Die klitzekleine Mutprobe mit den großen Brüdern und Schwestern, die er zum Aufräumen auf ihre Zimmer schicken sollte, hatte Friedehelm bestanden. Nur traute er sich jetzt nicht mehr in den ersten Stock. Da hörte man nämlich die Geschwister, wie sie sich stritten, wer die ganzen Spielsachen wegräumen musste, die auf dem Flur herumlagen – und er hatte ihnen das Ganze ja eingebrockt.
»Willst du nicht auch nach oben?«, fragte seine Mama, die gerade aufstand, weil sie zu Ende gefrühstückt hatte.
»Mein Zimmer ist doch aufgeräumt, das hast du selbst gesagt«, piepste Friedehelm erschrocken.
Die Gespenstermama seufzte, weil sie natürlich wusste, was mit ihrem Jüngsten los war. Aber sie sagte nichts, sondern erinnerte nur den Gespensterpapa daran, dass er heute Morgen mit Tischabräumen dran war. Dann ging sie auf den Gespenstermarkt einkaufen.
Der Gespensterpapa legte die Zeitung weg, stapelte die Frühstücksteller aufeinander und trug sie vom Essplatz in die Küche.
»Und du?«, fragte er von der Spüle her. »Willst du deinen Geschwistern den ganzen Tag aus dem Weg gehen?«
Aber Friedehelm hörte ihn nicht. Er hielt sich die Ohren zu, weil Papa die schmutzigen Teller erst mit dem Messer sauberkratzte, bevor er sie in die Spülmaschine räumte. Von dem Geräusch lief es ihm immer eiskalt den Rücken runter.
»Friedehelm?!«, sagte der Gespensterpapa, als er keine Antwort bekam.
Aber Friedehelm hörte immer noch nichts, und weil er dazu noch die Augen zukniff, konnte er auch nicht sehen, dass Papa sich umgedreht hatte und zu ihm herschaute.
»Friedehelm!!!!!«
Nichts. Friedehelm zuckte nicht mal.
Da wurde es dem Gespensterpapa zu dumm, und er ließ einen Gespensterkreuzdonnerkeilbrüller los.
»FRIEDEHELM!!!!!«
Es war nur ein klitzekleiner Gespensterkreuzdonnerkeilbrüller, aber Friedehelm hätte es trotzdem fast vom Stuhl geweht. Zum Glück konnte er sich noch rechtzeitig an der Tischkante festhalten, aber ein bisschen bumste er trotzdem mit dem Hinterkopf gegen die Stuhllehne. Das hatte Papa natürlich nicht gewollt, und es tat ihm auch gleich schrecklich leid. Er ließ das schmutzige Geschirr erst mal schmutziges Geschirr sein, setzte sich auf den Stuhl neben Friedehelm und nahm seinen Kleinsten fest in den Arm.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.
»Ja, Papa«, sagte Friedehelm und rieb sich die Stelle am Hinterkopf, wo anscheinend eine kleine Beule wuchs.
»Tut mir leid, das hab ich nicht gewollt«, sagte der Gespensterpapa. »Soll ich pusten?«
»Nein, bitte nicht!«, piepste Friedehelm. Wenn Papa pustete, hörte sich das immer gleich so unheimlich an. Mama durfte pusten, aber Papa nicht.
»Du hast Angst, wenn ich puste, stimmt’s?«, fragte der Gespensterpapa und sprach dabei so leise, dass Friedehelm ihn gerade noch hören konnte. »Du kannst es mir ruhig sagen, ich erzähl’s niemandem weiter.«
»Ja«, hauchte Friedehelm.
»Und warum hast du dir vorhin die Ohren zugehalten?«, fragte der Gespensterpapa immer noch ganz leise.
»Weil du so auf den Tellern rumkratzt«, hauchte Friedehelm. »Davon läuft’s mir immer eiskalt den Rücken runter.«
»Ehrlich?«
»Ja.«
»Also hat die klitzekleine Mutprobe wohl noch nicht viel genützt, was?«
»Nein.«
»Sollen wir dann gleich noch eine machen?«
Der Gespensterpapa drückte Friedehelm ein bisschen an sich, als er das fragte. Und Friedehelm nickte tapfer.
