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Runes großer Blindenhund schlabberte Wasser in der Küche. Anders saß im Bett, die Arme um die Knie geschlungen, lauschte, ekelte sich und hatte Angst. Wie groß diese Zunge wohl war, schlabber, schlabber?

Wie viele Blinde konnte Rune die Angst riechen. Er hatte sie bereits in der Tür zum Kinderzimmer gespürt.

Aber er hatte schon zuvor mit Anders zu tun gehabt und wusste, dass der Junge dazu neigte, sich zu verschließen und zu schweigen. Es gab keine Möglichkeit, dieses Schweigen zu brechen, man konnte nur warten.

Also saß er da und wartete, dass das Schweigen unerträglich werden würde, und nach einer Weile platzte Anders heraus:

»Kannst du nicht dafür sorgen, dass dieses Untier aufhört, so zu schlabbern.«

»Doch. Terri, komm her.«

Das große Tier gehorchte, plötzlich spürte Anders es in seiner Tür, im Zimmer. Seine Angst wurde zur Panik, er presste sich an das Kopfende seines Betts, zitterte am ganzen Körper und schrie:

»Nimm ihn weg.«

Rune gehorchte und brachte den Hund, der von der Angst angesteckt worden war und wie ein Welpe jaulte, in den Garten. Dort blieb er lange stehen, beruhigte den Hund und sich selbst. Er konnte es nicht vertragen, wenn jemand Terri nicht mochte.

 

Als er zu dem Jungen zurückkam, hatte er einen Entschluss gefasst, er ging direkt aufs Bett zu und legte eine Hand auf Anders‹ Arm:

»Jetzt sagst du mir, warum du so viel Angst hast.«

»Weil ich weiß, dass die Welt gefährlich ist, die ganze Welt ist gefährlich.«

»Das habe ich nie so empfunden«, sagte sein Betreuer.

»Nur, weil du nie gesehen hast.«

»Da irrst du dich aber. Hast du vergessen, dass ich als Kind sehen konnte, vor dem Unfall?«

Die Worte sanken langsam in den Jungen ein, während er sich erinnerte: Rune war vierzehn gewesen, als der Bootsmotor in den Schären explodiert war.

»Erinnerst du dich dran, was du gesehen hast, als du wie die anderen warst?«

Rune begann zu erzählen, und Anders hörte die Trauer hinter Worten, und die war wichtiger als die Worte, mit denen er Blumen und Farben beschrieb, Vögel, Sonnenuntergänge und das Lachen der Menschen.

»Mit den Menschen ist es komisch«, sagte Rune. »Ich glaube, ich kann mich an alles erinnern, was ich gesehen habe, nur nicht an die Gesichter. Sie sind verschwunden, auch die, die ich am besten kannte. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob meine Eltern braune oder blaue Augen hatten oder wie sie aussahen, wenn sie lachten oder weinten. Mir ist klar geworden, dass meine Bilder von den Menschen nicht mit denen der anderen übereinstimmen, ich baue sie auf Stimmen und einer Art Fühlen auf.«

»Ich weiß«, sagte Anders. »Sie sind ihre Stimme, und manchmal denke ich, dass jemand nur ein großer Mund ist. Unsere Schwedischlehrerin denke ich mir als ein Armband, das klirrt, und als warme Hände. Ich habe eine Freundin hier im Ort, sie heißt Sofia, und sie ist ein Wind, den man einfangen und anfassen kann. Und umarmen«, sagte er, und Rune hörte die plötzlich auftretende Verzweiflung.

»Ist sie es, die dir solche Angst gemacht hat?«

»Ja. Nein. Es sind die Sachen, die gefährlich sind, die Berge, Felswände, das Licht. Und so.«

Rune, der in Uppsala Psychologie studierte, eine Ausbildung, die ihm helfen sollte, blinde Kinder zu unterstützen, merkte, dass der Junge wieder auf dem Weg ins Schweigen war.

»Du willst mir nicht erzählen, was du gesehen hast?«

»Nein.«

»Aber du glaubst, es war die Wirklichkeit?«

»Ja.«

»Ich glaube, jeder Mensch sieht die Wirklichkeit anders. Wir wissen gar nichts darüber.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Anders. Aber das stimmte nicht, denn als Rune sich von dem Jungen verabschiedete, kam dieser mit hinaus und streichelte den Hund. Und als Sofia eine Weile später anrief, etwas verschämt, aber hartnäckig, und von dem Farbenblinden erzählte, der nicht wusste und niemals erfahren sollte, ob er in einem roten oder grünen Wald ging, fühlte er sich getröstet.

Das war merkwürdig, denn er verstand nicht, warum.