Das holländische Flugzeug machte sich für die Landung auf Gando bereit, der Atlantik glänzte wie geflammte Seide, und die Abendsonne brannte auf der roten Felswand des Monte Rojos. Doch das alles tröstete ihn nicht.
Hans Horner war in den Minuten, bevor sie sich wieder sahen, immer vor Angst wie gelähmt. Dann wurde seine Frau für ihn zur Fata Morgana, wie das Mädchen, das in den Träumen des Wanderers auftaucht. Sie würde verschwinden, konnte nicht am Boden auf ihn warten.
Er hatte einen trockenen Mund, und in seinem Zwerchfell ballte die Angst ihre Faust. Er versuchte sich zu beruhigen. Aber auch die Vernunft war unwillig. So viel hatte passieren können, das Auto konnte auf dem Weg nach Arlanda gegen einen Fels gefahren sein, das Flugzeug konnte abgestürzt sein, die Kinder konnten …
Reiß dich zusammen, Horner, sagte er sich. Du weißt doch genau, dass es immer so abläuft. Okay, nicht so schlimm wie dieses Mal. Als das Flugzeug den Boden berührte, wusste er, dass seine alte Unruhe von den eigentümlichen Bildern verstärkt worden war, die seine Nächte während der langen Heimreise ausgefüllt hatten.
Er stopfte sich ein Kaugummi in den Mund, um die Speichelzufuhr anzuregen, blieb lange sitzen, stand erst auf, als die Schlange sich auflöste. Als letzter Passagier kletterte er die Treppe hinunter und ging langsam zur Ankunftshalle.
Da sah er sie. Sie stand hinter der Glaswand und lächelte ihn an, dieses uralte Lächeln, das es seit dem Anfang der Zeit gegeben hatte. Das es gab. »Ich sollte Gott danken, dass es dich gibt.«
Dann lief alles wie immer. Sie sagten nichts, wenn sie sich wieder trafen, berührten einander nicht. Sie sahen sich an. Sie war müde, sah er, sie hatte die ersten Falten um die Augen herum bekommen. Er hat Angst, sah sie, die Stimme, die am Telefon vor Angst gezittert hatte, hatte nicht getrogen.
Sie warteten nebeneinander auf seine alten Reisetaschen, die größer und abgewetzter waren als die der Touristen. Sie hatte sich einen Gepäckwagen organisiert, den schoben sie zum Ausgang, und zum ersten Mal sagte sie etwas:
»Hier gibt es genügend Taxis.«
Nicht allein ihre Schönheit macht sie unwirklich, dachte er. Auch ihre Stimme, diese geheimnisvolle Stimme.
»Ich habe im Flugzeug gegessen«, sagte er.
»Ich habe auch schon gegessen.«
Sie lachten, sie wussten beide, was das bedeutete. Die Landschaft war rau, verfallene Häuser und halb fertige Bauruinen. Lautstarker Verkehr, Abgase. Sie schlängelten sich hindurch, hinaus, einen Hügel hinauf, und plötzlich veränderte Gran Canaria sein Gesicht, eine weiße Meeresbucht, überwältigendes Grün und weit entfernt im Südwesten der Leuchtturm Mas Palomas.
Er lächelte, als er den Namen sagte. Mas Palomas hatte er schon mal gesehen, von der Meeresseite aus. Sie lächelte auch und flüsterte mit einem Kopfnicken zum Fahrer hin:
»Die meisten hier sprechen Schwedisch.«
»Ich werde mich nicht verplappern.«
Er flüsterte nun auch und griff nach ihrer Hand, öffnete sie Finger für Finger, küsste die Lebenslinie und verschloss die Hand um den Kuss. Sie schloss die Augen, das war ein altes, liebes Spiel, das nie seine Wirkung verfehlte. Sie spürte den Puls in ihren Schläfen und die warme Feuchtigkeit, die ihren Schoß bereit für die Begegnung machte.
Alles ist, wie es sein soll, dachte sie. Und am besten jetzt, wo alles, was gesagt werden muss, noch nicht ausgesprochen ist.
»Du ekliger Kerl«, sagte sie.
»Du wunderbare Frau«, erwiderte er.
Die Nacht sank herab, schwer und weich wie Samt. Sie fuhren nach Süden, an der Küste entlang.
Er verlor jedes Gefühl für Zeit.
»Ich hoffe, es ist noch weit«, sagte er.
