KAPITEL ACHT
Weniger als eine halbe Stunde später befand sich Null erneut im Weißen Haus und wurde durch einen Korridor zum Oval Office geführt. Er versuchte, die Falten aus seinem Hemd zu glätten, doch das machte unter den Umständen kaum etwas aus.
Man ließ ihn in das innere Heiligtum des Präsidenten, wo es ihn überraschte, Pierson allein anzutreffen. Null hatte hektische Betriebsamkeit, eine Menge Berater und Kabinettsmitglieder, die Anrufe tätigten, Laptop-Netzwerke erstellten und mit einem Dutzend verschiedener Agenturen und ausländischer Machtinhaber kommunizierten, erwartet.
Doch es gab nichts davon. Präsident Pierson stand hinter seinem Schreibtisch auf als Null eintrat und sah aus, als wäre er in den letzten paar Stunden um ein Jahrzehnt gealtert. Seine Krawatte hing lose um seinen Hals und die obersten zwei Knöpfe seines gebügelten, weißen Hemdes waren geöffnet.
„Agent Steele.” Pierson streckte ihm seine rechte Hand hin, rügte sich dann selbst und schüttelte Nulls linke. „Entschuldigung, ich habe das mit der Hand vergessen. Gott, was für ein Durcheinander.”
„Ich habe es gehört.” Null blickte sich im Büro um. „Ich muss zugeben, dass ich mehr Leute erwartet habe.”
„Die vereinigten Stabschefs versammeln sich gerade im Krisenraum.” Pierson seufzte und lehnte sich mit beiden Händen auf den Tisch. „Ich werde dort gleich erwartet. Ich bin zwar froh, dass Sie hier sind, Null, aber ich bedaure, dass dieses Treffen verschoben werden muss.”
„Mr. Präsident”, drängte Null, „ich habe Informationen.” Die Finger seiner linken Hand schwebten über seiner Hosentasche, in der sich der USB-Stick befand. „Bevor Sie zu dem Treffen mit den vereinigten Stabschef gehen, gibt es etwas, das ich Ihnen -”
„Sir.” Die Tür des Oval Offices öffnete sich nur ein paar Zentimeter und Emilia Sanders Gesicht lugte herein. Ihr Blick strich vom Präsidenten zu Null und wieder zurück. „Man erwartet Sie jetzt.”
„Danke, Emilia.” Pierson schnürte sich die Krawatte fest und strich mit den Händen über sein Hemd. „Es tut mir leid Null, doch meine Aufmerksamkeit wird jetzt woanders benötigt.”
„Sir.” Er trat einen Schritt voran und senkte seine Stimme. Er musste ein Risiko eingehen. Er konnte Pierson nicht uninformiert den Krisenraum betreten lassen. „Ich habe sehr starken Grund zur Annahme, dass sie den Menschen, die sie beraten, nicht vertrauen können.”
Der Präsident runzelte die Stirn. „Welchen Grund? Was wissen Sie?”
„Ich habe...” begann Null, doch dann warf er einen Blick über seine Schulter und sah, dass ein Geheimagent in der Tür zum Oval Office stand und darauf wartete, den Präsidenten in den Krisensaals zu eskortieren. „Ich kann das jetzt nicht erklären. Ich brauche nur fünf Minuten. Allein.”
Pierson rieb sich das Kinn. Er sah müde aus. „Kommen Sie mit mir.”
„Sir?”
„Begleiten Sie mich zum Treffen. Anschließend gebe ich Ihnen fünf Minuten.” Pierson ging auf die Tür zu und Null folgte ihm. Mehr konnte er nicht tun. Er konnte den Präsidenten nicht davon abbringen, einem Treffen bezüglich einer nationalen Sicherheitskrise beizuwohnen. Und wenn es bedeutete, dass er später fünf Minuten mit Pierson allein hätte, dann folgte er ihm in die Höhle des Löwen.
*
Der John. F. Kennedy Konferenzsaal, der im Keller des Westflügels lag und den die Meisten als Krisenraum kannten, war das Zentrum für das Management von Geheiminformationen des Weißen Hauses. Es handelte sich um mehr als hundertfünfzig Quadratmeter voll von Kommunikationsausrüstung, die es einigen der mächtigsten Menschen erlaubten, die Sicherheit von einem einzigen Ort aus zu wahren.
Und es schien, als hätte Null sich gerade einen Platz am Tisch verdient.
