„Ich kenne die Gegend. Mit meinem Vater war ich dort ein paarmal zum Holzauflegen. Mit dem Hängerzug in den Wald und dann weiter ins Sägewerk. Ich bin viel herumgekommen.“
Florian und Matthias saßen eng beisammen und hielten ihre Köpfe über die Karte gebeugt.
„Wie lange ist das her?“
Matthias überlegte und pfiff dann durch die Zähne.
„Locker zwanzig Jahre. Ich war noch in der Volksschule.“
Florian lachte auf.
„Na ja, mit achtundzwanzig bist du halt schon ein alter Sack.“
Matthias überging die Äußerung.
„Auf diesem Weg können wir die Höhenlinie halten. Schau her, da geht es vierhundert Höhenmeter runter, ziemlich steil. Schussfahrt mit Tempo. Und dann wieder fünfhundert Höhenmeter rauf, Serpentinen, also leicht zu fahren. Vor allem aber schließt hier der Weg der Wege an. Zwanzig Kilometer auf zwölfhundert Metern Seehöhe geradewegs in den Süden, wenig Gefälle, wenig Steigungen, wenige Serpentinen, nur zweimal müssen wir durch den Wald, ansonsten schnurgerade Forststraßen.“
Florian kraulte seinen Vollbart.
„Extrem gut.“
„Genau. Und wie gesagt, zwölfhundert Meter Seehöhe, links geht es ab zur Bundesstraße, rechts mitten rein in die Rottenmanner Tauern. Wenn uns ein Hubschrauber entdeckt, sind wir mit einer Schussfahrt ratzfatz weg von der Bildfläche.“
Florian ballte seine rechte Hand zur Faust.
„Geil! Mit dir etwas auf die Beine zu stellen, ist extrageil!“
Ein verschmitztes Lächeln legte sich in Matthias’ Gesicht.
„Aufstellen ist sowieso gut.“
Florian rempelte seinen Kumpel mit dem Ellbogen.
„Blödel.“
Sie hörten Schritte. Florian faltete schnell die Karte zusammen. Roswitha trat in den Raum und blickte in zwei Paar verschwörerisch blickende Augen. Sie setzte sich zu den beiden an den Tisch.
„Was heckt ihr zwei da die ganze Zeit über aus?“
„Eh nichts“, äffte sie Florian nach. „Glaubst du, ich bin blind?“
Florian spähte zur Tür.
„Schnüffelt sie wieder herum?“
Roswitha schüttelte den Kopf.
„Sie liegt im Bett und meditiert.“
Beide Männer mussten über diese Formulierung lachen.
„Also, kriege ich eine Antwort oder nicht?“, forderte Roswitha, und in ihrer Stimme klang unmissverständlich aufsteigende Verärgerung über die Geheimniskrämerei ihrer zwei Partner. Florian beugte sich über den Tisch und flüsterte.
„Hühnermäster in Grieskirchen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es dort extrem schmutzig zugeht. Der Bauer hat vor einem Jahr den Tierarzt gewechselt. Jetzt ist er Kunde beim Giftmischer.“
Roswitha verdrehte die Augen. Einmal hatte sie auf der Uni einen Vortrag von Doktor Bernhard Traxler über zeitgemäße Massentierhaltung gehört. In der Diskussion nach dem Vortrag war es zu einem unschönen Schreiduell zwischen Traxler und ihr gekommen, woraufhin sie vom Dekan eine schriftliche Ermahnung zugestellt bekommen hatte. In jedem Fall hatte Traxler sich nie wieder zu einem Vortrag auf die Uni einladen lassen. Wenn es einen schmierigen Tierquäler in Österreich gab, so Roswithas Meinung, der mit seiner dreckigen Arbeit noch dazu Unmengen Geld verdiente, dann war es dieser Bernhard Traxler. Jedem durchschnittlichen Fleischhauer oder Tiermäster konnte Roswitha die täglich praktizierte Tierquälerei irgendwie verzeihen, die meisten Menschen waren einfach abgestumpft und gedrillt, sie konnten nicht anders als in ihren engen Bahnen denken, diesen Doktor Traxler hingegen konnte Roswitha nicht anders denn als ihren Feind bezeichnen. Ein kalter Technokrat, der niemals auch nur eine Sekunde zögerte, die Lebensrechte von Tieren zu verletzen, wenn er damit Profit machen konnte. Dieser Mann war intelligent, umsichtig, kriminell und absolut gefühllos.
„Verstehe“, sagte Roswitha und nickte zustimmend.
„Wir wollen da reingehen und eine Doku machen. Die Passauer Gruppe wartet schon ungeduldig auf die Bilder.“
Roswitha griff schnell zur auf dem Tisch liegenden Landkarte.
„Ein Aktion in Grieskirchen und ihr studiert schon seit Tagen Landkarten der Obersteiermark und von Nordslowenien? Was verschweigt ihr mir?“
Florian lehnte sich distanziert zurück.
„Wir müssen halt auf alles vorbereitet sein.“
Jetzt war Roswitha wirklich sauer.
„Flo, dass ihr zwei unterwegs seid, ist okay für mich, echt, kein Problem, im Gegenteil, finde ich sogar gut. Und eure Videos gehen um die Welt, viele bewundern euch, ich habe genug Postings gelesen. Aber ich werde grantig, wenn ihr mich wie ein dummes Mädel behandelt. Da werde ich echt grantig!“
Florian wiegte den Kopf.
„Bleib cool, Rosi. Ich weiß, dass du klasse bist, dass du dichthalten kannst, dass du uns niemals in Stich lassen wirst. Du bist der absolute Hammer und wir lieben dich. Kein Schmäh. Wir lieben dich! Nicht wahr, Hias?“ Matthias nickte zustimmend.
„Aber wenn wir“, fuhr Florian mit gefährlich verkniffenen Augen und düsterem Ernst in der Stimme fort, „von den Industriebonzen erwischt werden, drücken die uns den Bolzenschussapparat an die Stirn und schlitzen uns auf wie Mastschweine im Schlachthof. Die lassen uns bluten! Wir führen Krieg mit Videokameras und Fahrrädern gegen einen milliardenschweren Tötungskoloss. Wenn wir nicht cleverer, schneller und vorsichtiger sind als die Killer, dann sind wir dran. Und ich will dich echt nicht wie ein dummes Mädel behandeln, sondern ich will dich beschützen. Wenn der Hias und ich draufgehen, dann musst du weitermachen, du musst überleben, du bist unsere einzige Hoffnung.“
Roswitha warf die Landkarte auf den Tisch und verschränkte die Arme. Sie mochte es gar nicht, wenn Florian diesen kämpferischen Ton anschlug. „Habt ihr noch Hunger gehabt?“, fragte sie mit einem Seitenblick auf die zwei benutzten Teller.
„Wir haben noch Bohnensalat gegessen.“
„Eine Stunde nachdem ihr je zwei Teller Nudeln verputzt habt?“
Florians Miene zeigte genau jenes spitzbübische Lächeln, das Roswitha fast irre werden ließ.
„Ausgewachsene Mannsbilder müssen viel essen. Außerdem kommt bald der Winter, da kann ein bisschen Speck auf den Rippen nicht schaden.“ Roswitha erhob sich und räumte die Teller ab. Im Türstock hielt sie inne. „Das Scheunendach habt ihr total super hingekriegt. Danke.“