KATASTROPHAL FLIRTEN
Die Leute tanzten und plauderten, redeten über Geschäfte, Politik und Geschichte, nippten an Wein und Champagner und tranken auf das Wohl gefallener Kameraden. Das Haus war vollkommen verändert. Aus dem stillen, sicheren Ort, an den Walküre sich zurückzog, wenn sie einmal abschalten musste, war ein glamouröser Ballsaal der Extraklasse geworden. So sehr ihr die Veränderung auch gefiel, ein Teil von ihr konnte es nicht erwarten, dass die Gäste sich verabschiedeten und wieder Normalität eintrat.
Sie wartete, bis Gordons letzter Zuhörerkreis sich entfernt hatte, und ging dann auf ihn zu, bevor jemand anders ihn mit Beschlag belegen konnte. „Amüsierst du dich?“, fragte sie.
„Und wie!“ Gordon strahlte, als er sie sah. „Die wenigsten meiner Gäste kenne ich aus der Zeit, als ich noch am Leben war. Damals habe ich nur von ihnen gehört. Ich kannte sämtliche Geschichten und Legenden, die man sich über sie erzählt hat. Ein paar dieser Leute haben die Welt gerettet, im wahrsten Sinn des Wortes.“
„Wow.“
Er hob eine Augenbraue. „Sei nicht so sarkastisch.“
Sie lachte. „Bin ich doch gar nicht.“
„Für jemanden wie dich, der die Welt tatsächlich gerettet hat, mag eine solche Großtat vielleicht nicht ganz so viel bedeuten. Aber für mich, einen toten Schriftsteller, der über diese Dinge nur geschrieben hat, ist es immer noch ziemlich beeindruckend.“
„Und beschämend?“
„Na ja, beschämend vielleicht nicht. Ich möchte mal erleben, dass einer von denen einen Bestseller schreibt. Dann hätte er meine Hochachtung.“
„Bringt dich das hier auf Ideen für weitere Bücher?“
„Mein Kopf ist voller Ideen. Wäre ich nicht der Gastgeber dieser Fete, würde ich in diesem Augenblick schon die ersten Worte zu Papier bringen. Seit ich einmal überraschend bei einem Treffen meines Fanclubs aufgetaucht bin, habe ich nicht mehr mit so vielen faszinierenden Menschen gesprochen, das kannst du mir glauben. Meinst du, sie amüsieren sich? Ist genug Wein da?“
„Wein ist jede Menge da und diese kleinen Kanapies sind köstlich.“
„Kanapees, meine Liebe.“
„Sie sind nur ein bisschen klein.“
„Das soll so sein.“
„Wenn sie größer wären, hätte man mehr davon.“
„Ich fürchte, du verstehst nicht ganz den Sinn von Kanapees.“
„Aber doch, alles in allem scheinen sich die Leute zu amüsieren.“
Skulduggery kam zu ihnen herüber. „Ich dachte mir, dass ich dich hier finde. Darf ich davon ausgehen, dass deine detektivischen Instinkte eingesetzt haben und du deinen Onkel gerade nach den Männern mit den Gewehren fragen wolltest …?“
„Selbstverständlich.“ Walküre nickte. „Gordon. Diese Schizos mit den Masken. Wie sind sie hereingekommen?“
„Ah!“ Gordons Miene verfinsterte sich: „Darauf weiß ich keine Antwort. Wie ihr euch denken könnt, gibt es nicht viele Catering-Unternehmen, die sich auf solche Veranstaltungen spezialisiert haben. Doch man hat mir versichert, dass sämtliche Personen, die heute Abend hier arbeiten, diskret sind und Erfahrung haben. Jemand versucht für mich, den Chef zu erreichen, bisher allerdings vergeblich.“
Walküre schaute Skulduggery an und zuckte mit den Schultern. „Bisher konnte ich noch keinerlei Hinweis finden.“
Er seufzte. „Du bist eine ausgezeichnete Detektivin. Bist du bereit für die zweite Runde? Es gibt immer noch jede Menge Leute, die dich kennenlernen wollen.“
„Noch mehr?“, jammerte sie. „Mein Gesicht ist schon müde vom vielen Lächeln.“
„Ich habe nie gesagt, dass du lächeln musst. Ich lächle nie.“
„Du bist ein Skelett. Du lächelst permanent.“