Präsident Pierson trat gefolgt von zwei Geheimdienstagenten in den Saal, die sich sofort auf beiden Seiten der Doppeltüren aufstellten, durch die sie hereinkamen. Null folgte ihm. Nun traf er auf die hektische Betriebsamkeit, die er bei seinem Ankommen erwartet hatte. Um den langen, rechteckigen Tisch, der sich durch den Raum zog, saßen vierzehn Personen, die alle aufstanden, als der Präsident eintrat.
Null blickte schnell um sich und sah sich die Gesichter an. Er erkannte fast alle von ihnen. Unter anderem waren der Berater für nationale Sicherheit anwesend, der Berater für innere Sicherheit, der Stabschef des Weißen Hauses, der Verteidigungssekretär Quentin Rigby, der Direktor der nationalen Nachrichtendienste John Hillis und die Pressesekretärin Christine Cleary. Er bemerkte sarkastisch, dass, abgesehen von ihm, Pierson und Cleary, alle anderen im Raum Männer über fünfundfünfzig waren.
Er war ein wenig erleichtert, als er sah, dass die CIA nicht anwesend war. Er hatte schon halbwegs erwartet, Direktor Mullen oder möglicherweise sogar Deputy Direktorin Riker dort stehen zu sehen. Doch dies war eine Angelegenheit für Staatschefs und die CIA wurde durch den Direktor der nationalen Nachrichtendienste Hillis vertreten, der jegliche Anweisungen an Mullen weiterleitete.
„Bitte nehmen Sie Platz.” Pierson setzte sich auf einen schwarzen Stuhl am Kopf des Tisches, der sich am nächsten der Türen befand. Er zeigte auf den leeren Stuhl zu seiner Rechten und Null setzte sich.
Mehrere Augenpaare sahen ihn an, doch nur der Verteidigungssekretär sprach. Der zur Ruhe gesetzte vier Sterne General Quentin Rigby hatte einen verspannten Hals und Schultern, in seinem Gesicht standen tiefe Sorgenfalten, die darauf hinwiesen, dass er die schlimmsten Seiten der Menschheit gesehen hatte und obwohl er sehr scharfsichtig war, scheute er sich nicht, seine Meinung von sich zu geben.
„Mr. Präsident.” Rigby blieb stehen, als er sich an Pierson wandte. „Ich glaube, ich muss sie nicht daran erinnern, dass wir gleich etwas sehr vertrauliches diskutieren werden -”
„Bemerkt, General Rigby, danke.” Pierson unterbrach den General, indem er mit der Hand abwinkte. „Agent Steele wohnt dem Treffen als ein Sicherheitsberater bei. Er wurde durch die CIA überprüft und hat seine Fähigkeit, Vertrauliches für sich zu behalten, immer wieder von Neuem unter Beweist gestellt. Um gar nicht zu erwähnen, das er der Einzige im Raum ist, der jüngste Erfahrungen mit der Art von Situation hat, um die es gerade geht.”
„Dennoch”, drängte Rigby, „ist dies höchst unorthodox, Sir.”
„Ich glaube, ich muss Sie nicht daran erinnern, General, dass ich die einzige Person bin, die entscheidet, wer im Raum ist.” Pierson starrte Rigby an, bis dieser den Blick abwendete.
Null grinste fast. Er hatte niemals Pierson dabei gehört, so mit jemandem zu reden. Normalerweise war er diplomatisch und charmant. Einerseits bemerkte Null, dass der Präsident durch die Geschehnisse mitgenommen war. Andererseits war es aber auch schön, zu sehen, wie er richtiges Rückgrat bewies.
Rigby nickte und setzte sich wieder auf seinen Platz. „Ja, Sir.”
„Mr. Holmes.” Präsident Pierson nickte seinem Stabschef zu. Er war ein kleiner Mann mit einer wachsenden Glatze und eulenhafter Brille. „Wenn Sie dann so nett wären.”
„Natürlich, Sir.” Peter Holmes stand auf und räusperte sich. „Um etwa siebzehn Uhr Ortszeit feuerte ein iranisches Kampfschiff zwei Raketen auf den Zerstörer USS Constitution während einer Routinepatrouille im Persischen Golf. Aufgrund einer kürzlichen Änderung der Einsatzregeln, mit der wir glaube ich alle bekannt sind, war die Constitution autorisiert, um -”
„Entschuldigung.” Null hob seinen Arm, als ob er in einem Klassenzimmer säße und unterbrach den Stabschef. „Welche Änderung der Einsatzregeln?”