Sie lachte, wollte auch am liebsten noch stundenlang so dahinfahren, langsam mit ihm verschmelzen. Mein Geliebter, dachte sie, sagte aber:
»Wir sind bald da.«
Dann bremste das Auto, und der Taxifahrer zeigte mit dem Arm in die Runde:
»Sehen, sehen, bittesehr, San Agustin.«
Hans nahm den riesigen Pool und die Touristenstadt, die den Berg hinaufkletterte, nur dunkel wahr. Sie hatten ein Zimmer in einem der Hochhäuser bekommen, und sobald sie dort angekommen waren, zogen sie einander die Kleider aus und gingen ins Bad. Langsam streichelten sie einander, Hände, die heimgekommen waren, suchten wohlvertraute Verstecke, die warme Dusche rann. Eingewickelt ins Badelaken trug er sie zum Bett.
Alles ist, wie es sein soll, dachte Kerstin, abgesehen davon, dass es zu schnell geht. Aber sie hatte ihren Willen verloren, und der Orgasmus überraschte sie. Wie der Ruf, der aus dem Grunde ihres Wesens aufstieg und Hans zum Lachen brachte, er lachte so laut, dass sie flüstern musste:
»Hier ist es so hellhörig.«
»Was du nicht sagst«, erwiderte er und lachte noch wilder. Dann öffnete er den Champagner, der auch zum Ritual gehörte, sie prosteten einander zu und bereiteten sich auf die nächste Begegnung vor, eine langsamere, zartere.
Eine Weile schliefen sie, einmal sagte er: Mach die Augen zu. Sonst ertrinke ich in deinen Augen. Sie schloss gehorsam die Augen, und dann liebten sie sich erneut.
Es war schon nach elf Uhr, als Hans sagte:
»Ich bin unverschämt hungrig.«
»Unverschämt ist das richtige Wort«, sagte Kerstin und lächelte. »Dann müssen wir uns anziehen und ins Restaurant gehen.«
Sie fanden eine Taverne ohne Diskothek und machten sich übers Essen her. »Das war gut«, sagte Hans. Und dann stellte er die Frage, die nicht länger zu vermeiden war:
»Sind die anderen weit von hier?«
»Um die Südspitze herum und noch ein Stückchen hinauf. An einem Ort, der verblüffenderweise Puerto Rico heißt. Aber das ist morgen dran, mein Geliebter. Ich möchte so gern noch so bleiben … ja, du verstehst schon.«
»Ich auch.«
Sie schlenderten langsam durch die sanfte Nacht zurück. Er hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und sagte:
»Ich habe ganz vergessen, dass du so klein bist.«
Sie lachte, aber spröde und eine Spur höflich.
Scheiße, dachte er, ich hätte nicht fragen sollen.
Als sie wieder im Zimmer waren, sagte er:
»Wie schlimm es auch sein mag, Kerstin, wir werden es schaffen.«
»Ja.« Sie nickte, aber ihre Augen waren voller Unruhe, und als er sie zu sich ins Bett zog, weinte sie.
»Entschuldige«, flüsterte sie. »Aber ich brauche das so sehr.«
»Ich verstehe das. Schlaf jetzt.«
Sie wachte im Morgengrauen auf und sah ihn im Sessel am Fenster sitzen, mit einem Bier, den Blick auf die Berge gerichtet, ohne etwas zu sehen.
Langsam setzte sie sich im Bett auf.
»Komm und leg dich zu mir und erzähl.«
»Das ist nicht so einfach«, sagte er und fuhr fort, als er ihre Unruhe sah:
»Ich meine, es ist schwierig, es in den Griff zu kriegen. Aber, nun gut, im Golf war der Krieg voll im Gange, Bomber und Luftabwehr. Danach hatte ich Schwierigkeiten mit dem Schlafen, bin jede Nacht von einem merkwürdigen Traum aufgewacht. Der im halb wachen Zustand weiterlief, wie ein Film. Bilder, Kerstin, die ganze Zeit Bilder aus meiner Kindheit. Du weißt, dass ich mich eigentlich nie an die Zeit erinnern konnte, bevor die Bomben meine Mutter und die anderen getötet haben. Jetzt kommt das alles zusammen, und das ist so traurig, Kerstin.«
»Erzähl mir, was du gesehen hast.«
»Eine Treppe, fast eine Leiter, ganz steil. Der Junge, das bin ich, schleicht sich hinauf, er trägt einen schweren Behälter. Beim Weg hinauf riecht er nach Essen und auf dem Weg hinunter nach Scheiße. Er hat Angst, es ist gefährlich, aber er weiß nicht, woher die Gefahr droht. Klara ist da, auch sie trägt etwas. Wir flüstern, aber da öffnet Mutter die Tür, sie ist drinnen auf dem Dachboden und macht Zeichen: still, kein Wort. Jemand weint da drinnen, ein hoffnungsloses Weinen.«
