Nichts in der Wildnis Zurückgelassenes konnte jemals wiedergeholt werden. Jedes Zusammentreffen war endgültig. Niemand kam von jenseits des Horizonts wieder. Jede Rückkehr, wohin oder zu wem auch immer, war unmöglich. Was außer Sicht geriet, war für immer verloren.
Die anfängliche Enttäuschung schwoll zu Verzweiflung an, die aber wieder verebbte und eine gewisse Erleichterung zurückließ. Håkan hatte noch nie etwas besessen. Pingo, das einzige Pferd, das ihm rechtmäßig gehört hatte, war gestorben, kurz nachdem man es ihm geschenkt hatte. Die Blechkiste mit den medizinischen Instrumenten, der Kompass und der Löwenmantel — das waren seine Habseligkeiten. Was hätte er mit dem Gold auch anstellen sollen? Wie ging man mit Gold eigentlich um? Wie viel gab man, und was konnte man dafür erwarten? Nur wenige Male hatte er Geld in die Händen genommen, vor Ewigkeiten, als er auf der Emigrantenroute ein paar bescheidene Handelsgeschäfte eingegangen war. Allein bei dem Gedanken an die Transaktionen, die sein Plan erfordert hätte, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Es war viel besser, wenn er seine Reise beendete, wie er sie begonnen hatte — mit nichts.
Er zog weiter gen Westen, auf das Meer zu, durch die Steppe, in den Wald, über die Berge, in die Täler, über Felder, wobei er Straßen mied, Reisenden und Hirten auswich, einen Bogen um die Städte machte, die überall aus dem Boden geschossen waren, Fallen stellte, wenn er konnte, aß, was er fand, und sich, klein zusammengekrümmt auf seinem großen Pferd, größtenteils sicher fühlte.
In den folgenden Wochen überkam ihn ein Gefühl der Erschöpfung, als passte sich sein Körper dem alten Mann an, für den er sich ausgab. Er nickte auf dem Pferd ein, und wenn er aufwachte, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war. Manchmal öffnete er die Augen und sah, dass er auf eine Scheune oder ein Haus zusteuerte, sodass er schnell die Zügel herumriss. Häufiger aber blieb das Pferd einfach stehen, und die Bewegungslosigkeit weckte ihn. Einmal schreckte er auf, als das Pferd vor zwei Linien auf Holzplanken stand, ähnlich denen, die er an der Mine gesehen hatte. Doch diese Leisten waren nicht aus Holz, sondern aus Metall, und sie erstreckten sich bis an den Horizont. Er wartete darauf, dass einer der mit Muskelkraft betriebenen Wagen kam. Nichts. Bevor er die Konstruktion überschritt, kam Håkan der Gedanke, dass sie aussah wie eine hilflose, versehrte Brücke.
Er kam an einer gelben Kirche vorbei, der ersten, die er seit vielen Jahren gesehen hatte. Sie war heruntergekommen — vielleicht sogar verfallen —, aber an den Zierarbeiten, Schnitzereien und Statuen sah man, dass sie einst Pracht ausstrahlen sollte. Nicht weit von der Kirche entfernt stieß er am Fuß eines Hügels auf einen seltsamen Obstgarten. Was er aus der Entfernung für Bäumchen gehalten hatte, stellte sich als kleine, streng wirkende Sträucher heraus, deren Stämme krumm um Stöcke gebogen und mit Schnur festgebunden waren. Im Schatten ihrer Blätter trug jeder dieser verkrüppelten Büsche Bündel einer fleischigen Beerenart, die Håkan noch nie gesehen hatte. Hunderte dieser Sträucher waren in regelmäßigen, recht kurzen Abständen zueinander in geraden Reihen gepflanzt, die ebenfalls im exakt gleichen Abstand voneinander verliefen. Die Methode hatte etwas Strafendes, Böswilliges. Als er weiter in die Richtung ritt, wo die Reihen vermutlich endeten, nahm ein großes Haus mit Türmchen Form an. So stellte Håkan sich ein Schloss vor. In mittlerer Entfernung sah er Arbeiter zwischen den Sträuchern. Er wollte gerade fortreiten, wie er es immer beim ersten Anblick von Menschen tat, als er ein Kind weinen hörte. Sein erster Gedanke, ein kurzes Aufblitzen, war der an ein maunzendes Löwenjunges. Wieder ein Kätzchen, dachte er. Sein Verstand berichtigte diesen Eindruck aber sogleich, und er suchte nach dem Kind. Er fand es einige Reihen weiter, mit Erde und Rotz verschmiert, wo es vor sich hin weinte und dabei einem Speichelfaden zusah, der sich zum Boden hin dehnte. Als das Kind das orangefarbene Pferd und den Reiter sah, versiegte das Weinen und wich der Neugier. Håkan wusste nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen war.