„Aufgrund des neulichen Angriffs auf amerikanischem Boden”, erklärte Rigby, „unterschrieb der Präsident gerade heute morgen eine Vollzugsanordnung, die vorschreibt, dass jegliche fremde Macht, die in einem bestimmten Umfeld auf amerikanisches Militär schießt, als feindlich angesehen wird und mit extremem Vorurteil behandelt werden muss.”
Null zeigte äußerlich keine Reaktion, doch sein Gehirn arbeitete hart. Welch Zufall, dachte er. „Und wie groß ist dieses bestimmte Umfeld, General?”
„Wir sind nicht hier, um die Details einer Vollzugsanordnung zu erklären”, erwiderte Rigby. „Wir sind hier, um eine sehr dringliche und brisante Situation zu besprechen.”
Rigby ging Fragen aus dem Weg. „Auf welcher Bahn befanden sich die Raketen?” fragte Null.
„Wie bitte?” Holms schob sich die Brille auf der Nase hoch.
„Die Flugbahn”, wiederholte Null. „Steigungs- und Fallwinkel, Art von Rakete, Nähe, etc. Wie stark, war die Bedrohung, die dieses Schiff gegenüber der Constitution darstellte?”
„Die Bedrohung war ausreichend stark, damit ein Kapitän der US Navy ein Urteil fällen musste”, erwiderte Rigby nachdrücklich. „Bezweifeln Sie das Urteil des Kapitäns, Agent Steele?”
Ich bezweifle seine Motivationen, hätte er fast gesagt. Doch er biss sich auf die Lippe. Er konnte es sich nicht leisten, schon wieder ein Ass im Ärmel zu zeigen, so wie er es schon zweimal getan hatte. „Überhaupt nicht. Ich möchte nur vorschlagen, dass es drei Seiten zu dieser Geschichte gibt. Die des Kapitäns, die der Iraner und die Wahrheit. Wie sieht es denn mit Kameras aus?”
„Kameras”, wiederholte Rigby. Er grinste herablassend. „Was wissen Sie eigentlich über Schiffe der Zerstörerklasse, Agent?”
„Ich kann nicht behaupten, dass ich viel Erfahrung damit habe,” grinste Null zurück. „Ich weiß nur, dass die USS Constitution ein Arleigh-Burke-Klassen-Zerstörer ist, der 1988 gebaut wurde und 1991 zuerst in Einsatz ging. Dies war die einzige Zerstörerklasse der USA, die von 2005 bis 2016 verwendet wurde, bis die Zumwalt-Klasse in Auftrag gegeben wurde. Die Constitution hat also ein Aegis integriertes Waffensystem, Anti-U-Boot-Raketen, ein passives, elektronisches Scan-Radarsystem und Tomahawk-Fernlenkgeschosse - mit denen vermutlich das iranische Schiff versenkt und sechsundsiebzig Menschenleben ausgelöscht wurden. Wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um eine der technologisch am fortgeschrittensten Maschinen handelt, die ausreichend Feuerkraft an Bord hat, um jegliche Zahl von Bananenrepubliken zu erobern, nehme ich an, dass Kameras nicht außer Frage stehen.”
Rigby starrte ihn einen langen Augenblick an. „Keine Kameras haben den Angriffswinkel aufgezeichnet”, entgegnete er ihm schließlich. „Doch wenn Sie möchten, können Sie gerne den Bericht des Kapitäns lesen.” Der General schob ihm einen Hefter zu.
Er öffnete ihn. Auf der ersten Seite befand sich ein sehr kurzer Bericht von nur einigen Absätzen, verfasst durch einen Kapitän Warren. Die Details waren spärlich. Warren gab nur an, dass ein Schiff der Iranischen Revolutionsgarde zwei Raketen auf die Constitution gefeuert hatte. Keine der beiden traf, doch der Versuch wurde als ausreichend bedrohlich angesehen, um Warren zu dem Urteil zu führen, das Feuer zu erwidern. Dies tat er jedoch, wie Null richtig angenommen hatte, mit acht Tomahawk Geschossen. Das feindliche Schiff wurde ausgelöscht.
Nicht nur war es ein Overkill, doch es war auch der einzige Teil des Berichtes, den Null wirklich glaubte. Alles andere könnte man leicht fälschen. Der Golf von Persien und Kapitän Warren waren tausende von Kilometern entfernt. Zu weit weg, um ihn auf bedeutungsvolle Weise zu befragen.
