Dunkelheit hüllte ihn ein. Ein schmaler Lichtstrahl fiel äußerst effektvoll über seine Augen. So stand der mächtige Zauberer Scaramouch Van Dreg in dem Verlies und betrachtete seinen Gefangenen mit offenkundigem Vergnügen.
Der Kerker war kalt und feucht und die Ketten, die den Skelettdetektiv fesselten, waren dick, massiv und schwer. Sie drückten seine Handgelenke auf den Steinboden und zwangen ihn in die Knie.
Das gefiel Scaramouch. Der berühmte Detektiv, das lebende Skelett, das ihm einen Plan nach dem anderen, ein Vorhaben nach dem anderen vermasselt hatte, war jetzt gezwungen, zu ihm, zu Scaramouch, aufzuschauen. Wie er es schon längst hätte tun sollen. Wie alle das schon längst hätten tun sollen. Wenn nur alles seine Richtigkeit gehabt hätte.
Der Detektiv in seinem feinen dunkelblauen Anzug mit den Brandlöchern und Rissen und Schmutzflecken hatte seit fast einer Stunde keinen Ton von sich gegeben. Er hatte sich auch seit fast einer Stunde nicht bewegt. Etwas mehr als fünfzehn Minuten stand Scaramouch nun schon voller Schadenfreude in seiner dunklen Ecke. Er war sich aber nicht hundertprozentig sicher, ob sein Gefangener überhaupt schon Notiz von ihm genommen hatte.
Geräuschvoll verlagerte er sein Gewicht, doch der Detektiv nahm ihn immer noch nicht zur Kenntnis.
Scaramouch runzelte die Stirn. Dieser ganze Aufwand war doch ausgesprochen sinnlos, wenn niemand seinen Bemühungen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit schenkte.
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, was nicht sehr groß war, und zog seinen beträchtlichen Bauch ein. Er wickelte sich in seinen Umhang, trat aus der Dunkelheit und schaute mit jenem mitleidlosen Blick, den er stundenlang geübt hatte, auf den Schädel des Detektivs.
„Skulduggery Pleasant“, begann er voll Häme, „endlich habe ich dich in der Hand.“
Skulduggery veränderte ein klein wenig seine Haltung und murmelte etwas.
Gütiger Himmel. Schlief er etwa?
Scaramouch räusperte sich und stieß den Detektiv mit dem Fuß an. Mit einem Ruck erwachte dieser, blickte sich kurz um und schaute dann mit seinen leeren Augenhöhlen auf.
„Oh, hallo“, grüßte er, als hätte er gerade einen flüchtigen Bekannten auf der Straße getroffen.
Da Scaramouch nicht so recht wusste, wie er mit dieser unerwarteten Reaktion umgehen sollte, beschloss er, noch einmal die Nummer mit der Häme zu bringen.
„Skulduggery Pleasant“, begann er ein zweites Mal, „endlich habe ich dich in der Hand.“
„Sieht so aus“, bestätigte Pleasant und nickte. „Und das auch noch in einem Verlies. Junge, Junge, was für eine genial postmoderne Idee.“
„Du wirst meine Pläne nie mehr durchkreuzen“, fuhr Scaramouch fort. „Leider wirst du nicht mehr lange genug leben, um deinen Fehler zu bereuen.“
Pleasant legte verdutzt den Kopf schief. „Scaramouch? Scaramouch Van Dreg? Bist du das?“
Scaramouch lächelte gehässig. „Oh ja. Du bist deinem schlimmsten Feind in die Hände gefallen.“
„Was machst du denn hier?“
Scaramouchs Lächeln erlosch. „Was?“
„Was hast du mit allem hier zu tun?“
„Was ich mit …? Wie meinst du das? Das hier ist mein Ding.“
„Du willst mit dem Kristall der Heiligen die Gesichtslosen in unsere Wirklichkeit zurückbringen?“
Scaramouch runzelte die Stirn. „Wie kommst du auf die Gesichtslosen? Ich will die Gesichtslosen nicht zurückholen. Ich verehre sie ja nicht einmal. Nein, hier geht es ganz allein um mich und darum, die absolute Macht zu gewinnen.“
„Dann … du hast dich nicht zufällig mit Rancid Fines oder Christoph Nocturnal verbündet?“
„Mit Rancid Fines hatte ich noch nie etwas zu tun und ich hasse Christoph Nocturnal.“
Pleasant quittierte diese Information mit einem Nicken. „Wenn das so ist, hat es leider ein kleines Missverständnis gegeben.“
Scaramouch war es, als hätte ihn jemand in den Bauch geboxt. Er schnappte nach Luft und ließ die Schultern hängen. „Soll das heißen, du bist gar nicht meinetwegen hier?“
„Tut mir schrecklich leid“, erwiderte Pleasant.
