Sie bremste ihren weinroten Seat Ibiza. Ein derber Fluch in bulgarischer Sprache entglitt ihr. Sie kannte den riesigen Wagen, der da vor ihrem Haus parkte, und jedes Mal wieder wunderte sie sich über ein derart misslungenes Design. Ein ästhetisches Hybrid aus großkotzigem Geländewagen und verpfuschtem Sportauto, ein geschmackloses Fahrzeug für kleine Buben mit dickem Bankkonto. Und sie kannte natürlich den Besitzer dieses Autos. Slaveya fuhr nicht in die Garage, sondern parkte ihren Kleinwagen hinter dem Sport-SUV. Sie blickte sich um. Gafften die Nachbarn? Nein, die waren es schon gewöhnt, dass vor dem Haus am Ende der Sackgasse teure Autos parkten. Slaveya schnaufte verärgert. Sie hatte für Besucher heute keine Nerven, selbst wenn diese sich an die vereinbarten Termine hielten. Sie stieg aus, öffnete den Kofferraum und nahm die Einkaufstaschen heraus. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Tür des großen Autos geöffnet wurde. Slaveya versperrte ihr Auto und marschierte, ohne Klaus eines Blickes zu würdigen, in das Haus. Sie ließ die Haustür hinter sich offen. Slaveya schlüpfte aus den Sportschuhen und pfefferte die Jacke in eine Ecke. Kurz blickte sie in den Spiegel. Sah sie so abgehetzt aus, wie sie sich fühlte? Die großgewachsene Studentin in höherem Semester gab ihr im Spiegel eine verneinende Antwort. Schlichte Jeans, ein buntes Sweatshirt, das lange, dunkle Haar zu einem losen Zopf geformt, keinerlei Schminke, im Einkaufszentrum war sie nicht aufgefallen, und das war gut so, sie wollte heute nicht auffallen, sie wollte unscheinbar das Leben einer achtundzwanzigjährigen Frau führen, ganz alltäglich Einkäufe machen, unbehelligt in einem Restaurant essen, in einer Buchhandlung stöbern, abends ein Kino oder ein Rockkonzert besuchen. Wie konnte sie sich aus dieser Sklaverei befreien?
Die Haustür fiel zu.
„Hallo, Mädchen.“
Slaveya sah durch den Spiegel ihren Kunden an. Klaus war ein übergewichtiger Enddreißiger aus Rosenheim, der in jungen Jahren mit seiner IT-Firma das Vermögen seines Vaters gemehrt, eine hübsche Frau geheiratet und mit ihr zwei Kinder gezeugt hatte und der Slaveya vorzugsweise Montag- oder Donnerstagvormittag Besuche abstattete. Als Firmenchef konnte er sich diese Freiheit zur besten Arbeitszeit leisten, und zuhause dachte seine Frau, er würde Geschäftstermine wahrnehmen. Warum die Kerle für etwas derart Uninteressantes wie Sex solche Lügen ausheckten? Sie durfte nicht zu unfreundlich sein. Klaus bezahlte verdammt gut.
„Klaus, darf ich dir eine Tasse Kaffee anbieten?“, fragte Slaveya und huschte in die Küche, noch bevor er nach ihr fassen konnte.
„Kaffee ist zum Anheizen gut.“
Slaveya schaltete die Kaffeemaschine ein. Er folgte ihr in die Küche. Sie entdeckte jetzt, dass er ein Päckchen in der Hand trug. Gewiss wieder irgendein peinliches Geschenk, ein lächerliches Kleidchen oder furchtbare Schuhe. Geschmack war keine von Klaus’ Stärken.
„Du hast mich warten lassen.“
„Entschuldige, ich habe noch einige Einkäufe erledigen müssen. Setz dich doch.“
Slaveya servierte zwei Tassen Kaffee und setzte sich zu ihrem Gast an den Küchentisch. Sie schaute ihm nun direkt in die Augen. Sollte sie ihm diese mit dem Kaffeelöffel auskratzen? Geiles Schwein. Sie musste raus hier, hielt es in diesem Leben als verfügbare Ware nicht mehr aus. Slaveya kämpfte gegen das Zittern ihrer Hände an. Was sollte sie nur tun? Wer half ihr? Niemand. Niemand würde sie befreien. Niemand würde die zudringlichen Kerle verjagen. Sie war alleine in einem fremden Land, umlagert von ekelerregenden Männern mit geblähten Nasenflügeln und glühenden Augen, diese Männer waren jederzeit bereit, ihren Samen in sie hineinzuprügeln. Niemand würde kommen.
„Willst du nicht hineinschauen?“, fragte Klaus mit fiebrigem Timbre und deutete auf das Päckchen auf dem Tisch.
Slaveya leerte die kleine Kaffeetasse in einem Zug.
„Klaus, du musst wieder gehen.“
Der Mann ihr gegenüber war wie vor den Kopf geschlagen.
„Wie bitte?“
Slaveya setzte ein trauriges Gesicht auf. Das Leben war ein Marionettenspiel, und sie war eine große Künstlerin darin, eine begnadete Schauspielerin, denn die tiefgreifendste und hochtrabendste seelische Regung, die unabdingbar zu größter Kunst führte, erfüllte sie zur Gänze. Nackte Angst.
„Ich kann dich in den nächsten Wochen nicht treffen.“
Ärger legte sich in seine Miene. Würde er sie schlagen? Sie mit Gewalt nehmen?
„Was soll das werden? Ein blödes Spielchen?“
„Ich war heute früh nicht nur beim Einkauf, ich war auch beim Arzt.“
„Beim Arzt?“
Slaveya legte ihre Hände übereinander auf den Tisch und schaute den Mann mit treuherzigen Augen an.
„Herpes genitalis. Ich habe mich damit angesteckt.“
Der Mann rückte von ihr ab, starrte sie eine Weile angewidert an. Nur wenig später verfolgte Slaveya am Küchenfenster stehend die zügige Abfahrt eines großen Autos. Sie atmete auf. Das Mitbringsel verschwand ungeöffnet im Müll.