KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
Die Stimmung auf Deck der USS
Constitution
war spürbar düster. Das war so seit der Zerstörung der drei Schiffe der iranischen Revolutionsgarde durch das Schlachtschiff
Pennsylvania.
Leutnant Cohen wurde eine weitere vierstündige Verschnaufpause vom Radar angeboten, doch er lehnte sie ab. Er wusste, dass er nicht schlafen könnte und auch nicht über etwas anderes nachdenken, als über die offensichtliche Lüge, die Kapitän Warren von seinen Offizieren verlangt hatte.
Sie haben zuerst geschossen.
Die Vereinigten Staaten lagen am anderen Ende der Welt. Die Nachrichten, die sie aus dem Persischen Golf erreichten, waren jene, die ihnen ihre Navy zusandte. Das war zwar für gewöhnlich die Wahrheit, doch jetzt war es schockierend offensichtlich, dass es einfach alles sein könnte, was der Kapitän und jene über ihm bestimmten.
Neben ihm saß Leutnant Davis genauso still an seinen Kommunikationsgeräten, sein Gesicht verriet, dass er über dasselbe nachdachte. Cohen wollte etwas sagen, darüber reden, doch er wagte es nicht. Obwohl Kapitän Warren seitdem nicht viel Zeit auf der Brücke verbracht hatte, war der erste Offizier niemals weit entfernt. Und selbst die Andeutung, dass der Kapitän weniger als ehrlich war, könnte als verräterisch angesehen werden.
Stattdessen starrte Cohen auf die Radarschirme und beobachtete die Leuchtpünktchen, welche die Blockade der Meeresenge von Hormus durch die Iranische Revolutionsgarde darstellten. Sie hatten ihre Position seit Stunden gehalten, warteten, während zusätzliche Schiffe der Fünften Flotte aus weiter entfernten Ecken des Golfes und Bahrain eintrafen. Selbst die nur teilweise versammelte Flotte war ein gewaltiger Aufzug: Dutzende von Zerstörern, Schlachtschiffen und Flugzeugträgern waren bereit und in gestaffelten Reihen auf dem Meer organisiert. Sie hatten gemeinsam mehr als ausreichend Feuerkraft, um die Blockade durch den Iran zu zerstören - und das war es, was als Nächstes käme, befürchtete Cohen.
Er dachte an seine Freundin zu Hause in Pensacola, seine zukünftige Verlobte, falls er es jemals nach Hause schaffte. Doch alles schien ihn darauf hinzuweisen, dass es zu einem Krieg käme.
„Cohen.” Er setzte sich plötzlich beim Klang seines Namens auf. Leutnant Davis hatte seine dicken Kopfhörer über die Ohren gezogen und den weit entfernten Blick in seinen Augen, als ob er aufmerksam zuhörte. Er blickte sich schnell auf der Brücke um, um sicherzustellen, dass sonst niemand in ihre Richtung sah und winkte ihn dann zu sich.
Cohen rollte mit seinem Stuhl zu ihm. „Was ist denn?”
„Hör dir mal das an”, sagte Davis leise und gab ihm die Kopfhörer, „und sag mir dann, ob es so verrückt ist, wie es sich anhört.”
Cohen zog sich verwirrt den Kopfhörer an und Davis lehnte sich nach vorn, um den Wiedergabeknopf auf der Konsole vor ihm zu drücken. Eine Nachricht begann, sich abzuspielen. Die Stimme eines Mannes erklang. Er sprach schnell aber klar, leise aber dringlich.
„Dies ist eine Nachricht an den Kommunikationschef an Bord der USS
Constitution
”, begann die Nachricht. „Mein Name ist Agent Steele von der CIA. Ich wurde abgeleugnet, als Terrorist abgestempelt und für tot erklärt, weil ich eine Verschwörung aufgedeckt habe, die bis zu den höchsten Rängen der Regierung hinaufreicht. Die Verschwörung besteht darin, einen Krieg zwischen dem Iran und der USA anzustiften, der es uns ermöglicht, die Kontrolle über die Meeresenge von Hormus zu übernehmen. Ich habe keine Zeit, um die Details zu erklären, ich sende Ihnen diese Nachricht, weil Sie schon zu Zeugen der Ereignisse wurden, die sehr deutlich zu einem Krieg führen können. Ich werde versuchen, dies aufzuhalten. Doch wenn es mir misslingt, dann werden Sie bald Befehle erhalten, auf die Meeresenge zuzufahren und die Iranische Revolutionsgarde anzugreifen. Ich flehe Sie an: Missachten Sie die Befehle, rebellieren Sie. Nicht nur die Zukunft des Landes, sondern die der Weltaffären könnte in Ihre Hände fallen. Bitte - tun Sie das Richtige.”
Die Übertragung endete genauso abrupt, wie sie begonnen hatte. Cohen spürte, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief, besonders wegen des Beharrens dieses angeblichen Agenten, dass sie rebellieren sollten. „Meuterei” war kein Begriff, den man auf einem Marineschiff auch nur aussprach, nicht mal als Witz. Die Strafe dafür war das Kriegsgericht und das unumgängliche Ergebnis wäre höchstwahrscheinlich ein Leben in den Mauern eines gottverlassenen Militärgefängnisses wie etwa Leavenworth.
Er verarbeitete immer noch die gespenstische Nachricht, als er sich darüber bewusst wurde, dass Davis ihn erwartend anstarrte. „Na und?” fragte er leise.
„Ich glaube...” seufzte Leutnant Cohen. „Ich glaube, wenn ich das gestern gehört hätte, dann hätte ich es für verrückt gehalten. Aber heute ist alles anders.”
