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»Was für eine Freude, wenn man sieht, dass sich heute alle tadellos benehmen«, sagte Stevie zu Derek, um dann wieder den Blick durch den Raum wandern zu lassen. »Ich kann es fast nicht glauben.«

»Ich auch nicht«, erwiderte er und folgte der Richtung ihres Blickes. Sie hatte die anderen Familienmitglieder gemeint, die in verschiedenen Bereichen des Raumes saßen oder standen und miteinander plauderten. »Was für eine Erleichterung, dass heute alle ein Herz und eine Seele sind. Meist gab es ja irgendwelche Kontroversen.«

»Hm.« Er wiegte den Kopf und sagte: »Das fehlt heute, Stevie.« Schmunzelnd schloss er: »Was mich betrifft, so können sie einander meinetwegen später um die Ecke bringen, wenn sie sich nur heute Nachmittag anständig aufführen. Blair rackert sich seit Tagen ab, um diesen Weihnachtstag schön und würdig zu gestalten.«

»Das weiß ich«, murmelte Stevie, die sich auf dem Sofa zurücklehnte. »Alles wird ganz wunderbar, keine Angst. Sogar Nigel lässt zur Abwechslung ein Lächeln sehen.«

»Ist mir schon aufgefallen. Und er tut gut daran, es beizubehalten. Wenn nicht oder wenn er gar Ärger anfängt, dann zieh ich ihm die Hammelbeine lang.«

Stevie lachte laut. »Eine Wendung, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe. Ach, Derek, sieh doch, wie süß die Kleinen mit Bruce umgehen ... und er ist so stolz, so geschmeichelt, dass er Urenkel hat. Davon müsste man ein Foto machen. Drei Generationen von Jardines.«

»Großartige Idee. Am besten nach Tisch, wenn wir die Geschenke auspacken. Du könntest auch ein Foto von deiner Mutter und mir mit den Kindern und Tamara machen. Das gäbe einen netten Schnappschuss fürs Familienalbum.«

»Ja, wird gemacht. Sieht Tamara nicht wunderbar aus? Ich glaube, so hübsch habe ich sie noch nie erlebt.«

Derek nickte. »Rot ist ihre Farbe, da es fabelhaft zu ihrem Haar passt. Das Mädchen hat Stil, eine ganz besondere Art von Chic, wie ihn nur Französinnen haben ... völlig natürlich, als sei er ihnen in die Wiege gelegt. Ich bin froh, dass sie zur Familie gehört. Sie hat einen so positiven Einfluss auf Nigel.«

»Ja, in Tamaras Gesellschaft ist er meist viel angenehmer. Diese Ehe wurde gottlob im Himmel geschlossen. Tamara scheint eine sehr beruhigende Wirkung auf ihn auszuüben.«

»Sie mildert seine widerborstige Haltung und bringt ihn gelegentlich zum Lächeln«, ergänzte Derek kurz und bündig.

Stevie warf ihm einen raschen Blick zu. »Keine Bange, niemand wird den Tag verderben. Das würde ich nicht zulassen, nicht zuletzt deswegen, weil ich weiß, wie viel Arbeit dieser Tag Mom gekostet hat. Ach übrigens, seit sie diesen Raum neu ausgestattet hat, sieht er wunderbar aus.«

»Ja, wenn es ans Einrichten geht, beweist deine Mutter ein besonderes Talent, aber dir brauche ich das nicht zu sagen.«

Derek ließ erneut den Blick wandern und folgte Stevies Blick, bestrebt, den Salon der Wohnung am Regent’s Park mit ihren Augen zu sehen. Ganz recht, er war unbestreitbar mit viel Geschmack ausgestattet worden. Helle Stoffe, erlesene, antike Möbel und kostbare, alte Gemälde vor dem Hintergrund cremefarbiger, mit Seide bespannter Wände schufen einen wohnlichen, dabei aber auch repräsentativen und eleganten Eindruck.

Die walisischen Täler seiner Jugend, das kleine Doppelhaus, in dem er aufgewachsen war, Armut und Plackerei, seit Generationen das Los seiner Familie – wie fern das alles war.

Ihm war ein großer Sprung geglückt.

Er sah es jedenfalls so. Und auch heute noch, nach so langer Zeit, gab es Momente, da er in seinem Tun innehielt und die Welt betrachtete, in der er jetzt lebte – und nicht umhin konnte, über seinen Werdegang ein wenig zu staunen. Er staunte, dass ihm der große Sprung von dort nach hier geglückt war. Und die Tatsache, dass er hier gelandet war, samt Karriere, Ruhm, Reichtum und einem Titel, sprach für seinen Mut, seine stählernen Nerven, seine Willensstärke und Kraft, für seine Energie und für sein Erfolgsstreben.

