Das ist eine schöne Stadt . Ihm hat die Fahrt, vor allem aber die Landschaft, sehr gut gefallen. Etwas verstörend wirkten lediglich die endlos langen, nicht enden wollenden Landstraßen, umgeben von großen schweren Eichen. An fast jedem zehnten dieser majestätischen Bäume waren Spuren von schweren Unfällen zu erkennen. Die Allee der Toten! Schwarz verkohlte Baumstümpfe ließen nur erahnen, was sich einst bei so manchen Irrfahrten unter starkem Alkoholeinfluss ereignet haben musste. Der Mann konnte sich denken, dass in einem Land des Wodkas jener kein guter Beifahrer war. Die Ereignisse der letzten Wochen beschäftigen ihn, seit er vor acht Stunden in Berlin losgefahren ist. Er lässt die Geschehnisse der vergangenen Tage noch einmal Revue passieren. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Er ist stolz auf sich, stolz auf das, was er getan hat. Seine harte Ausbildung und alle bisherigen Missionen haben ihn an diesen Punkt gebracht. Durch Peter Becker konnte er erfahren, dass es dem Jungen, den er in Brügge gerettet hat, den Umständen entsprechend wieder gut geht.
Er biegt ab in eine Sackgasse und parkt seinen Wagen auf einer der markierten Parkflächen. Er steigt aus, schaut sich um. Das schwache Licht der Straßenlaternen, die sich nur auf einer Seite der Klinik befinden, verleihen dem gegenüberliegenden Anwesen ein unheimliches Antlitz. Verstärkt wird sein Gefühl, da er weiß, was sich hinter den Mauern abspielt. Der Mann schaut auf seine Uhr, es ist kurz vor sieben Uhr in der Früh. Er geht an der Mauer des Anwesens entlang, bis er nach einigen Metern vor einer Kirche steht. Als er den Eingang passiert, hört er, wie jemand von innen die Tür aufschließt. Die große Eingangstür der Kirche öffnet sich. Vor ihm steht ein großer älterer Mann. Er wirkt stattlich, seine grauen, fast weißen Haare verleihen ihm diese besondere Würde, die nur Geistliche ausstrahlen. Wegen des weißen Kollars erkennt der Mann, dass es sich um einen Pfarrer handelt.
Der Pfarrer bemerkt den Mann. Er begrüßt ihn mit einem äußerst freundlichen » DzieĆ dobry mój synu «. Sein Polnisch ist etwas eingerostet, aber der Mann versteht es und spricht es noch immer ausgezeichnet.
»Ihnen auch einen guten Morgen, Vater. Ich habe eine lange Fahrt hinter mir und ich würde diesen neuen Morgen sehr gern mit einem Gebet beginnen. Darf ich ihr Gotteshaus denn jetzt schon betreten?«
»Mein Sohn, das ist nicht mein Gotteshaus, es ist unser aller Gotteshaus. Bitte komm herein, du bist herzlich willkommen und preise den Herrn, denn er erwartet dich in all seiner Gnade.«
Der Mann greift seitlich an seine Jacke. Er spürt den vertrauten Griff seines Kampfmessers. »Danke Vater, das ist sehr freundlich.«