„Aber … aber ihr wart in diesem Hotel. Du und deine Partnerin, das Mädchen. Ihr habt diese ganzen Fragen gestellt.“
„Wir haben Fines und Nocturnal gesucht. Dass du im Land bist, wussten wir gar nicht. Um ehrlich zu sein, und ich will dich jetzt nicht beleidigen oder so, dachte ich, du seist schon vor einiger Zeit gestorben.“
Scaramouch schaute ihn groß an. „Ich hab nur eine kleine Auszeit genommen …“
Pleasant zuckte mit den Schultern. „Wenigstens weiß ich jetzt Bescheid. Was hast du in letzter Zeit so getrieben?“
„Ich bin … ich habe verschiedene Pläne“, antwortete Scaramouch niedergeschlagen.
„Die Sache mit der absoluten Macht, von der du gerade gesprochen hast?“
Scaramouch nickte.
„Und wie läuft es so?“
„Ganz okay, denke ich. Ich meine, du weißt schon, alles läuft nach Plan und ich komme zügig voran …“
„Na, das klingt doch ganz gut. Wir brauchen alle einen Grund, um morgens aufzustehen, nicht wahr? Jeder braucht ein Ziel.“
„Genau.“ Ein unerfreulicher Gedanke schlich sich in Scaramouchs Kopf und verweilte dort. Er versuchte ihn zu ignorieren, doch der Gedanke zuckte hin und her und schwamm herum und schließlich musste er fragen: „Du siehst mich nicht als deinen schlimmsten Feind an, oder?“
Pleasant zögerte. Sein Schädel zeigte wie immer keine Regung, aber sein Zögern sprach Bände. „Ich sehe einen schlimmen Feind in dir“, antwortete er entgegenkommend.
„Wie schlimm?“
„Ich weiß auch nicht … relativ?“
„Relativ schlimm? Mehr nicht? Ich dachte, wir seien Erzfeinde.“
„Oh, Erzfeinde würde ich uns nicht nennen. Nefarian Serpine war mein Erzfeind. Mevolent natürlich auch. Und noch ein paar andere.“
„Aber ich nicht?“
„Nicht wirklich …“
„Warum nicht? Bin ich nicht mächtig genug?“
„Nein, das ist es nicht.“
„Was dann? Was ist an mir so anders als an … sagen wir Serpine?“
„Na ja, Serpine hatte immer einen Plan B. Er war vielseitig. Du weißt doch, die schlimmsten Feinde sind nicht unbedingt die körperlich überlegenen, es sind die cleversten.“
„Dann bin ich dir wohl nicht clever genug? Aber ich bin klug! Ich bin hochintelligent!“
„Okay“, meinte Pleasant nachsichtig.
