Die Stimme, die Friedehelm gehört hatte, war von oben gekommen, genauso wie der Flaus. Aber Friedehelm traute sich nicht hochzuschauen. Die Stimme klang zwar nett, aber vielleicht verstellte sich da jemand und war in Wirklichkeit fies und gemein. Das konnte man schließlich nicht wissen. Friedehelm beschloss, erst mal nur ganz vorsichtig nach oben zu linsen. Da war ein Baumstamm. Und wo der aufhörte, kamen Äste. Und an den Ästen waren Blätter. Eichenblätter!
Jetzt wusste Friedehelm, dass er unter der alten Mooreiche schwebte. Von der hatten ihm die großen Geschwister auch erzählt: dass sie gleich beim schwarzen Teich stand und man sich darunter besser nicht lange aufhielt, weil sie einen dann mit ihren Wurzeln packte.
»Uaaah!«, wollte Friedehelm piepsen, aber er kriegte keinen Ton heraus. Genau da sah er nämlich das Käuzchen. Es saß auf einem Ast der Mooreiche und putzte sein Gefieder.
Rums!, fiel noch ein Flaus ins Moos.
Diesmal versuchte Friedehelm erst gar nicht zu piepsen. Er hätte es ja sowieso nicht gekonnt. Erst der schwarze Teich, dann die alte Mooreiche und jetzt auch noch das Käuzchen – das wäre vielleicht sogar für seine großen Geschwister zu viel gewesen. Aber für Friedehelm in jedem Fall. Und damit er das alles nicht mehr sehen musste, machte er die Augen zu.
Rums!, fiel wieder ein Flaus, aber Friedehelm war es egal. Sollte passieren, was wollte, er kümmerte sich einfach nicht mehr drum!
Hätte Friedehelm die Augen aufgemacht, dann hätte er gesehen, wie das Käuzchen lächelnd den Kopf schüttelte. Aber er kniff die Augen nur immer fester zu.
»Ist nicht dein Tag heute, was, Friedehelm?«, hörte er das Käuzchen sagen.
Friedehelm brauchte einen Moment, bis er begriff, dass das Käuzchen seinen Namen wusste. Wie kam das denn? Sie kannten sich doch gar nicht. Oder jedenfalls nicht richtig. Nur weil man losdüst, wenn man jemanden rufen hört, kennt man ihn ja noch nicht.
»Komisch eigentlich, dass wir uns gar nicht richtig kennen«, sagte das Käuzchen.
Anscheinend konnte es auch noch Gedanken lesen! Aber es klang wirklich nett. Es klang so nett und freundlich und kein bisschen gruselig, dass Friedehelm nicht das allerkleinste Hemdkribbeln spürte. Er bekam noch nicht mal Mäusehaut. Vielleicht verstellte sich das Käuzchen ja doch nicht. Friedehelm blinzelte vorsichtig zu ihm hoch und sah es freundlich lächeln.
»Na endlich!«, seufzte es. »Und pass auf, ich mach gleich mal ›Huhuuu!‹, damit du dich daran gewöhnst und nicht immer gleich abhaust, wenn du’s hörst.«
»Muss das sein?«, fragte Friedehelm.
»Und ob das sein muss!«, sagte das Käuzchen. Dann schloss es auch schon die Augen und rief: »Huhuuu!«
Das Käuzchen rief so leise, dass man es selbst mit empfindlichen Gespensterohren kaum hören konnte, und trotzdem wäre Friedehelm fast wieder losgedüst. Das »Huhuuu!« war leiser als ein Schmetterlingshusten und das Kribbeln im Hemd nicht stärker, als hätte sich ein Schmetterling die Nase hineingeputzt, aber für Friedehelm war es fürchterlich. Er düste nur nicht los, weil ihm das Käuzchen mitten im Rufen auf die Schulter flatterte. Darüber war er so verdattert, dass er auf der Stelle schweben blieb. Losdüsen hätte allerdings auch keinen Zweck gehabt. Das Käuzchen wäre ja mitgedüst.
»So schlimm?«, fragte es, als das »Huhuuu!« verklungen war.
»Ja«, piepste Friedehelm.
»Und warum?«, fragte das Käuzchen.
»Es hört sich so gruselig an«, piepste Friedehelm.
»Dabei ist es nur ganz normale Käuzchensprache«, sagte das Käuzchen.
»Ehrlich?«, piepste Friedehelm.
»Ja«, sagte das Käuzchen. »So rufen wir, wenn wir uns freuen.«
»Und was freut dich morgens, wenn wir in die Gespensterschule gehen?«, wollte Friedehelm wissen. »Das bist doch du, der da manchmal ruft?«
»Da freut mich, dass es eine gute Nacht war und ich genug Mäuse gefangen habe«, sagte das Käuzchen. »Pfeift dein Papa nicht manchmal auch, wenn er morgens vom Geistern nach Hause kommt?«
»Äh … ja. Manchmal weckt er das ganze Haus damit auf«, sagte Friedehelm. »Aber mein Papa fängt keine Mäuse.«
»Nein«, sagte das Käuzchen und klang erst noch ernst. Aber auf einmal gluckste es und schüttelte sich, und während Friedehelm noch überlegte, was das sollte, fing es an zu lachen. Dass Käuzchen überhaupt lachen können, weiß kein Mensch und auch kein Gespenst, weil sie dazu tief in den Wald fliegen und es nur tun, wenn sie unter sich sind. Aber das mit dem Gespensterpapa und den Mäusen war einfach zu komisch, da konnte das Käuzchen nicht anders und trötete los.
»Fängt keine Mäuse! … Hu-hu-hu-hu-hu-hu-hu! … Fängt keine Mäuse! … Hu-hu-hu-hu-hu-hu-hu!«
So ging das in einem fort und war so ansteckend, dass Friedehelm Gespenstertränen lachte und sich dabei so schüttelte, dass sich das Käuzchen kaum noch auf seiner Schulter halten konnte. Aber es fiel nicht runter. Es krallte sich nur jedes Mal, wenn es ins Rutschen kam, ein bisschen fester, und hinterher lachte es noch mehr.
»Fängt keine Mäuse! … Hu-hu-hu-hu-hu-hu-hu! … Fängt keine Mäuse …«, trötete das Käuzchen.
»Hi-hiii-ho-hooo! Hi-hiii-ho-hooo!«, lachte Friedehelm und wunderte sich selbst. Es klang nämlich fast schon wie richtiges Gespensterlachen. Und seine großen Geschwister behaupteten immer, er lache höchstens wie ein Moorhühnchen. Da konnte man mal sehen, dass die keine Ahnung hatten!
Bald taten Friedehelm und dem Käuzchen vor Lachen die Bäuche weh, aber aufhören konnten sie trotzdem nicht. Immer, wenn einer aufhören wollte, steckte ihn der andere wieder an. Schön war das, trotz Bauchweh, das fanden beide.
Da gab es nur jemanden ganz in der Nähe, der war überhaupt nicht lustig drauf. Der mochte Gelächter sowieso nicht leiden. Und so nah gleich gar nicht! Das Käuzchen hätte es wissen können, aber Friedehelm natürlich nicht. Der war hier ja noch nie gewesen.