»Hast du dich verlaufen?«
Das Kind starrte mit einer Art Schluckauf zu ihm hinauf, wie sie oft dem Schluchzen folgt. Håkan sah sich um. Die Arbeiter hatten ihn nicht gesehen oder ignorierten ihn.
»Wohnst du im großen Haus?«
Håkan meinte das Kind nicken zu sehen. Auf jeden Fall war das Schloss mit seinen Nebengebäuden das einzige Haus weit und breit. Vielleicht konnte er das Mädchen (ohne zu wissen warum, war er zu dem Schluss gekommen, dass es ein Mädchen war) bei einem der Arbeiter lassen und dann weiterreiten. Er saß ab und hob das Kind behutsam in den Sattel. Um es abzulenken, gab er ihm eine ausgestopfte Fuchspfote, die es unendlich faszinierend fand. Langsam ging er mit dem Pferd zum Haus. Als er näher kam, ließen die Arbeiter alles stehen und liegen und starrten ihn, das Pferd und das Kind an. Håkan fiel auf, dass sie Indianer waren. Sie trugen weiße Kleider, die allesamt blütenrein waren, obwohl die Männer und Frauen mit Schaufeln, Scheren und Hacken arbeiteten und mit den dunklen Beeren hantierten. Er erwiderte den Blick einer jungen Frau. Er ließ das Pferd haltmachen und nickte in Richtung des Kindes und des Hauses. Die Frau nickte zurück. Mit einer Geste bedeutete Håkan ihr, dass er das Kind herunterheben und ihr übergeben wolle. Sie schreckte zurück und schaute zu Boden. Håkan wandte sich den anderen Arbeitern zu, die ebenfalls sogleich den Blick senkten und allen Kontakt vermieden. Das kleine Mädchen spielte mit seiner Fuchspfote. Er wollte es an einem sicheren Ort absetzen, wo man es sehen würde, nahe dem Haus, dann könnte er umdrehen und fortreiten, ohne mit dessen Bewohnern in Kontakt treten zu müssen.
Als er an einen Vorgarten mit farbenfrohen, fremdartigen Blumen und zu senkrechten Wänden geschnittenen Hecken kam, eilte eine Dame in einem lavendelfarbenen Kleid heraus und schrie in einer Sprache, die Håkan nicht erkannte. Sie lief zu dem Mädchen, hob es aus dem Sattel, schimpfte es sanft, wischte ihm das Gesicht mit einem Taschentuch sauber, das sie aus ihrem Ärmel gezogen hatte, und übersäte es mit Küssen. Als sie die Fuchspfote sah, fragte sie das Mädchen etwas. Es zeigte auf Håkan.
»Ach. Entschuldigen Sie«, sagte sie mit starkem ausländischen Akzent. »Die Aufregung. Sie haben sie gefunden, ja?«
Håkan nickte.
»Ich danke Ihnen, Sir. Das macht sie immer. Man sieht kurz nicht hin, und puff, ist sie weg. Andauernd. Schrecklich, wenn es Abend wird. Ei, ei, ei, ei!«, sagte sie, kniff das Mädchen in die Wange und küsste es wieder.
Håkan schaute nach unten und hob die Hand, um seinen Aufbruch zu signalisieren.
