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Jonas«, begann Klara, als sie endlich allein waren. »Ich habe Angst, einen Riesenbammel, wie Sofia immer sagt. Du musst vorsichtiger sein.«

Er fühlte Wut in sich aufsteigen, er hatte sich diese Situation schließlich nicht ausgesucht. Aber er schluckte die Wut hinunter und sagte, dass es keine akute Gefahr für Sofia gebe, soweit er es verstehe. Er werde sich am nächsten Morgen ausführlich mit ihr unterhalten. Er kannte sich mit Kindern aus, er würde schon vorsichtig sein.

»Sofia, Sofia, Sofia«, sie schrie fast. »Alles dreht sich immer nur um Sofia. Ich habe nicht ihretwegen Angst, ich habe um mich selbst Angst.«

»Ich aber nicht«, entgegnete Jonas, und seine Stimme war kalt. »Ich bin kein bisschen besorgt deinetwegen.«

»Aber du weißt doch, ich habe es dir doch erzählt.«

»Lass uns Eines ein für alle Mal klarstellen: Ich habe vor psychotischen Episoden ebenso wenig Angst wie du vor entzündeten Blinddärmen. Wenn du planst, ausgerechnet jetzt in den Wahnsinn zu fliehen, dann werde ich nur wütend. Um des Kindes willen, um der Zehnjährigen willen, die sich in einer Krise befindet und auch von ihrer Mutter Hilfe braucht.«

»Schrei nicht so, sie können uns hören.«

»Das ist mir scheißegal!«, schrie Jonas.

Im nächsten Moment klopfte es an der Tür, es war Hans Horner, er sah beunruhigt aus.

»Entschuldigt«, sagte er. »Aber Sofia hat so einen leichten Schlaf, und ich glaube, es wäre ganz wichtig, dass sie genügend Schlaf kriegt.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung«, sagte Jonas. »Genau darüber haben wir gerade geredet, deshalb ist es gut, dass du gekommen bist.«

Er wurde leiser und fauchte:

»Deine reizende Tochter droht mit einer Psychose. Und das finde ich eine ziemlich bescheuerte Idee, jetzt, wo wir alle unsere Kräfte um Sofia sammeln müssen.«

Hans wich alle Farbe aus seinem Gesicht, und seine Augen weiteten sich vor Schreck:

»Klara, meine Kleine!«

»Hans«, schrie Jonas in gedämpfter Lautstärke. »Du bist ein größerer Idiot, als ich mir überhaupt vorstellen kann. Siehst du nicht, wie sie mit deiner und Kerstins Ängsten spielt?«

»Du meinst also, ich täusche es nur vor, dieses Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen wegrutscht?« Klaras Stimme zitterte vor unterdrückter Wut.

»Nein, das meine ich nicht. Dir geht es sicher ebenso beschissen wie mir selbst in diesem Augenblick. Und Hans und Kerstin auch. Aber du hast mir selbst erzählt, dass es für dich immer Inseln der Vernunft gibt, selbst mitten in einer Psychose. Such dir eine. Lande auf mir, denn ich bin genau genommen Festland, wenn es um diese Symptome geht.«

Klara nickte, aber er gab sich noch nicht zufrieden, sondern fuhr fort:

»Du hast einen Patienten mit geplatztem Blinddarm, den du für die Operation fertig machst. Gerade in dem Moment, wenn du alle Kräfte sammelst, bekommt die OP-Schwester einen hysterischen Anfall. Sie ist nicht austauschbar, es gibt keine andere Schwester. Was machst du?«

»Ich glaube, ich haue ihr eins aufs Maul«, sagte Klara.

»Genau, noch ein Schritt weiter, Klara, und ich hau dir eins aufs Maul.«

»Jonas«, sagte Klara zwischen Lachen und Weinen, »ich liebe dich.«

»Wenn das stimmt, dann sieh zu, dass du morgen fit bist, um mir zu helfen«, entgegnete Jonas trocken und wandte sich Hans zu:

»Der Unterschied zwischen Klara und uns anderen besteht darin, dass sie einen Ort hat, an den sie fliehen kann, wenn sie verzweifelt oder ängstlich ist. Leute wie du und ich müssen in unserer Verzweiflung ausharren.«

»Wir können uns höchstens voll laufen lassen«, meinte Hans Horner.