„Um nun zurück zur Sache zu kommen”, fuhr Rigby fort. „Die Iraner betrachten dies öffentlich als eine Kriegshandlung. Sie sagen, wir hätten zuerst gefeuert. Es hat keine formelle Kriegserklärung von ihnen gegeben, doch das amerikanische Volk erwartet eine definitive Antwort. Wir können keinen weiteren Angriff dulden -”
„Weiteren Angriff?” unterbrach Null erneut.
Rigby blinzelte in seine Richtung. „Waren Sie nicht im Midtown Tunnel während des Attentats, Agent? Als Hunderte von amerikanischen Leben ausgelöscht wurden?”
Null schüttelte seinen Kopf. „Das war das Werk eine radikalen Terrorgruppe, die aus weniger als zwanzig Mann bestand. Keine ganze Nation oder Region.”
„Sagen Sie das dem amerikanischen Volk”, argumentierte Rigby.
Null antwortete nichts, doch er wusste in diesem Moment, dass seine Annahme korrekt war. Die Verschwörer wollten das kürzlich durchgeführte Attentat benutzen, um die Menschen für den Krieg zu stimmen.
„OK”, unterbrach Pierson und hielt eine Hand hoch. „Lasst uns mal einen Schritt zurückgehen hier. Roland, welche weltweiten Reaktion gibt es?”
Der Staatssekretär, Roland Kemmerer, überflog schnell seine Notizen, während er sprach. „Zuerst die schlechten Nachrichten. Geheime und Satelliteninformationen weisen darauf hin, dass der Iran schon Verbündete sowohl im Irak und Oman, als auch bei einigen syrischen nationalistischen Gruppen sucht. Schließen sie sich zusammen, dann hätten sie die Fähigkeit, die Hormus Meeresenge zu schließen.”
Er hielt einen Moment inne, damit das Kommentar seine Wirkung hätte, bevor Rigby sagte: „Sie wissen, wie schädlich das sein könnte, Mr. Präsident.”
„Nicht nur verhinderte es das strategische Vorteil der Fünften Flotte”, fügte Holmes hinzu, „sondern wir könnten uns ebenfalls einer großen wirtschaftlichen Krise ausgesetzt sehen.”
„Eine Rezession, um es milde auszudrücken. Vielleicht auch schlimmeres.” Kemmerer schüttelte seinen Kopf.
Null biss sich auf die Lippe, um nicht zu reagieren. Mistsäcke. Das war alles so geprobt wie ein Theaterstück. Die hatten Jahre auf diesen Augenblick gewartet. Er hätte niemals gedacht, dass er dabei anwesend wäre, doch hier saß er im Krisensaal, während diese Kriegshetzer versuchten, einen Präsidenten zu überzeugen.
Pierson rieb sich gedankenvoll das Kinn. Sein Gesicht war aschfarben. Nicht nur war er die einzige Person, die dafür verantwortlich war, ob Amerika in den Krieg zöge, doch eine Rezession war sicherlich nicht etwas, das er zuvor in Betracht gezogen hatte. „Gibt’s auch gute Nachrichten?”
Der Staatssekretär seufzte. „Die Vereinten Nationen wollen das Ereignis untersuchen. Die Europäische Union, China, Japan und fast alle anderen Verbündeten geben schon Verkündigungen von Neutralität für jeglichen zukünftigen Konflikt, der ausgelöst werden könnte, bekannt. Abgesehen von einem.”
Null wusste es schon, bevor Kemmerer es aussprechen konnte.
„Russland.” Der Staatssekretär wand sich ein wenig auf seinem Platz. „Es scheint, als ob ihre eigenen Handelsabkommen mit dem Iran sich verschlechtert hätten. Sie sind bereit, uns Hilfe zu leisten, falls wir sie benötigen.”
„Präsident Ivanov hat schon Ressourcen für unser Anliegen zur Verfügung gestellt, falls wir entscheiden, dass es in unserem besten Interesse liegt”, erklärte Holmes.
„Krieg”, murmelte der Präsident. „Lasst es uns besser beim Namen nennen. Falls Krieg in unserem besten Interesse liegt.”
Null blickte hinüber zu Pierson. Der Präsident sah fahl im Gesicht aus und er starrte ausdruckslos auf die glänzende Mahagonifläche des Tisches. Null war zwar sehr erfahren darin, Gesichtsausdrücke und kleine Hinweise zu lesen, doch er konnte nicht sagen, ob Pierson diesen Haufen Mist kaufte, den ihm sein Kabinett da versuchte, anzudrehen. Müsste er raten, dann sagte er, dass Pierson kurz davor stand, nachzugeben.