»Nein, nein, nein, nein«, tadelte sie. »Wir müssen Ihnen danken. Bitte.«
»Nein danke.«
»Aber Sie sehen so müde aus.«
»Nein danke.«
»Doch, Sir. Essen und Trinken.«
In dem Moment trat ein stattlicher Mann mit Frack und einem perfekt gepflegten, dem Vorgarten sehr ähnelnden weißen Bart aus der Tür, kam die Stufen herab und auf sie zu. Håkan fand es seltsam, dass sie wahrscheinlich gleichaltrig waren. Noch bevor er sie erreichte, hatte die Dame dem Mann bereits alles, was geschehen war, in ihrer Sprache erklärt, wobei sie auf das Mädchen, die Felder und Håkan zeigte. Der Mann kam mit ausgestreckter Hand auf Håkan zu.
»Herzlichen Dank, Sir, dass Sie meine abenteuerlustige Tochter gefunden und sicher zurückgebracht haben.«
Ihm fiel die Fuchspfote auf, die er seiner Tochter aus der Hand nahm, untersuchte, während das Mädchen quengelte, und ihr dann zurückgab.
»Haben Sie die gemacht?«
»Ja.«
»Mögen Sie Wein?«
»Ich weiß nicht.«
»Nun, Sir, dann finden Sie es gleich heraus.«
»Edith, sorge doch bitte dafür, dass der Herr ein Glas Rotwein bekommt«, sagte der Mann der Frau, als er sich wieder dem Haus zuwandte.
»Ja, Captain.«
»Und Fleisch«, fügte er hinzu und entfernte sich zügig.
»Danke, aber ich bleibe nicht«, sagte Håkan. »Ich muss gehen.«
Der Captain hielt inne, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, und drehte sich wieder um.
»Woher kommen Sie?«, fragte er.
Håkan zögerte. War allgemein bekannt, dass der Hawk Schwede war? Aber selbst wenn, konnte er nicht lügen. Von anderen Ländern wusste er nichts.
»Aus Schweden.«
»Ha!« Der Captain griff sich aufgeregt an die Stirn und stapfte wieder auf Håkan zu. »Jo men visst! Självklart!«, rief er und fasste Håkan herzlich bei den Schultern. »Ert å lät så utomordentligt svenskt, förstår ni: I must gå. Ingen här, i Amerika, kan uttala gå just på det viset. Kapten Altenbaum. En ära.«
»Håkan.« Er zögerte. »Söderström.«
»Får jag visa herr Söderström runt på godset? Och jag skulle bli väldigt glad om jag fick bjuda på ett glas vin.«
Captain Altenbaum stammte aus Finland, aber wie die meisten wohlhabenden Männer jenes Landes war er mit der schwedischen Sprache aufgewachsen. Er gab Edith einige Anweisungen und trug einem der Indianer auf, Håkans Pferd zu füttern. Bevor es weggeführt wurde, nahm Håkan das Bündel mit seinen Habseligkeiten vom Sattel.
»Sie können Ihre Sachen beim Pferd lassen. Sie sind hier sicher.«
Håkan schaute nach unten und umklammerte den aufgerollten Löwenmantel, der seine wenigen Besitztümer enthielt. Der Captain nickte und führte ihn zu einem Gebäude, das einige hundert Schritte vom Haupthaus entfernt lag.
Das Schlossgelände war anders als alles, was er jemals gesehen hatte. Ein vollständiger Triumph des Menschen über die Natur. Jede Pflanze war in irgendeine künstliche Form gezwungen worden; jedes Tier war gezähmt; jedes Gewässer war eingedämmt und umgeleitet. Und ringsum sorgten Indianer in Weiß dafür, dass jeder Grashalm an seinem Platz blieb. Captain Altenbaum zeigte ihm jedes Detail. Er sprach Schwedisch und benutzte viele Wörter, die Håkan nicht kannte. Da er Schwedisch nur in seinem Kopf gehört hatte, seit er Linus verloren hatte — denn er war dessen einziger Sprecher und formte die Sprache nach seinen Gedanken —, war es Håkan fast unmöglich, die Worte mit der Stimme des Captains in Übereinstimmung zu bringen und die Vorstellung zu akzeptieren, sie könnten irgendjemandem außer ihm selbst etwas bedeuten. Dazu kam die überraschende Erkenntnis, dass er sich beim Sprechen seiner Muttersprache nicht selbstbewusster oder sicherer fühlte. Seine Schüchternheit, seine Unentschlossenheit, seine Vorliebe für die Stille hatten nichts mit der Sprache zu tun. Auf Schwedisch war er der gleiche Mensch. Dieses leise, zögerliche Wesen — das war er oder wer er geworden war.
