Es war wie jeden Morgen: Friedehelm pustete in seine Tasse, bis der Kakao nicht mehr so heiß war, dass man sich daran den Mund verbrannte, dann wollte er vorsichtig einen Löffel voll probieren, und genau da fingen seine großen Brüder und Schwestern an, mit den Löffeln in ihren Tassen zu klappern. Sie wussten genau, wie sehr es Friedehelm davor graute – darum machten sie es ja.
»Uaaah!«, rief Friedehelm mit seiner piepsigen Stimme, dann ließ er den Löffel fallen, und schwupps hatte er wieder einen Kakaofleck auf dem schönen weißen Gespensterhemd.
»Wollt ihr wohl aufhören, dem Kleinen Angst zu machen!«, schimpfte die Gespenstermama.
Aber das kannte Friedehelm schon, und dass es nichts nutzte, wusste er auch. Denn erstens hatten die Großen ja schon aufgehört, und zweitens würden sie morgen ganz genauso weitermachen. Friedehelm schwebte unter den Tisch, um den heruntergefallenen Löffel aufzuheben, aber auch, um ein bisschen zu weinen, ohne dass es die anderen sahen.
Und da passierte etwas Neues. Die Gespenstermama schimpfte nämlich weiter. Mit dem Gespensterpapa:
»Sag du doch auch mal was, Himmelgruselwetter nochmal!«
»Ich?«, brummelte der Gespensterpapa und schaute nicht mal von der Gespensterzeitung auf. »Was denn?«
»Zum Beispiel, dass es unfair ist, den Kleinen jeden Morgen so zu erschrecken, dass er sich vor Angst mit Kakao bekleckert«, schlug die Gespenstermama vor.
»Papperlapapp, Gespenster haben keine Angst, vor nichts und niemandem«, brummelte der Gespensterpapa.
»Friedehelm schon«, sagte die Gespenstermama.
Da legte der Gespensterpapa die Zeitung beiseite und wartete, bis sein Jüngster unter dem Tisch hervor war und wieder auf seinem Stuhl saß.
»Stimmt das?«, fragte der Gespensterpapa.
»Ja, Papa«, piepste Friedehelm.
»Da siehst du’s«, sagte die Gespenstermama.
»Er ist ein Flatterhemd!«, riefen Friedehelms drei großen Brüder.
Das war gemein, aber noch viel gemeiner war, was seine drei großen Schwestern machten. Sie riefen nämlich laut: »Schuhuuu!«
Ach, wenn Friedehelm wenigstens nur den Löffel in der Hand gehabt hätte! Aber den hatte er gerade neben seinen Gespenstermüsliteller gelegt und mit beiden Händen seine Tasse genommen, um einen Schluck zu trinken. Das »Schuhuuu!« kam in genau dem Moment, als er den Mund voll Kakao hatte, und jetzt konnte er vor Schreck nicht mehr schlucken. Nur noch prusten.
Friedehelm prustete den ganzen Mund voll Kakao genau vorne auf Papas weißes Gespensterhemd. Das gab einen noch viel hässlicheren Fleck als bei Friedehelm selbst, und der Gespensterpapa schaute seinen Jüngsten an und schüttelte den Kopf. Aber wenigstens war er nicht sauer.
»Na schön«, sagte er und rubbelte an dem Fleck, was alles nur noch schlimmer machte. »Da werden wir den jungen Mann wohl ein bisschen abhärten müssen.«
»Wir könnten ihn zum Versteckspielen mit in den Finsterwald nehmen, das härtet spitzenmäßig ab«, schlugen die großen Brüder vor.
»Oder wir nehmen ihn mit zur verlassenen Klappermühle, da ist es richtig schön schaurig«, fiel den großen Schwestern ein.
»Wollt ihr wohl still sein!«, schimpfte die Gespenstermama.
Aber der Gespensterpapa schmunzelte, als wäre ihm gerade etwas Witziges eingefallen. Dann sagte er:
»Nein, der Finsterwald und die verlassene Klappermühle sind noch zu gruselig für ihn. Wir fangen mit einer ganz kleinen Mutprobe an …«
»Au ja! Und was für einer?«, fragten die großen Brüder aufgeregt.
»Los, sag schon!«, drängelten die ungeduldigen großen Schwestern.
»Pass auf, Friedehelm«, fuhr der Gespensterpapa immer noch schmunzelnd fort. »Du sagst jetzt deinen großen Geschwistern, dass sie sich sofort auf ihre Zimmer verziehen und aufräumen sollen, sonst gibt’s heute Stubenarrest!«
»Wie?«, riefen die Brüder.
»Was?«, riefen die Schwestern.
Und alle zusammen guckten sie den Gespensterpapa an, dass jedem anderen wahrscheinlich angst und bange geworden wäre. Heute war nämlich der erste Tag der Gespensterherbstferien, und sie wollten wirklich zum Versteckspielen in den Finsterwald und zur verlassenen Klappermühle. Gleich nach dem Frühstück und nicht erst nach dem Aufräumen!
Dem Gespensterpapa wurde natürlich kein bisschen angst und bange. Aber Friedehelm. Und jetzt funkelten die Geschwister ihn auch noch an, als wollten sie sagen: Trau dich, dann kannst du was erleben!
»Na?«, sagte der Gespensterpapa und nickte ihm aufmunternd zu.
»Kann ich nicht lieber auch mein Zimmer aufräumen?«, piepste Friedehelm.
»Nein«, sagte der Gespensterpapa.
»Außerdem ist es aufgeräumt«, sagte die Gespenstermama, und das stimmte. Friedehelms Zimmer war immer aufgeräumt. Weil er es gern ordentlich hatte, darum.
»Na?«, sagte der Gespensterpapa noch einmal, und diesmal war es seine Mama, die Friedehelm aufmunternd zunickte.
Da nahm er all seinen Mut zusammen, schaute in sein Gespenstermüsli und piepste leise:
»Ihr verzieht euch jetzt sofort auf eure Zimmer und räumt auf, sonst gibt’s heute Stubenarrest!«
Erst traute Friedehelm sich gar nicht aufzuschauen, deshalb konnte er auch nicht wissen, ob Mama und Papa vielleicht mit Blicken nachgeholfen hatten. Aber als er sich dann traute, sah er gerade noch die letzte Schwester oben am Ende der Treppe zum ersten Stock, wo die Gespensterkinderzimmer lagen.
Der Gespensterpapa verschwand wieder hinter seiner Gespensterzeitung, und die Gespenstermama gab Friedehelm ein Küsschen auf die Backe.
Er hatte die erste klitzekleine Mutprobe bestanden.