»Hat deine Mutter Juden versteckt?«
»Ja, so weit bin ich auch gekommen. Aber ich erinnere mich nur, dass darüber geredet wurde, und an viel Streit, hässlichen, geflüsterten Streit im Schlafzimmer, bevor wir zur Schule gingen. Ich habe oft gedacht, dass es nicht stimmte, dass es nur etwas war, was sich mein hysterischer Vater ausgedacht hat.«
»Das war wohl nicht so.«
»Meinst du, man kann dem Unbewussten, oder wie man das nun nennt, also dem, was diese Bilder entwickelt, mehr glauben?«
»O ja. Du weißt es, du hast es doch selbst gesagt. Filme hast du sie genannt, die sich entwickeln. Das gewöhnliche Gedächtnis ist nie besonders zuverlässig.«
Sie schwiegen lange Zeit, bis Kerstin sagte:
»Aber etwas Gutes hat das Ganze, Hans. Du hast doch immer gesagt, man könne nicht einfach vor seiner Vergangenheit davonlaufen.«
»Ich bin nicht davongelaufen. Sie ist einfach verschwunden, in einem Bombenkrater.«
»Ich weiß. Und deshalb kommt sie wohl in dieser Form zurück, schleichend und langsam.«
»Aber das ist nicht so einfach. Ich glaubte, dass … ich habe geglaubt, dass es vorbei sein würde, wenn du, wenn wir, ja, du weißt schon.«
»Nein. Es wird wohl weitergehen, und das ist auch wichtig. Das Einzige, was ich tun kann, ist zuhören und dich vielleicht darin unterstützen, das anzunehmen, was kommt.«
»O Scheiße, Kerstin, ich muss endlich schlafen können, sonst werde ich noch verrückt.«
»Du hast doch bald frei. Wenn wir nach Hause kommen, kannst du den ganzen Tag schlafen und das nachholen, was du versäumt hast.«
»Dann haben wir jetzt noch nicht frei? Jetzt bist du dran, Kerstin. Jetzt will ich in allen Einzelheiten wissen, warum du so müde und ängstlich bist.«
»Ich gehe mich duschen, und du bestellst einen Kaffee.«
Eine Weile später rief Kerstin aus dem Badezimmer, dass in ihrer Handtasche ein Zeitungsausschnitt liege.
»Lies den!«
Als sie aus dem Bad kam, lachte er sie an und sagte:
»Was haben wir für einen verdammt guten Pfarrer, Kerstin. Davon hatte ich ja keine Ahnung.«
Als das Frühstückstablett ins Zimmer gebracht wurde, dachte Kerstin: Ich fange lieber mit dem Pfarrer an, mit Sofias Privatgespräch mit ihm. Dann wird es etwas einfacher.
Sie erzählte eine gute halbe Stunde lang. Er musste alles wissen, was in Östmora seit dem Wundersonntag geschehen war. Er unterbrach sie nicht, aber sie sah seine Angst, als er von den Übungen im Zusammenträumen hörte. Und als sie zu dem größten Wunder kam, dass der Blinde sehen konnte, verlor sein sonnengebräuntes Gesicht alle Farbe.
Ich weiß, dass er zu denen gehört, die verstehen, dachte sie und fuhr fort mit dem Telefongespräch des Arztes, in dem er vom Selbstmordrisiko gesprochen hatte.
»Wir übernähmen eine große Verantwortung, wenn wir die Reise machen würden, gab er zu bedenken. Ich habe mit Klara gesprochen, sie selbst hat Anders‹ Arzt angerufen und gesagt, sie würde die ärztliche Verantwortung für den Jungen übernehmen.«
»Lass uns jetzt losfahren«, sagte Hans.
»Ja.«
Sie zogen sich an und packten. Kerstin sagte:
»Klara scheint es gut zu gehen. Als das Wunder geschehen war, musste ich sie anrufen, während ihrer Dienstzeit. Das war ein Schlag für sie. Aber dann hat sie einen Studienfreund aufgesucht, der sich auf Psychiatrie spezialisiert hat. Sie hat zwei Tage lang mit ihm gesprochen, und das scheint ihr geholfen zu haben, sie wirkt jetzt viel fröhlicher. Und auf eine Art sicherer, das habe ich schon im Flugzeug gemerkt.«
»Schön«, sagte Hans. »Du, ich möchte nicht mit dem ganzen Kram im Bus sitzen, können wir nicht …«
»Natürlich, wir mieten ein Auto. Ich fahre.«
Er lachte sie an und nickte:
»Gut, du fährst.«