So saßen sie dort auf dem Felsen, Hans und Kerstin, und schauten über die Buchten, während die Märzdämmerung sich ums Auto verdichtete. Sie waren nicht mehr so aufgekratzt, ihnen war eher feierlich zumute, wie Menschen zumute wird, wenn sie ihre Zusammenhänge erkennen.
Aber schließlich fuhren sie doch heim. Klara war unruhig geworden, Sofia dagegen sah sie ruhig an und nickte. Das gesegnete Kind weiß, dass etwas Wichtiges geschehen ist, etwas Gutes, dachte Hans, als er im Flur mit der Zehnjährigen im Arm stand.
»Alle haben sicher einen Bärenhunger«, sagte Klara. »Aber das Essen ist leider schon lange kalt geworden.«
»Ich helfe dir, es aufzuwärmen«, sagte Hans.
Kerstin legte sich auf das Sofa im Wohnzimmer, zog Sofia an sich und deckte eine Wolldecke über sie beide.
»Der Feuervogel schläft, aber Oma ist müde«, sagte Sofia, und Kerstin flüsterte, dass sie ganz Recht hätte, vollkommen Recht. In der Küche sagte Hans zu Klara, er nehme an, sie wisse, warum Kerstin krankgeschrieben sei.
»Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht. Sie ist überanstrengt, und das gibt es ja ziemlich oft.«
Er sah seine Tochter lange an, und Klara wurde wütend und sagte, dass Åke Arenberg sie sicher angerufen hätte, wenn er den Verdacht hätte, es wäre etwas Ernsthaftes.
»Aber es war nicht Arenberg, der sie krankgeschrieben hat. Es war ein Psychiater in Uppsala.«
Klara war so überrascht, dass sie fast den Teller mit den in Sahne gekochten Forellen fallen ließ.
»Warum erzählt sie mir nie etwas?«
»Vielleicht, weil du nicht fragst.«
Er war unangenehm ruhig, und Klara, die Kritik von seiner Seite nicht gewohnt war, spürte, dass etwas sich verändert hatte:
»Was ist passiert, Papa?«
»Was Kerstin betrifft, so musst du sie fragen. Bezüglich meiner Person ist ein Briefwechsel mit Jonas schuld. Ich werde dir den Brief und das Telegramm zeigen, wenn wir gegessen haben.«
Klara bekam Angst, und Hans beeilte sich hinzuzufügen:
»Es geht nicht um dich. Es geht um mich und diesen Traum, der von Jan handelte. Jonas kam darauf, welche Bedeutung er hat. Das ist überwältigend, aber gut, kleine Klara.«
Kerstin schlief, als sie das Essen hereintrugen. Er hob Sofia hoch, flüsterte: »Hilf Klara mit den Kartoffeln.« Dann beugte er sich über Kerstin und küsste sie wach.
Der Kuss des Prinzen, dachte Klara und gab sich Mühe, an Jonas zu denken. Das war nicht einfach, sie hatte Probleme, sich daran zu erinnern, wie er aussah. Ich sollte nach Hause fahren, in Herrljunga umsteigen, dann nach Uddevalla und arbeiten. Verflucht nochmal, was habe ich hier zu suchen?
Trotz allem wurde es ein fröhliches Essen. Kerstin lobte die Forellen, aber Klara entgegnete, dass sie von dem langen Warten zäh geworden seien, und Sofia behauptete, Würstchen seien viel besser. Sie tranken einen australischen Weißwein, und Hans, der misstrauisch das Etikett studiert hatte, wurde angenehm überrascht.
»Sehr gut«, sagte er. Leider habe er diesmal keine Geschenke, er habe in Dubai keine Zeit gehabt. Klara und Kerstin sagten wie aus einem Munde, dass er selbst das beste Geschenk sei. Nur Sofia sagte, das sei ja furchtbar schade, und Hans entgegnete, sie sei wunderbar, und das Beste an ihr sei, dass sie nicht lügen könne.
»Das stimmt. Aber ich übe es so gut ich kann.«
Klara lachte laut, Kerstin lachte auch, aber Hans sagte ernst: »Tu das nicht, Sofia.«
»Aber man muss das doch, weißt du«, widersprach ihm Sofia. »Alle lügen ab und zu, und ich muss mich doch anpassen.«
Hans sah überrascht aus, nickte aber schließlich und sagte, doch, das könne schon sein, dass man mal lügen müsse. Aber es gehe darum, genau zu wissen, wann man es tat.
»Auseinander halten«, sagte Sofia eifrig. »Weißt du, Kerstin und ich machen ja nichts anderes, als das zu üben: AUSEINANDER HALTEN.«
Sie betonte jeden Buchstaben und setzte zu einer langen Erklärung der ersten Wirklichkeit und der zweiten Wirklichkeit an und dass man immer wissen müsse, in welcher man sich befand. Träume, Visionen und das Wissen der Geheimnisse anderer und dessen, was geschehen würde – das alles gehörte in die zweite Wirklichkeit. Die erste, das war die, über die sich alle einig waren.
Hans war verblüfft, nickte aber nur umso heftiger, als Sofia mit vielen Beispielen fortfuhr und berichtete, wie Kerstin und sie nur noch einander anzusehen brauchten, um sich die Botschaft zuzusenden: Auseinander halten. Allein Klara sah traurig aus, und Kerstin wusste, dass sie daran dachte, wie anders doch alles geworden wäre, wenn auch sie das gelernt hätte, frühzeitig, als sie in der Schule zu schummeln begann.
»Man wird klüger mit den Jahren, Klara«, sagte Kerstin betrübt.
»Du scheinst es jedenfalls zu werden«, entgegnete Klara kurz und dachte, du hast mir diese zweite Wirklichkeit genommen, und das werde ich dir nie verzeihen können. Aber als sie mit Jonas‹ Brief und Telegramm an Hans Horner ins Bett ging, wagte sie doch die Hoffnung zuzulassen, dass es auch für sie einen Weg zurück geben könnte. Sie wollte zu dieser alten jungianischen Dame gehen, die Jonas‹ Ärztin gewesen war.
Ob Papa jetzt abmusterte?