KAPITEL NEUNUNDDREISSIG
Der Verteidigungssekretär Quentin Rigby joggte im Pentagon den Gang zu seinem Büro entlang. Er fühlte, wie eine Migräne sich wie ein Eispickel in die Vorderseite seines Schädels bohrte.
Alles war vermasselt. Pierson war am Leben. Man hatte ihn am Ufer der Roosevelt Insel mit drei schweren Brüchen und mehreren Blutergüssen gefunden, doch er war sehr lebendig - und in Gesellschaft von Agent Null.
Es gab nur noch einen Ausweg, an den Rigby denken konnte, nur noch einen Weg, um zu berichtigen, was falsch gelaufen war: schnelles und unwiderrufliches Handeln der Fünften Flotte. Die komplette Zerstörung der Kräfte der Iranischen Revolutionsgarde. Die Vereinten Nationen waren egal, ihr Plan konnte jetzt nicht scheitern. Sie waren zu weit gekommen und hatten zu viel ausgegeben.
Rigby eilte in sein Büro und hielt nur inne, um die Tür hinter sich zuzuwerfen und das Schloss zu drehen, bevor er er das rote Telefon auf seinem Schreibtisch abhob. „Hier spricht General Rigby”, sagte er schnell, bevor er um seinen Namen gebeten wurde. „Verbinden Sie mich sofort mit Kapitän Warren auf der USS
Constitution
!”
Er wartete auf die Satellitenverbindung, ging vor seinem Schreibtisch so weit auf und ab, wie es das Telefonkabel zuließ. Sein Handy klingelte in seiner Jackentasche. Er zog es heraus und sah den Namen „Holmes” auf dem Bildschirm.
Er ignorierte es. Der Stabschef müsste warten. Das hier war wichtiger.
*
Leutnant Cohen saß hinter seinen Radargeräten, als Kapitän Warren das rote Telefon auf der Brücke der USS
Constitution
abhob. „Hier spricht Kapitän Warren. Aha. Ja, Sir.” Der Kapitän legte das Telefon nieder und wandte sich schnell an den ersten Offizier Nathan, der stramm in der Nähe stand, mit beiden Händen hinter seinem Rücken gefaltet.
„Nathan, geben Sie den Befehl, Raketen abzufeuern”, ordnete Warren streng an. „Zielen Sie auf jegliche Schiffe der Iranischen Revolutionsgarde, die sich in Schussweite befinden.”
Cohens Kehle fühlte sich eng an. Dies war er, der Moment, an dem sich herausstellte, ob sie einen Krieg auslösten oder sich gegen ihre eigene Befehlshaber auflehnten.
„Nein, Sir.” Nathan starrte Warren an. „Wir feuern nicht unprovoziert auf diese Schiffe.”
Warrens Augen zogen sich gefährlich zusammen.
„Was haben Sie da gerade gesagt?”
Cohen sah, wie Davis sich hinter den Kommunikationsgeräten neben ihm rührte. Er stand auf, genau wie auch Cohen. Der erste Offizier Nathan brachte seine Hände hinter seinem Rücken hervor.
In einer hielt er eine schwarze Pistole.
Nathan zielte nicht mit der Pistole auf den Kapitän, sondern hielt sie auf eine fast lässige Art vor sich. „Kapitän Warren, wir entlassen Sie aus Ihrer Pflicht. Wir bringen Sie jetzt zum Militärgefängnis. Ich überlasse es Ihnen, ob Sie freiwillig mitkommen oder uns zwingen, Gewalt anzuwenden.”
Warren ließ das rote Telefon fallen.
Das Kabel spannte sich und der Hörer fiel gegen die Stahlwand. „Das ist eine Meuterei”, zischte er.
„Ja, Sir. Eine Meuterei, um Leben zu retten.” Nathan nickte Davis zu. „Leutnant, wenn Sie so freundlich wären.”
Davis griff nach seinem Gürtel, in dem er ein paar Handschellen für diese Gelegenheit verstaut hatte.
Warrens Blick flitzte auf die Brückentür zu, den nächsten Ausgang, doch Nathan stellte sich ihm in den Weg. „Bitte Sir. Machen wir dies nicht schwieriger, als es so -”
Kapitän Warren rannte voran und hielt beide Hände nach vorn gestreckt, um den ersten Offizier aus dem Weg zu stoßen. Doch Nathan war größer und breiter gebaut, sodass Warren von ihm abprallte wie ein Gummiball gegen Zement. Davis trat sofort an ihn heran, zwang einen Arm des Kapitäns hinter seinen Rücken und legte ihn in Handschellen, während Warren sich wand und protestierend schrie.