„Innen drin nicht. Innen drin mache ich ein finsteres Gesicht. Ich glaube, ein oder zwei junge Männer würden auch gern mit dir tanzen. Und jetzt, da du nicht mehr mit Fletcher zusammen bist …“
Sie runzelte die Stirn. „Was für junge Männer?“
„Vor ein paar Minuten hast du noch mit beiden gesprochen. Hidalgo Bolt und Geraint Mizzle.“
„Echt? Hidalgo? Den finde ich irgendwie süß. Und du sprichst von ‚jungen Männern‘ – wie alt sind sie?“
„Hidalgo ist … Keine Ahnung. Vielleicht zwischen fünfzig und sechzig.“
Sie trat einen Schritt zurück. „Oh. Krass!“
Skulduggery legte den Kopf schief. „Sehr charmant. Geraint ist jünger, falls dir das etwas nützt. Er ist zwischen zwanzig und dreißig.“
„Ist das der Schlaksige mit dem Krauskopf? Besonders selbstbewusst ist er nicht rübergekommen, oder? Und motorisch scheint er auch nicht ganz auf der Höhe zu sein. Wie ist er an eine Einladung gekommen?“
„Gar nicht. Seine Mutter hat ihn mitgebracht. Sie will, dass ich ihr helfe, euch zu verkuppeln.“
Walküre funkelte ihn an. „Wage es nicht!“
„Ich bin zufällig der Meinung, dass du dich mit Geraint ganz gut verstehen würdest. Er redet sicher nicht viel, was dir bestimmt ungemein entgegenkäme. Bei ihm könntest du drauflosquasseln ohne Angst, unterbrochen zu werden.“
„Ich bestreite ja gar nicht, dass es sich rein theoretisch so anhört, als wäre er der perfekte Mann für mich. Trotzdem wird sich da in hundert Wintern nichts abspielen. Sag das seiner Mummy.“
„Es wird ihr das Herz brechen.“
„Mir egal.“
„Sie war so voller Hoffnung für euch.“
„Hör auf, darüber Witze zu machen. Ich warne dich.“
„Gordon, was meinst du? Meinst du nicht auch, dass sie wenigstens mit Geraint tanzen sollte?“
„Schaden kann es nicht“, fand Gordon.
„Und ob es schaden kann! Es kann sogar ganz fürchterlich schaden!“, widersprach Walküre. „Seien wir ehrlich: Wenn er mit mir tanzt und ich dieses Kleid trage und so aussehe, wie ich aussehe, wird er sich in mich verlieben.“
Gordon lachte und klatschte in die Hände. „Unbedingt, meine Liebe.“
„Ich will ja nicht anmaßend klingen“, setzte sie nach, „aber es muss zwangsläufig so kommen, richtig?“
Skulduggery nickte. „Ausnahmsweise ganz deiner Meinung.“
„Tatsache aber ist, dass ich nicht noch einen brauche, der mir sagt, wie toll ich bin. Ich weiß selbst, wie toll ich bin. Ich bin ich. Und, ganz ehrlich, ich finde es einigermaßen merkwürdig, dass du das so locker vorschlägst. Der Typ ist schließlich zehn Jahre älter als ich. Solltest du mir nicht von älteren Männern abraten?“
„Das ist wohl wahr“, erwiderte Gordon. „Und du hast absolut recht. Dieser Geraint ist viel zu alt. Bleib weg von diesem Jungen.“
Walküre runzelte die Stirn. „Und schon kommt er mir ein paar Nummern schärfer vor.“
„Typisch Teenager“, meinte Skulduggery. „Haben wollen, was man nicht haben kann.“
„Willst du jetzt damit sagen, dass ich ihn nicht haben kann? He, Geraint Mizzle ist der schärfste Typ, den ich je gesehen habe.“
Skulduggery machte eine ausholende Geste über die Menge hinweg. „Dann geh zu ihm. Tanze und verlieb dich in ihn.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ach, vielleicht später.“
Hansard Kray kam herüber und nickte ihnen zu. Walküre merkte, wie sie sich unwillkürlich etwas gerader hielt. „Entschuldigt bitte die Störung“, begann er.
„Keine Ursache“, erwiderte Gordon lächelnd. „Ein toller Abend, nicht wahr? Gefällt dir die Musik? Das ist doch Musik, auf die man einfach tanzen muss, oder?“
Walküre blickte Gordon finster an, aber er ignorierte sie.
