Knorrige Weiden und unheimliche Käuzchenrufe

»Was war denn mit den Weiden?«, fragte der Gespensterpapa, als Friedehelm sich wieder beruhigt hatte.

»Sie haben gewispert«, sagte Friedehelm.

»Und?«, fragte der Gespensterpapa.

»Das war so schaurig«, sagte Friedehelm.

»Na ja«, sagte der Gespensterpapa. »Weiden müssen nun mal wispern.«

»Und wieso?«, fragte Friedehelm.

»Das ist ihre Aufgabe«, sagte der Gespensterpapa. »Sie wispern, damit niemand ins Moor geht, der dort nichts verloren hat.«

»Du meinst, wie zum Beispiel die Menschen?«, fragte Friedehelm.

»Und … und für Gespensterkinder?«, fragte Friedehelm, der jetzt doch wieder ein bisschen schniefen musste.

»Für Gespensterkinder nicht«, sagte der Gespensterpapa. »Die können ja nicht versinken.« Dann legte er Friedehelm den Arm um die Schultern. »Komm, wir müssen weiter!«, sagte er.

Und Friedehelm nickte, obwohl er gern noch gefragt hätte, warum die Weiden dann auch wisperten, wenn er in die Nähe kam. Oder sogar die Arme nach ihm ausstreckten! Warum machten sie das, wenn sie nur Menschenkinder verscheuchen sollten? Friedehelm beschloss, Mama danach zu fragen. Nicht dass Papa doch noch böse wurde, weil sein Jüngster so ein Flatterhemd war. Jetzt gerade, mit Papas Arm um die Schultern, konnten ihm die doofen Weiden sowieso nichts anhaben.

»Alles wieder gut?«, fragte der Gespensterpapa, während sie miteinander weiterschwebten.

»Ja, Papa«, piepste Friedehelm.

Und genau da tauchten die Weiden aus der Nebelsuppe auf. Alt und knorrig standen sie an ihrem Platz und glotzten dem Gespensterpapa mit seinem Kleinsten entgegen. Nor

Die Weiden bewegten sich nicht und machten keinen Mucks. Man hörte nur das schmale Bächlein plätschern, an dessen Ufer sie aufgereiht standen. Und nicht weit entfernt rief ein Käuzchen: »Huhuuu!«

Käuzchenrufe fand Friedehelm schon immer gruselig. Morgens auf dem Weg zur Schule hörte man sie manchmal, dann passierte immer dasselbe: Friedehelm spürte auf einmal so ein Kribbeln im Hemd und sauste los, als hätte er ein kleines Düsentriebwerk eingebaut, das einfach machte, was es wollte. Seine großen Geschwister konnten sich darüber scheckig lachen.

»Das Flatterhemd fürchtet sich vor Käuzchen!«, riefen seine Brüder ihm hinterher.

»Die sind ja auch so riiieeesengroß!«, riefen seine Schwestern.

»Huhuuu!«, machten sie alle zusammen das Käuzchen nach.

Es war fies und gemein, aber Friedehelm konnte trotzdem nicht anders. Wenn das Käuzchen rief, düste er los und hielt erst auf dem Gespensterschulhof wieder an.

Auch jetzt wäre Friedehelm losgedüst, wenn da nicht

Die Weiden rührten sich immer noch nicht.

»Tag, die Herrschaften!«, grüßte sie der Gespensterpapa. »Ganz euer Wetter, was?«

»Geht so«, knarzte eine von ihnen.

»Muss ja«, knarzten die anderen im Chor.

Sie hatten richtig hässliche Stimmen und klangen ganz anders, als wenn sie wisperten. Gar nicht so schaurig. Eher miesepampelig, fand Friedehelm.

»Was ich mit euch besprechen wollte …«, begann der Gespensterpapa.

»Huhuuu!«, rief das Käuzchen dazwischen, und Friedehelm spürte ganz deutlich das Kribbeln im Hemd. Aber da war ja zum Glück Papas Arm.

»Am schwarzen Teich gehen wieder welche heimlich angeln«, fuhr der Gespensterpapa fort. »Könnt ihr euch um die mal kümmern? Tagsüber, meine ich. Nachts würde ich denen selber Beine machen, aber da schlafen sie ja friedlich in ihren Betten.«

»Die kennen wir«, knarzte eine Weide.

»Jungs aus dem Dorf«, knarzte eine zweite.

»Wir wollten sie vertreiben, aber da lachen die nur«, knarzte eine dritte.

»Wenn wir’s dir sagen«, knarzte wieder die erste Weide, und alle anderen nickten.

»Seit Neuestem singen sie sogar fiese Liedchen über uns«, knarzte die zweite.

»Ist erst ein paar Minuten her«, knarzte die dritte.

»Tralala, ihr Weiden, niemand kann euch leiden, oder so ähnlich«, knarzte eine vierte. »Habt ihr’s nicht gehört?«

Friedehelm hatte schon die Mäusehaut, aber jetzt fing er auch noch an zu schlottern. Er schlotterte so sehr, dass der Gespensterpapa, der den Arm um ihn gelegt hatte, mitschlotterte. Und der Gespensterpapa schlotterte sonst nie! Wahrscheinlich dachte er, es wäre ein Sturm, der ihn und Friedehelm packen und davonwehen wollte. Jedenfalls schaute er sich schlotternd nach allen Seiten um, und dabei ließ er Friedehelm los. Genau als wieder das Käuzchen rief.

»Huhuuu!«

Und da passierte es. Friedehelm wollte es nicht, aber er spürte das Kribbeln im Hemd und düste los und konnte nichts dagegen machen. Auf dem Schulweg wäre er natürlich zur Schule gedüst, aber jetzt düste er einfach mitten in den Nebel. Am leisen Plätschern hätte er hören können, dass er am Bächlein entlangdüste, aber er hörte überhaupt nichts. Dafür war er viel zu aufgeregt. Er düste nur immer tiefer in

Hier war Friedehelm noch nie gewesen. Er wusste nur von den großen Geschwistern, dass der schwarze Teich gefährlich war. Das hatten sie ihm mal auf dem Schulweg erzählt. Ganz tief sollte er sein, und unten auf dem Grund sollte ein Blubbergeist wohnen. Wenn der blubberte, gab es oben einen Strudel, und wenn man dem zu nahe kam, wurde man hineingezogen.

Schwarz und still lag der Teich, und der Nebel war so dicht, das man nicht bis zum anderen Ufer sehen konnte.

Friedehelm schaute in die Richtung, aus der er gekommen war, und überlegte. Es war so still, dass er seinen eigenen Atem hörte. Und Gespensteratem ist der leiseste auf der ganzen Welt! Eine Vogelfeder, die ins Moos fällt, macht dagegen schon richtig Radau. Jetzt gerade fiel eine Vogelfeder ins Moos, da konnte man das hören.

Rums!

»Da haben wir uns aber mal ordentlich verlaufen, was?«, sagte die Stimme.

Erst kriegte Friedehelm natürlich einen Riesenschreck, aber dann merkte er, dass die Stimme überhaupt nicht böse klang. Nein, die klang sogar richtig nett.