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Pastor Karl Erik Holmgren sollte am Montagabend wieder nach Hause zurückkommen. Aber als er von einer Tankstelle bei der Ausfahrt Uppsala im Pfarrhaus anrief und erfuhr, dass die Journalisten auf das Ende der Pastorenreise warteten, änderte er seine Meinung und sagte seiner Frau, er werde in der Stadt übernachten.

Sie war zum Glück nicht in der Kirche gewesen. Hatte nichts gesehen, nichts gehört, so beschäftigt, wie sie mit dem neugeborenen Kind war.

Als er sich im Motel eintrug, bereute er es, er sehnte sich nach seinem Sohn, der ein Wunder war, größer als das in der Kirche.

Aber es stimmte, was er seiner Frau gesagt hatte, dass er Zeit brauchte und allein sein musste, um alles, was der Bischof ihm gesagt hatte, zu überdenken. Also kaufte er in der Rezeption eine Zahnbürste und kroch nackt zwischen die Laken des Motels.

Einen einzigen Gedanken konnte er fassen, bevor er einschlief, nämlich, dass er in erstaunlich guter Laune war. Und genauso froh und in gewisser Weise erwartungsvoll war er, als er am nächsten Morgen aufwachte. Der nächste Schritt nach vorn würde schwer werden, das stimmte wohl. Aber trotzdem.

Statt eines Morgengebets zwinkerte er Gott konspirativ zu, während er sich die Zähne bürstete.

»Das schaffen wir schon«, sagte er.

Doch eine Weile später fiel ihm der Bischof wieder ein, dessen Worte und dessen Angst. Gestern war er wütend auf den Mann geworden, jetzt war er großzügiger und hatte Mitleid mit ihm.

Das Wunder von Östmora sollte totgeschwiegen werden. Geleugnet, wenn nötig. So lautete der Befehl.

Karl Erik hatte nicht gezögert:

»Sie geben mir also die Order zu lügen?«

»So drastisch muss man das ja nicht sehen. Es genügt, wenn Sie schweigen.«

Und dann folgte ein langer Sermon über das Untragbare der Situation, über das Hohngelächter, die Sensationshascherei.

»Wir Christen können es uns also nicht leisten …?«

»Genau das ist der Punkt.«

»Dann können wir ja nur von Glück reden, dass die Evangelisten nicht solche Angst hatten.«

»Jetzt lästern Sie.«

Doch, da musste er ihm zustimmen. Und der Bischof wurde nachgiebiger und sprach über all die verrückten Gemeinschaften, von den Zeugen Jehovas bis zu den Toren in Österreich, die einen Bunker für die Rechtgläubigen bauten für das Jüngste Gericht im nächsten Jahr.

»Wir müssen eine klare, deutliche Grenze zum Aberglauben ziehen«, sagte er.

Und da war ja viel dran.

Im Bischofssitz wurde Tee gereicht, aber weder die Kekse noch das Getränk konnten Karl Erik Holmgren umstimmen.

»Ich kann nicht lügen.«

Der Bischof hatte nicht damit gedroht, dass der offene Streit mit dem Pfarrer weit mehr kosten würde und das Wunder zu einer Landesangelegenheit machen würde. Zum Schluss waren sie sich einig geworden.

Die Östmora-Kirche würde am kommenden Sonntag voll mit Leuten sein, dessen konnten sie sicher sein. Ob Holmgren sich verpflichten würde, einen Brief des Bischofs dort zu verlesen?

»Natürlich.«

Dazu brauchte der Bischof jetzt einige Zeit, deshalb ging Karl Erik in die Stadt und aß auf der Storkyrkotrappan zu Mittag. Lange blieb er dort sitzen, trank sogar ein Glas Wein, während er das Gewölbe des alten Studentenkarzers betrachtete und die bombastische Glocke, die mit schweren Schlägen die Zeit maß. Nach zwei Stunden kehrte er zum Bischofssitz zurück, aber der Brief war noch nicht fertig, wie ein junger, ängstlicher Kollege ihm mitteilte.