„Gewiss“, stimmte Hansard zu, „und der Abend war wunderschön. Vielen Dank für die Einladung. Ich wollte allerdings fragen, ob jemand meinen Vater gesehen hat?“
Gordon sah noch enttäuschter aus, als Walküre sich fühlte. „Oh. Nein, tut mir leid, ich nicht.“
„Er hat zu viel getrunken“, erklärte Hansard, wobei er ein wenig rot wurde, „und ich habe Angst, dass er durchs Haus geht und jeden beleidigt, den er trifft.“ Er wandte sich an Walküre. „Ich entschuldige mich für das, was er gesagt hat. Und glaub mir, ich hätte es verstanden, wenn du ihm tatsächlich eine gescheuert hättest.“
Sie lächelte. „Das ist gut zu wissen. Wenn du willst, kann ich dir auch suchen helfen.“
„Das würdest du tun?“, fragte er erleichtert. „Vielen Dank. Wenn du in den Räumen dort drüben nachschaust, suche ich hier auf dieser Seite. Einer von uns beiden sollte ihn dann finden.“
Er lächelte ihr noch einmal zu und eilte dann davon. Walküre runzelte die Stirn.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch erlebe“, meinte Skulduggery. „Ein Junge, der dem Charme von Walküre Unruh widerstehen kann.“
„Klappe halten“, knurrte sie und ging davon. Er folgte ihr.
„Übrigens, er ist siebzehn. Und wie mir scheint ein durch und durch netter Junge.“
„Mir egal.“
„Im Grunde weiß ich nicht viel über ihn. Seine Familie bleibt unter sich.“
„Freut mich zu hören.“ Sie gingen von Zimmer zu Zimmer.
„Zu dem Wenigen, was ich von ihm weiß, gehört allerdings, dass er Frauen mag, falls du dich das gefragt hast.“
„Hab ich aber nicht. Warum auch? Ist mir doch völlig egal. Ich kenne den Typ doch gar nicht. Warum bist du plötzlich so versessen darauf, mich mit jemandem zu verkuppeln? Habe ich in solchen Sachen nicht schon genug Mist gebaut?“
„Doch“, räumte Skulduggery ein. „Aber jeder braucht ein Hobby.“
Irgendwo waren laute Stimmen zu hören. Sie gingen darauf zu, schoben sich durch die Gruppe von Neugierigen und sahen Arthur Dagan auf dem Boden liegen. Über ihm ein schmächtiger Mann mit Brille.
„Lass ihn aufstehen, Caste“, verlangte Skulduggery.
Der schmächtige Mann schüttelte den Kopf. „Dann geht er sofort auf den Nächsten los.“
„Ich bring dich um“, lallte Arthur mit dem Gesicht am Boden. „Ich bring euch alle um!“
„Ich übernehme die Verantwortung für ihn“, erklärte Skulduggery. „Lass ihn bitte aufstehen.“
Caste seufzte und trat beiseite. Arthur rappelte sich auf Hände und Knie auf.
„Bevor du aufstehst“, warnte ihn Skulduggery, „musst du Folgendes wissen: Sobald du jemanden angreifst, rufe ich die Ripper. Die schließen dich über Nacht weg und sie sind nicht zimperlich. Wenn du jetzt aufstehst, begleiten wir dich zu deinem Wagen und dein Sohn kann dich nach Hause fahren. Falls du damit einverstanden bist, steh auf. Falls nicht, kannst du dich auch gleich wieder hinlegen.“
Arthur blickte ihn finster an, dann stand er auf. „Na schön. Aber zu meinem Wagen kann ich ohne deine Hilfe gehen.“ Er schwankte gefährlich und Skulduggery ergriff seinen Arm, damit er nicht umkippte. „Lass mich los!“
„Mach keinen Unsinn“, warnte Skulduggery. Walküre ging auf Arthurs anderer Seite zum vorderen Teil des Hauses, stützte ihn jedoch nicht. Danken würde er es ihr wohl ohnehin nicht.
„Der Memorienball.“ Arthur spuckte die Worte förmlich aus. „Nichts weiter als wieder eine Ausrede, um zusammenzukommen und selbstgefällig und überheblich zu tun. Wir würden keine protzige Party feiern, wenn wir gewonnen hätten.“
„Wenn ihr gewonnen hättet, wären wir jetzt alle tot. Du auch“, erinnerte ihn Skulduggery.