„Dafür kommt ihr alle vor’s Kriegsgericht!” brüllte er. „Ihr verbringt den Rest eurer Leben im Knast!”
„Vielleicht”, sagte der erste Offizier, als er den gefesselten Warren auf die Beine hievte. „Doch zumindest haben wir keine weiteren Toten auf unserem Gewissen.” Er und Davis führten Warren von der Brücke hinunter und auf das Schiffsgefängnis zu.
Cohen stand langsam von seinem Platz auf, er konnte es kaum glauben.
Sie hatten es getan. Doch das rote Telefon baumelte immer noch an seinem Kabel.
Er hob es auf, war schon dabei, aufzulegen, doch änderte schließlich seine Meinung und hielt es an sein Ohr.
„Dies ist Leutnant Cohen”, sprach er in das Telefon. „Mit wem spreche ich?”
Die Stimme war männlich, älter und klang zornig. „Hier spricht General Quentin Rigby”, knurrte der Mann und klang, als ob er seine Zähne aufeinanderbisse. „Der Verteidigungssekretär. Was zum Teufel ist da gerade geschehen?”
„Man fand heraus, dass Kapitän Warren untauglich für das Kommando ist”, sagte Cohen so deutlich, wie er konnte. „Der erste Offizier Nathan und Leutnant Davis bringen ihn gerade in das Schiffsgefängnis.”
„Das ist Hochverrat!” schrie Rigby ins Telefon. „Amiral Buchanan wird -”
„Entschuldigen Sie bitte, General, doch Sie werden feststellen, dass auch der Admiral von seinen Pflichten abgelöst wird”, erklärte ihm Cohen, „falls das nicht schon geschehen ist.”
„Wer befiehlt das?!” brüllte Rigby.
„Die Verfassung der Vereinigten Staaten”, antwortete der Leutnant. „Die kombinierte Sondereinheit 152 zieht sich nach Bahrain zurück, Sir. Der Rest der Fünften Flotte wird hinter uns sein. Wir haben schon mit der Iranischen Revolutionsgarde kommuniziert und sie darauf aufmerksam gemacht, dass wir den Rückzug antreten.”
„Man wird Sie wegen Hochverrats richten!” spuckte Rigby hervor.
„Sir, ich glaube, dass es möglicherweise genau umgekehrt geschehen wird.” Cohen legte den Hörer des roten Telefons auf und fühlte sich extrem zufrieden.
*
„Hallo? Hallo?!” Rigby warf zornig den Hörer auf.
Es war weg. Alles, wofür sie gearbeitet hatten, war weg.
Wie? Wie zum Teufel gelangten sie an die Fünfte Flotte?
Sein Handy klingelte wieder mit Peter Holmes Namen auf dem Bildschirm. Er nahm schnell ab. „Was?” schrie er fast.
„Verschwinde, Quentin.” Holmes’ Stimme klang leise und voller Panik. „Sie kommen. Verschwinde jetzt...” Es wurde laut im Hintergrund und plötzlich riefen ein Dutzend Stimmen gleichzeitig. „Was machen Sie da? Lassen Sie mich los!” schrie Holmes durch das Telefon. „Wegen welcher Vorwürfe? Ich verlange, mit dem Prä -”
Der Anruf wurde beendet. Rigby ließ das Telefon fallen und rieb sich die Schläfen.
Vor seinem Büro hörte er das warnende Geräusch eines Dutzend Paar Stiefel, die näherkamen.
„Das war’s dann wohl”, murmelte er zu sich selbst. Er hatte doch nur das beste für sein Land und sein Volk gewollt. Sich nicht auf instabile, fremde Mächte verlassen zu müssen. Zu blühen und zu gedeihen. Doch alles war ihnen so sehr aus der Hand gerutscht und jetzt hatte er keine Zeit mehr, um darüber nachzudenken, zu welchem Zeitpunkt alles schiefgegangen war.
Eine Faust pochte schwer an seine Bürotür. „General Rigby? US Marshals Service. Öffnen Sie die Tür, Sir.”
Rigby ging um seinen Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf. Er nahm den .38 Revolver heraus und überprüfte den Zylinder, um sicherzustellen, dass er geladen war, obwohl er wusste, dass dem so war.
Die Faust pochte erneut. „Öffnen Sie die Tür, Sir, oder wir müssen sie eintreten.”
„Einen Moment”, rief Rigby flach zurück. Er zog den Hahn. „Möge Gott mir vergeben”, murmelte er, als er den Lauf der Pistole unter sein Kinn hielt.