73

Wahrscheinlich würde sie ein, vielleicht auch zwei Strafmandate erhalten. Sie hatte, von einer dunklen Unrast getrieben, die Fahrt von Steyr nach Linz sehr flott angelegt. Egal, sie fuhr einen Dienstwagen und sie war im Einsatz, im Polizeikommando wusste man längst, dass sie gelegentlich ihr Auto zu schnell fuhr, und zwar dann, wenn sie unter Stress stand, wenn sie den Druck fühlte, unaufhaltsam verstreichenden Ereignissen hinterherjagen zu müssen. Welches Ereignis war unaufhaltsamer als die Wandlung des Lebens in den Tod? Eine Wandlung, die Herbert Felder, was auch immer er für ein Mensch gewesen sein mochte, nicht aus natürlichen Gründen oder freiwillig vollführt hatte, sondern der er mit böser Absicht unterzogen worden war. Wer hatte diesen Mann vom Leben in den Tod befördert? Wer? Christina parkte ihren Wagen im Halteverbot und eilte auf das Wohnhaus zu. Wenig später stand sie vor einer Wohnungstür und klingelte.

„Guten Tag, Frau Ebner.“

Die zweiundzwanzigjährige Studentin sah nicht gut aus. Dunkle Ringe lagen um ihre Augen, ihre Lippen schienen trocken, geradezu spröde, die herbe Aura von jugendlicher Lebendigkeit, die Christina an dieser jungen Frau bei ihrem ersten Zusammentreffen aufgefallen war, schien verblasst zu sein. Christina zog ihre Augenbrauen hoch.

„Guten Tag.“

„Darf ich eintreten?“

„Ich wollte gerade gehen. Ich muss auf die Uni.“

„Ich will Sie nicht aufhalten, denn eigentlich will ich zu Herrn Felder.“

Die junge Frau steckte tatsächlich schon in ihren Schuhen, schlüpfte nun in ihre Jacke und griff nach ihrem Rucksack.

„Der Benni ist nicht da.“

„Ach nicht? Da sein Handy nicht eingeschaltet ist, habe ich in der Schule angerufen und da hat man mir gesagt, er habe ein paar Tage freigenommen.“

Susanne Ebner zuckte mit den Schultern.

„Kann schon sein, dass er sich freigenommen hat. Das weiß ich nicht und das kümmert mich auch nicht.“

Christina horchte überrascht auf.

„Haben Sie sich getrennt?“

Susanne Ebner warf den Rucksack über ihre Schultern.

„Er braucht jetzt etwas Zeit für sich“, sagte die junge Frau hörbar bitter.

„Er hat seinen Krempel geholt und ist in die Wohnung seiner Mutter gezogen. Vorübergehend, wie er sagt.“

„Ich verstehe“, sagte Christina, verstand aber nicht, denn das junge Paar hatte gar nicht so ausgesehen, als ob die Beziehung in Schwebe hinge.

„Dann will ich Sie nicht länger aufhalten, Frau Ebner. Oder fällt Ihnen noch irgendetwas ein, was Sie mir sagen wollen oder müssen?“

Susanne Ebner zuckte mit den Schultern und versperrte die Wohnungstür

„Nein, nichts.“

„Fahren Sie mit dem Aufzug?“

„Nein, ich gehe immer zu Fuß.“

„Ich begleite Sie.“

Vier Stockwerke tiefer hielt Christina an der Haustür inne. „Kam die Trennung überraschend für Sie?“

Wieder zuckte die junge Frau mit den Schultern.

„Irgendwie schon, dann auch wieder nicht. Manchmal hat sich der Benni schon ziemlich abgekapselt. Einmal habe ich mit ihm über die Zukunft sprechen wollen. Da hat er vielleicht drei Wörter an einem Abend gesagt. Zumindest habe ich das so wahrgenommen. Tja, es ist halt so, damit muss ich leben.“

„Nun denn, auf Wiedersehen, Frau Ebner.“

„Wiedersehen.“

Christina stieg in ihr Auto und wartete, bis die junge Frau auf ihr Fahrrad gestiegen und davongeradelt war. Der schwarze VW Golf war auch in Linz schnell unterwegs.