie dabei unterstützen will, diesen aufrichtigen Mann zu schnappen.«

Pete wartete einige Sekunden und ließ Peter Becker etwas verschnaufen. Als er bemerkte, wie er wieder zur Ruhe kam, setzte er sich neben ihn. Pete setzte alles daran, einfühlsam zu wirken, und manchmal schaffte er das auch. So auch in diesem Fall. »Herr Becker, ich kann Sie sehr gut verstehen. Was glauben Sie, wie David und ich dazu stehen? Er nimmt uns die Arbeit ab und er entlastet die Justiz. Auch führt er diesen Individuen ihre eventuell gerechte Strafe zu!«

»EVENTUELL GERECHTE STRAFE?« Peter Becker fauchte Pete in einem lauten harschen Ton an.

»Ja, Herr Becker, eine eventuelle gerechte Strafe. Wir leben in einem Rechtsstaat und es gibt Gesetze. Unsere Gewaltenteilung gibt uns vor, wer die Gesetze macht, sie ausführt und Recht spricht. Wir, die Polizei, sind die ausführende Gewalt. Die Exekutive darf nicht richten und sie ist verpflichtet, Personen, die sich nicht an die Gesetze halten, zu verfolgen und zu verhaften. Was dann mit ihnen passiert, entscheiden unsere Gerichte.«

»Bei allem Respekt, Herr Beska, ich bin kein Idiot und auch ich kenne unsere Gesetze. Diese Personen, die unser Killer aber aus dem Weg geräumt hat, verdienen keine gerechte Strafe. Sie haben Kinder, kleine Jungs und kleine Mädchen, missbraucht, vergewaltigt und ermordet. Wofür haben sie Gerechtigkeit verdient? Ich feiere unseren Täter und ich werde nichts unternehmen, um ihn aus der Reserve zu locken. Den Scheiß können Sie allein machen. Außerdem glaube ich, dass er ganz genau weiß, was er hier tut. Der begeht keinen Fehler!«

»Jeder macht irgendwann mal einen Fehler.« David war sichtlich genervt.

»Dieser Mann nicht. So! Unsere Ansichten sind nun ausgesprochen und ich habe Ihnen meinen Standpunkt unwiderruflich dargelegt. Wie beabsichtigen wir weiterzumachen?«

»So weit sind wir gar nicht auseinander«, antwortete Pete. »Auch wir gehen davon aus, dass sich unser Täter weder stellen noch fassen lassen wird. Zumindest nicht einfach so. Vielleicht ergibt sich das aufgrund unserer gemeinsamen Aktivitäten, aber das ist nur vordergründig unser Ziel. Wir müssen uns eine Strategie überlegen, wie wir Angst unter den pädophilen Straftätern verbreiten können, ohne zu sehr ins Detail gehen zu müssen. Fakt ist, dass unser Killer nicht lange mit dem nächsten Mord auf sich warten lassen wird.«

»Hm. Verstehe ich es richtig, dass Sie mit meiner Hilfe und mit der Hilfe unseres Killers Pädophile dazu bewegen wollen, sich zu stellen, aus Angst, selbst Opfer des Killers zu werden?«

»So in der Art. Wo setzen wir nun an?«

»Der Killer, so hat er es mir zumindest geschrieben, hat mich ausgewählt, weil ich meine Berichte und Reportagen seriös und nicht reißerisch schreibe. Genauso sollten wir den morgigen Bericht auch verfassen. Ich möchte auf die gefundenen Opfer in der Gartenlaube eingehen, nicht jedoch auf die Tötungsart von Leipold und Fiore. Auch müssen wir von den Funden der Kinderleichen berichten und dass die Berliner Kriminalpolizei von einer Tat innerhalb der Pädophilen-Szene ausgeht.«

»Der Ansatz ist nicht schlecht, aber mir fehlt der Bezug zu den ersten beiden Opfern.«

»Die würde ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erwähnen, Herr Richter. Die übrige Presse war außerdem auch am Tatort und konnte sehen, dass einiges passiert ist. Den Tatort haben acht Leichenwagen verlassen und die ersten Eilberichte haben das Thema bereits aufgegriffen. Wir verfassen diesen Exklusivbericht so, wie Sie es eben vorformuliert haben. Sie sind der Journalist, daher gehe ich davon aus, dass Ihnen die richtigen Worte einfallen werden. Bevor Sie den Bericht jedoch veröffentlichen, will ihn unsere Chefin lesen und dann freigeben. Und nein, das ist natürlich kein Eingriff in die Pressefreiheit.« Pete grinste Peter Becker an.

»Okay, dann lassen Sie uns die Fakten zusammentragen und auf ans Werk.«