„Tu nicht so herablassend!“, fauchte Scaramouch. „Du bist schließlich mein Gefangener, richtig? Du bist vollkommen arglos in meine Falle getappt!“
„Es war tatsächlich eine clevere Falle.“
„Und die Ketten, mit denen ich deine Kräfte gebunden habe – glaubst du vielleicht, das ließe sich so mir nichts, dir nichts bewerkstelligen? Glaubst du vielleicht, dazu sei keine Intelligenz nötig?“
„Doch, doch. Ich muss zugeben, dieser Punkt geht ganz klar an dich.“
„Das will ich aber meinen“, höhnte Scaramouch. „Und dabei kennst du meinen Plan noch gar nicht. Du weißt nicht, wie intelligent der ist!“
„Wie ich schon sagte, ich war sehr beschäftigt –“
„Mit Fines und mit Nocturnal. Du hast dich mit der Bedrohung durch die Gesichtslosen beschäftigt – aber nicht mit der eigentlichen Gefahr.“
„Wahrscheinlich hast du recht.“ Pleasant überlegte kurz. „Mit der eigentlichen Gefahr meinst du dich, oder?“
„Natürlich meine ich mich damit! Ich war so clever, dass ich euch alle glauben machen konnte, ich sei tot. Ich war so clever, dass dein Radar mich nicht erfasst hat, dass ich Ereignisse anstoßen konnte, die mir die absolute Macht garantieren und darin gipfeln, dass ich die Weltherrschaft erlange! Das, Detektiv, das nenn ich clever!“
„Hast du Weltherrschaft gesagt?“
„Oh ja, Skelett. Was ist das für ein Gefühl zu wissen, dass ein Gegner, den du lediglich als ,relativ schlimm‘ eingestuft hast, bald diesen Planeten regieren wird, und zwar mit eisernem Willen und … äh, eiserner Faust?“
„Hm …“
„Was?“
„Hast du dir das auch wirklich gut überlegt?“
„Was meinst du?“
„Du redest vom Regieren der Welt, richtig?“
„Richtig.“
„Nicht davon, irgendwelche alten Götter zurückzuholen, die Welt in eine neue Version der Hölle zu verwandeln oder sie nach deinen Vorstellungen neu zu gestalten …“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Du redest also nur davon, sie zu regieren?“
„Ja. Mit eisernem Willen und eiserner Faust.“
„Genau. Trotzdem muss ich noch einmal fragen: Hast du dir das auch gut überlegt?“
Scaramouch rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. Kopfschmerzen kündigten sich an. Bald würde es losgehen, er spürte es schon. „Was soll das? Was ist so falsch daran, die Welt regieren zu wollen?“
„Na ja, denk doch nur mal an die ganze Arbeit.“
Scaramouch tat den Einwand ab. „Dafür habe ich Untergebene.“
„Aber sie brauchen trotzdem Befehle. Du musst ihnen sagen, was sie tun sollen. Du wirst in einer Flut von Berichten, Dokumenten und Briefings versinken. Der Tag wird nicht genügend Stunden haben, um sie alle durchzugehen, geschweige denn irgendwelche Entscheidungen zu treffen.“
„Dann bestimme ich einfach, dass die Tage länger sind“, meinte Scaramouch. „Ich werde ein Dekret erlassen, dass ein Tag aufhört und beginnt, wenn ich das bestimme, nicht die Sonne oder der Mond.“
„Und wie gedenkst du mit Krieg führenden Nationen zu verfahren?“
Scaramouch lachte. „Wenn ich herrsche, gibt es keine Kriege. Alle machen, was ich will.“
„Es gibt Milliarden Menschen auf dieser Welt, alle mit einem eigenen Standpunkt, alle mit ihren eigenen Rechten. Mit dem Befehl ,Streit beilegen‘ wird es nicht getan sein. Und was ist mit Hungersnöten?“
„Was ist damit?“
„Was willst du dann machen?“
„Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was du meinst.“
„Wenn eine Hungersnot über ein Land kommt, was willst du dann machen?“
Scaramouch lächelte hässlich. „Vielleicht gar nichts. Vielleicht lasse ich das Land einfach sterben.“
„In diesem Fall wird sich ein ganzes Land gegen dich erheben, da die Menschen nichts zu verlieren haben.“
„Dann vernichte ich sie.“
„Und musst dich mit den Nachbarländern herumschlagen, die sich um das, was übrig ist, streiten.“
„Dann vernichte ich sie eben auch – nein, ich befehle ihnen … Sie machen, was ich ihnen sage, okay?“
„Und die Medien?“
Scaramouch seufzte. „Was ist mit ihnen?“
„Wie willst du dich den Medien gegenüber verhalten, die deine Politik infrage stellen?“
„Es wird keine Fragen geben. Das wird schließlich keine Demokratie, sondern eine Diktatur.“
„Es gibt immer Regimekritiker.“
„Was habe ich eben gesagt? Ich habe Untergebene. Sie werden sich um die Rebellen kümmern.“
„Du hast eine Geheimpolizei?“
„Selbstverständlich!“
„Du überlässt Untergebenen bestimmte Entscheidungen?“
„Natürlich!“
„Und wenn diese Untergebenen plötzlich Ehrgeiz entwickeln und dich stürzen?“
„Dann bringe ich sie um!“, rief Scaramouch genervt. „Ich habe die absolute Macht, hast du das vergessen?“
„Und wie willst du diese absolute Macht erreichen?“
„Dazu habe ich meinen Plan!“, brüllte Scaramouch und ging mit großen Schritten zur Wand des Verlieses.
