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Christina schaute zum Fenster hinaus und überdachte die vorliegenden Informationen der Spurensicherung. So viele Puzzleteile und noch war kein Gesamtbild auszumachen. Sie erhob sich und hantierte an der Kaffeemaschine. Vielleicht würde eine Tasse Kaffee helfen, etwas Klarheit in das Gewirr von Gedanken zu bringen. Hoffen konnte man ja. Es klopfte an der offen stehenden Tür. Christina drehte den Kopf.

„Also eines fällt mir schon auf, Frau Kollegin“, sagte Raimund mit jovialem Grinsen und trat ein.

„Und das wäre, Herr Kollege?“

„Wenn du Stress hast, hängst du pausenlos vor der Kaffeemaschine herum.“

„Wie kommst du auf die abwegige Idee, ich hätte Stress?“

„Das sagt mir mein Magen.“

„Gastritis?“

„Ist im Werden.“

„Du willst also auch eine Tasse Kaffee.“

„Danke der Nachfrage, unbedingt!“

Christina servierte zwei Tassen Kaffee, die beiden setzten sich.

„Hast du die Vernehmung von Stefan Mayer schon durchgeführt?“, fragte Raimund.

Christina klatschte auf die Schreibtischplatte.

„Fix, den Mann habe ich komplett vergessen!“

„Nüchtern müsste er jetzt schon sein.“

„Bist du deswegen gekommen?“

„Meine Leute munkeln schon die verschiedensten Dinge, weil ich so oft mit dir zusammen bin.“

Christina nahm einen Schluck und schmunzelte.

„Solange Dorfpolizisten Zeit haben, über ihre Vorgesetzten zu munkeln, steht die soziale Ordnung unseres schönen Heimatlandes nicht vor dem Ruin.“

„Übrigens soziale Ordnung, glaubst du, dass der Mayer etwas mit dem Mord zu tun hat?“

Christina wiegte den Kopf.

„Ich kann es nicht ausschließen. Aber wir haben ja den Mann gesehen, wie er da sternhagelvoll in die Knie gegangen ist und geschlottert hat, als die Cobramänner die Tür eingetreten haben. Also vom Gefühl her würde ich sagen, nein, Mayer ist nicht der Mörder.“

„Sehe ich auch so.“

„Und dass er betrunken von Innsbruck nach Steyr fährt, um über den Zaun zu klettern, sich ins Lager zu schleichen und dann den Schlüssel im Steuerungskasten umzudrehen, ist nicht einmal für einen Fernsehkrimi plausibel. Wie hätte er wissen sollen, dass sich Felder genau zu dieser Zeit im Lager aufhält? Mayer kriegt sein Schmalz schon noch, aber nicht für den Mord, sondern für seine kriminellen Nebengeschäfte mit Wurst und Leberkäse.“

„Die Ehefrau?“

Christina schaute eine Weile in die dunkle Flüssigkeit in ihrer Tasse.

„Um aus dieser Frau halbwegs schlau zu werden, muss man Psychiater sein. Oder mindestens so verrückt wie sie. Ich war zuvor bei ihr und habe mit ihr gesprochen.“

„Bist du heute schon in Bad Gastein gewesen?“, fragte Raimund überrascht.

„Nein, in ihrem Haus. Die Dame hat die Nacht genützt, um auf dunklen Wegen wieder in ihre Villa zurückzukehren. Alles sehr undurchsichtig. Ich bin mir völlig sicher, dass sie mir nicht alles sagt. Nicht aber, weil sie mich anlügen will, sondern weil in ihrer Weltsicht manche Dinge einfach so sind, wie sie sich das so denkt.“

„Aber sie könnte es gewesen sein. Vieles passt zusammen. Felders Auto ist um ein Uhr in Aschach gesehen worden, offenbar auf dem Weg ins Lager. Vielleicht war er zuhause und es hat einen Streit gegeben, und die Frau ist ihm hinterhergefahren, ist ins Lager reingegangen und hat ihn ermordet.“

„Könnte sein. In jedem Fall steht sie auf meiner Liste ganz oben. Aber noch etwas, Raimund! Selma Felder hat mir einen Namen genannt. Verflixt, wo ist der beschissene Notizblock?“

Christina leerte kurzerhand den Inhalt ihrer Handtasche auf den Schreibtisch.

„So, schauen wir mal. Da ist es! Slaveya Koleva. Hab ich den Namen also doch richtig in Erinnerung gehabt.“

Raimund schaute mit neugierigen Augen auf das aufgeschlagene Blatt des kleinen Notizblockes.

„Wer ist das?“

„Das muss ich erst herausfinden. In jedem Fall hat diese Slaveya Koleva ein Verhältnis mit Wendelin Sattler, dem Restaurantmanager. Und zuvor hat Selma Felder gesagt, dass ihr Ehemann bei einer gewissen Slaveya Sexarbeit eingekauft hat, einer Bulgarin ohne Nachnamen.“

„Hoppala!“, rief Raimund aus, lehnte sich mit verkniffenen Augen zurück und verschränkte die Arme.

„Genauso würde ich das auch formulieren. Das heißt, ich muss jetzt sofort diese Frau, wohnhaft irgendwo in Kremsmünster, aufspüren und ihr auf den Zahn fühlen.“

„Und natürlich auch diesem Herrn Sattler“, ergänzte Raimund.

„Dem sowieso.“

„Und was machen wir in Sachen Graffiti?“

Christina verdrehte die Augen.

„Hoffen, dass uns diese Schmiererei keinen Strich durch die Rechnung macht.“

Christina erhob sich.

„Und jetzt zu unserem trinkfreudigen Herrn Mayer und seinen Künsten als Logistikmanager in eigenem Auftrag.“