Als sie sich vom Haus entfernten, erlangte die Pflanzenwelt etwas von ihrer Wildheit zurück, und bald sah es wie auf einer gewöhnlichen Farm aus. Dennoch gab es wenige Tiere (wohl gerade genug, um den Haushalt zu versorgen), und die meiste Arbeit galt den langen Reihen gequälter Sträucher.
»Meine Reben«, sagte der Captain und zeichnete mit erhobener Handfläche einen Bogen über die Felder. »Aber zu denen später mehr. Erst Sie. Sagen Sie mir bitte, Herr Söderström, was suchen Sie so weit weg von zu Hause? Gold?«
Håkan schüttelte den Kopf. Eine lange Pause. Er hatte seine Geschichte noch nie auf Schwedisch erzählt.
»Ich wollte nach New York. Ich bin auf das falsche Schiff gestiegen. Ich habe meinen Bruder verloren. Seitdem.« Håkan beendete den Satz, indem er mit einer Geste die ganze Welt um sie herum einbezog. »Seitdem bin ich. Bin ich.«
Als der Captain in der folgenden Pause über Håkans wenige Worte und die zurückgehaltene Verzweiflung nachdachte, die aus der Stille hervorsickerte, verdunkelte sich seine Miene aus Mitgefühl über das Schicksal seines Besuchers.
»Ich muss fort«, sagte Håkan schließlich.
»Aber Sie sind doch gerade erst angekommen.«
»Nein. Dieses Land. Ich muss fort.«
»Nun, Herr Söderström, da kann ich Ihnen womöglich helfen. Aber nicht, wenn Sie noch einmal meinen Wein ablehnen.«
Sie betraten das unauffälligste Gebäude des Anwesens. Es stellte sich als Eingang zu einer langen Treppe heraus. Mit jedem Schritt abwärts nahmen die Temperatur und das Licht ab. Am Ende der Treppe führte ein Gang in einen riesigen, spärlich beleuchteten Keller — den größten abgeschlossenen Raum, den Håkan jemals gesehen hatte. Er war voller Fässer, die waagerecht auf Holzgestellen lagen, deren säuberliche Reihen im Dunkel verschwanden. Die Wände standen voller etikettierter Flaschen. Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke. Captain Altenbaum zog den Stopfen aus einem Fass, entnahm mit einer übergroßen Pipette etwas von dem schwarzen Inhalt und goss es in zwei langstielige Gläser.
»Ihr erstes Glas Wein also.«
Håkan nickte.
»Es ist mir eine Ehre, dass es der meine ist und dass ich ihn einschenken darf. Ich hoffe, er schmeckt Ihnen.«
Sie schauten in die Gläser. Nahe der Oberfläche dämmerte die schwarze Flüssigkeit ins Hellrote. Håkan nippte daran. Seine Zunge wurde trocken und rau wie die einer Katze. Der Wein schmeckte nach unbekannten Früchten, Salz, Holz und Wärme.
»Was sagen Sie?«
Håkan nickte.
»Ach, wunderbar. Das freut mich.«
Der Captain schwenkte den Wein in einen Strudel, steckte die Nase ins Glas, atmete tief ein, nippte und hielt die Flüssigkeit eine Weile im Mund, bewegte sie darin herum wie einen zu heißen Bissen und schluckte schließlich. Er öffnete die Augen, und sein beim Trinken genussvoll entspanntes Gesicht zerfurchte sich nun nachdenklich.