„Und was ist mit Zauberern?“
Scaramouch riss sich den Umhang herunter. Er war schwer und zu warm und hinderlich beim Hin-und-her-Gehen. „Was soll mit den verdammten Zauberern sein?“
Pleasants Ketten klirrten leise, als er mit den Schultern zuckte. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie einfach tatenlos zuschauen? Mir ist klar, dass ich bis dahin tot bin. Das ist dann einer weniger, um den du dich kümmern musst. Aber es gibt noch jede Menge andere.“
„Eben nicht.“ Scaramouch trat zurück ins Dunkel, um den dramatischen Effekt zu verstärken. „Wenn ich meinen Plan verwirklicht habe, bin ich der Einzige, der noch in der Lage ist zu zaubern.“
„Dann willst du sie alle umbringen?“
„Das wird nicht nötig sein. Sie werden zu gewöhnlichen Sterblichen, während ihre Kräfte auf mich übergehen.“
„Aha“, sagte Pleasant. „Gut so.“
„Gibst du jetzt zu, dass ich hochintelligent bin?“
Pleasant überlegte einen Augenblick. „Ja“, entschied er dann.
„Ausgezeichnet. Tut mir leid, dass wir das Gespräch hier abbrechen müssen, Detektiv, aber meine Stunde des Ruhms steht kurz bevor und dein Tod wird –“
„Eine Frage noch.“
Scaramouchs Unterkiefer klappte herunter. „Was?“, fragte er düster.
„Oberflächlich betrachtet ist der Plan nicht schlecht. Entziehe anderen ihre Zauberkräfte und setze diese Kräfte ein, um allmächtig und unaufhaltbar zu werden und die Welt in Besitz zu nehmen. Soweit ich es beurteilen kann, stimmt an diesem Plan alles – theoretisch. Aber meine Frage lautet: Wie genau willst du all das erreichen, Scaramouch?“
Scaramouch hob seinen Umhang vom Boden auf und tastete ihn ab, bis er die Geheimtasche in ihrem clever ausgetüftelten Versteck fand. Daraus zog er ein kleines Holzkästchen mit Metallverschluss hervor.
Er hielt Pleasant das Kästchen unter die Nase. „Erkennst du das wieder?“
Pleasant schaute genauer hin, studierte die im Holz eingeritzten Muster. „Oh“, sagte er beeindruckt.
„Genau. Dieses Behältnis wurde von dreiundzwanzig Zauberern mit dreiundzwanzig Zaubersprüchen verzaubert und ist eines der sagenumwobenen verschwundenen Artefakte. Ich habe die letzten fünfzehn Monate damit zugebracht, es aufzuspüren – und heute Abend halte ich es endlich in meinen Händen.“
„Dann stimmt es also, was man darüber sagt?“
„Natürlich stimmt es. Warum sollte es nicht stimmen?“
Pleasant hob mit einem Ruck den Kopf. „Soll das heißen, du hast dich nicht davon überzeugt?“
Scaramouch kam sich plötzlich etwas einfältig vor. „Das … das brauche ich nicht. Jeder weiß doch –“
„Oh, Scaramouch!“ Pleasant klang enttäuscht.