„Das sind auch genau meine Gedanken.” Während Cohen verdutzt war, hatte Davis scheinbar schon nachgedacht. „Schau mal, wir haben über sowas schon von den Jungs in Afghanistan und Irak gehört, stimmt’s? Befehle, auf zivile Bevölkerung zu schießen, Raketen, die auf Dörfer geworfen wurden... Und unter der Androhung von Kriegsgericht spricht fast niemand darüber.
Tun sie es dennoch, dann unterdrückt die Regierung es schnell. Wir haben hier die Möglichkeit, es aufzuhalten, bevor es anfängt, anstatt hinterher zu versuchen, die Leute von den Fakten zu überreden.”
„Davis”, erwiderte Cohen leise, „du sprichst hier von
-
”
„Ich weiß”, gab er schnell zurück. „Doch du warst letzte Nacht dabei. Du hast es gesehen und gehört. Ich kann dabei nicht still zusehen, also musst du eine Entscheidung treffen. Entweder meldest du mich, weil ich darüber sprach oder du fasst dir etwas Mut und hilfst mir.”
Cohen zögerte. Davis, schien es, hatte mehr Rückgrat als er, doch er wollte das nicht zugeben. „Was schlägst du vor?” fragte er.
„Ich kann diese Nachricht verschlüsseln und sie ein paar Leuten zuschicken, denen wir vertrauen”, erklärte ihm Davis.
„Kennedy auf der
Pennsylvania.
Schriner auf der
Intrepid.
Guzman auf der
Lincoln.
Die haben alle gehört, was wir gehört haben und manche haben sogar gesehen, was wir gesehen haben.
Wir verbreiten das hier vorsichtig und...”
„Und dann was?” unterbrach ihn Cohen.
„Meuterei?”
„Entschuldigen Sie bitte, Leutnant Cohen.” Eine tiefe Stimme erschreckte sie beide. „Können sie das wiederholen?” der erste Offizier stand nur ein paar Schritte hinter ihnen.
Beide waren so mit der Aufnahme und ihrer Unterhaltung beschäftigt, dass sie sein Annähern nicht bemerkt hatten. Cohen spürte einen widerlichen Knoten aus Panik, der in seinem Magen platzte. Der erste Offizier Nathan war nach Kapitän Warren der stellvertretende Kommandeur auf der USS
Constitution.
Er war ein Karrieremensch, seit achtzehn Jahren bei der Navy und die meisten davon hatte er auf See verbracht. Er verschränkte seine dicken Arme über seiner breiten Brust und starrte auf die beiden hinab. „Ich kann ganz unmöglich gehört haben, was ich da glaube, gehört zu haben. Also, Leutnants, berichtigen Sie mich bitte.”
Cohen blickte nervös zu Davis. Doch der erwiderte nicht seinen flehenden Blick. Stattdessen legte Davis seine Kopfhörer auf die Konsole und stand auf. Er stellte sich gegenüber dem ersten Offizier so gerade und groß auf, wie er konnte - was immer noch mindestens zehn Zentimeter kleiner war als der erste Offizier, der vor ihm türmte. Dennoch sprach er geradeheraus.
„Sir, ich habe eine verschlüsselte Übertragung von einem Mann erhalten, der sich als CIA Agent ausgibt und uns kurz über eine Verschwörung informiert, welche die Fünfte Flotte als Schachfigur ausnutzt, um einen Krieg mit dem Iran über die Kontrolle der Meeresenge anzufachen. Zusammen mit dem, was wir heute sahen, glaube ich, dass Kapitän Warrens Befehlsherrschaft kompromittiert ist, und dass dies bis zu Admiral Buchanan führen könnte. Ich habe nicht vor, daran teilzunehmen und sogar vor, alles mir mögliche zu tun, um es aufzuhalten.”
Cohens Herz fühlte sich an, als wollte es bei Davis Aufrichtigkeit nicht mehr weiterschlagen. Der erste Offizier starrte auf ihn hinab, seine Augen wurden zu engen Schlitzen. „Und diese Nachricht”, sagte er langsam, „wurde die nur Ihnen zugeschickt?”
„Das glaube ich”, erwiderte Davis. „Sie war an mich gerichtet.”
Nathan nickte nur einmal langsam. „Dann gehen Sie wieder zurück an die Arbeit.”
Davis blinzelte schnell. Cohen bemerkte es nicht, doch sein Mund stand ein wenig offen.
„Sir?” sagte er.
„Ich habe vermutet, dass Warrens Befehlsherrschaft kompromittiert ist”, sagte er ihnen mit leiser Stimme. „Wir alle wissen, was die Meeresenge sowohl für die USA als auch für die Welt bedeutet. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass einflussreiche Menschen zu glauben scheinen, dass sie tun können, was immer sie wünschen, weil sie an der Macht sind. Dies scheint jetzt auch auf unseren Kapitän zuzutreffen. Doch dies ist
meine
Navy und ich werde es nicht zulassen, dass auch nur eine Seele verlorengeht, damit irgendwelche Männer an der Macht auf ihren Plätzen bleiben. Also tun Sie, was Sie tun müssen, Davis - vorsichtig, und leise. Ich kümmere mich um Kapitän Warren.”
„Ja Sir”, hauchte Davis.
„Und Cohen”, bemerkte der erste Offizier. „Blinzeln Sie oder irgendwas. Sie sehen höllisch schuldig aus.” Damit drehte er sich um und schritt von der Brücke.
Cohen atmete tief ein, als ob er während der letzten Minute vergessen hätte, wie man atmete. „Das geschieht wirklich”, sagte er.
„Ja, in der Tat.” Davis setzte sich an seine Konsole. „Also wirst du mir helfen, oder was?”