Es war ein Sprung nicht nur von einem Ort zum anderen, sondern auch von einer Klasse in die andere ... heraus aus der Arbeiterklasse, aus der Schicht der Unterprivilegierten. Der arme Junge aus Wales ... nunmehr Gegenstand allgemeiner Bewunderung ... nicht nur in England, sondern weltweit. Ein unmöglich scheinender Traum war in Erfüllung gegangen. Und nur ein klarer Blick auf seine Anfänge ließ ihn begreifen, wie weit er es gebracht hatte und wie hoch der Sprung gewesen war.

»Einen Penny für deine Gedanken«, sagte Stevie, die seinen Arm leicht berührte.

»Die sind keinen Penny wert, da ich an nichts Bestimmtes dachte«, erwiderte Derek und riss sich von seinen Gedanken los.

Er stand auf und fragte mit einem Blick auf ihr Champagnerglas: »Darf ich dir nachschenken?«

»Nein, danke, Derek.«

»Bin gleich wieder da.« Er entschuldigte sich und schlenderte in Richtung des Esszimmers, wo eine kleine Bar aufgestellt worden war.

Stevie lehnte sich zurück und blickte um sich. Heute war ihre ganze Familie anwesend – Mutter und Stiefvater, ihre drei Söhne und ihre Tochter, ihre Schwiegertochter, zwei Enkel und ihr Schwiegervater. Nun, so groß war die Familie gar nicht, es gab viel größere. Aber für eine kleine Familie hatten sie im Laufe der Jahre ihren Anteil an Sorgen gehabt und hatten noch jetzt einige.

Stevie unterdrückte diesen Gedanken sofort, ehe er sich festsetzen konnte, da sie sich den Tag nicht verderben lassen wollte. Da die Probleme morgen noch immer vorhanden sein würden, genügte es, wenn man sich dann mit ihnen befasste. Falls es möglich war, sich damit zu befassen. Sie hob ihr Glas an die Lippen und nippte am Dom Perignon. Dann blieb ihr Blick an Tamara hängen.

Ihre Schwiegertochter kam auf sie zu. Es sah aus, als würde sie dahinschweben, so anmutig bewegte sie sich. Tamara besaß die längsten Beine, die Stevie je gesehen hatte, und dazu den geschmeidigen stromlinienförmigen Körper eines Models. Aber ihr auffallendstes Attribut war ihr Haar, das weder silbern noch golden war, sondern eine ungemein attraktive Mischung aus beidem.

Unter ihrer silber-goldenen Pagenfrisur, deren Fransen bis knapp über ihre großen schwarzen Augen reichten, wirkte Tamaras Gesicht schmal und elegant. Auch ihre Nase war schmal, der Mund großzügig. Sie war auf pikante Weise schön, was ihren Charme und ihre Attraktivität ausmachte. Jeder Schritt ließ ihr rotes Seidenkleid verführerisch rascheln, dessen weiter, kurzer Rock ihre formvollendeten Beine umspielte, die in ihren hochhackigen, roten Seidenschuhen besonders zur Geltung kamen.

Aber abgesehen von ihren äußeren Reizen, war Tamara eine reizende und kluge junge Frau ohne Fehl und Tadel, die immer schon Stevies Bewunderung erregt hatte. Wie Blair hatte auch Tamara vor der Heirat mit Nigel als Model gearbeitet, und beiden Frauen war das Bestreben gemeinsam, vor allem Ehefrau und Mutter zu sein.

»Stevie, kannst du morgen zum Dinner kommen?«, fragte Tamara, sich zu ihrer Schwiegermutter hinunterneigend. »Ich würde mich so freuen, wenn du es schaffst.«

»Bist du sicher, Tamara? Oder vielleicht sollte ich eher fragen: Möchte Nigel denn, dass ich komme? Du musst wissen, dass er in letzter Zeit zu mir ein wenig sonderbar war.«

»Natürlich möchte er es! Wir beide möchten, dass du kommst. Bitte, beachte Nigels wechselnde Launen nicht. In den letzten Wochen war er ziemlich gereizt und schroff. Hoffentlich wächst ihm sein Beruf nicht über den Kopf. Der Weihnachtsrummel im Geschäft setzt ihm immer so zu. Bitte, du musst mit Chloe kommen. Vielleicht werden Miles und Gideon auch da sein.«

»Was ist mit Gideon?«, fragte Gideon, der neben ihr stehen blieb.

»Gid, du sollst morgen zu uns zum Dinner kommen ... besser gesagt zum Abendessen. Zu einem echt russischen Abendessen am zweiten Weihnachtsfeiertag. Reizt dich das nicht?« Sie sah ihn mit verhaltenem Lachen an.

