»Hör zu, Friedehelm«, sagte der älteste Bruder beim Händewaschen.
Aber genau da stand plötzlich die Gespenstermama in der Badezimmertür und fragte: »Habt ihr’s bald?«
»Gleich«, sagte der älteste Bruder und nahm noch mal die Seife, die er schon weggelegt hatte. Er seifte sich zum zweiten Mal die Hände ein und wartete, dass die Gespenstermama wegging, aber die dachte gar nicht daran. Sie blieb in der Tür stehen und wartete, bis alle fertig waren. Dann scheuchte sie die Bande zum Esstisch, und Friedehelm erfuhr leider nicht, was der älteste Bruder ihm hatte sagen wollen.
Der Gespensterpapa saß schon auf seinem Platz und machte ein finsteres Gesicht.
»Wo zum Uhu habt ihr so lange gesteckt?«, fragte er, als alle am Tisch versammelt waren.
Friedehelms Brüder und Schwestern rührten mit gesenkten Köpfen in ihren Tassen. Dabei gab es Kräutertee ohne Zucker, und das Rühren war vollkommen überflüssig. Friedehelm selbst rührte nicht. Er trank nur einen Schluck, dann gab er Papa fröhlich Antwort:
»Erst bei den Weiden und dann am schwarzen Teich, genau wie du gesagt hast!«
»Bis Viertel vor sechs?«, fragte der Gespensterpapa und zeigte auf die Uhr, die neben dem Esstisch an der Wand hing.
»Nein, nur bis halb«, sagte Friedehelm. »Wir waren ja schon Händewaschen.«
Die Brüder und Schwestern rührten jetzt noch ein bisschen lauter.
»Schön«, sagte der Gespensterpapa. »Und was habt ihr bis halb sechs gemacht?«
»Erst den Weiden ausgerichtet, dass sie ordentlich Rabatz machen sollten, dann mit dem Blubbergeist gequatscht, und nachher sind wir eine Weile auf der alten Mooreiche rumgeklettert«, erzählte Friedehelm gutgelaunt.
Aber er hatte natürlich gemerkt, dass Papa beim Wort Rabatz kurz zusammenzuckte und Mama genau im selben Moment die Stirn runzelte. Papa machte schnell wieder sein finsteres Gesicht, als wäre nichts gewesen, aber Mamas Stirn blieb gerunzelt.
»Na schön, dann habt ihr wenigstens was Vernünftiges gemacht«, sagte der Gespensterpapa. »Trotzdem habt ihr auch in den Ferien um fünf zu Hause zu sein, merkt euch das!«
Er nahm sich ein Stück Brot aus dem Brotkorb und begann, es mit Gruselkäse zu bestreichen. Gruselkäse – so sagten die Gespensterkinder zu dem Schimmelkäse, den Papa so gern aß. Es sah aus, als wäre die Sache mit dem Zu-spät-nach-Hause-Kommen für ihn erledigt.
Aber für Mama war sie es anscheinend nicht.
»Moooment!«, sagte sie mit immer noch gerunzelter Stirn. »Was sollte Friedehelm den Weiden ausrichten?«
Papa biss in sein Gruselkäsebrot und machte Mama Zeichen, dass er mit vollem Mund nicht sprechen konnte.
Friedehelm hatte den Mund nicht voll und konnte sprechen.
»Dass sie ordentlich Rabatz machen sollen«, sagte er. »So mit Armewedeln und schaurig hohlem Geflöte, dass es einem eiskalt den Rücken runterläuft.«
Die Brüder und Schwestern rührten jetzt so laut in ihrem Kräutertee, dass die Gespenstermama es ihnen verbieten musste.
»Schluss mit dem Quatsch!«, schimpfte sie, und es war auf der Stelle Ruhe. Man hörte nur noch den Gespensterpapa kauen. »Und jetzt zu dir«, sagte die Gespenstermama zu ihm. »Stimmt das, was Friedehelm erzählt?«
Der Gespensterpapa hatte immer noch den Mund voll und nickte bloß.
»Du lässt die schaurigen Weiden ihren schaurigen Rabatz verzapfen? Das Geflöte, mit dem sie erst neulich wieder eine ganze Horde Jäger samt ihren Hunden übers Moor gescheucht haben? Und Friedehelm muss es ihnen noch selber ausrichten, damit er auch ja nah genug dran ist an den gruseligen Knorzen? Sag mal, geht’s noch?«
Mama konnte schon mal sauer werden, aber so sauer hatte Friedehelm sie noch nie erlebt. Und seine großen Geschwister offenbar auch nicht, denn jetzt ließen sie vor Schreck alle gleichzeitig die Löffel fallen, die sie eigentlich leise neben ihre Tassen hatten legen wollen.
