„Vielen Dank für die Auskunft. Auf Wiederhören.“
Christina legte den Hörer ihres Tischtelefons auf und machte einen Vermerk auf der Liste. Die eben gehörten Antworten waren einleuchtend gewesen, der Mann konnte von der Liste gestrichen werden. Christinas Blick ruhte auf der Anrufliste. Sie hatte die drei Nummern, denen keine Namen zugeordnet waren, der Reihe nach in die Tastatur getippt. Die erste Telefonnummer gehörte einem ungarischen Wurstfabrikanten, der mit Herbert Felder seit zehn Jahren geschäftliche Beziehungen unterhielt, die zweite Nummer verband, wie Christina eben erfahren hatte, mit einem Bauern aus Grieskirchen, der seine Masthühner an Felder verkaufte, doch die dritte Nummer war nach wie vor nicht zugeordnet. Christina wählte erneut diese Nummer, doch die Leitung war tot, immer wieder schaltete sich das Tonband des Netzbetreibers ein. Christina markierte mit einem Farbstift die Nummer auf der Liste. Sie rechnete, dass diese Nummer zu einem anonym verkauften Wertkartenhandy gehören könnte. Solche Telefone waren schnell besorgt und schnell auch wieder weggeworfen.
Christina griff zum Papiersäckchen, das sie sich heute früh in der Bäckerei mitgenommen hatte, und biss in den Kornspitz. Sie öffnete den Joghurtbecher. Erfrischendes Naturjoghurt und ein Kornspitz, als Dessert einen Apfel, damit musste sie heute über den Tag kommen. Sie aß ohne Appetit, die Nahrungszufuhr war weit eher eine Beschäftigungstherapie für Hände, Kauwerkzeug und Verdauung. Der leer gelöffelte Becher landete im Mistkübel. Ihr Tischtelefon klingelte.
„Kayserling.“
„Hallo Christina, Friedel spricht hier.“
„Hallo Friedel. Wie läuft es bei dir?“
„Komme voran. Habe jetzt den Rechner von Felder durchgecheckt, und da sind mir schon ein paar Dinge aufgefallen, die du wissen solltest.“ Christina klemmte den Hörer mit der Schulter an ihr Ohr, griff nach einem Stift und einem Notizblock.
„Ich bin ganz Ohr.“
„Also, die E-Mail-Korrespondenz schaut unauffällig aus, das Einzige, was ins Auge sticht, ist, dass er von seinem Privatrechner und seiner privaten E-Mail-Adresse aus verdammt viel Geschäftskorrespondenz erledigt hat. Habe den Eindruck, dass Felder praktisch keinen Kontakt zu Verwandten oder Freunden gepflegt hat, da geht es immer nur um Liefermengen, Terminvereinbarungen und Preisverhandlungen. Felder scheint seine Lieferanten ziemlich niedergehalten zu haben, er hat praktisch die Preise diktiert. Und gar nicht mal auf die höfliche Art und Weise. Das Internet hat er nur mäßig genutzt, regelmäßig tauchen da nur Nachrichtenwebsites, der Wetterdienst und Routenplaner auf. Die Routen werde ich mir später noch genauer ansehen. In seinem Dateiensystem finden sich zwei spannende Bereiche. Hast du die DVDs, die wir in seiner Villa sichergestellt haben, schon geprüft?“
„Allerdings.“
„Na, dann weißt du ja Bescheid. Ich denke, dass die DVDs Datensicherungen der Videodateien auf seinem Rechner sind. Das ist der eine spannende Bereich.“
„Und der zweite?“
„Der zweite Bereich schaut wie eine Sammelgrube für Gutachten und Dokumente aus. Vielleicht auch eine Werkstatt.“
„Sammelgrube? Werkstatt? Was soll das heißen?“
„Habe da eine Menge Dokumente von Tierärzten und Sachverständigen der Lebensmittelaufsicht gefunden. Eingescannte Papiere, aber auch offene Dateien, die mit Textverarbeitungs- oder Desktoppublishingprogrammen bearbeitet werden können. Ich vermute, dass sich Felder Prüfberichte und Gutachten selbst gestrickt hat, oder zumindest angepasst hat. Ist jetzt eher unappetitlich, aber ich habe den Verdacht, dass Felder immer wieder Dokumente manipuliert hat. Da geht es um die Qualität von Fleischwaren.“
„Ich habe Gerüchte gehört, wonach der Mann in Schwindeleien verwickelt gewesen sein soll.“
„Schwindeleien ist recht harmlos formuliert, würde ich sagen. Das Material schaut eher nach knallhartem Betrug aus. So nach dem Motto, die Leute werden das Zeug schon fressen, die bemerken eh nichts. Einen Namen kann ich dir nennen, den ich immer wieder gefunden habe. Bernhard Traxler, Tierarzt und Sachverständiger. Ich schicke dir gleich eine E-Mail mit den Kontaktdaten des Mannes.“
„Ja, bitte. Den Mann werde ich unter die Lupe nehmen. Ich werde bei den zuständigen Behörden anklopfen und um Aufklärung bitten.“
Friedel räusperte sich.
„Also von mir aus könntest du denen die Tür eintreten. Mir ist der Appetit auf meine Wurstsemmel irgendwie vergangen. Übrigens Wurstsemmel. Gestern Abend habe ich ein bisschen im Internet gesurft.“
„Am Sonntagabend? Und wann hast du Freizeit?“
„Freizeit wird überschätzt.“
Christina schmunzelte.
„Sag das nicht zu oft, Herr Kollege, sonst wirst du bald unter einem Berg von Arbeit begraben. Also, wo im Internet hast du dich herumgetrieben?“ „Dieses Graffiti auf der Lagerhalle ist mir nicht aus dem Kopf gegangen, deswegen habe ich da ein bisschen nachgebohrt. Ich habe von zwei ähnlichen Fällen gelesen. Auf einem Geflügelhof in der Steiermark und einem Schlachthof in Kärnten sind Graffitis mit dem Wort MORD mit roter Farbe aufgetaucht. Vor neun Monaten in der Steiermark, vor fünf Monaten in Kärnten. Im zweiten Fall gab es keinerlei Sachbeschädigungen, nur die Schmiererei, im ersten Fall wurde eine Tür zu einem Stallgebäude aufgebrochen. Und ich habe ein Video im Netz gefunden, das möglicherweise im Stall dieses Geflügelhofes aufgenommen worden ist. Habe mich mit solchen Dingen eigentlich noch nie beschäftigt, aber richtig lustig dürfte es in so Massenställen nicht zugehen.“
Christina lehnte sich zurück.
„Tierschützer also.“
„Schaut so aus.“
„Gute Arbeit, Friedel! Du hast da zwei interessante Spuren gefunden. Schau du dir die Tierschutzszene an, ich nehme mir diesen Tierarzt und Sachverständigen vor. Hast du sonst noch etwas?“
„Na ja, Hunger hab ich und ich glaub, ich renne jetzt runter und kaufe mir je ein Kilo Äpfel und Bananen. Der Tag könnte heute noch länger werden.“
„Okay, und halte mich auf dem Laufenden.“
„Tschüs.“
Christina öffnete das E-Mail-Programm und fand schon Post von Friedel vor. Sie klickte die E-Mail in den Vordergrund. Ein Sachverständiger also.