»Wie lange sind Sie schon in Amerika?«
»Ich weiß nicht.«
Håkan spähte unter den Augenbrauen hervor nach den Fässern und senkte den Blick wieder. Er wollte an die Decke schauen. Stattdessen fielen seine Augen auf seine Hände, die ihm wie Gegenstände erschienen, die jemand anders auf den Tisch gestellt hatte. Er legte sie in den Schoß, wo sie nicht mehr zu sehen waren. Nun, da er den Wein gekostet hatte, roch er dessen zuckrige Gegenwart überall im Keller.
»Lange?«, hakte der Captain sanft nach.
»Fast mein ganzes Leben. Ich war noch ein Junge.«
»Sie haben Ihren Bruder verloren. Haben Sie hier noch andere Verwandte? Freunde?«
Håkan schüttelte den Kopf.
»Wo in Amerika waren Sie schon?«
»Ich weiß nicht.«
»Das wissen Sie nicht?«
»Ich bin in San Francisco angekommen. Ich war in Clangston. Zweimal. Dann in noch einer Stadt. Aber nur einige Tage. All die Jahre bin ich weitergezogen. Die Wüste, Berge, Grasland. Ich weiß nicht, wie die Orte heißen.«
»Wovon haben Sie gelebt? Welcher Arbeit sind Sie nachgegangen?«
»Ich ging. Nach Osten, meinen Bruder finden. Ich schaffte es nicht. Dann habe ich aufgehört.«
Der Captain wiederholte das Schwenken, das Schnüffeln und das Nippen.
»Ärger?«
Håkan nickte.
Der Captain nickte.
»Was auch geschehen ist, ist sicher lange her. Wir sind beide alte Männer, nicht wahr.«
Sie starrten auf den Tisch.
»Ich stelle jetzt diesen Wein her. Den besten in ganz Amerika«, sagte Captain Altenbaum eher an die Flüssigkeit in seinem Glas gewandt als an Håkan. »Aber früher war ich einmal Pelzhändler. Damit habe ich all das hier bezahlt. Mit Fellen.« Nach einer Pause sah der Captain auf und über den Tisch. »Die Pfote, die Sie Sarah geschenkt haben. Ganz außerordentlich. Ich habe sie mir nur kurz angesehen, aber mir fiel auf, dass Sie sie zum Gerben gedehnt haben. Großartige Gerbarbeit übrigens. Weich und doch lebensecht. Ich frage mich, wie Sie das geschafft haben. Das gibt es nur selten. Dann haben Sie sie ausgestopft und wieder zugenäht. Mit Sehne! Das sieht nur ein geschultes Auge. Wirklich außerordentlich. Außerordentliche Arbeit.«
Håkan senkte den Blick.
»Bei Ihrem Talent könnte ich Ihnen Arbeit verschaffen. Ruhige Arbeit. Sie könnten sogar hier wohnen, wenn Sie möchten. Dann wären wir so etwas wie Nachbarn.«
Håkan hob den Blick, da er hoffte, der Captain starre in sein Glas, aber als er ihm in die freundlichen Augen sah, ließ Håkan gleich wieder den Kopf sinken.
»Darf ich mir einmal Ihren aufgerollten Pelz dort anschauen?«, fragte der Captain.
Håkan sah sich das Bündel neben seinem Stuhl an, regte sich aber nicht.
»Bitte. Mir fiel auf, wie viele verschiedene Arten von Fell Sie verwendet haben. So ungewöhnlich. Nur, um die Neugier eines anderen Trappers zu befriedigen. Bitte.«
Langsam rutschte Håkan vom Stuhl und hockte sich daneben, löste einige Ledergurte, nahm die Blechkiste aus dem Bündel, ebenso die wenigen anderen Dinge, die er dort aufbewahrte, und als er den Mantel Stück für Stück abrollte, gab er gleichzeitig seine bucklige, gebeugte Haltung auf und streckte sich zu seiner vollen Länge.
Der Captain stand auf und beließ die Fingerspitzen auf dem Tisch, als könnte dieser geringfügige Kontakt zu einem vertrauten Gegenstand ihn in der Realität erden, während ihm vor Staunen der Kiefer herunterhing. Seine Augen zitterten, als sie den Mantel entlang und schließlich hinauf zu Håkans Gesicht wanderten.