„General Rigby”, fragte der Präsident, „welches ist Ihre Position?”
Jetzt kommt’s. Der knallharte Ratschlag, dass die USA im Nahen Osten in den Krieg ziehen soll.
„Ich bin der Meinung, dass wir die Fünfte Flotte mobilisieren sollten”, antwortete Rigby, „und ihnen unser volles Potential im Persischen Golf zeigen sollten. Wir können noch weitere Unterstützung aus dem Golf von Oman einberufen. Aber...” Der General hielt inne und schüttelte seinen Kopf. „Ich kann nicht anraten, dass wir einen Krieg deswegen beginnen.”
Null sträubte sich. Er konnte seine Reaktion dieses Mal nicht verstecken. Sein Mund blieb bei der Bemerkung des Generals leicht offenstehen. Rigby spielte etwas vor, war er sich sicher, doch es war dennoch ein Ablenkungsmanöver.
„Ich finde, dass wir unsere Position im Golf halten und den Iranern zu verstehen geben sollten, dass wir Konflikt auf jede mögliche Art meiden wollen”, fuhr er fort. „Sollten sie handeln, so reagieren wir, doch bis dahin halten wir unseren Kurs.”
„Bei allem Respekt, General”, erwiderte Holmes, „doch aufgrund der kürzlich geschehenen Ereignisse bin ich mir nicht sicher, dass diese Perspektive gut beim amerikanischen Volk ankommen wird.”
„Nein”, stimmte Pierson zu, „doch der General hat recht. Wir können es nicht zulassen, dass man dieser Situation unverhältnismäßige Bedeutung zuspricht und ich glaube nicht, dass die Iraner ohne weitere Provokation einen Krieg erklären werden, Mr. Holmes”, wandte er sich an seinen Stabschef. „Lasst uns gleich mit einer Ansprache an die Nation anfangen. Wir erklären, dass der Angriff im Persischen Gold zu keinem Verlust von amerikanischen Leben führte, und dass wir uns nicht zu Feindlichkeiten hinziehen lassen.”
„Ja, Mr. Präsident.”
Nulls Gehirn arbeitete wie verrückt. Er hatte wirklich erwartet, dass dies das Treffen wäre, indem die USA dem Iran den Krieg erklärte und zügig handelte, um die Kontrolle über die Meeresenge von Hormus zu übernehmen...
Oh. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Ziegelstein auf den Kopf. Erklärten sie jetzt den Krieg, dann machte das ihr Vorhaben zu offensichtlich. Er, Agent Null, hatte es herausgefunden. Er wusste zwar, dass er extrem intelligent war - da war schon wieder diese Selbstüberschätzung - doch andere wussten es ebenfalls. Jemand anders könnte dasselbe annehmen wie er. Nein, diese Leute hatten Jahre, um das hier zu planen. Sie waren in keiner Eile.
Er hatte gedacht, hatte angenommen, dass dieses ganze Treffen das Theaterstück war. Doch es war nur eine Probe. Was bedeutete... Da wird es noch etwas anderes geben. Kein Attentat. Kein Gefecht.
Sie wissen schon, dass der Iran die Meeresenge schließen wird.
Dann hätte Pierson keine weitere Wahl mehr, außer zu handeln. Sie hatten das Konzept eingeführt. Jetzt mussten sie nur noch abwarten. Die Eskalation wäre jetzt schnell und skrupellos - sie würde mit der amerikanischen Kontrolle der Meeresenge enden, da der Iran und Oman nicht mehr vertrauenswürdig noch stabil wären.
Pierson stand auf. „OK, vielen Dank, euch allen. Ich möchte über alles auf dem Laufenden gehalten werden. Bis dahin ist das Treffen beendet.” Die Anwesenden standen auf, Pierson blickte auf sein faltiges Hemd hinunter und murmelte: „Ich sollte mich vor der Ansprache vielleicht noch umziehen.”
„Sir.” Null sprach leise unter dem Geräusch von Absätzen auf dem Boden und raschelndem Papier. „Unser Gespräch?” Er hatte immer noch eine Chance, dies aufzuhalten. Der Krieg war noch nicht erklärt worden und der USB-Stick brannte ein Loch in seine Tasche. „Es gibt da etwas, dass ich mit Ihnen teilen muss.”
