27

Gegen vier Uhr nachmittags gingen Horner und Anders zum Jachthafen des Ortes. Bei den schwierigsten Abschnitten des Weges legte Hans seine Hand auf die Schulter des Jungen. »Jetzt kommt eine Treppe, Anders.« Ansonsten bewegte der Junge sich sicher, der weiße Stock schwang souverän und elegant: rechter Fuß, ein leichter Schlag nach links, linker Fuß, ein leichter Schlag nach rechts.

Der Bootsverleiher war feist und schroff und konnte kaum Schwedisch. Horner versuchte es mit Englisch, aber das ging auch nicht besser.

»I am German«, sagte er, woraufhin Hans lachte und meinte, das hätte er doch gleich sagen können, »mein lieber Herr«. Anders lauschte der fremden Sprachmelodie mit gespannter Aufmerksamkeit.

»Es gibt hier ein kleineres Boot, das einer schwedischen Trissjolle sehr ähnlich ist«, erklärte Horner dem Jungen. »Das liegt gut im Wasser, hat aber nur ein Schwert.«

Anders erwiderte, er habe noch nie etwas von einer Trissjolle oder einem Schwert gehört. Seine Stimme klang heiser. Er hat Angst, dachte Hans und sagte:

»Wir werden es für heute Nachmittag mieten. Wenn es uns gefällt, behalten wir es.«

Sie gingen an Bord. Der Junge setzte sich mit steifen Gliedern auf die schmale Ruderbank in der Plicht.

»Jetzt kannst du dich mit dem Boot vertraut machen. Befühle es.«

»Nicht hier«, flüsterte Anders. Hans verstand sofort und sagte: »Okay, dann fahren wir ein Stück zur Landspitze hinaus. Dort können wir hinter dem Fels ankern, wo uns niemand sieht, und dort anfangen zu üben.«

Kerstins Worte klangen ihm noch im Ohr, als er die Leinen losmachte und das Großsegel hisste: Reden, die ganze Zeit reden, erzähl, was du machst und was geschieht.

Also redete er: »Jetzt löse ich das Tau, das das Boot an Land festhält, jetzt ziehe ich an der Leine, die das Segel hisst, jetzt werfe ich das Ruder herum, so weit, dass wir nach Backbord fahren, das ist links, um in den Wind zu kommen, den Wind im Segel zu fangen. Wie wir jetzt segeln, nennt man am Wind segeln, und das bedeutet, dass das Boot sich ziemlich zur Seite neigt. Kommst du mit?«

Der Junge hatte rote Wangen.

»Ja, ja«, sagte er, »ich verstehe.«

»Jetzt kreuzen wir, Anders, jetzt kommt das Boot, jetzt legt es sich auf die Seite. Hast du Angst?«

»Nein«, sagte der Junge, hielt sich aber krampfhaft an der Reling fest.

»Geh mit der Neigung mit, Anders. Spürst du den Wind?«

»Ja.«

»Jetzt fahren wir direkt aufs Meer hinaus. Du verstehst, dass wir mit diesem Wind nicht direkt auf die Landspitze zu segeln dürfen, wir müssen einen Schlag machen. Das ist das Gleiche wie wenden.«

Anders nickte. Hans Horner fuhr fort:

»Das Segel sitzt teilweise an dem hohen Mast fest, zum anderen Teil an dem Baum hier unten, es ist dreieckig. Ich meine, das Segel. Wenn wir nach einer Weile wenden, fährt der Baum zur anderen Seite, um den Wind aus der anderen Richtung einzufangen. Kommst du noch mit?«

»Aber wie kriegst du es dazu, zu wenden?«

»Komm her, Anders. Leg deine Hand neben meine, hier. Das ist die Ruderpinne, mit der steuern wir. Jetzt ziehen wir sie rüber, Anders, so weit wir können nach rechts, und jetzt, spürst du es, jetzt gehorcht uns das Boot. Jetzt kreuzen wir, jetzt schwenkt der Baum rüber, hörst du? Und damit haben wir eine andere Richtung.«

»Meine Güte, ist das spannend«, sagte Anders.