„Ich habe es eben erst bekommen“, verteidigte Scaramouch sich. „Buchstäblich eben, vor genau drei Stunden!“
„Und du hast es nicht geprüft?“
„Ich hatte keine Zeit dazu. Ich musste dich gefangen nehmen!“
Pleasant betrachtete erneut das Kästchen. Nachdenklich legte er den Kopf schief. „Wenn dies das Kästchen ist, das zu den verschwundenen Artefakten gehört – und es sieht so aus, als könnte es tatsächlich echt sein –, enthält es ein Insekt, das einem Zauberer mit einem Biss alle seine Zauberkräfte nehmen kann.“
„Genau.“
„Vorausgesetzt das Insekt ist noch drin.“
Scaramouch beäugte das Kästchen. „Es hat keine Löcher.“
„Es war dreihundert Jahre lang verschwunden.“
„Aber es heißt doch, dass das Insekt ewig lebt, richtig? Es braucht kein Futter oder so?“
„Na ja, so geht die Legende. Hörst du es? Man sollte es eigentlich da drin herumsummen hören.“
Scaramouch schüttelte das Kästchen und hielt es ans Ohr. „Nichts.“
„Na ja, das Holz ist ziemlich dick. Man würde es wahrscheinlich doch nicht hören.“
Scaramouch schüttelte es noch einmal und wartete auf ein Summen. Nur einen einzigen Summer. Irgendwas!
„Hast du viel dafür bezahlt?“, erkundigte sich Pleasant.
„Der Typ, der es gefunden hat, musste diverse Expeditionen und so organisieren. Billig war es nicht.“
„Wie viel hat er verlangt?“
„Ich … also, ich hab ihm alles gegeben, was ich hatte.“
Der Detektiv erwiderte nichts darauf.
„Aber ich werde schließlich der Weltbeherrscher!“, verteidigte sich Scaramouch. „Welche Rolle spielt es da noch für mich?“
„Er hat eine Unmenge Geld allein damit verdient, dir ein Kästchen zu geben, ohne zu beweisen, dass es wirklich das enthält, was du dir erhoffst.“
„Wie finde ich es heraus?“
„Da gibt es nur eine Möglichkeit. Du musst es öffnen.“
„Aber dann fliegt das Insekt davon!“
„Öffne das Kästchen in meiner Nähe“, schlug der Detektiv vor. „Du bringst mich doch ohnehin um. Richtig? Was macht es also, wenn das Insekt herausfliegt und mir vor meinem Tod noch meine Kräfte raubt?“
Scaramouch kniff die Augen zusammen. „Wieso machst du mir ein solches Angebot?“
„Weil ich neugierig bin, Scaramouch. Ich bin Detektiv. Ich löse Fälle. Wenn ich als letzte Tat auf dieser Welt herausfinden kann, ob ein mythologisches Insekt nach Jahrhunderten immer noch in einem der verlorenen Artefakte eingeschlossen sein kann, wäre das in meinen Augen ein schöner Tod.“
Scaramouch schaute ihn an und nickte. „Okay.“
„Leg es auf den Boden, öffne es und geh ein paar Schritte zurück. Wenn es alles aus mir herausgesaugt hat, ist es bestimmt träge. Dann kannst du es wieder einfangen.“
Scaramouch nickte wieder. Nervös leckte er sich die Lippen, bevor er das Kästchen auf den Boden stellte. Er öffnete die Metallschließe, spürte sein Herz in der Brust hämmern und klappte den Deckel auf.
Danach verdrückte er sich rasch in die Dunkelheit.
Der Detektiv schaute in das Kästchen.
„Und?“, fragte Scaramouch aus der Ecke.