»Das stimmt, Käptn. Aber das tun wir nicht.«

»Gute Nacht«, sagte Hans und ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um und sagte:

»Ich glaube, ich bin noch nie in meinem Leben so verwundert gewesen.«

Als sie endlich ins Bett gekommen waren, weinte Klara verzweifelt. Jonas ließ sie gewähren, holte ihr aber eine Schlaftablette:

»Nimm die, damit wir schlafen können«, sagte er.

Eine halbe Stunde später war sie eingeschlafen, während Jonas wach liegen blieb. Er starrte zur Decke und kämpfte mit dem heftigen Impuls, einfach wegzulaufen. Was in Gottes Namen hatte er hier zu tun, was ging ihn das Ganze an, dieses sonderbare Familienspiel mit verdeckten Karten? Was für ein Mensch verbarg sich hinter Hans Horners freundlicher Fassade? Der Joker im Spiel? Und sie, diese schöne, geheimnisvolle Kerstin? Die Pikdame. War sie es, die die Regeln für das Spiel aufstellte?

Er drehte sich auf die Seite und sah Klara lange an, die Frau, die er liebte. Liebte er sie wirklich? Sie schlief tief und fest, war weit entfernt, eine Fremde, die sich in einer verwirrenden inneren Welt verlor, sobald ihr jemand zu nahe kam. Sie war hässlich, das sah er jetzt, ein eckiges Gesicht, Horners ähnlich, kraftvoll, hart wie das eines Mannes.

Die sind doch alle zusammen verrückt, dachte er. Und das steckt an, das spüre ich. Er sah seine Jeans und seinen Pullover auf dem Stuhl liegen, dachte lange Zeit an seinen Wagen auf dem Hofplatz, wusste aber, dass er es nicht tun würde. Er hatte bei einem zehnjährigen Mädchen einen Prozess eingeleitet, und es war seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, hier zu bleiben und die Verantwortung zu übernehmen.

 

»Es ist sechs Uhr, und die Sonne scheint schon seit Stunden. Wach doch endlich auf, Jonas!«

Sofia flüsterte, aber nicht besonders leise, sodass Jonas und Klara gleichzeitig aus dem Schlaf hochfuhren. Das ärgerte Sofia, und sie verkündete laut, Klara könne ruhig weiterschlafen, sie werde nicht gebraucht.

»Ich begreife nicht, warum du auf deine Mama so böse bist.«

»Ach«, wehrte Sofia ab. »Ich bin nicht böse, ich finde nur, dass sie feige ist.«

»Da hast du sicher Recht«, meinte Klara, sie zog sich ihren Morgenmantel über und ging in die Küche. Jonas sah traurig aus, und Sofia fragte ängstlich:

»Bist du böse auf mich, wenn ich schlecht über Mama rede?«

»Ein bisschen. Aber weißt du was, darüber sprechen wir später.«

»Und wann?«

»Wenn wir gesprungen sind natürlich.«

Jonas zog sich Jeans und Hemd an, nahm Sofia an der Hand und ging in die Küche. Als Klara ihr Tee in die Tasse goss, sagte das Mädchen:

»Du brauchst keine Angst zu haben, Mama.«

»Ich versuche es, Sofia. Und ich vertraue Jonas und dir.«

 

Sie aßen schweigend, dann sagte Sofia:

»Ich muss Jonas eine ganze Menge erklären.«

»Das verstehe ich, ich werde versuchen, noch eine Weile zu schlafen«, sagte Klara und verschwand.

»Weißt du«, begann Sofia, »ich habe nämlich ein Versteck. Auf dem Dachboden. Oma weiß davon, aber sie hat versprochen, nie dorthin zu gehen, und sie ist prima, man kann sich auf sie verlassen, meine ich. Das heißt, außer mir war noch nie jemand sonst da. In dem Zimmer befindet sich der Berg, verstehst du?«

Er nickte, sie fuhr fort:

»Überall sonst bin ich die liebe kleine Sofia. Aber in dem Zimmer nicht, weißt du. Gestern ist zum ersten Mal der aus dem Zimmer durch meinen Mund hinausgeschlüpft, als andere dabei waren. Das kam nur, weil ich ihn gegen dich verteidigen musste, sagen musste, ich hätte mir das Ganze ausgedacht. Aber dann geriet alles so durcheinander, als du gesagt hast, dass du auch einen toten Papa hast, mit dem du geredet hast, als du klein warst.