Er wartete noch eine Stunde.

Der Brief war ein Wunder in sich, er sprach in pseudowissenschaftlichem Ton von Halluzinationen, von optischen Täuschungen, die viele gleichzeitig ereilen konnten und für die psychologische Forschung kein unbekanntes Phänomen darstellten. Usw. usw. Und dann erflehte er schließlich Gottes Segen für die Gemeinde von Östmora.

Karl Erik Holmgren las ihn und nickte. Sie verabschiedeten sich, der Bischofs hielt lange seine Hand umschlossen, und erst ein Stück weiter die Straße hinunter wagte der Pastor das Lachen herauszulassen, ein explosionsartiges Lachen, das schon lange auf seine Erlösung gewartet hatte.

Es zuckte noch immer um seine Mundwinkel, als er den Brief am folgenden Morgen im Motel noch einmal las. Aber das Lächeln erstarrte, als er in die Rezeption hinunterkam und die Schlagzeilen sah:

»Die Kirche leugnet das Wunder.« Und in kleineren Buchstaben: »Die Bewohner von Östmora: Wir wissen, was wir gesehen haben.«

Die zweite Schlagzeile war aus seinem Blickwinkel noch schlimmer:

»Der Wunderpfarrer verschwunden«.

»Mein Gott, jetzt musst du deinem Diener helfen«, sagte er, als er den ersten Gang einlegte und auf die Straße nach Östmora einbog. Aber die Sonne schien über die weiße Landschaft, und Karl Erik war sicher, dass er Hilfe bekommen würde.

Als er heimkam, waren keine Journalisten im Pfarrhaus, aber der Junge weinte, und seine Frau war wütend. Dachte er denn keine Sekunde an sie, an seine Verantwortung ihr und dem Kind gegenüber, bevor er derartig geschmacklose Sensationen heraufbeschwor?

Das war ihre Art, ihre Angst zu zeigen, er kannte sie schon seit langem, aber dieses Mal weigerte er sich, irgendwelche Schuld auf sich zu nehmen. Er formulierte sogar eine Erkenntnis, die er bereits seit langer Zeit in sich trug: Sie war eine vorzügliche Märtyrerin. Und als sie endlich schwieg, sagte er das.

»Du spielst die Märtyrerin, wie es dir passt. Ich habe keinerlei Sensation heraufbeschworen, im Gegenteil, ich befinde mich in einer schwierigen Situation. In der ich eine Frau bräuchte, die mich unterstützt.«

Das war so verblüffend, dass das Baby mitten in einem Schrei verstummte, und der Pfarrer ging in sein Zimmer, warf die Tür zu und rief den Arzt an.

»Was zum Teufel soll ich tun?«

»Mach es wie ich, halte dich so weit wie möglich raus und weigere dich, auf irgendwelche Fragen zu antworten. Und schreibe eine Predigt, die auch für Gottes Wunder offen ist!«

Karl Erik lachte laut, ja, das wollte er versuchen.

 

Am Nachmittag hatte er eine Beerdigung. »Von Erde bist du genommen …« Mitten in der Zeremonie zögerte er und dachte, dass selbst der Tod ein Wunder sei. Wie die Geburt, wie das Leben. Über das Geheimnisvolle wollte er am Sonntag reden und über die Hybris des Menschen, der glaubt, er hätte die Schöpfung durchschaut.

Er würde einige sorgfältig gewählte Worte über die Wissenschaft sagen und damit enden, dass er den Brief verlas: Im Auftrag des Bischofs …

Er war so gut gelaunt, dass nicht einmal die rot umrandeten Augen seiner Frau am Mittagstisch ihn beeindrucken konnten. Er sagte, wie es war, dass er gleichzeitig seinem Bischof gehorchen und nicht gehorchen würde und dass er wahrscheinlich damit seinen Job in diesem Wagestück riskiere.

Und sie, deren Reaktionen meistens vorhersehbar waren, sagte, dass sie schon erwartet habe, dass ihm sein Stolz wichtiger sei als seine Verantwortung für sie und das Kind.