„Ich sehe nichts. Es ist ein wenig dunkel hier. Warte …“
„Ja? Was?“
Dann ertönte es, das schönste Geräusch, das Scaramouch je gehört hatte – ein Summen.
„Erstaunlich“, flüsterte Pleasant.
Etwas flog aus dem Kästchen, erhob sich nach Jahrhunderten der Gefangenschaft in die Luft. Es war unsicher und schwach, aber es flog. Es lebte.
„Nur ein kleines Insekt“, sagte Pleasant. „Der Legende nach soll es vom Kadaver eines getöteten Dämonen aufgestiegen sein. Ein aus Bosheit und Schlechtigkeit entstandenes Insekt, der letzte Versuch des Dämons, seine Feinde zu vernichten.“ Das Insekt flog ein Stück höher hinauf und schien in einem Lichtstrahl zu tanzen. „Nur ein kleines Insekt, und doch könnte es diese Welt in die Knie zwingen.“
„Herrlich“, hauchte Scaramouch.
Das Insekt landete auf dem Boden vor dem Kästchen, seinem Gefängnis über all die Jahre. Pleasant blickte auf das Tierchen hinunter, veränderte ein ganz klein wenig seine Position, schob sein Knie über das Insekt und zerquetschte es.
Scaramouch schrie und die Tür flog auf und Walküre Unruh betrat das Verlies.
„Was ist denn hier los?“, fragte sie.
Scaramouch stürzte auf sie zu, sie schloss die Augen und lockerte ihre Hand. Dann öffnete sie die Augen wieder und spreizte die Finger. Die Luft um sie herum kräuselte sich und hob Scaramouch von den Füßen.
Der Zauberer flog rückwärts gegen die Wand, schlug sich den Kopf an und brach stöhnend zusammen. Er hörte den Detektiv und das Mädchen miteinander reden, dann wurden die Kettenschlösser geöffnet.
Ächzend drehte er sich um und schaute zu den beiden auf.
„Es war ein Trick“, begann er. „Du bist doch hergekommen, um mich aufzuhalten, stimmt’s? Du bist doch hergekommen, weil du meinen Plan durchkreuzen wolltest. Aber das war das letzte Mal, hörst du? Egal in welches Gefängnis du mich steckst, ich werde ausbrechen, und wenn wir uns das nächste Mal begegnen, wirst du bezahlen für –“
„Wer ist das?“, fragte Walküre Unruh dazwischen.
Scaramouch wurde blass. „Was? Was meinst du mit ,Wer ist das‘?“
„Er heißt Scaramouch Van Dreg“, erklärte Pleasant.
„Sie weiß, wer ich bin!“, kreischte Scaramouch. „Ich bin dein schlimmster Feind!“
Walküre Unruh hob eine Augenbraue, ignorierte ihn aber. „Hat er irgendetwas mit Fines oder Nocturnal zu tun?“
„Nö.“
„Warum vergeuden wir dann unsere Zeit mit ihm? Los, komm, wir müssen zwei wirkliche Schurken aufhalten.“
Walküre marschierte hinaus. Skulduggery Pleasant schaute auf Scaramouch hinunter und zuckte mit den Schultern.
„Ich kette dich nur kurz an, aber die Sensenträger werden jeden Augenblick kommen und dich verhaften. Ist das so okay für dich?“
Scaramouch begann zu weinen.
„Guter Mann, du darfst dich davon nicht entmutigen lassen. Wir alle brauchen Ziele im Leben und ich rechne fest damit, dass wir uns wieder mal eine Schlacht liefern, okay?“
Scaramouch heulte.
„Wir bräuchten mehr Bösewichte von deiner Sorte, weißt du das? Wir bräuchten mehr Schurken, die die Weltherrschaft übernehmen wollen. Es gibt nicht genügend davon. Die meisten halten es einfach für … du weißt schon … bescheuert.“
Scaramouch spürte, wie sich die Handschellen um seine Handgelenke schlossen, und er musste den Kopf heben, um Skulduggery Pleasant nachschauen zu können, als dieser den Kerker verließ.