Und als wir gegessen haben, hast du gesagt, dass man zulassen muss, dass die verschiedenen Figuren, die in einem sind, sich miteinander anfreunden. Du verstehst nicht alles, Jonas, denn du bist nicht so klug, wie du tust, aber das war der Moment, in dem wir gesprungen sind. Das will ich dir jetzt sagen, weil du es nicht begriffen hast. Eigentlich habe ich es auch nicht richtig begriffen, aber später habe ich geträumt, dass wir am Tisch saßen und du das gesagt hast, und ich bin direkt über den Tisch zu dir hingesprungen. Das ganze Geschirr ging kaputt, und Klara schimpfte, aber Oma lachte nur und sagte, dass sie sich nicht über verschüttete Milch aufregt.

Das war schon komisch, denn es stand doch gar keine Milch auf dem Tisch. Nur Wein. Aber das sagt sie immer. Zum Beispiel wenn man einen Teller runterfallen lässt, auf dem überhaupt keine Milch gewesen ist.«

»Das ist ein Sprichwort«, erklärte Jonas. »Das bedeutet einfach, dass man verlorenen Dingen nicht hinterhertrauern soll. Man soll nur traurig sein, wenn etwas verschwindet, was nicht zu ersetzen ist.«

»Wenn Leute sterben und so, meinst du?«

»Ja, oder wenn man böse wird, und es gibt Streit und man tut sich gegenseitig weh.«

»Ach so«, sagte Sofia zögernd, »deshalb bin ich so traurig, dass ich mich mit Anders nicht mehr verstehe, dem blinden Jungen, weißt du. Das tut mir so schrecklich Leid.«

»Das verstehe ich.«

»Was kann man da tun, Jonas?«

»Du musst es zulassen, so traurig zu sein, wie du bist.«

»Und wenn man es nicht aushält?«

»Das muss man, Sofia. Sonst ist man ein Feigling.«

»Das ist mir klar. Aber ist man dann das ganze Leben lang traurig?«

»Nein, das ist wie mit einer Wunde. Es tut weh, und es blutet manchmal, und die Wunde muss auch bluten. Und langsam, nach langer Zeit, wächst sie zusammen und wird zu einer Narbe.«

»Aber Narben tun auch weh, wenn man sie zufällig drückt.«

»Ja, das stimmt, Sofia.«

Sie schwiegen eine Weile, aber dann sagte Sofia, dass sie jetzt in das Versteck gehen sollten. Dort würde Jonas ihren Papa treffen und mit ihm reden können. Und sie wollte ihm … etwas zeigen.

»Aber das ist nicht so einfach«, sagte sie. »Denn der Eingang ist schrecklich eng, es ist schwierig, da hineinzukommen. Ich habe mir schon den ganzen Morgen Sorgen gemacht, dass du vielleicht zu groß und zu dick bist.«

»Oh, ich kann gut robben«, beruhigte Jonas sie.

»Als es hell geworden ist, habe ich eine Menge Kissen reingeschafft. Komm, da ist es richtig gemütlich.«

»Dann lass uns gehen«, sagte Jonas.

»Aber es ist besser, wenn wir vorher noch pinkeln. Es ist zu blöd, im Versteck zu sein, wenn man Pipi machen muss.«

Sie gingen beide auf die Toilette, bevor sie sich die Treppe hinaufschlichen, auf Zehen an Kerstins und Hans‹ Schlafzimmer vorbei und weiter zur Tür zur Dachbodentreppe. Die Treppe knarrte, und die beiden sahen sich erschrocken an. Aber nichts rührte sich im Schlafzimmer, also konnten sie beruhigt ausatmen, und Sofia flüsterte, dass sie sich abends so lange liebten, dass sie morgens immer wie ein Stein schliefen.

Jonas staunte und dachte gleichzeitig, dass die beiden sicher auch wach und ebenso gespannt wie Klara waren. Der Gedanke an Klara tat ihm weh, sie hatte es momentan nicht leicht, und er schämte sich.

Sofias Versteck lag ganz hinten unter der Giebelspitze des Dachbodens. Es gab keine Tür, aber das Mädchen hakte eine Holzluke unten am Boden los, und Jonas kroch hinein. Ohne Probleme.

»Toll«, sagte sie. »Wo hast du das gelernt?«

»Beim Militär.«

Es war dunkel, doch das Kind zog vor einem halbmondförmigen Fenster eine Gardine auf, das Licht strömte herein, und der Staub tanzte in den Sonnenstrahlen.