Die beiden Männer standen da und schwiegen.
Schließlich setzte sich Captain Altenbaum wieder und füllte sein Glas auf. Das von Håkan war seit dem ersten kleinen Schluck nicht angerührt worden.
»Ich sehe, wie viel Sie im Laufe der Jahre gelernt haben. Sie sind zum Meister geworden. Und all die Tiere. Von überall her. Von jeder Art. Selbst Reptilien.« Eine kurze Stille. »Und die Löwin.«
Was Håkan bei den letzten Worten in den Augen des Captain sah, ließ ihn den Mantel aufrollen und nach der Treppe schauen.
»Bitte, setzen Sie sich. Bitte.«
Håkan ließ sich zögerlich auf der Stuhlkante nieder. Er wollte sich wieder in seine Greisenhaltung zusammenkrümmen, tat es aber nicht.
»Sind das Ihre Instrumente?«
Håkan nickte.
»Darf ich?«
Håkan schob die Kiste über den Tisch, und der Captain öffnete sie behutsam und blickte mit äußerstem Respekt hinein, ohne etwas zu berühren.
»Unglaublich.« Er hielt inne, gab die Kiste zurück und trank — diesmal ohne Zeremonie. Er seufzte und schien sich auf einen Fleck zu konzentrieren, den er mit dem Fingernagel vom Tisch kratzte. »Ich habe ein Kind«, sagte er schließlich. Seine Stimme war ernst, aber sehr ruhig — geradezu süß.
Håkan stand auf.
»Warten Sie. Bitte. Was auch immer Ihnen zugestoßen ist.« Dem Captain fehlten die richtigen Worte. »Was auch immer Sie getan haben, ich verstehe, dass Ihr Leben bereits schwer genug war. Ich habe all die Geschichten gehört, aber die Wahrheit kenne ich nicht. Womöglich waren Sie einst ein schlechter Mensch. Das weiß ich nicht. Aber heute sehe ich einen müden, alten Mann, der immer ruhelos weitergezogen ist und nun zum Ende seiner Reise Frieden braucht.«
Håkan konnte ihn nicht ansehen.
»Wie ich schon sagte«, fuhr der Captain mit gefassterem Ton fort. »Ich war einst Pelzhändler. Heute hat meine Reederei eine enorme Flotte. Haben Sie schon von Alaska gehört?«
Håkan reagierte nicht.
»Das ist ein neues Territorium. Für mich ist es nicht neu — ich habe dort mein Vermögen verdient. Aber es ist ein neues Territorium für die Vereinigten Staaten. Es würde Ihnen dort gefallen. Keine Menschenseele. Ein Paradies für Trapper. Manchmal sieht es dort wie in Schweden aus. Ich kann Sie sicher dorthin bekommen.«
Später im Haupthaus zeigte der Captain ihm Alaska auf einem Globus. Er tippte auf die verschiedenen Stationen und Außenposten seiner Unternehmung entlang der Küste und führte ihre jeweiligen Vorzüge aus.
»Hier habe ich Pelzhandelsposten.« Der Captain zeigte ihm drei oder vier Küstenabschnitte. »Hier salzen und dosen wir Fische ein. Hier haben wir einige kleine Minen. Und Eis bekommen wir von hier und hier. Welchen Ort Sie sich auch aussuchen, Sie können davon ausgehen, dass man Sie in Ruhe lässt. Und Wild gibt es reichlich.«
Dann zeigte der Captain beiläufig, wie nah Alaska an Russland liegt, wo die beiden Landmassen nur eine schmale Meerenge trennt, bevor er mit dem Finger über jenes gewaltige Land bis nach Finnland und schließlich Schweden fuhr.
»Genau der richtige Platz für Sie«, sagte Captain Altenbaum, als er den Finger wieder nach Alaska setzte.
Håkan, der noch nie zuvor einen Globus gesehen hatte, ging darum herum, versuchte, seine lange Reise nachzuverfolgen, und sah, wie all das Land sich zu einem Kreis zusammenfügte.