»Gut«, sagte der Gespensterpapa. »Dann puste ich jetzt ganz, ganz vorsichtig auf deine kleine Beule, und wenn’s nicht mehr weh tut, schwebst du nach oben in dein Zimmer, deinen Norwegerpullover holen.«
»Den Norwegerpullover?«, piepste Friedehelm. »Mir ist aber kein bisschen kalt.«
»Wir machen einen kleinen Spaziergang«, sagte der Gespensterpapa.
»Draußen?«, fragte Friedehelm, obwohl er die Antwort natürlich kannte. Einen Spaziergang konnte man schließlich schlecht drinnen machen. Draußen war es nur so schrecklich neblig, und wenn es neblig war, blieb Friedehelm lieber drinnen.
»Draußen im Nebel«, sagte der Gespensterpapa. »Es soll ja eine Mutprobe sein. Und jetzt aufgepasst: Ich puste, und wenn du die Beule nicht mehr spürst, zischst du ab nach oben!«
Erst das Pusten, dann in den ersten Stock zu den großen Geschwistern und hinterher auch noch ein Spaziergang im Nebel – Friedehelm fand, das waren schon drei Mutproben. Aber was sollte er machen? Papa widersprechen? Das hatte er noch nie gemacht. Das konnte er sich nicht mal vorstellen. Bei Mama vielleicht, aber bei Papa nicht. Friedehelm schluckte, dann gab er sich einen Ruck und sagte:
»Aber du stellst dich unten an die Treppe, ja?«
»Klar doch«, versprach der Gespensterpapa und drückte Friedehelm noch ein bisschen, um ihm Extramut zu machen.
Dann ging es los. Erst pustete Papa ganz, ganz vorsichtig, und es half wirklich und war überhaupt nicht schlimm, dann schwebte Friedehelm die Treppe hoch, und Papa wartete unten.
Bevor Friedehelm oben im Flur verschwand, schaute er noch mal zurück, und der Gespensterpapa zwinkerte ihm zu. Wird schon nicht so schlimm werden, sollte das heißen, aber Friedehelm war trotzdem ganz schön mulmig. Er zitterte, als wehte da oben ein eiskalter Wind, und der Gespensterpapa sah es und musste sich fast zwingen, dass er nicht hinterherschwebte, um auf den Kleinen aufzupassen.
Wenigstens hörte man die großen Brüder und Schwestern nicht mehr. Vielleicht waren sie ja in ihren Zimmern und bemerkten Friedehelm gar nicht …
»Ja, wen haben wir denn da?«
Die Großen waren nicht in ihren Zimmern, jedenfalls nicht alle.
»Kommt raus, Friedehelm ist da und will uns helfen!«
Der das rief, war einer der großen Brüder. Dann gingen oben Türen auf.
Aber das war komischerweise das Letzte, was der Gespensterpapa von den großen Geschwistern hörte. Von da an hörte er immer nur Friedehelm.
»Papa, ich hab ihn gleich!«, hörte er ihn rufen. »Oder nein, Mama hat ihn ins andere Fach gelegt, wo auch meine Strickjacke mit dem Zopfmuster liegt, die könnte ich eigentlich auch anziehen, oder nein, da klemmt immer der blöde Reißverschluss, und Mama muss ihn mir aufmachen, und die ist ja nicht da, oder meinst du, sie ist rechtzeitig zurück, bevor wir losgehen, dann könnte sie ja mitkommen, weißt du, Papa …«
So quasselte Friedehelm in einem fort, und der Gespensterpapa brauchte eine Weile, bis er begriff, was der kleine Schlaumeier da oben machte: Er hielt die großen Geschwister in Schach, weil die jetzt wussten, dass Papa in der Nähe war und es merken würde, wenn sie ihm auf die Pelle rückten und ihn piesackten.
Und wirklich hampelten alle sechs Brüder und Schwestern die ganze Zeit um Friedehelm herum und schnitten ihm grässliche Grimassen. Aber mehr trauten sie sich nicht, und Friedehelm schaute einfach nicht hin. Er nahm den Norwegerpullover, sie folgten ihm zu sechst zur Treppe, und er quasselte immer noch.
»… jetzt Achtung, ich werf dir den Pullover runter, Papa, fang!«
Als Friedehelm hinter dem Norwegerpullover her die Treppe runterschwebte, war sein Papa richtig stolz auf ihn, und das konnte er auch sein. Der Kleine hatte sich tapfer geschlagen.
Mal sehen, wie es draußen im Nebel weiterging …