„Du weißt doch gar nicht, wovon du redest. Du bist ein Ungläubiger.“
„Ich war den Gesichtslosen näher, als du je hoffen kannst, Arthur. Fast ein Jahr lang war ich in ihrer Gefangenschaft und weißt du, was ich in diesem Jahr gelernt habe? Dass deine Götter genauso kleine Lichter und genauso gehässig und unbedeutend sind wie jeder x-beliebige Mensch.“
„Deine Knochen werden brennen für diese Unverschämtheit“, brüllte Arthur außer sich. Er riss sich los und wäre gefallen, wenn Walküre ihn nicht aufgefangen hätte. Er wich vor ihrer Berührung zurück und höhnte: „Und du, Gott-Killer, was glaubst du wohl, wie es dir im Kampf gegen die Gesichtslosen ergangen wäre ohne das Zepter der Urväter, hm? Glaubst du, es wäre immer noch so leicht, sie umzubringen, jetzt, da deine Waffe zerstört wurde?“
„Nein.“ Sie blickte ihn an. „Bestimmt nicht.“
„Die Dunklen Götter werden sich wieder erheben“, prophezeite Arthur laut und übergab sich. Walküre und Skulduggery sprangen augenblicklich zur Seite.
Arthur schaute an sich hinunter. „Uah.“
„Sie sind widerlich“, stellte Walküre fest.
„Mir geht es nicht gut“, erwiderte Arthur und rülpste.
Skulduggery ergriff seinen Oberarm und führte ihn ins Freie.
Hansard kam hinter ihnen hergelaufen. „Ihr habt ihn gefunden!“
Der Mann vom Parkservice fuhr den Wagen vor und Skulduggery und Hansard bugsierten Arthur hinein. „Dafür werden wir uns rächen“, schwor Arthur auf dem Rücksitz.
„Aber heute nicht mehr“, erwiderte Skulduggery und warf die Tür zu.
Hansard schüttelte den Kopf. „Es war ein Fehler, hierher zu kommen, ich hab’s gewusst. Aber mein Vater meinte, es sei wichtig. Er sagte, wir müssten hingehen. Es sei irgendeine Ehrengeschichte oder so. Obwohl er im Augenblick nicht gerade ehrenwert aussieht.“
Walküre blickte durch das Fenster zu Arthur hinein und verzog das Gesicht. „Ich glaube, er hat sich wieder übergeben.“
„Typisch“, meinte Hansard. „Jedenfalls danke für eure Hilfe.“ Er schüttelte zuerst Skulduggery die Hand, dann Walküre. „Ich hoffe, wir sehen uns einmal wieder.“
Walküre lächelte. „Gern.“
„Bis zum nächsten Mal dann“, verabschiedete er sich. „Und hoffentlich hast du dann nicht wieder Erbrochenes von meinem Vater im Haar.“
Walküre riss die Augen auf. Sie senkte den Kopf, sah eine Haarsträhne, von der etwas heruntertropfte, und kreischte. Skulduggery gab ihr rasch ein Taschentuch. Sie wickelte die Strähne hinein und rubbelte. Dann warf sie das Taschentuch weg und schnippte sich das Haar aus dem Gesicht. Als sie aufschaute, fuhr Hansard bereits davon.
Sie funkelte Skulduggery an. „Du hättest es mir sagen können.“
„Ich hab auf eine günstige Gelegenheit gewartet.“
„Es gibt keine günstige Gelegenheit, um einem Mädchen zu sagen, dass es Erbrochenes im Haar hat.“
Er nickte. „Das habe ich heute Abend gelernt.“
Walküre schaute den sich entfernenden Rücklichtern nach. „Jetzt wird er jedes Mal, wenn er an mich denkt, daran denken“, jammerte sie. „Er wird nicht denken, wie super ich in dem Kleid ausgesehen habe. Er wird nur an mich mit Erbrochenem im Haar denken.“
„Was spielt es für eine Rolle?“, fragte Skulduggery. „Er ist dir doch egal, oder? Du kennst ihn ja nicht mal.“
„Verwende meine Worte nicht gegen mich“, grollte sie. „Ich hasse das.“