»Hier ist es nicht besonders ordentlich«, sagte sie entschuldigend. »Aber es ist doch schön, findest du nicht auch? Ein ganzer Raum, wie ein Geheimfach.«

Er nickte, konnte jedoch nicht antworten. Er schaute sich die Wände an, an denen er entlanggekrochen war, und seine Augen wurden ganz rund vor Überraschung.

»Sofia«, flüsterte er schließlich. »Sind die von dir?«

»Ja.« Ihre Stimme schwappte vor Freude über.

Die Sonnenstrahlen spielten in dem Versteck nicht nur mit dem Staub, sie fanden Halt in leuchtenden Farben, auf Vögeln und Fischen, auf Bergen und in Wäldern in den Gemälden, die die Wände bedeckten.

»Mein Gott«, sagte Jonas.

Im Winter, als Klara sich besonders große Sorgen um Sofia gemacht hatte, hatte er ihr gesagt, er würde gern ein paar Zeichnungen des Kindes sehen. Er hatte einen Kollegen, der auf Kinderzeichnungen spezialisiert war und darauf, was sie über die Gedanken und Phantasien eines Kindes aussagten. Also hatte er Klara aufgefordert, ihre Mutter anzurufen und Kerstin zu bitten, einige von Sofias Werken zu schicken.

Er konnte sich immer noch an seine Verwunderung erinnern, als Klara sagte, dass Sofia nie malte. Alle Kinder malen, hatte er gesagt, und Klara war noch unruhiger geworden, als sie versicherte, dass Sofia es nicht tat. Natürlich hatte sie wie alle anderen Kinder Kopffüßler und Häuser mit Türen gezeichnet, die wie Münder aussahen, aber nur, als sie noch klein war. Und eines Tages war sie so wütend auf Stifte und Papier geworden, dass sie alles in die Ecke geworfen hatte.

»Kerstin glaubt, dass sie aufgehört hat zu malen, weil die Bilder nie so wurden, wie sie es sich gedacht hat. Sie fühlte sich unzureichend, und deshalb hat sie aufgehört. Wie ich es früher auch gemacht habe.«

»Aber du hast als Kind gemalt?«

»Nein, ich glaube, ich habe es genauso wie Sofia gemacht, aufgehört, weil es nie gut genug war.«

Er konnte sich an das Gespräch erinnern, Wort für Wort. Und an seine Verwunderung, die er vor Klara verbergen wollte.

»Mein Gott«, sagte Jonas wieder und löste endlich seinen Blick von den Wänden und schaute Sofia an.

»Warum sagst du die ganze Zeit ›Mein Gott‹?«

»Weil ich so überrascht bin. Sofia, du bist sehr begabt. Du kannst ein große …«

»… Malerin werden?«

»Ja, das denke ich schon.«

»Ich habe noch mehr, Tausende. Guck mal.«

An der Längswand stand ein alter Küchenschrank, sie öffnete ihn, und die Bilder quollen heraus. Starke, suggestive Bilder, viele abstrakt.

»Mir gefallen die am besten, die etwas darstellen«, sagte Sofia, während Jonas den Kopf schüttelte.

»Ich glaube, mir gefallen die anderen noch besser.«

»Warum?«

»Ich mag Kunstwerke, die der Phantasie Spielraum lassen, wenn man sie betrachtet.«

»Das klingt spannend, daran habe ich bis jetzt noch nie gedacht.«

Sie schwieg eine Weile, bis sie zugab:

»Aber ich habe auch viele schlechte.«

»Und wo hast du die?«

»Zuerst habe ich sie einfach aus dem Fenster geworfen. Aber da wurde Oma böse und sagte, dass ich eine Plastiktüte mit hochnehmen und den Müll da reintun sollte. Sie war richtig wütend, wie sie es ab und zu wird, aber es war schon in Ordnung. Denn später fing sie an, große Blocks und Massen an Stiften für mich zu kaufen. Jedes Mal, wenn sie ihr Gehalt gekriegt hat, kam sie mit einer großen Tüte nach Hause, die sie in meinem Zimmer aufs Bett gelegt hat. Das war schön, denn vorher hatte ich die Stifte in der Schule geklaut.«

Sie schaute Jonas prüfend an, auf einen Tadel gefasst. Doch er sagte nur überrascht:

»Dann habt ihr nie darüber gesprochen?«

»Nein, ich habe dir doch schon gesagt, dass sie es gut akzeptieren kann, wenn jemand ein Geheimnis hat. Ich glaube, das liegt daran, dass sie selbst so viele Geheimnisse hat.«

»Das kann stimmen«, sagte Jonas, dachte aber, dass damit nicht alles erklärt sein konnte.

