„Ich … ich brauche Hilfe.“
Die Krankenpflegerin nickte.
„Ambulant? Oder wollen Sie ein Zimmer beziehen?“
Selma schaffte es nicht, der Frau ihr gegenüber in die Augen zu blicken.
„Ein Zimmer. Ich kann jetzt nicht zuhause sein. Unmöglich.“
Die Frau machte einen Vermerk auf dem Anmeldeformular.
„Ist etwas vorgefallen?“
Sie wartete eine Weile auf eine Antwort.
„Frau Felder, ist irgendetwas vorgefallen? Ich muss das wissen.“
„Ja.“
Für fast eine Minute lag Schweigen im Raum.
„Mein Mann ist tot.“
„Mein aufrichtiges Beileid. Ein Unfall?“
„Ich weiß es nicht. Er ist tot. Die Kriminalpolizei hat es mir gesagt.“
„Die Kriminalpolizei?“
„Vielleicht hat man ihn ermordet.“
Die Krankenpflegerin, eine Frau Anfang fünfzig, in ihrer Arbeit erprobt, umsichtig und verständig, legte das Anmeldeformular und den Kugelschreiber zur Seite und fasste nach Selmas Hand.
„Ich werde gleich den Herrn Doktor benachrichtigen. Es wird alles gut. Wir passen jetzt auf Sie auf. Das Zimmer, das Sie bei Ihrem letzten Aufenthalt bewohnt haben, ist derzeit leider nicht frei, aber wir haben ein sehr schönes Zimmer im ersten Stock für Sie. Tolle Aussicht auf die Wiese und den Garten. Es wird Ihnen bestimmt gut gefallen, Frau Felder.“
Der stationäre Aufenthalt in diesem Privatsanatorium kostete zwar ein Vermögen, aber die sozialmedizinische Betreuung war hervorragend. Selma Felder war in den letzten Jahren zweimal hier in Bad Gastein gewesen, einmal nur vier Tage, einmal fast einen Monat. Das Gebäude lag außerhalb des Ortes im Grünen, rundherum waren Wiesen, Wälder und die Salzburger Berge, und natürlich ein exzellent gepflegter Garten.
Die Krankenpflegerin schaute auf den bei der Tür ihres Arbeitszimmers stehenden Koffer.
„Sind Sie mit dem Auto gekommen?“
„Mit dem Taxi.“
„Das ist gut. Haben Sie Alkohol konsumiert?“
Selma schüttelte verneinend den Kopf.
„Und Medikamente?“
„Ja.“
„Was haben Sie genommen? Und wie viel?“
Selma langte kraftlos in ihre Handtasche, nahm die Packung heraus und legte sie auf den Tisch.
„Trittico also. Wie viele haben Sie genommen?“
„Zwei. Und zwanzig Tropfen Psychopax.“
Die Krankenpflegerin nickte wissend.
„Also dann, Frau Felder, der Martin wird Sie auf Ihr Zimmer bringen.“
Die Frau erhob sich, eilte zur Tür und winkte einen jungen Mann herbei. „Kommen Sie, Frau Felder, mein Kollege wird Sie begleiten und den Koffer nehmen. Können Sie aufstehen? Martin, bitte bring Frau Felder auf Zimmer 116. Ich rufe gleich den Doktor an.“
Der junge Krankenpfleger half Selma beim Aufstehen und führte sie aus dem Raum, mit der freibleibenden Hand schnappte er den Trolley und zog ihn hinter sich her. Er plauderte freundlich, behutsam und langsam über das schöne Herbstwetter. Die Krankenpflegerin schloss hinter den beiden die Tür ihres Arbeitszimmers und stürzte zum Telefon. Sie wartete nicht lange, bis ihr Anruf entgegengenommen wurde.
„Hallo, Herr Doktor Steinbauer, wir brauchen Sie hier. Selma Felder ist gerade eben bei uns eingetroffen. Ja genau, Frau Felder aus Oberösterreich. Das haben Sie gewusst? In den Nachrichten? Nein, ist mir entgangen. Ihr Zustand ist schlecht. Sie sagt, zwei Trittico und zwanzig Tropfen Psychopax. Der Martin ist jetzt bei ihr. Zimmer 116. In zwanzig Minuten? Sehr gut. Ich bereite inzwischen alles vor. Bis gleich, Herr Doktor.“