BRIEFE
Durst.
Schemen.
Dumpfer Schmerz. Ein Stöhnen im Dunkeln.
Wasser. Ich will Wasser. Mein Mund ist voll mit Zunge. Eine geschwollene, riesige Zunge, sie hat alles aufgesogen und klebt nun eingetrocknet fest.
Bewegung im Raum. Schritte, Rascheln. Seufzen. Summen.
Hinter mir piept es. Unentwegt.
Meine Lider flattern. Langsam, ganz langsam öffne ich die Augen. Es ist dunkel und doch nicht dunkel. Graue Dunkelheit, voller Umrisse. Displays und Blinklichter tauchen den Raum in Zwielicht.
Die Bettdecke, warm und glatt. Bewege die Finger. Vorsichtig. Die Hände. Die Arme. Die Zehen. Die Füße. Die Beine.
Da ist Schmerz. Ein dumpfer Schmerz im Bauch. Ein Stöhnen entweicht meinen Lippen. Sie sind trocken, aufgesprungen. Mich kneift es an der Nase. Die Sauerstoffbrille.
Kopfbrummen, aber das Hirn funktioniert. Ich erinnere mich. Ich weiß alles. Der Einsatz. Die Überdosis. Meine Dummheit. Das Medikament verkackt. Damit den Angriff provoziert. Hab den Stich nicht kommen sehen. Warum war ich so verwundbar? Ich habe die Jacke ausgezogen. Fuck, ich habe die Jacke ausgezogen. Zieh im Einsatz niemals die Jacke aus – wenn du nicht selbst im Schockraum landen willst.
Niemand kommt. Ich blicke mich um. Neben dem Geräteturm steht ein Beistelltisch. Darauf ein Umschlag. Nein, zwei. Bedächtig hebe ich meinen linken Arm und greife den vorderen Brief. Es ist ein Kraftakt. Ich sehe drei große Buchstaben. KIM . Das ist für mich. Noch einmal anstrengen. Ich betrachte den Umschlag. Verschnaufe. Weiß nicht, was mich erwartet. Zupfe ein Stück von der Lasche auf, fahre mit dem Finger hinein, öffne den Brief und ziehe ein Blatt hervor. So viel Text. Ich kneife die Augen zusammen und reiße sie wieder auf. Fokussiere.
Ey, Teampartner,
wenn Du das hier liest, hast Du es geschafft, Du krasser Typ. Da rammt Dir einer ein Teppichmesser in den Bauch und trifft Deine Leber, aber Du bist trotzdem nicht totzukriegen. Ich bin stolz auf Dich.
Aber nicht auf mich. Es war ein unverzeihlicher Fehler, Dich arbeiten zu lassen. Ich hätte Dich niemals dazu drängen dürfen, mit mir zu fahren. Ich bin an allem schuld. Es tut mir so sehr leid, Bro.
Vielleicht tröstet es Dich, dass ich dem Wichser
ordentlich eine verpasst hab. Damit er Dich loslässt.
Hab ihm mit der Sauerstoffflasche vorübergehend
die Lichter ausgeknipst.
Augenkuss, Dein Benny
PS : Luzi war jeden verdammten Tag bei Dir. Hast
uns ganz schön warten lassen. Deine Eltern sind auch
in der Stadt.
Ich blinzele. Atme schwer. Schlucke, auch wenn da nichts zu schlucken ist.
Dann greife ich nach dem zweiten Brief. Für Kim – von Luzi , steht darauf. Das Papier ist hellblau. Sie hat mit Tinte geschrieben. Ein Gedicht.
im brunnen
sechs, sieben meter freier fall
und ich war weiter weg
als je zuvor, ein kosmonaut
in seiner kapsel aus feldstein,
betrachtete aus der ferne
das kostbare, runde blau.
ich war das kind
im brunnen, nur die moose
kletterten am geflochtenen
strick ihrer selbst nach oben,
efeu stieg über efeuschultern
ins freie, entkam.
(…)
gerade, als ich die wörter assel und stein
als assel und stein zu begreifen lernte,
drang lärm herab, ein hasten, schreie,
und vor mir begann ein seil.
ich kehrte zurück ins läuten der glocken,
zurück zu brotgeruch und busfahrplänen,
dem schatten unter bäumen,
gesprächen übers wetter, kehrte
zurück zu taufen und tragödien,
den schlagzeilen, von denen
ich eine war. [1]
(Jan Wagner)
Kim, greif das Seil. Ich zieh Dich hoch.
Luzi