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Christina startete den Computer. Was kam als Nächstes? Sie musste den Bericht der Spurensicherung urgieren. Die Vernehmung von Stefan Mayer musste durchgeführt werden. Und sie würde im Laufe des Vormittags mit Friedel telefonieren müssen. Mit flinken Fingern tippte sie das Passwort in die Tastatur. Zuallererst aber musste sie herausfinden, warum Selma Felder, wie Christina schon im Morgengrauen telefonisch erfahren hatte, in der Nacht aus dem Sanatorium Bergfriede verschwunden war. Mit ein paar Klicks im Internet hatte sie die Telefonnummer des Sanatoriums gefunden. Sie ließ sich mit dem Psychiater des Sanatoriums verbinden.

„Steinbauer.“

Christina rückte einen Notizblock zurecht.

„Guten Morgen. Mein Name ist Kayserling, Kriminalpolizei Steyr.“

„Kriminalpolizei Steyr? Sie rufen bestimmt wegen Selma Felder an.“

„Korrekt. Schildern Sie mir bitte in kurzen Worten, was bei Ihnen passiert ist.“

„Also ich habe das schon Ihren Kollegen erläutert. Auf den Punkt gebracht, Selma Felder hat ohne unser Wissen das Sanatorium verlassen. Leider kann ich Ihnen nicht den genauen Zeitpunkt nennen, wann sie gegangen ist. Um halb elf abends hat sie die Krankenpflegerin des Nachtdienstes noch gesehen und um halb sechs Uhr morgens haben wir entdeckt, dass ihr Zimmer leer ist.“

„In der Nacht gibt es keine Kontrollen?“

„Nur bei Patienten, bei denen es aus medizinischen Gründen unbedingt nötig ist. Wir achten die Privatsphäre unserer Patienten. Als wir sicher waren, dass sich Frau Felder nicht im Haus oder auf dem Grundstück aufhält, haben wir, wie es die Polizei von uns gewünscht hat, das hiesige Wachzimmer informiert. Das war gegen sechs Uhr morgens.“

Christina nickte. Diese Aussage deckte sich völlig mit dem Bericht der Salzburger Polizei.

„Herr Doktor, wissen Sie, dass die Polizei Ermittlungen wegen des Mordes an Herbert Felder durchführt?“

„Das ist mir bekannt.“

„Ich bin die leitende Beamtin dieser Ermittlungen, erlauben Sie mir deshalb ein paar Fragen.“

„Bitte sehr.“

„Sie als Psychiater müssen doch über Frau Felders Gesundheitszustand informiert sein.“

„Allerdings.“

„Sie leidet an einer mehrfach diagnostizierten bipolaren Störung. Wie äußerst sich dieses Krankheitsbild bei Selma Felder?“

Der Arzt und Psychiater räusperte sich vernehmlich. „Frau Inspektor, Sie werden verstehen, dass ich aus Gründen der ärztlichen Schweigepflicht keine Einzelheiten über Frau Felders Gesundheitszustand sagen darf. Aber ich kann Ihnen allgemein das Krankheitsbild einer bipolaren Störung umreißen. Menschen mit diesem Krankheitsbild erleben extreme Höhen und Tiefen, das ist aus psychiatrischer Sicht sehr unangenehm und für die Patientin, anders kann man das nicht formulieren, mit einem sehr hohen Leidensdruck verbunden. Die Psychiatrie kann in solchen Fällen häufig nur Symptome lindern und besonders extreme, durchaus auch das Leben bedrohende Stimmungen regulieren.“

„Sie meinen Medikamente?“

„Nicht nur, aber in akuten Situationen muss medikamentös vorgegangen werden.“

„In welcher Verfassung ist Frau Felder derzeit?“

„Nun, nach dem letzten Gespräch habe ich den Eindruck, dass sie sich in einer depressiven Phase befindet. Allerdings deutete sich im Lauf des Gesprächs immer wieder ein impulsiver Redeschwall an. Das würde auf den Anfang einer submanischen Phase hindeuten.“

„Ist das gut oder schlecht?“

Der Psychiater räusperte sich wieder.

„Das kann manchmal schlecht sein, Frau Inspektor, sehr schlecht! Dann nämlich, wenn sich das Stimmungstief der Depression mit den ausbrechenden Energien der Manie überlappt. Das kann ich Ihnen ganz allgemein zu Frau Felder sagen.“

Christina kritzelte auf den Notizblock.

„Okay, Herr Doktor, damit kann ich mir schon halbwegs ein Bild machen. Vielen Dank für die Informationen. Auf Wiederhören.“

„Bitte gerne. Auf Wiederhören.“