»Ha! Ich wusste ja, dass du irgendwann während der Feiertage mit einem ausländischen Essen kommen würdest«, neckte Gideon sie und legte ihr liebevoll den Arm um die Schulter. »Warum servierst du uns zur Abwechslung nicht einen guten alten Lammbraten und Yorkshire-Pudding, anstatt uns irgendeinen fremdartigen Mischmasch aufzutischen?«

Da sie Gideons Neckereien gewöhnt war, quittierte sie seine Stichelei mit einem Auflachen und sagte: »Beluga-Kaviar und schottischer Räucherlachs sollen Mischmasch sein! Du liebe Güte, Gideon!«

»Das hört sich wunderbar an, mein Schatz. Und ich komme sehr gern. Aber wie sieht der Rest des Menüs aus? Wirst du diesen köstlichen Borschtsch machen?«

»Wenn du möchtest. Mit Piroschki. Und was ist mit deinem Lieblingsgericht, Hühnchen Kiew?«

»Großartig. Aber du machst mich hungrig.« Er wandte sich Stevie zu. »Fast vier Uhr. Weißt du, wann Großmama den Lunch zu servieren gedenkt?«

»Sehr bald. Um vier.«

»Spaß beiseite, ich bin begeistert von deiner Küche«, fuhr Gideon fort. »Jede Wette, dass man dir die Zubereitung von Hühnchen Kiew nicht auf deinem hochgestochenen englischen Pensionat beigebracht hat.«

»Das lässt sich denken, Gid. Meine Kochkünste habe ich von meiner russischen Großmutter.«

Gideon drehte sich unvermittelt um, als ein kleiner Junge durch den Raum rannte und ausrief: »Onkel Gid, Onkel Gid, sieh mal, was Papa Bruce mir gegeben hat!« Vor Gideon anhaltend, öffnete er seine Hand. »Ein kleines Auto!«, rief er, und zeigte es strahlend seinem Onkel.

Gideon beugte sich hinab, um die neue Errungenschaft zu bewundern. »Was für ein Glückspilz du bist. Ein Jaguar, Arnaud.«

Die blauen Augen des Vierjährigen hingen an Gideons Gesicht, als er langsam artikulierte: »Jagwar.«

»Hier, schau her«, rief Natalie, die mit ausgestrecktem Arm angelaufen kam. »Von Papa Bruce.«

»Wunderschön, Liebes«, sagte Gideon und lächelte ihr zu, als er die dünne Silberkette mit dem Herzanhänger betrachtete, die Bruce ihr eben am Handgelenk befestigt hatte. Es gehörte zu den Lieblingstricks seines Großvaters, Überraschungen aus seinen Taschen hervorzuzaubern.

Natalie lachte und lief zu Stevie. »Großma, schau!«

»Ach, wie wunderhübsch.« Stevie stellte rasch ihr Glas ab, als die Dreijährige ihr unerwartet auf den Schoß kletterte, Natalie sah ihr ins Gesicht und tätschelte es. »Hab dich lieb, Großma.«

»Ich dich auch, Natalie.« Stevie umarmte ihre lebhafte, blonde Enkelin fest und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. Im nächsten Moment betrat auch schon Blair den Salon und kündigte an: »Endlich ist der Lunch fertig. Wollen wir ins Esszimmer gehen?«

Plötzlich stand Nigel vor Stevie, glücklich und unbeschwert. Er lächelte seiner Mutter warmherzig zu und sagte: »Kann ich dich von deiner kleinen Last befreien, Ma?« Damit hob er sein Töchterchen von Stevies Schoß und stellte es auf die Beine. Dann reichte er Stevie seine Hand. »Lass dir aufhelfen«, sagte er und zog sie hoch.

Er lächelte und gab der erstaunten Stevie einen Kuss auf die Wange. »Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, dir frohe Weihnachten zu wünschen.«

»Danke, Nigel«, antwortete sie. »Ich erwidere deine Wünsche.« Sie war sehr erleichtert, dass er freundlicher gestimmt war als bei seinem Besuch in New York an ihrem Geburtstag.

»Gehen wir hinein, Ma, ich begleite dich«, sagte Gideon. »Ich auch«, sagte Miles, der sich zu ihnen gesellte und ihren anderen Arm nahm.

Stevie lachte und ließ sich von ihnen durch den Raum manövrieren.

»Kann ich später mit dir reden?«, fragte Gideon leise und vertraulich.

»Natürlich. Ist etwas, Gideon?«, fragte sie mit einem raschen Blick.

»Nein, nein. Ich wollte dir nur etwas sagen. Ehrlich, nichts Schlimmes. Eigentlich etwas Gutes. Nach dem Essen, wenn ich dich und Chloe zum Eaton Square fahre, können wir uns unterhalten.«