Pierson blickte ihn für einen Augenblick eindringlich an. Sein Mund öffnete sich zur Antwort, doch eine weitere Stimme unterbrach ihn, bevor er sprechen konnte.
„Agent Steele.” Der Direktor des nationalen Nachrichtendienstes, John Hillis, war Mitte sechzig. Die Haut unter seinem Kinn war zwar schlaff, doch seine Augen waren so scharf und beobachtend wie die eines Raubvogels. „Direktor Mullen informierte mich nicht darüber, dass Sie anwesend wären. Sie denken wohl nicht darüber nach, die Agentur für einen bequemen Sicherheitsjob auszutauschen, oder?” Hillis kicherte ein wenig.
Direktor Mullen weiß nicht, dass ich hier bin. Doch jetzt wird er es erfahren. Nulls Tarnung würde aufgedeckt. Er war sich sicher, dass Hillis dies Mullen berichtete und die CIA bald schon darüber Bescheid wüsste, dass Agent Null ihren Anrufen aus dem Weg ginge, während er sich an den Präsidenten heranmachte.
„Was müssen Sie mit mir teilen, Null?” fragte Pierson.
Er bemerkte ganz deutlich, wie Hillis’ Augenbraue sich ein wenig, fast unmerklich hochzog. „Was immer es sein mag, dass Protokoll schriebe vor, dass Sie es zuerst Ihren Vorgesetzten zeigten, oder nicht?” Hillis lächelte, seine Augen aber nicht. „Es sie entscheiden ließen, ob es weiter hochgereicht wird?”
„Normalerweise schon, ja.” Null starrte in Hillis’ Augen und erwiderte das freudlose Lächeln. „Doch Sie wissen schon, wie diese geheimen Berichte sein können. Manchmal muss es aus erster Hand beschrieben werden, Sir.”
Pierson blickte von einem auf den anderen. Endlich schien er zu verstehen, dass da etwas vor sich ging, dass es ein gegenseitiges Verständnis zwischen ihnen gab, doch er wusste nicht, was es war.
„Sie haben fünf Minuten, Null.” Pierson nickte den zwei Geheimagenten zu, die an der Tür standen. „Oval Office.”
„Sir”, sagte Hillis und tat einen Schritt voran, „vielleicht sollte ich Sie begleiten. Alles was die CIA mit uns teilt, ist besonders interessant für mich.”
Ein Knoten bildete sich in Nulls Magen. Dies war keine Situation, aus der er sich herausschießen oder -kämpfen konnte. Falls er die Bitte des Direktors des nationalen Nachrichtendienstes verneinte, dann wüssten sie, dass etwas nicht stimmte und Null Informationen hatte was die meisten von ihnen wahrscheinlich schon aufgrund seiner Anwesenheit im Krisensaal annahmen. Doch er konnte John Hillis Anwesenheit nicht gebrauchen, wenn er dem Präsidenten den Inhalt des USB-Sticks zeigen wollte.
Allerdings brauchte er das auch gar nicht. Während er da stand und versuchte, sich eine Ausrede einfallen zu lassen, um Hillis aus dem Weg zu räumen, erklang eine weibliche Stimme aus den nun geöffneten Doppeltüren des Krisenraumes.
„Direktor Hillis?” Es war Emilia Sanders, die braunhaarige Hilfskraft. „Man erwartet Sie sofort auf Linie drei.”
Hillis legte die Stirn in Falten. „Das muss noch ein Weilchen warten -”
„Ihre Frau”, drängte Sanders. „Sie sagt, dass es dringend ist.”
Der Direktor des nationalen Nachrichtendienstes knirschte mit den Zähnen. Dann schritt er ohne ein weiteres Wort an den beiden vorbei.
Null bemerkte aufmerksam, wie zufällig - und gleichfalls höchst unwahrscheinlich - es war, dass Hillis genau in dem Moment an das Telefon gerufen wurde, in dem er ihn loswerden musste.
Noch seltsamer erschien es ihm, dass gerade als der Direktor den Krisensaal verließ, Null sich fast sicher war, dass er sah, wie die Frau, Sanders, leicht in seine Richtung nickte.
Ganz sicher seltsam, dachte er. Es war nur etwas weiteres, was er verstehen musste. Es käme an die Reihe, nachdem er verstünde, wer sich als seine verstorbene Frau ausgegeben und seine Dokumente gestohlen hatte, wer ihm die Mitglieder der Division auf den Hals geschickt hatte und wie er eine internationale Krise aufhalten könnte.