KLIRR!
Friedehelm erschrak zwar auch, aber nur ein bisschen. Und sein Löffel lag sowieso schon, wo er hingehörte.
Alle schauten auf den Gespensterpapa, denn dass er jetzt was sagen musste, war klar. Er hob auch schon den Zeigefinger wie jemand, der was erklären wollte, aber Friedehelm kam ihm zuvor.
»Och«, sagte er und holte sich ein Brot aus dem Brotkorb, »so schaurig fand ich das Geflöte gar nicht. Alles halb so wild. Außerdem waren ja meine großen Brüder und Schwestern dabei und haben auf mich aufgepasst.«
»Ftimmt«, sagte der Gespensterpapa, der noch einen kleinen Rest Gruselkäsebrot im Mund hatte. »Genau defwegen follten die Grofen ja mitkommen.«
»Was glaubst du, was wir den alten Knorzen erzählt hätten, wenn sie dem Kleinen auf die Pelle gerückt wären!«, meldete sich jetzt auch der älteste Bruder zu Wort.
»Aber hallo!«, riefen die anderen Geschwister im Chor.
Man sah an den Runzeln auf Mamas Stirn, dass sie nicht recht wusste, ob sie das alles glauben sollte.
»Am schwarzen Teich war’s auch nicht schlimm«, sagte Friedehelm. »Der Blubbergeist hat uns in Ruhe gelassen …«
»Das wollten wir ihm auch geraten haben!«, fiel ihm der älteste Bruder ins Wort.
»Aber hallo!«, riefen die anderen Geschwister im Chor.
»… und auf der alten Mooreiche war’s richtig lustig«, fuhr Friedehelm fort.
»Wir haben gespielt, dass wir runterpurzeln und uns erst im letzten Moment abfangen«, erzählte der älteste Bruder.
»Aber nur wir Großen«, sagte die älteste Schwester. »Friedehelm hat unten im weichen Moos auf uns gewartet.«
»Und wir sind genau vor ihm gelandet!«, riefen die anderen Geschwister im Chor.
Tja, was sollte Mama da noch sagen? Wenn alles so harmlos und lustig gewesen war, gab es auch nicht viel zu schimpfen. Oder höchstens, weil es so spät geworden war.
»Na gut«, sagte die Gespenstermama. »Aber wie Papa schon sagte: Auch in den Ferien seid ihr um fünf zu Hause!«
»Ja, Mama!«, riefen da alle Gespensterkinder im Chor.
Dann konnten sie endlich gemütlich zu Abend essen, und alle waren froh.
Aber am frohsten war wahrscheinlich der Gespensterpapa. Das mit den Weiden hatte er sich wirklich nicht gut genug überlegt. Da hätte sich Friedehelm wirklich zu sehr erschrecken können. Wenn er sich morgen eine neue Mutprobe für den Kleinen ausdachte, musste er ein bisschen vorsichtiger sein. Das wollte der Gespensterpapa nämlich: sich eine neue Mutprobe für den Kleinen ausdenken. Friedehelm war auf einem so guten Weg, da durfte man jetzt nicht lockerlassen.
So überlegte es sich der Gespensterpapa im Stillen. Und die Gespenstermama überlegte sich im Stillen, dass sie in Zukunft ein bisschen besser aufpassen würde, was Papa sich für Mutproben für Friedehelm ausdachte.
Friedehelms große Geschwister überlegten sich im Stillen, dass sie ihrem kleinen Bruder unrecht getan hatten, als sie dachten, dass er sie vielleicht verpetzen würde. Das war es nämlich gewesen, worüber der älteste Bruder beim Händewaschen mit ihm hatte reden wollen. »Hör zu Friedehelm, kein Wort über das, was draußen passiert ist, verstanden?«, hätte er gesagt, wenn ihm Mama nicht dazwischengekommen wäre. Jetzt war er froh, dass er’s nicht gesagt hatte.
Und Friedehelm selbst? Friedehelm überlegte sich, dass seine großen Geschwister ganz schön clever waren. Wie sie ihm beigesprungen waren, als er Mama beruhigt hatte – klasse!
Später im Bett überlegte er sich dann noch was. Er überlegte sich, dass er morgen gern mal was anderes machen würde als Mutproben. Schließlich waren Ferien.