»Jetzt fahren wir direkt auf den Fels zu. Sobald wir dort ins Lee kommen, wird der Wind abflauen, das Boot wird sich aufrichten und an Fahrt verlieren. Ich weiß nicht, ob der Grund hier tief ist oder nicht, deshalb ist es gut, dass wir ein Schwert haben. Das ist eine Art Kiel, den man hochziehen kann, wenn man auf Grund stößt.«

Anders fühlte den Fels, einen kühlen Schatten, das Segel flatterte, die Fahrt nahm ab. Es wurde still, sie glitten dahin, aber Horner sagte:

»Ich traue mich nicht, noch näher heranzufahren, Anders. Wir werfen hier den Anker, jetzt kannst du gleich das Klatschen hören, wenn er ins Meer fällt, und kurz darauf geht ein kleiner Ruck durchs Boot, und dann liegen wir still.«

Dann lagen sie da, Horner holte das Segel ein und sagte: »Jetzt bist du dran, dich mit dem Boot vertraut zu machen. Das ist wichtig. Jedes Mal, wenn du etwas anfasst, werde ich dir sagen, wie das heißt. Du musst dir die Worte für später merken, wenn wir weiter hinaussegeln, dann musst du wissen, wo sich alles befindet. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, dass du über Bord fällst. Und schwimmen kannst du ja.«

 

So gingen sie eine gute Stunde vor, die neuen Begriffe wirbelten im Kopf des Jungen, aber er bewegte sich bereits unbeschwerter. Sie diskutierten die Bezeichnungen, warum konnte ein Strick nicht einfach Strick heißen, sondern ein Schot?

»Jeder Beruf hat seine Sprache«, sagte Horner. »Nur Landratten sagen Strick.«

Darüber lachten sie gemeinsam, und Anders dachte, bald traue ich mich, ihn zu fragen, warum man zu Mädchen nett sein muss.

»Gefällt dir das Boot?«

»Ja, und wie.«

»Gut, dann mieten wir es für eine Woche. Jetzt will ich dir das mit dem Schwert zeigen, dieser schmale Kasten mitten in der Plicht. Er hat eine Spalte, fühlst du? Jetzt ziehe ich den Kiel in ihm hoch, jetzt kommt er. Fühlst du, wie das Boot schwankt, jetzt können wir aber schaukeln, hin und her.«

Horner schaukelte ziemlich, die ganze Zeit das Gesicht des Jungen im Blick. Doch der hatte keine Angst, er lachte, das war gut.

Kurze Zeit später sagte Horner, dass sie jetzt umkehren müssten, es wurde langsam spät.

»Die Dunkelheit setzt hier schnell ein«, sagte er und spürte sofort, wie der Junge ihm entschwand, sein Gesicht sich verschloss. Scheiße, dachte er, begriff aber nicht genau, was geschehen war.

»Willst du den Anker einholen, Anders?«

Der Junge verspannte die Gesichtsmuskeln vor Anstrengung, sich zu erinnern. Dann ging er nach vorn, bekam die Ankerkette zu fassen und zog an.

»Gut. Schaffst du es, das Großsegel zu hissen?«

Wo die Schote saßen, wusste der Junge genau, und als das Segel im Wind zu flattern begann, war er von wilder Freude erfüllt.

»Jetzt fahren wir«, rief er, und Hans Horner lachte und dachte, dass vielleicht auch der Junge eine Wende machen würde, wie ein Boot, das weiß, wie viel Spaß es macht, im Wind übers Meer zu tanzen.

Es wehte ziemlich starker Wind, als sie am Hafenkai anlegten.

»Hier ist die Heckschot, ich lege sie um den Polder. Dann nehmen wir den Vordertampen, und jetzt springe ich an Land und vertäue das Boot.« Ich rede wie ein Idiot, dachte Horner und fühlte mit einem Mal, wie müde er war.

Gerade als sie an Land gehen wollten, fragte Anders:

»Darf ich um etwas bitten.«

»Ja, natürlich«, sagte Horner, überrascht, als er sah, wie ängstlich der Junge war.

»Darf ich das Gesicht des Kapitäns ertasten.«

»Aber natürlich, Anders. Wie dumm, dass ich nicht selbst dran gedacht habe.«

Die feste Jungshand mit den empfindsamen Fingern befühlten Hans Horners Gesicht, Zug um Zug.

»Sie sind feucht unter den Augen, Käpt’n«, sagte er schließlich.

»Das passiert oft auf See. Alte Seeleute, die jahrelang aufs Meer gestarrt haben, haben oft Probleme damit. Ich glaube, das ist ganz gut so, die Tränendrüsen sondern Wasser ab, damit die Augen nicht austrocknen.«

»Das ist interessant«, sagte Anders. »Mich interessieren Augen nämlich sehr, weißt du.«

»Ja, das ist wohl ganz natürlich.«

Als sie zum Motel gingen, fiel Hans auf, dass der Junge das erste Mal du zu ihm gesagt hatte. Der Abstand war geschrumpft. Aber als er ins Zimmer gekommen war und sich aufs Bett warf, sagte er zu Kerstin:

»Ich schaffe das nicht. Auf irgendeine verflucht merkwürdige Art habe ich Angst vor dem Jungen.«