»Aber das ist ja noch gar nicht das große Geheimnis«, erklärte Sofia. Sie stand auf, ging zum Spiegel an der Breitseite und nahm ihn ab. Hinter dem Spiegel befand sich ein Foto, das verblichene Bild eines Gemäldes. Bäume in Reih und Glied, eine eigentümlich schillernde Welt.

»Das hat mein Papa gemalt«, sagte Sofia. »Ich habe es Klara geklaut, sie hatte es unter ihrem Bett auf der Veranda liegen. Ist es nicht wunderbar?«

»Doch, ja.«

»Und dann ist es nämlich so, wenn wir es auf den Stuhl vor uns stellen und lange genug daraufgucken, dann können wir mit Papa reden.«

»Ich glaube, das kannst nur du«, sagte Jonas. »Er will sicher nicht mit mir reden.«

Er wusste nicht, ob Sofia den Einwand mitbekommen hatte, sie war ganz versunken in das verblichene Foto. Nach einer Weile wurde sie vor Freude rot, grüßte das Bild mit einer Verbeugung und sagte mit klarer Stimme:

»Ich will dich nicht lange stören, Papa. Ich möchte dir nur Jonas vorstellen und fragen, was du von ihm hältst.«

Es war so still im Raum, dass Jonas hören konnte, wie das Haus erwachte, die Toilettenspülung rauschte; Hans lief die Treppe hinunter, Kerstin rief etwas. Sofia hörte nichts davon, ihre gesamte Aufmerksamkeit galt dem Bild. Schließlich lächelte sie übers ganze Gesicht, seufzte, legte ihre Hand in die von Jonas und sagte:

»Er sagt, ich soll nett zu dir sein.«

»Das ist gut. Kannst du ihn nicht fragen, ob du vielleicht auch zu Klara nett sein sollst.«

»Aber das geht doch nicht«, widersprach Sofia ihm. »Dann erfährt er doch, dass ich gemein zu Mama bin, und dann wird er sicher stinksauer auf mich.«

Sie sah Jonas an, sah das Glitzern in seinen Augen und musste selbst lachen.

»Weißt du, ich kann nämlich nicht lügen. Man erkennt es sofort daran, dass ich schiele. Und wenn man nicht lügen kann, dann muss man eine ganze Menge geheim halten. Den Großen gegenüber. Verstehst du?«

Er nickte und fragte:

»Dann sollen wir das alles hier, deine Zeichnungen und so, geheim halten?«

Sie dachte lange nach, seufzte und überließ ihm die Entscheidung:

»Das musst du bestimmen.«

»Pass auf, dann machen wir es so: Wir schweigen wie ein Grab, aber nach dem Mittagessen schicken wir alle auf einen Spaziergang. Dann bereiten du und ich auf der Veranda eine Vernissage vor, mit Champagner und allem Drum und Dran.«

»Was ist eine Vernissage?«

»Ein Fest, zu dem man einlädt, wenn man eine richtig gute Kunstausstellung eröffnet.«

Das gefiel ihr. Aber gleichzeitig hatte sie Angst.

»Dann habe ich ja keine Geheimnisse mehr«, flüsterte sie, aber als Jonas sagte, dass es wichtig sei, die Zeichnungen zu zeigen, und dass ihr sicher wieder neue Geheimnisse einfallen würden, ging sie auf seinen Vorschlag ein.

»Das wird wahnsinnig spannend.«

»Und noch etwas möchte ich gern mit dir machen«, fuhr Jonas fort. »Wir wollen versuchen, alles über deinen Papa herauszukriegen, über seine Familie und so weiter. Vielleicht können wir sogar Verwandte finden und besuchen.«

»Trauen wir uns das?«

Eine Weile später krochen sie aus dem Versteck, bürsteten sich auf dem oberen Flur den Staub von der Kleidung und gingen zu den anderen hinunter. Es war deutlich zu erkennen, dass beide bestens gelaunt waren. Jonas lächelte und strahlte allen beunruhigten Blicken entgegen, und Sofia verkündete:

»Oma, du musst dich mit dem Essen beeilen. Und wenn ihr gegessen habt, dann sollt ihr spazieren gehen, denn Jonas und ich wollen eine Überraschung auf Klaras Veranda vorbereiten. Hans, hast du … wie hieß das, was wir brauchen, Jonas?«

»Champagner?«

»Eine große Flasche, echten französischen«, sagte Hans glücklich.